Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Ermittlung des Beschwerdewerts bei einem Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache; Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage zum
Leistungsausschluss für Arbeitslosengeld mangels Erreichbarkeit
Gründe:
I. Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Chemnitz vom 1. Dezember 2011, in dem seine Klage auf Aufhebung eines Aufhebungs- und eines Erstattungsbescheides abgewiesen
worden ist.
Die ARGE Z Land (im Folgenden: ARGE) bewilligte dem 1963 geborenen Kläger vietnamesischer Staatsangehörigkeit mit Bescheid
vom 9. September 2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15. Oktober 2009, 24. November 2009, 2. Dezember 2009 und
19. Januar 2010 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 31. März 2010.
Am 21. Januar 2010 beantragte der Kläger die Zustimmung zu seiner Ortsabwesenheit für einen Monat. Die ARGE erteilte die Zustimmung
für den Zeitraum vom 25. Januar 2010 bis zum 14. Februar 2010. Unter Aushändigung einer Rechtsfolgenbelehrung wurde der 18.
Februar 2010 als neuer Vorsprachetermin festgelegt. Zu diesem Termin erschien der Kläger nicht.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2010 hob die ARGE die Leistungsbewilligung für die Zeit ab 15. Februar 2010 wegen unerlaubter
Ortsabwesenheit ganz auf. Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 18. Februar 2010 erließ die ARGE am 11. März 2010 einen
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. In diesem wurde die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 15. Februar 2010 bis zum 28.
Februar 2010 ganz aufgehoben und die Erstattung eines Betrages von 268,97 EUR gefordert.
Die in der Verwaltungsakte befindliche Kopie von Seite 10 des Visums trägt den Einreisestempel mit Datum 26. Januar 2010 und
den Ausreisestempel mit Datum 18. März 2010.
Mit zwei Schriftsätzen vom 12. April 2010 legte der Klägerbevollmächtigte Widerspruch gegen die Bescheid vom 18. Februar 2010
und 11. März 2010 ein, im ersten Fall mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er trug vor, dass der Kläger
den Bescheid vom 18. Februar 2010 am 19. März 2010 erhalten habe. Erst zu diesem Zeitpunkt sei er von seiner Reise nach Vietnam,
seinem Herkunftsland, zurückgekehrt. Die Rückkehr habe sich auf Grund einer Erkrankung am Urlaubsort um drei Wochen verzögert.
Der Klägerbevollmächtigte legte zwei Kopien von "Bescheinigungen für Krankschreibung" in vietnamesischer Sprache und zwei
Übersetzungen vor. Die Krankschreibungen betreffen die Zeiten vom 19. Februar 2010 bis zum 28. Februar 2010 sowie vom 1. März
2010 bis zum 10. März 2010. Als Krankheitsgrund war "Ausdehnung des Sehnenbandes des linken Fußgelenkes" angegeben. Ferner
legte er einen Krankenschein in vietnamesischer Sprache und eine Übersetzung vor. Unter dem Untersuchungsdatum 15. März 2010
sind Hustenanfall und leichtes Fieber als klinische Symptome und Entzündung des oberen Atemweges als Diagnose festgestellt.
Im Schriftsatz vom 15. Mai 2010 machte der Klägerbevollmächtigte unter anderem geltend, dass es für die Kürzung der Ortsabwesenheit
von den gewünschten vier Wochen auf 21 Tage ganz offensichtlich keine zwingenden Gründe gebe. Für den Vorsprachetermin am
18. Februar 2010 seien keine Gründe genannt. Es müsse vermutet werden, dass das Ermessen nicht richtig ausgeübt worden sei
und eine gegebenenfalls sogar schikanös einzustufende Verfahrensweise zu sehen sei. Der Kläger sei vor Ort erkrankt. Da in
Vietnam die Behörden und medizinischen Einrichtungen nicht wie in Deutschland funktionieren würden, sei der Kläger zunächst
gezwungen gewesen, sich von Familienangehörigen pflegen zu lassen. Diese hätten auch versucht, ärztliche Hilfe zu organisieren
und Geld zur Bezahlung des Arztes zu sammeln. Die Erkrankung sei bereits Tage vor der Abreise eingetreten. Es erübrige sich
wohl, die Familienangehörigen als Zeugen anzugeben, da deren Vernehmung in Vietnam wohl unverhältnismäßig sei. Der Krankenschein
vom 19. Februar 2010 indiziere die Zeit der vorherigen Erkrankung. Auf die Aufforderung der ARGE, Nachweise über die Buchung
des Rückfluges oder eine etwaige Umbuchung wegen der Erkrankung vorzulegen, erklärte der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz
vom 30. August 2010, dass die ursprüngliche Buchung oder das ursprüngliche Ticket nicht vorliege, da es zur Umbuchung abgegeben
worden und auch im Nachhinein nicht erbringlich sei. Möglicherweise sei dies vor Ort in Vietnam möglich, wozu allerdings noch
einmal dahingereist werden müsse.
