Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Silikonfingerprothese in Höhe von 2.023,00 Euro.
Die 1962 geborene Klägerin ist Fachärztin für diagnostische Radiologie. Sie ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 24.
Januar 2012 erlitt die Klägerin aufgrund eines häuslichen Unfalls schwere Verbrennungen. In der Folge musste das Endglied
des Ringfingers der rechten Hand amputiert werden.
Am 1. Februar 2013 verordnete der die Klägerin behandelnde Facharzt für Chirurgie, Dr. B H der Klägerin eine individuelle
Silikonfingerprothese mit Acryl aufgrund des Zustandes nach Verbrennungen. Von der ET GmbH Orthopädietechnik erhielt die Klägerin
am 11. Februar 2013 einen Kostenvoranschlag für eine individuelle Silikonfingerprothese inklusive einer Probeprothese und
individuellem Acrylnagel; ausgewiesen waren zu erwartende Kosten in Höhe von 2.023,00 Euro.
Die ET GmbH leitete den Kostenvoranschlag für die Klägerin an die Beklagte, damit diese eine Kostenübernahme prüfe. Die Beklagte
holte bei dem Leistungserbringer einen weiteren Kostenvoranschlag ein, nunmehr bezogen auf eine Prothese mit einem Silikonfingernagel,
der sich über 1.830,40 Euro belief.
Der von der Beklagten mit dem Vorgang befasste sozialmedizinische Dienst konnte nicht dazu Stellung nehmen, ob aus medizinischer
Sicht eine Indikation für eine Kostenübernahme bestehe; notwendig sei die Vorlage einer Fotodokumentation der rechten Hand
(Dr. M M, Stellungnahme vom 19. März 2013).
Mit Bescheid vom 19. März 2013 lehnte die Beklagte daraufhin den Kostenübernahmeantrag der Klägerin ab. Eine Prüfung der Kostenübernahme
sei auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen nicht möglich.
Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs machte die Klägerin geltend, als Ärztin ständigen Patientenkontakt zu
haben und zur reibungslosen Ausführung ihres Berufes eine Fingerepithese mit Acrylnagel dringend zu benötigen. Sie könne und
wolle ohne Prothese nicht arbeiten und ständigen Fragen von Patienten und Kollegen ausgesetzt sein. Ihrem Widerspruch fügte
die Klägerin eine Stellungnahme des Chirurgen Dr. B H bei, in der es heißt, aufgrund der Endgliedamputation des Ringfingers
rechts sei "das Tragen einer Schmuckprothese indiziert".
In der Folgezeit reichte die Klägerin vier Fotos ihrer rechten Hand zum Verwaltungsvorgang der Beklagten.
Am 4. April 2013 erstellte auf Anforderung der Beklagten Dr. C. K für den MDK Berlin-Brandenburg e.V. ein sozialmedizinisches
Gutachten zum Begehren der Klägerin. Die medizinische Voraussetzung für eine Leistungsgewährung sei nicht erfüllt. Eine Versorgung
mit einer Fingerepithese für das Endglied D 4 sei nicht notwendig. Beim sogenannten Spitzgriff seien Fingerkuppe von Daumen
und Zeigefinger gegenüberliegend beteiligt. Im Falle des Schreibgriffs würden Daumen und Zeigefinger sowie in der Regel das
Mittel- oder Endglied der Mittelfinger zur Abstützung des Schreibwerkzeugs hinzugezogen. Der Schlüsselgriff vollziehe sich
zwischen Daumenkuppe und Zeigefingerseite. Der Kraftgriff oder das Umschließen eines Gegenstandes vollziehe sich unter Einsatz
aller funktionsfähigen Finger, der Handfläche und des Daumens, d. h. hier sei die Beugekraft der Langfinger wie auch der Hohlhand
gefordert. Im Falle des Hakengriffs wirkten die Langfinger als starre Haken ohne dass es des Schlusses zur Hohlhand bedürfe.
