Zulässigkeit der Aufrechnung einer Beitragsforderung der Krankenkasse gegen einen Anspruch des Versicherten auf Erstattung
des Festzuschusses zu einer Versorgung mit Zahnersatz
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte mit einer Beitragsforderung gegen einen Anspruch des Klägers auf Erstattung
des Festzuschusses zu einer Versorgung mit Zahnersatz aufrechnen darf.
Der am 1944 geborene Kläger war vom 20.03.1996 bis 15.07.1996 bei der Beklagten freiwillig kranken- und pflegepflichtversichert.
Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 04.09.1996 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er schulde für die Zeit vom 20.03.1996
bis 15.07.1996 Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 1.145,10 DM und zur Pflegeversicherung in Höhe von 103,52 DM.
Hinzu kämen Säumniszuschläge in Höhe von 31,00 DM sowie Auslagen in Höhe von 36,00 DM. Durch Schuldanerkenntnis vom 06.03.1997
räumte der Kläger ein, der Beklagten für die Zeit vom 20.03.1996 bis 15.07.1996 einen Betrag in Höhe von 1.381,62 DM zu schulden.
Zum Zeitpunkt des letzten fruchtlosen Pfändungsversuchs am 07.06.2004 belief sich die Gesamtforderung der Beklagten gegen
den Kläger auf 1.268,05 EUR. Am 10.01.2007 betrug sie nach der Berechnung der Beklagten 1.394,05 EUR.
Mit Heil- und Kostenplan vom 10.11.2005 stellte die den Kläger behandelnde Vertragszahnärztin, Dr. F, die Indikation für die
Versorgung mit Zahnersatz in Form einer prothetischen Versorgung des Gebisses zum Lückenschluss fest. Statt eines herausnehmbaren
Zahnersatzes als Regelversorgung im Sinne des §
55 Abs.
1 bis
3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) schlug Dr. F eine andersartige Versorgung gemäß §
55 Abs.
5 SGB V in Gestalt einer fest angebrachten Brücke im linken Oberkiefer vor. Den voraussichtlichen Eigenanteil des Klägers schätzte
sie auf etwa 500,00 EUR.
Am 24.11.2005 reichte Dr. F den Heil- und Kostenplan mit dem Antrag auf Auszahlung des Festzuschusses zur vorgeschlagenen
Versorgung bei der Beklagten ein. Die Beklagte bejahte einen Härtefall und bewilligte am 25.11.2005 die Zahlung eines Festzuschusses
in Höhe von 1.093,94 EUR. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte seitens der Beklagten keine Information zur Möglichkeit der Aufrechnung.
Die anschließende zahnärztliche Behandlung dauerte bis 03.02.2006. Am 06.02.2006 stellte Dr. F dem Kläger hierfür einen Betrag
von insgesamt 1.627,20 EUR in Rechnung. Die Abrechnung erfolgte - abgesehen von einem Betrag in Höhe von 11,43 EUR (abgerechnet
nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragszahnärztliche Leistungen) und abgesehen von den Material- und Laborkosten
- nach der Gebührenordnung für Zahnärzte.
Daraufhin wandte sich der Kläger hinsichtlich der Auszahlung des bewilligten Festzuschusses an die Beklagte. Mit Schreiben
vom 13.02.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige die offenen Forderungen aus dem Jahre 1996 in Höhe von
1.300,00 EUR mit dem Festzuschusserstattungsanspruch des Klägers zu verrechnen. Am 15.02.2006 äußerte sich der Kläger gegenüber
der Beklagten und teilte unter anderem mit, ab Mai 2006 sei er zu einer Ratenzahlung in Höhe von 100,00 EUR monatlich bereit.