Der zum 1. Januar 2011 an die Stelle der ARGE getretene Beklagte, das Jobcenter Z, wies den Widerspruch gegen den Bescheid
vom 18. Februar 2010 mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2011, zurück. Der Vortrag, die rechtzeitige Rückkehr sei aus Krankheitsgründen
nicht möglich gewesen, könne auf Grund der Umstände und der vorgelegten Unterlagen nur als Schutzbehauptung gewertet werden.
Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 31. März 2011 wies er den Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. März 2010 zurück. Die
im Zeitraum vom 15. Februar 2010 bis 28. Februar 2010 zu Unrecht gezahlten Leistungen seien zu erstatten. Die Aufhebungsentscheidung
sei wegen der vorangegangenen Entscheidung im Bescheid vom 18. Februar 2010 entbehrlich gewesen.
Der Klägerbevollmächtigte hat am 2. Mai 2011, einem Montag, zwei Klagen erhoben. Das Verfahren mit dem Az. S 28 AS 1990/11 hatte eine Anfechtungsklage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 31. März 2011, das Verfahren mit dem Az. S 28 AS 1991/11 hatte eine Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Aufhebungsbescheid vom 18. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30. März 2011 zum Gegenstand. Das Sozialgericht hat beide Verfahren mit Beschluss vom 28. November 2011 verbunden und
unter dem Az. S 28 AS 1990/11 weitergeführt.
Das Sozialgericht hat die Klagen mit Gerichtsbescheid vom 1. Dezember 2011 abgewiesen. Die Aufhebung der Leistungsbewilligung
für den Zeitraum vom 15. Februar 2010 bis zum 28. Februar 2010 und die Erstattungsforderung des Betrages von 268,87 EUR sei
rechtmäßig, weil der Kläger verschuldet ortsabwesend gewesen sei. Das früheste Attest bescheinige eine Erkrankung ab dem 19.
Februar 2010. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger bereits wieder in der Bundesrepublik sein müssen, sodass die Erkrankung
für seine nicht erfolgte Rückreise am 14. Februar 2010 nicht kausal gewesen sei.
Der Klägerbevollmächtigte hat gegen den ihm am 5. Dezember 2011 zugestellten Gerichtsbescheid am 3. Januar 2012 Nichtzulassungsbeschwerde
eingelegt. Er hält die Frage für klärungsbedürftig, ob eine nach der erlaubten Abwesenheitszeit eingetretene Erkrankung und
die dadurch verursachte Verlängerung der bereits begonnenen unerlaubten Abwesenheitszeit eines nach dem SGB II Leistungsberechtigten zu einer Aufhebung sämtlicher Leistungsansprüche für die Zeit seit Beginn der Erkrankung führt. Möglicherweise
könne dem Kläger mangels Nachweis für die Zeit vom 14. Februar 2010 bis zum 18. Februar 2010 der Vorwurf gemacht werden, in
dieser Zeit unerlaubt abwesend gewesen zu sein. Spätestens aber seit dem 19. Februar 2010 sei er wegen starker Behinderung
der Gehfähigkeit gehindert gewesen, die Rückreise anzutreten. Wegen seiner Erkrankung habe er erst ab dem 29. Februar 2010
wieder im Wohnort anwesend sein können. Mit Schriftsatz vom 14. März 2012 hat er in Erwiderung zum Schriftsatz des Beklagten
vom 17. Februar 2012 zu weiteren Punkten Stellung genommen.
Die Kläger beantragen,
1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Chemnitz vom 1. Dezember 2011 sowie der Bescheid vom 11. März 2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 werden aufgehoben. 2. Die Kosten, einschließlich der notwendigen Kosten des Rechtsbeistandes,
werden aufgehoben. 3. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten gewährt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat auf die den angefochtenen Beschluss tragenden Gründe Bezug genommen und zu weiteren Aspekten der Ortsabwesenheit des
Klägers vorgetragen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen Bezug genommen.