Als Rechtshänderin resultierten bei der Klägerin aus der Verletzung und Amputation in Höhe des Endgliedes von D 4 rechts keine
Einschränkungen des Spitz-, Schreib- und Schlüsselgriffes der dominanten Hand, nur in geringem Maße das Kraft- und Hakengriffs
der rechten Hand. Ferner könne auch kein entstellender Charakter des Gliedmaßenverlustes in Höhe des Endgliedes von D 4 rechts
erkannt werden, welcher durch eine Fingerepithese auszugleichen wäre, um den Verlust des Fingergliedes von einem unbefangenen
Beobachter nicht sogleich erkennbar werden zu lassen. Durch eine Versorgung mit der beantragten Fingerepithese sei kein funktioneller
Zugewinn zu erwarten. Es handele sich um eine an kosmetischen Gesichtspunkten ausgerichtete Versorgung.
Auf dieser Grundlage und unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid
vom 25. September 2013 zurück.
Mit der am 8. Oktober 2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beruft sich auf den im Februar 2013
eingeführten §
13 Abs.
3 a SGB V, wonach ein Leistungsantrag unter bestimmten Voraussetzungen, die hier vorlägen, als genehmigt gelte. Obwohl das Patientenrechtegesetz
erst am 26. Februar 2013 in Kraft getreten sei, sei es auf ihren Fall anzuwenden. Im Übrigen sei die Silikonfingerprothese
für den Behinderungsausgleich zwingend erforderlich. Die Ansicht der Beklagten, dass durch die Versorgung mit der beantragten
Fingerepithese kein funktioneller Zugewinn zu erwarten sei, sei falsch. Die Klägerin sei als Radiologin tätig und benötige
insoweit alle fünf Finger für die Untersuchungen von Patienten und die Auswertung von Befunden am Computer. Im Übrigen handele
es sich um eine erhebliche Auffälligkeit, die naheliegende Reaktionen von Mitbürgern, Neugier oder Betroffenheit nach sich
ziehe. Weil die Klägerin häufig Patienten anfassen müsse, in der Regel auch entkleidete Patienten, seien die Blicke doch in
einem erheblichen Maß auf den fehlenden Finger gerichtet, was diese bei ihrer Arbeit unsicher werden lasse und sie dadurch
beeinträchtige. Dieser Blicke könne sie sich nur erwehren, wenn sie ihren Beruf aufgäbe. Würde sie ihren Beruf aufgeben, würde
sie vereinsamen und nicht nur das. Die Kosten der Fingerprothese seien gering, der Nutzen dagegen erheblich, sei es psychisch,
sei es physisch, sei es rein mechanisch.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18. Februar 2014 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Ein Freistellungsanspruch ergebe sich nicht aus §
13 Abs.
3 a SGB V. Diese Vorschrift sei mit Wirkung zum 26. Februar 2013 ohne Übergangsvorschrift eingeführt worden. Im vorliegenden Fall sei
die Verordnung am 1. Februar 2013 ausgestellt und das Hilfsmittel am 11. Februar 2013 beantragt worden. Daher finde die Neuregelung
des Patientenrechtsgesetzes keine Anwendung. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten resultiere aber auch nicht aus §