Mit Bescheid vom 21.02.2006, dessen Zugang der Kläger bestreitet, lehnte die Beklagte den Antrag auf Auszahlung des Festzuschusses
ab und verrechnete den Betrag von 1.093,94 EUR mit der Beitragsschuld aus der freiwilligen Mitgliedschaft vom 20.03.1996 bis
15.07.1996. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Bescheid nicht beigefügt. Mit Schreiben vom 26.06.2006 teilte die Beklagte
dem Kläger mit, die "Beschwerde" gegen die Aufrechnung seiner Forderung auf Geldleistung gegen die offenen Beitragsforderungen
sei unberechtigt. Die Beklagte sei verpflichtet, Beiträge vollständig zu erheben. Ansprüche, die nicht erfüllt worden seien,
seien gegebenenfalls zwangsweise beizutreiben. Von diesem Recht habe die Beklagte Gebrauch gemacht, indem sie den Anspruch
des Klägers auf Geldleistung gegen die offenen Forderungen wegen rückständiger Beiträge aufgerechnet habe. Rechtsgrundlage
hierfür sei §
51 Abs.
1 in Verbindung mit §
54 Abs.
2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I).
Mit Schreiben vom 14.08.2006 baten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beklagte um Mitteilung, "ob, wann, und in welcher
Höhe die Kosten der prothetischen Behandlung" gegenüber der behandelnden Zahnärztin, Dr. F, ausgeglichen worden seien. Unter
dem 21.08.2006 führten sie aus, weder der Kläger noch seine Zahnärztin hätten den bewilligten Festzuschuss erhalten. Mit Schreiben
vom 22.08.2006 machte die Beklagte unter Hinweis auf die Aufrechnung unter anderem geltend, dass der Kläger keinen Zahlungsanspruch
habe und gegenüber der behandelnden Vertragszahnärztin, Dr. F, ohnehin keine Verpflichtungen bestünden, weil die Leistungen
privatärztlich erbracht worden seien.
Gegen den Bescheid vom 21.02.2006 legte der Kläger am 18.09.2006 Widerspruch ein. Zwar handele es sich bei dem bewilligten
Festzuschuss in Höhe von 1.093,94 EUR um eine Geldleistung im Sinne von §
51 Abs.
1 SGB I, eine Aufrechnung scheitere jedoch an dem Umstand, dass der Festzuschuss gemäß §
54 Abs.
2 SGB I nicht pfändbar sei. Denn eine Pfändung entspreche in seinem Falle nicht der Billigkeit. Er sei 62 ½ Jahre alt, beziehe seit
langem Arbeitslosenhilfe bzw. Arbeitslosengeld II und lebe am Existenzminimum. Wäre er von der Beklagten im Vorhinein über
die Möglichkeit der Aufrechnung aufgeklärt worden, hätte er die einfachere Regelversorgung gewählt. Seine Zahnärztin habe
ihn zwar über die verschiedenen Abrechnungsmodalitäten im Sinne von §
87 Abs.
1 a Satz 7
SGB V informiert, von den Beitragsrückständen aber keine Kenntnis gehabt. Durch die unzureichende Beratung habe ihn die Beklagte
in eine finanzielle Notsituation gedrängt. Im Übrigen müsse auch von einer individuellen Zweckbestimmung des bewilligten Zuschusses
ausgegangen werden. Schließlich stütze er sein Auszahlungsbegehren auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Im Rahmen
der Beantragung einer andersartigen Versorgung nach §
55 Abs.
5 SGB V habe bei ihm ein offensichtlicher Beratungsbedarf im Hinblick auf eine etwaige Aufrechnung des Festzuschusses mit seiner
Beitragsschuld bestanden. Dieser erhöhten Beratungspflicht sei die Beklagte nicht nachgekommen. Hilfsweise werde geltend gemacht,
dass die Beitragsforderung der Höhe nach nicht nachvollziehbar sei.