II. 1. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist der Aufhebungsbescheid vom 18. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30. März 2011 in der Fassung, die er durch den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11. März 2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 gefunden hat. Denn mit der Aufhebungsentscheidung im Bescheid vom 11. März 2010 wurde
nicht nur die Aufhebungsentscheidung vom 18. Februar 2010 wiederholt, wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 31. März
2011 vertreten hat. Vielmehr wurde die umfassendere Aufhebungsentscheidung ("ab 15.02.2010") durch eine zeitlich begrenztere
Aufhebungsentscheidung ("vom 15. Februar 2010 bis 28. Februar 2010") ersetzt. Hiervon ging auch das Sozialgericht im angefochtenen
Gerichtsbescheid - ohne Begründung - aus. Ob die zeitliche Begrenzung der Aufhebungsentscheidung der Regelungsintention des
Beklagten entsprach, kann dahingestellt bleiben. Denn auf Grund des eindeutigen Wortlautes der Verfügungssatzes im Bescheid
vom 11. März 2010 besteht kein Ansatzpunkt für eine Auslegung. Der Wortlaut dieses Verfügungssatzes deckt sich im Übrigen
mit dem Text im Anhörungsschreiben vom 18. Februar 2010, worin unter anderem auch auf die Aufhebungsregelung des § 48 Abs.
1 Satz 2 Nr. 4 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) abgestellt wurde.
2. Die Beschwerde gemäß §
145 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 25. August 2010 ist statthaft.
Gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des
Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft,
750,00 EUR nicht übersteigt. Das gilt gemäß §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
In Streit steht einerseits die Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 15. Februar 2010 bis zum 28. Februar
2010 und andererseits die diesbezügliche Erstattungsforderung in Höhe von 268,87 EUR. Die Erstattungsforderung ist bei der
Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes nicht zusätzlich zu berücksichtigen, weil sie auf dasselbe wirtschaftliche
Ziel wie die Aufhebungsentscheidung gerichtet ist (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 19. April 2012 - L 3 AS 808/10 NZB [Beschlussabdruck S. 3]; vgl. auch: BSG, Beschluss vom 31. Januar 2006 - B 11a AL 177/05 B - SozR 4-1500 §
144 Nr. 3; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], §
144 Rdnr. 18, m. w. N.). Damit verbleibt es bei einem Wert des Beschwerdegegenstandes in Höhe von 268,87 EUR. Dieser liegt unterhalb
des Grenzwertes in §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG. Die Voraussetzungen für die Sonderregelung des §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG sind nicht gegeben. Da auch das Sozialgericht die Berufung nicht zugelassen hat, ist die Beschwerde statthaft.
3. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber unbegründet, weil keine Zulassungsgründe vorliegen.
Nach §
144 Abs.
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nummer 1), das Urteil von einer Entscheidung
des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nummer 2) oder ein an der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nummer 3).
a) Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft,
deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern.
Ein Individualinteresse genügt hingegen nicht (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG [10. Aufl., 2012], § 144 Rdnr. 28). Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. BSG, Beschluss vom 16. November 1987 - 5b BJ 118/87 - SozR 1500 § 160a Nr. 60 = JURIS-Dokument Rdnr. 3; BSG, Beschluss vom 16. Dezember 1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr. 16 = JURIS-Dokument Rdnr. 6; ferner: Leitherer, aaO., § 144 Rdnrn. 28 f. und § 160 Rdnrn. 6 ff.
[jeweils m. w. N.]). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht mehr, wenn sie schon entschieden ist oder durch Auslegung
des Gesetzes eindeutig beantwortet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 30. September 1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr. 1 S. 2 = JURIS-Dokument Rdnr. 8). Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muss die abstrakte Klärungsfähigkeit,
das heißt die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, und die konkrete Klärungsfähigkeit, das heißt die Entscheidungserheblichkeit
der Rechtsfrage, hinzutreten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14. Juni 1984 - 1 BJ 72/84 - SozR 1500 § 160 Nr. 53). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche
Bedeutung (vgl. BSG, Beschluss vom 26. Juni 1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr. 7 = JURIS-Dokument Rdnr. 2). Hinsichtlich Tatsachenfragen kann über §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG eine Klärung nicht verlangt werden.
Vorliegend mangelt es in Bezug auf die vom Klägerbevollmächtigten formulierte Rechtsfrage an der konkrete Klärungsfähigkeit.