33 Abs.
1 SGB V. Denn die Versorgung der Klägerin mit einer Endfingerprothese sei nicht medizinisch erforderlich, um eine Krankenbehandlung
zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen
des MDK im Gutachten vom 4. April 2013 erfülle das Endglied des Ringfingers keine wesentliche Körperfunktion bei den verschiedenen
Haltegriffen der Hand. Mangels maßgeblicher funktioneller Beeinträchtigung der Klägerin bestehe daher kein Anspruch auf Versorgung
mit der Fingerprothese im Rahmen eines Behinderungsausgleichs. Weitergehende Amtsermittlung seitens der Kammer sei nicht erforderlich
gewesen. Schließlich bestehe auch keine entstellende Wirkung durch das Fehlen des Endgliedes des rechten Ringfingers. Nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestehe ein Anspruch auf eine Krankenbehandlung insoweit nur, wenn Versicherte
objektiv an einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit leiden, dass sie die Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft gefährdet. Daran fehle es hier. Ein fehlendes Fingerglied gehöre zum breiten Kreis des möglichen und in der Gesellschaft
akzeptierten Erscheinungsbildes der menschlichen Gestalt. Es möge Aufmerksamkeit erzeugen, gehöre jedoch nicht zu den Entstellungen
im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Die Kammer habe sich anhand der in der Verwaltungsakte befindlichen
Fotodokumentation ein Bild vom Aussehen der Verletzung gemacht. Diese Dokumentation zeige ein fehlendes Endglied des rechten
Ringfingers, eine abgeschlossene Wundheilung mit vollständigem und nahezu narbenfreiem Verschluss der Stumpfspitze, welche
den Rundungen der anderen Fingerspitzen harmonisch folge. Die geschädigte Hand stelle sich als ästhetisch versorgt dar. Damit
liege keine entstellende Wirkung vor. Der nachvollziehbare Wunsch der Klägerin nach einem Gliedersatz habe nach Überzeugung
des Gerichts allein einen kosmetischen Hintergrund, Kosten hierfür müsse die gesetzliche Krankenkasse aber nicht übernehmen.
Gegen den ihr am 24. Februar 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24. März 2014 Berufung eingelegt. Mit
ihr vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, das Patientenrechtegesetz sei zwar erst nach Beantragung
der Silikonfingerprothese in Kraft getreten, finde aber durchaus Anwendung auf noch offene Sachverhalte. Es handele sich um
unechte Rückwirkung, der nichts entgegenstehe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Februar 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. März 2013 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie von den Kosten
einer Silikonfingerprothese mit individuellem Acrylfinger in Höhe von 2.023,00 Euro freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Auf die Anwendbarkeit von § 13 Abs. 3 a
und die Frage der Rückwirkung komme es nicht an, weil von dieser Vorschrift ohnehin nur Leistungen erfasst seien, welche die
Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen habe. Hier stehe fest, dass die von der Klägerin beantragte Silikonfingerprothese
nicht zum Leistungskatalog der Krankenkasse gehöre. Daher bestehe auch kein Anspruch darauf, die Kosten hierfür im Rahmen
eines fingierten Anspruchs nach §
13 Abs.
3 a Satz
SGB V zu übernehmen.
Mit Beschluss vom 15. Dezember 2015 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen
Richtern entscheidet.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs
der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung
war.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin im Gerichtsbescheid
vom 18. Februar 2014 die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für
eine Silikonfingerprothese für das fehlende Endglied des rechten Ringfingers.
Fehl geht die Klägerin schließlich auch in der Annahme, §
13 Abs.
3a SGB V verhelfe ihr zu einem Anspruch auf Kostenübernahme. Es liegt auf der Hand, dass die mit Wirkung vom 26. Februar 2013 eingeführte
Vorschrift keine Auswirkungen auf Sachverhalte haben kann, in denen bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits ein Antrag auf
Kostenübernahme bei der Krankenkasse vorlag. Alles andere hätte im Übergangszeitraum für die Krankenkassen zu unkalkulierbaren
Verläufen geführt. Allenfalls wäre es denkbar, die Drei- bzw. Fünfwochenfrist aus §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V auch für bereits anhängige Anträge ab dem 26. Februar 2013 laufen zu lassen. Auch dies würde indes nicht zum Erfolg der Klage
führen, denn die Beklagte hatte fünf Wochen Zeit, um über den Kostenübernahmeantrag zu entscheiden, für dessen Bearbeitung
sie den MDK einschalten durfte. Gerechnet vom 26. Februar 2013 an bewegte sich die Bescheiderteilung vom 19. März 2013 sogar
im Rahmen der Drei-, jedenfalls aber im Rahmen der Fünfwochenfrist. Vor diesem Hintergrund muss der Senat nicht entscheiden,
ob die Genehmigungsfiktion des §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V nur greift, wenn der Antrag eine grundsätzlich von der Krankenkasse innerhalb des Systems der GKV geschuldete Leistung betrifft
und sie dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot entspricht (so Landessozialgericht NRW, Beschluss vom 26. Mai 2014, L 16 KR 154/14 B ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26).