Mit am 19.01.2007 abgesandtem Widerspruchsbescheid vom 17.01.2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Durch
die Aufrechnung ändere sich nichts an der finanziellen Situation des Klägers: Gläubiger des aufgerechneten Betrages sei lediglich
nicht mehr die Beklagte, sondern nunmehr seine Zahnärztin. Auch die Zweckbestimmung des Festzuschusses stelle die Aufrechnung
nicht infrage, weil gerade bei einer andersartigen Versorgung der Versicherte nur einen Kostenerstattungsanspruch habe und
dieser als einmalige Geldleistung aufgerechnet werden könne. In Ausübung des Ermessens könne nicht auf eine Aufrechnung verzichtet
werden. Die öffentlichen Interessen an der gleichmäßigen Anwendung des Rechts überwögen die Interessen des Klägers.
Dagegen hat der Kläger am 20.02.2007 Klage beim Sozialgericht Dresden (SG) erhoben. Er hat vorgetragen, er sei finanziell nicht dazu in der Lage, die privatrechtliche Forderung seiner Zahnärztin
in Höhe von 1.627,20 EUR zu begleichen. Die Beklagte dürfe im Hinblick auf das Wissen um die Möglichkeit einer Aufrechnung
bei einem rechtsunkundigen Versicherten keinen höheren Maßstab anlegen als bei sich selbst. Im Übrigen hat er die Begründung
seines Widerspruchs im Wesentlichen wiederholt, allerdings die Höhe der Gegenforderung der Beklagten nicht mehr infrage gestellt.
Zumindest wesentliche Teile der Säumniszuschläge seien ab Ende des Jahres 2004 aber verjährt. Es werde nunmehr nach richterlichem
Hinweis (Schreiben vom 22.05.2009) eingeräumt, dass zwar ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht eingreifen könne,
jedoch verstoße das Verhalten der Beklagten gegen Treu und Glauben. Wenn eine Krankenkasse auf eine Kostenanfrage hin einen
Festzuschuss in dem Bestreben bewillige, diesen Festzuschuss mit einem Beitragsrückstand zu verrechnen, verhalte sie sich
treuwidrig.
Die Beklagte hat erwidert, sie habe ihre Beratungspflicht nicht verletzt. Diese habe sich zunächst nur auf den Leistungsanspruch
erstreckt. Es habe sich ihr nicht aufdrängen müssen, dass gegen den Kostenerstattungsanspruch bei Antragstellung mit alten
Beitragsforderungen aufgerechnet werde, weil dies nicht der Regelfall sei. Demgegenüber habe dem Kläger bekannt sein müssen,
dass er der Beklagten noch Beiträge schulde und dadurch eine Aufrechnung in Betracht komme. Der Kläger habe sich nicht durch
die Beklagte, sondern durch seine Zahnärztin beraten lassen. Deshalb könne der Beklagten kein Beratungsverschulden angelastet
werden. Das Sachleistungsprinzip komme vorliegend nicht zum Tragen. Vielmehr bestehe eine Privatvereinbarung zwischen dem
Kläger und seiner Zahnärztin. Mit Schreiben vom 20.07.2007 hat die Beklagte erläutert, wie sich ihre Forderung für rückständige
Beiträge, Säumniszuschläge, Kosten und Gebühren zusammensetzt. Die Säumniszuschläge seien nicht verjährt.
Mit Urteil vom 10.12.2009 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 21.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2007 (gemeint: 17.01.2007)
aufgehoben. Die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung sei unzulässig. Zwar könne der zuständige Leistungsträger gemäß
§
51 Abs.
1 SGB I gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen
nach §
54 Abs.
2 und
4 SGB I pfändbar seien. Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen könnten gemäß §
54 Abs.
1 SGB I jedoch nicht gepfändet werden. Bei dem im Erstattungswege auszuzahlenden Festzuschuss nach §
55 Abs.
5 SGB V handele es sich nicht um eine Dienst- oder Sachleistung, sondern um eine Geldleistung. Gleichwohl unterliege der Anspruch
auf den Festzuschuss auch bei der Wahl einer andersartigen Versorgung einem Pfändungs- und Aufrechnungsverbot in entsprechender