Rechtsgrundlage für den vom Beklagten geltend gemachten Leistungsausschluss ist § 7 Abs. 4a SGB Halbsatz 1 SGB II in der vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung. Danach erhielt Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten
zeit- und ortsnahen Bereiches aufhielt. Die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung galten entsprechend (vgl. § 7 Abs. 4a Halbsatz 2 SGB II). Nach § 2 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes
zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können (Erreichbarkeits-Anordnung - EAO) kann sich der Arbeitslose vorübergehend auch von seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt entfernen, wenn 1. er dem
Arbeitsamt rechtzeitig seine Anschrift für die Dauer der Abwesenheit mitgeteilt hat, 2. er auch an seinem vorübergehenden
Aufenthaltsort die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 EAO erfüllen kann und 3. er sich im Nahbereich des Arbeitsamtes aufhält. Wenn der Arbeitslose nicht die Voraussetzungen des §
2 Nrn. 1 bis 3 EAO erfüllt, steht dies gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EAO der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt
hat. Nach § 3 Abs. 3 EAO kann in Fällen außergewöhnlicher Härten, die aufgrund unvorhersehbarer und für den Arbeitslosen unvermeidbarer Ereignisse
entstehen, die Drei-Wochenfrist nach § 3 Abs. 1 und 2 EAO vom Arbeitsamt tageweise, höchstens um drei Tage verlängert werden.
Der Klägerbevollmächtigte räumt im Beschwerdeverfahren ein, dass ein Nachweis über den Eintritt einer Erkrankung vor dem 19.
Februar 2010 nicht geführt werden könne. Sinngemäß macht er nunmehr geltend, dass dem Kläger allenfalls die Zeit vom 15. Februar
2010 bis zum 18. Februar 2010 als Zeit der unerlaubten Ortsabwesenheit vorgehalten werden könne, dass aber der Leistungsausschluss
nicht für die nachfolgende Zeit der nachgewiesenen Erkrankung, in denen eine Rückreise nicht möglich gewesen sei, geltend
dürfe. Ansatzpunkt für die vom Kläger begehrte Herausrechnung der Tage, für die eine Krankschreibung vorliegt, aus der Zeit
des Leistungsausschlusses auf der Grundlage von § 7 Abs. 4a Halbsatz 1 SGB II kann die Härtefallregelung in § 3 Abs. 3 EAO sein.
Dem rechtlichen Ansatz des Klägerbevollmächtigte liegt die Prämisse zugrunde, dass der Kläger infolge seiner Erkrankung nicht
fähig zur Rückreise, das heißt nicht reisefähig, gewesen sei. Die Reiseunfähigkeit ist aber in dem angefochtenen Gerichtsbescheid
weder ausdrücklich noch konkludent festgestellt. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus den vorgelegten Bescheinigungen für
Krankschreibung. Denn eine Erkrankung bedingt nicht zwingend eine Reiseunfähigkeit. Der Umstand einer Erkrankung ist in der
Regel noch nicht einmal geeignet, Indiz für eine Reiseunfähigkeit zu sein. So kann es beispielsweise einer Person, die eine
Knochenfraktur erlitten hat, gleichwohl möglich sein, eine Fahrt anzutreten, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Hilfsmittel
wie einem Rollstuhl oder einer Unterarmstütze oder auf Grund von Hilfeleistungen Dritter wie zum Beispiel Angehöriger oder
Mitarbeiter von Verkehrseinrichtungen (z. B. des Flughafens, des Flugunternehmens oder des Bahnunternehmens).
Wenn aber die Vorinstanz eine Tatsache, die eine Entscheidung in dem Berufungsverfahren über eine in Betracht kommende Rechtsfrage
erst ermöglicht, nicht festgestellt hat, fehlt es an der konkreten Klärungsfähigkeit (so zum Revisionsverfahren: BSG, Beschluss vom 16. Dezember 1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr. 16 = Breithaupt 1994, 875; Leitherer, aaO., § 160a Rdnr. 9f). Denn die Beurteilung, ob eine Rechtsfrage
eine grundsätzliche Bedeutung besitzt, hat auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu erfolgen (so zum Revisionsverfahren:
BSG, Beschluss 19. Januar 1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr. 39 = Breithaupt 1981, 742; BSG, Beschluss vom 20. August 2007 - B 11a AL 159/06 B - JURIS-Dokument, m. w. N.; Leitherer, aaO., m. w. N.). Für die Nichtzulassungsbeschwerde