Anwendung des §
54 Abs.
1 SGB I und in einschränkender Anwendung des §
51 Abs.
1 SGB I. Denn mit der Gewährung des Festzuschusses im Erstattungswege nach §
55 Abs.
5 SGB V erfülle die Krankenkasse den grundsätzlich als Sachleistungsanspruch normierten Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz nach
§
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
2 a SGB V. Auch als Erstattungsanspruch nach §
55 Abs.
5 SGB V diene der Festzuschuss der Sicherstellung der dem Grunde nach notwendigen Versorgung in dem der Höhe nach notwendigen Umfang,
wie er durch den Anspruch auf die Regelversorgung im Wege eines Kostenvergleichs konkretisiert werde. Der Festzuschuss unterliege
damit der auch für die Regelversorgung geltenden Zweckbindung. Die Gesetzesbegründung bringe dies mit den Worten zum Ausdruck,
dass unabhängig von der tatsächlich durchgeführten Versorgung Versicherte einen Festzuschuss erhielten, der sich auf die vom
Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Befunde beziehe; auf diesem Wege werde sichergestellt, dass sich Versicherte für
jede medizinisch anerkannte Versorgungsform mit Zahnersatz entscheiden könnten, ohne den Anspruch auf den Kassenzuschuss zu
verlieren (Hinweis auf BT-Drucksache 15/1525 S. 91 f. zu §
55 Abs.
1 SGB V). Die entsprechende Anwendung des Pfändungs- und Aufrechnungsausschlusses auf den Anspruch aus §
55 Abs.
5 SGB V sorge zugleich für einen Gleichlauf der Rechtsfolgen mit denen des §
54 Abs.
3 Nr.
3 SGB I, wonach Ansprüche auf Geldleistungen unpfändbar seien, die dafür bestimmt seien, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden
bedingten Mehraufwand auszugleichen. Diese Ausgleichsfunktion komme auch der aus dem Festbetrag mitfinanzierten Krankenbehandlung
bei der Wahl einer andersartigen Versorgung zu. Der Anspruch auf den zu erstattenden Festzuschuss, auf den die Beklagte hier
zuzugreifen versuche, gehe über das Maß des durch die Regelversorgung Definierten nicht hinaus. Soweit in der Wahl einer anderweitigen
Versorgung eine gesteigerte finanzielle Leistungsfähigkeit zum Ausdruck komme, die eine weitere Stundung der Beitragsrückstände
als unbillig erscheinen lasse, beschränke sich dies auf den über den Festzuschuss hinaus vom Versicherten aufzubringenden
Eigenanteil. Gerade auf diesen erstrecke sich aber die Aufrechnung der Beklagten nicht. Schließlich spreche für eine Gesetzesanalogie
zu §
54 Abs.
1 SGB I beziehungsweise eine teleologische Reduktion des §
51 Abs.
1 SGB I die Vermeidung von unterschiedlichen Risikoallokationen in der Person des die Leistung erbringenden Zahnarztes. Denn wähle
der Versicherte eine andersartige Versorgung, würde dem Zahnarzt, wenn die Krankenkasse den Anspruch auf den Festzuschuss
pfänden und hiergegen aufrechnen könnte, das Risiko von Beitragsschulden und der Zahlungsunfähigkeit des Versicherten aufgebürdet,
welches der Zahnarzt bei Wahl der Regelversorgung nicht tragen müsse, obwohl er weder die Beitragsverpflichtungen des Versicherten
überschauen könne noch an dessen Stelle entscheiden dürfe, ob der Versicherte sich für die Regelversorgung als Sachleistung
oder für die Erstattung des Festzuschusses entscheide.
Gegen das ihr am 28.01.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.02.2010 Berufung eingelegt.
Die Beklagte trägt vor, für den Anspruch auf Zahlung des Festzuschusses bestehe kein Pfändungs- und Aufrechnungsverbot. Für
eine analoge Anwendung von §
54 Abs.
1 SGB I fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke des Gesetzgebers. Bei dem Festzuschuss im Rahmen einer andersartigen
Versorgung handele es sich um eine Geldleistung. Die Voraussetzungen für ein Aufrechnungsverbot lägen nicht vor. §
51 Abs.
1 SGB I greife nicht ein, weil es sich bei dem Anspruch auf Zahlung des Festzuschusses nicht um eine laufende Geldleistung handele.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. Dezember 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Der Festzuschuss sei als Sachleistung zu behandeln.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10.12.2009 ist zu Unrecht ergangen. Der Bescheid der Beklagten vom 21.02.2006 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2007 ist rechtmäßig. Die Beklagte durfte mit ihrer Beitragsforderung gegen
den Anspruch des Klägers auf Erstattung des Festzuschusses zu einer andersartigen Versorgung mit Zahnersatz aufrechnen. Billigkeitserwägungen
stehen dem nicht entgegen.
1. Gemäß §
51 Abs.
1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen gegen den Berechtigten gegen Ansprüche auf Geldleistungen aufrechnen,
soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach §
54 Abs.
2 und
4 SGB I pfändbar sind. Ansprüche auf einmalige Geldleistungen können nur gepfändet werden, soweit nach den Umständen des Falles,
insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruchs
sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Pfändung der Billigkeit entspricht (§
54 Abs.
2 SGB I). Nach §
54 Abs.
1 SGB I können Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen nicht gepfändet werden. Unpfändbar sind auch Ansprüche auf Geldleistungen,
die dafür bestimmt sind, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen (§
54 Abs.
3 Nr.
3 SGB I).
a) Im Fall der - hier vorliegenden - andersartigen Versorgung hat der Versicherte einen speziellen Kostenerstattungsanspruch
gemäß §
55 Abs.
5 SGB V. §
54 Abs.
1 SGB I ist deshalb nicht einschlägig.
Zwar ist umstritten, ob der Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer Versorgung mit Zahnersatz nach §
55 Abs.
1 SGB V als Regelversorgung eine Sachleistung oder eine Geldleistung darstellt (zum Streitstand siehe Bundessozialgericht [BSG],
Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 19/08 R - SozR 4-2500 §
13 Nr.
21 Rn. 10), jedoch handelt es sich bei §
55 Abs.
5 SGB V insoweit um eine Ausnahmeregelung zu §
55 Abs.
1 SGB V, die schon ihrem Wortlaut nach (nicht "Versicherte haben Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse ..." - wie in §
55 Abs.
1 SGB V -, sondern: "Die Krankenkassen haben die bewilligten Festzuschüsse ... zu erstatten") einen speziellen Kostenerstattungsanspruch
normiert (so Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, §
55 Rn. 35, Stand April 2006; siehe auch Niggehoff in Becker/Kingreen,
SGB V, 2. Auflage, §
55 Rn. 5, und Krasney in jurisPK,
SGB V, §
55 Rn. 37 ff.). Aber auch Sinn und Zweck von §
55 Abs.
5 SGB V sprechen für seine Qualifikation als Kostenerstattungsanspruch, weil er für andersartige Versorgungen gilt, die nicht dem
Katalog der Regelversorgung unterfallen, sondern vollständig von ihr abweichen (vgl. Niggehoff in Becker/Kingreen,
SGB V, 2. Auflage, §
55 Rn. 5, und Nolte in Kasseler Kommentar,
SGB V, §
55 Rn. 66, Stand Juli 2009). Der erwähnte Streit über die Natur der befundbezogenen Festzuschüsse kann deshalb vorliegend dahingestellt
bleiben.