vor dem Landessozialgericht ergibt sich dies aus den §§
144,
145 und
153 SGG. Die Entscheidung über die Frage, ob ein Zulassungsgrund im Sinne von §
144 Abs.
2 SGG vorliegt, ist eine reine Rechtsfrage. Eine Kompetenz zu Ermittlungen durch das Landessozialgericht als Beschwerdegericht
in Bezug auf vom Sozialgericht nicht festgestellte Tatsachen, die erst die Grundlage für einen Zulassungsgrund bilden könnten,
ist nicht vorgesehen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus §
153 Abs.
1 SGG. Zwar gelten die dort eröffneten Ermittlungskompetenzen auch für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl. Keller,
in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG [10. Aufl., 2012], §
153 Rdnr. 2, m. w. N.), weil der Gesetzeswortlaut im Gegensatz zu dem des §
153 Abs.
2 SGG keine Beschränkung auf die Berufung enthält. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde können aber nur Ermittlungen in Bezug
auf dieses Beschwerdeverfahren (zum Beispiel zur Einhaltung der Beschwerdefrist) und nicht in Bezug auf das dahinter stehen
Hauptsacheverfahren mit dem Klage- oder Berufungsbegehren durchgeführt werden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 17. März 2000 eine Ausnahme vom Erfordernis, dass für eine Zulassung der
Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung erforderliche Tatsachen von der Vorinstanz festgestellt sein müssen, vorgesehen.
Es hat entschieden, dass der Einwand, die Revision könne nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden, weil Tatsachen,
die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Fragen sich in einem Revisionsverfahren
stellen könnten, von der Vorinstanz nicht festgestellt wurden, der Beschwerde dann nicht entgegengehalten werden könnten,
wenn die in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben sei, weil das Tatsachengericht
die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme
als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2000 - 8 B 287/99 - BVerwGE 111, 61 = NVwZ 2000, 1298 [jeweils Leitsatz 2]). Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser Rechtsauffassung zu folgen ist. Denn vorliegend fehlt es
jedenfalls daran, dass eine "in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung", die das Bundesverwaltungsgericht
für diesen Ausnahmefall gefordert hat, fehlt.
Über die vom Klägerbevollmächtigten formulierte Rechtsfrage hinaus ist nicht festzustellen, dass durch den Gerichtsbescheid
des Sozialgerichtes eine andere Rechtfrage mit grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen worden wäre. Soweit der Klägerbevollmächtigte
im Widerspruchsverfahren gerügt hat, für die Beschränkung der Zustimmung zur Ortsabwesenheit auf 21 Tage gebe es keine zwingenden
Gründe, ergibt sich diese zeitliche Vorgabe aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EAO. Soweit er ferner die Festlegung des nächsten Vorsprachetermins auf den 18. Februar 2010, das heißt auf den vierten Tag nach
dem Ablauf der zugestimmten Ortsabwesenheit, gerügt hat, handelt es sich hierbei um eine Entscheidung im Einzelfall.
b) Auch der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG ist nicht gegeben. Der Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn das Urteil des Sozialgerichts entscheidungstragend auf einem
abstrakten Rechtssatz beruht, der von dem zur gleichen Rechtsfrage aufgestellten Rechtssatz in einer Entscheidung eines der
im §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht (vgl. BSG, Beschluss vom 29. November 1989 - 7 BAr 130/88 - SozR 1500 § 160a Nr. 67 = JURIS-Dokument Rdnr. 7; Leitherer, aaO., § 160 Rdnr. 13). Dabei ist erforderlich, dass das Sozialgericht objektiv
von einer solchen höhergerichtlichen Entscheidung abgewichen ist und nicht etwa nur fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl.
Leitherer, aaO., § 160 Rdnr. 14a). Eine Divergenz in dem beschriebenen Sinne ist nicht festzustellen.
c) Schließlich liegt auch der Zulassungsgrund des §
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG nicht vor. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Er bezieht
sich begrifflich auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil, nicht aber auf dessen sachlichen Inhalt,
d. h. seine Richtigkeit (vgl. Leitherer, aaO., § 144 Rdnr. 32 ff.). Die Zulassung der Berufung aufgrund eines Verfahrensmangels
erfordert, dass dieser Mangel nicht nur vorliegt, sondern auch geltend gemacht wird (§
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG). Daran fehlt es hier. Der anwaltlich vertretene Kläger hat das erstinstanzliche Verfahren nicht beanstandet.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
5. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen. Denn die für eine Bewilligung erforderlichen
hinreichende Erfolgsaussicht (vgl. §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
114 ZPO) war, wie dargestellt wurde, nicht gegeben. Die hinreichende Erfolgsaussicht fehlte bereits zu dem Zeitpunkt als der Prozesskostenhilfeantrag
gestellt wurden.
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. §
177 SGG).