b) Es liegt auch kein Fall des §
54 Abs.
3 Nr.
3 SGB I vor. Dieser Bestimmung unterfallen aus dem Bereich der Kriegsopferversorgung die Grundrente und die Schwerstbeschädigtenzulage
nach § 31 Bundesversorgungsgesetz sowie vergleichbare - regelmäßig laufende - Geldleistungen, die einen ständigen behinderungsbedingten Mehrbedarf kompensieren
sollen (siehe nur Seewald in Kasseler Kommentar,
SGB I, §
54 Rn. 33l f., Stand Oktober 2010). Mit einer solchen Situation kann die gewöhnliche Versorgung mit Zahnersatz nicht verglichen
werden. Aus §
54 Abs.
3 Nr.
3 SGB I kann daher kein allgemeiner Rechtsgedanke hergeleitet werden, der auch die vorliegende Konstellation erfasst.
c) Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte gemäß §
55 Abs.
5 SGB V betrifft eine einmalige Geldleistung. Ihre Pfändbarkeit entspricht nach den Umständen des Falles der Billigkeit.
aa) Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers sprechen unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit nicht gegen eine
Pfändbarkeit des Kostenerstattungsanspruchs. Die Beklagte hat zwar einen Härtefall im Sinne von §
55 Abs.
2 SGB V bejaht, Bedürftigkeit im Sinne der sozialhilferechtlichen Vorschriften ist jedoch kein Kriterium, welches in jedem Fall zwingend
zur Unzulässigkeit der Pfändung führt (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar,
SGB I, §
54 Rn. 27, Stand Oktober 2010). Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass der Kläger durch die von der Beklagten vorgenommene
Aufrechnung bei einer Gesamtbetrachtung finanziell nicht schlechter gestellt ist als zuvor. Faktisch ist es lediglich zu einem
Austausch der Gläubiger gekommen. Denn soweit der Kläger durch den ihm bewilligten Festzuschuss von seiner Beitragsforderung
befreit wurde, haftet er nunmehr gegenüber seiner Zahnärztin. Angesichts seiner im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Einkommens-
und Vermögensverhältnisse ist die Forderung seiner Zahnärztin nicht durchsetzbar. Denn der vermögenslose Kläger wird durch
§
54 Abs.
4 SGB I i.V.m. den §§
850 ff.
Zivilprozessordnung ausreichend geschützt. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die Zahnärztin Dr. F keinen zivilgerichtlichen Titel
erwirkt hat. Einkommen des Klägers ist seit der Entstehung des zahnärztlichen Vergütungsanspruchs nicht pfändbar.
bb) Auch die Art des beizutreibenden Anspruchs macht die Pfändbarkeit des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers nicht unbillig.
Insoweit sind vor allem Gesichtspunkte des Gläubigerschutzes zu berücksichtigen (siehe Seewald in Kasseler Kommentar,
SGB I, §
54 Rn. 28, Stand Oktober 2010). Von besonderer Bedeutung ist es, dass die Beklagte die Beiträge ihrer Versicherten nach genauen
gesetzlichen Vorgaben zu erheben hat. Dabei ist sie grundsätzlich nicht berechtigt, auf fällige Beiträge zu verzichten. Dies
folgt schon aus dem Umstand, dass sie die Interessen der Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten wahrzunehmen
hat.
cc) Die Höhe des beizutreibenden Anspruchs spielt vorliegend schon deshalb keine Rolle, weil die finanzielle Situation des
Klägers unverändert bleibt und es nur zu einem Gläubigerwechsel gekommen ist.
dd) Die Zweckbestimmung der einmaligen Geldleistung lässt kein anderes Ergebnis zu. Denn der Zweck der einmaligen Geldleistung,
der Festzuschuss zur andersartigen Versorgung, wird zum Nachteil des Klägers nicht vereitelt, wenn die Aufrechnung der Beklagten
nur einen Austausch der Gläubiger bewirkt, nachdem die Leistung zuvor tatsächlich erbracht worden war.
ee) Es widerspricht - ungeachtet der Frage, ob sich der Kläger auf die Interessen seiner Zahnärztin zum Zwecke des Ausschlusses
der Aufrechnung überhaupt berufen kann - auch nicht der Billigkeit, dass Dr. F, die im Gegensatz zum Kläger von dessen Beitragsrückständen
keine Kenntnis hatte, nunmehr das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Klägers zu tragen hat. Im Verhältnis Versicherter-Krankenkasse-Vertragszahnarzt
ist diese Risikoverteilung in den Fällen der andersartigen Versorgung vielmehr von der gesetzlichen Systematik her so vorgesehen.
Die Zahnärztin Dr. F war aufgrund ihres Status als Vertragszahnärztin gerade nicht verpflichtet, den Kläger privatärztlich
zu behandeln. Als sie sich dazu entschloss, übernahm sie das Risiko der Zahlungsunfähigkeit ihres Vertragspartners, des Klägers.
Dr. F hatte gerade keinen eigenen Anspruch gegen die Beklagte auf Auszahlung des Festzuschusses an sich selbst.
Gemäß §
55 Abs.
5 SGB V in der ab 21.12.2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz vom 15.12.2004 (BGBl. I
S. 3445) haben die Krankenkassen die bewilligten Festzuschüsse nach §
55 Abs.
1 Satz 2 bis 7, Abs.
2 und
3 SGB V in den Fällen zu erstatten, in denen eine von der Regelversorgung nach §
56 Abs.
2 SGB V abweichende, andersartige Versorgung durchgeführt wird. Dem Gesetzeswortlaut ist nicht zu entnehmen, wem die Festzuschüsse
zu erstatten sind. In der Gesetzesbegründung heißt es allerdings, dass "Versicherte bei Durchführung einer von der Regelversorgung
abweichenden andersartigen Versorgung gegenüber ihrer Krankenkasse einen Anspruch auf Erstattung der bewilligten Zuschüsse"
haben (BT-Drucksache 15/1525 S. 92). Es ist deshalb einhellige Auffassung, dass der Erstattungsanspruch aus §
55 Abs.
5 SGB V dem Versicherten zusteht (Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, §
55 Rn. 132, Stand April 2006; Niggehoff in Becker/Kingreen,
SGB V, 2. Auflage, §
55 Rn. 36; Krasney in jurisPK,
SGB V, §
55 Rn. 140; Nolte in Kasseler Kommentar,
SGB V, §
55 Rn. 51, 66, Stand Juli 2009, und Wagner in Krauskopf,
SGB V, §
55 Rn. 24, Stand April 2005). Die im Wesentlichen anhand der Regelversorgung errechneten Zuschüsse werden direkt von der Krankenkasse
an den Versicherten ausgezahlt. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung bleibt außen vor (vgl. §
87 Abs.
1 a Satz 7
SGB V). Der Versicherte ist daher alleiniger Schuldner des Zahnarztes, und zwar auf der Grundlage des privatrechtlichen Behandlungsvertrages
(siehe nur Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, §
55 Rn. 136, Stand April 2006; Nolte in Kasseler Kommentar,
SGB V, §
55 Rn. 66, Stand Juli 2009, und Krasney in jurisPK,
SGB V, §
55 Rn. 140). Vom Versicherten erhält der Zahnarzt im Fall der andersartigen Versorgung die vollständigen Kosten (Engelhard in
Hauck/Noftz,
SGB V, §
55 Rn. 179, Stand April 2006). Das aber bedeutet, dass der Zahnarzt auch das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Versicherten
zu tragen hat.
Für die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens der Beklagten ist bei dieser Sachlage kein Raum.
ff) Unerheblich ist das Interesse des Klägers, weiterhin gerade von der Vertragszahnärztin Dr. F behandelt werden zu wollen.
gg) Schließlich war die Beklagte auch nicht verpflichtet, den Kläger vor oder nach der Bewilligung des Festkostenzuschusses,
aber vor Inanspruchnahme der ärztlichen Leistung über die Möglichkeit der Aufrechnung zu informieren. Denn ein späteres Verhalten,
das - wie hier - nicht unbillig ist, begründet auch keine anderweit herzuleitenden besonderen Rücksichtnahmepflichten. §
54 Abs.
2 SGB I trifft insoweit eine abschließende gesetzliche Wertung.
d) Die Voraussetzungen für eine Aufrechnungslage (§§
387 ff.
Bürgerliches Gesetzbuch) sind zu bejahen. Bei beiden Forderungen handelt es sich um Geldforderungen, so dass das Merkmal der Gleichartigkeit erfüllt
ist. Sie stehen ferner in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Die Beitragsforderung der Beklagten ist auch fällig. Soweit der
Kläger geltend macht, ab Ende 2004 seien wesentliche Teile der Säumniszuschläge verjährt, weist die Beklagte in ihrem Schriftsatz
vom 18.09.2007 zu Recht darauf hin, dass der Kläger vorsätzlich keine Säumniszuschläge abgeführt hat, so dass die 30-jährige
Verjährungsfrist des §
25 Abs.
1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) eingreift. Denn Säumniszuschläge sind nach §
28e Abs.
4 SGB IV ebenfalls Beitragsansprüche, auf die somit §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV Anwendung findet. Der Kläger ist im Beitragsbescheid vom 04.09.1996 ausdrücklich auf die Entstehung weiterer Säumniszuschläge
bei Nichtbegleichung der Forderung hingewiesen worden. Hieraus ergibt sich der zumindest bedingte Vorsatz des Klägers auch
hinsichtlich der Säumniszuschläge.
e) Die Beklagte hat das ihr in §
51 Abs.
1 SGB I eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Sie hat in ihrem Widerspruchsbescheid ausdrücklich darauf hingewiesen, auf die
Aufrechnung könne nicht verzichtet werden, weil die öffentlichen Interessen an der gleichmäßigen Anwendung des Rechts höher
zu veranschlagen seien als die Interessen des Klägers.
f) Unerheblich ist schließlich, dass der Kläger behauptet, ihm sei der Bescheid vom 21.02.2006 nicht zugegangen. Der Senat
hat keinen Zweifel daran, dass die Beklagte den Aufrechnungsbescheid an den Kläger abgesandt hat. Ob der Bescheid dem Kläger
schon im Februar/März 2006 bekannt gegeben wurde, ist unklar und nicht weiter aufklärbar. Jedenfalls spätestens mit der Akteneinsichtnahme
der Prozessbevollmächtigten des Klägers ist ihm der Aufrechnungsbescheid vom 21.02.2006 aber bekannt gegeben worden. Der Bekanntgabewille
der Beklagten hat bis zu diesem Zeitpunkt fortbestanden. Dass die Beklagte einen Verwaltungsakt erlassen wollte und auch erlassen
hat, ergibt sich schon daraus, dass sie den Kläger zuvor nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch zu dem "beabsichtigten Erlass
des Verwaltungsaktes" angehört hat. Sofern die Aufrechnung nicht durch Verwaltungsakt zu ergehen hat, sondern nur eine öffentlich-rechtliche
Willenserklärung darstellen sollte (vgl. dazu Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 31 Rn. 62), berührt dies die Wirksamkeit der Erklärung nicht, wenn sie gleichwohl als Verwaltungsakt ergeht.
2. Vor dem unter 1 dargestellten Hintergrund vermag es nicht zu überzeugen, §
51 Abs.
1 SGB I im Wege der teleologischen Reduktion und §
54 Abs.
1 SGB I analog anzuwenden. Das Gesetz sieht in §
54 Abs.
2 SGB I einen ausreichenden Schutz für den Versicherten vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
4. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§
160 Abs.
2 SGG).