LSG Hamburg, Urteil vom 19.02.2019 - 3 R 82/16
Vorinstanzen: SG Hamburg 27.07.2016 S 4 R 1362/15
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 27. Juli 2016 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Der Klägerin werden gerichtliche Verschuldenskosten gemäß § 192 Absatz 1 Satz 1 2. Alternative Sozialgerichtsgesetz in Höhe von 500,00 Euro auferlegt. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. Dezember 2013 (Ende Zeitrente) hinaus.
Die Klägerin ist am xxxxx 1955 geboren, hat die t. Staatsangehörigkeit und war zuletzt als Raumpflegerin tätig.
Bereits in Jahre 2000 hatte sie einen Rentenantrag gestellt. Nach dem Gutachten von Frau B. (Neurologin/Psychiaterin) vom
14. Juni 2000 bestand noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen mit wenigen qualitativen Einschränkungen. Zur Wiedereingliederung
sei jedoch ein stationäres Heilverfahren empfehlenswert. Ausweislich des Berichtes der Segeberger Kliniken über den Aufenthalt
vom 5. Oktober bis 16. November 2000 wurde die Klägerin zwar wegen eines akuten Harnwegsinfektes als arbeitsunfähig entlassen,
jedoch das Leistungsvermögen als ausreichend für leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig mit wenigen qualitativen
Einschränkungen eingeschätzt. Im Bericht wurde auf eine Aggravationsneigung der Klägerin und einen sekundären Krankheitsgewinn
hingewiesen.
Der nächste Rentenantrag wurde von der Klägerin am 26.11.2007 gestellt. Begutachtet wurde sie von dem Neurologen/Psychiater
A., der im Gutachten vom 15. April 2008 unter Auswertung des Gutachtens der Fachärztin für Innere Medizin und Sozialmedizin
Dr. M. vom 8. Mai 2008 in seiner abschließenden Äußerung (vom 9. Mai 2008) zu dem Ergebnis kam, dass ein Leistungsvermögen
für mittelschwere Arbeiten im Umfang von 6 Stunden und mehr täglich mit wenigen qualitativen Einschränkungen vorliege. Bei
dieser Einschätzung blieb Herr A. auch im Widerspruchsverfahren (Stellungnahme vom 11. Februar 2009). Im Klageverfahren (S
10 R 543/09) gegen den Ablehnungsbescheid vom 20. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2009 kam der Neuro-loge/Psychiater/Neuropsychologe
Prof. Dr. M1 im Gutachten vom 26. Oktober 2011 zum Ergebnis, dass bei der Klägerin eine chronifizierte Panikstörung bei kardialer
Gefährdung und instabiler Blutdrucksituation vorliege, aufgrund derer das Leistungsvermögen aufgehoben sei. Das mit der Störung
einhergehende Vermeidungsverhalten führe zu relevanten Be-einträchtigungen der Durchhaltefähigkeit. Die Wegefähigkeit sei
vermutlich auch aufgehoben und die Klägerin sei nicht in der Lage, Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden.
In seiner Stellungnahme für die Beklagte vom 8. Dezember 2011 wies der Facharzt für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. T. darauf
hin, dass eine koronare Herzer-krankung bei der Klägerin nicht manifest sei und keine Behandlungsdaten über das Blut-druckleiden
vorlägen, so dass für eine besondere Gefährdungslage im Rahmen der Panikattacken die Grundlage fehle. Die Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie
Dr. F1 bemän-gelte in ihrer Stellungnahme vom 12. Dezember 2011, dass angesichts der demonstrativen bewusstseinsnahen Verhaltensweisen
der Klägerin die Schlussfolgerung eines aufgehobenen Leistungsvermögens sich völlig unerwartet anschließe. Da ein deutlich
erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall aus internistischer Sicht nicht bestätigt werden könne, fehle es an der Grundlage,
die sich darauf aufgepfropfte Panikstörung als besonders gefährlich einzuschätzen. Bei unauffälligem psychopathologischem
Befund ohne wesentliche Ein-schnitte im psychosozialen Bereich sowie ohne psychotherapeutische Behandlung oder zu-mindest
regelmäßiger nervenärztlicher Behandlung könne aus der eher fraglichen Panikstö-rung nicht auf ein aufgehobenes Leistungsvermögen
geschlossen werden. In seiner Stel-lungnahme vom 2. Februar 2012 verteidigte Prof. Dr. M1 seine Einschätzung. Hierzu nahm
auch Dr. F1 unter dem 8. Mai 2012 Stellung und blieb bei ihrer Kritik. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht
am 27. August 2012 verglichen sich die Beteiligten auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom
1. Juni 2008 bis 31. Dezember 2013. Im Gutachten für die Bundesagentur für Arbeit vom 2. August 2012 ging die beratende Ärztin
Lewandowski-Klein ebenfalls von einem aufgehobenen Leistungsvermögen für länger als sechs Monate aus, was sie mit einer im
Vordergrund stehenden psychischen Erkrankung, für die der Psychiater eine fehlende Belastbarkeit attestiert habe, begründete.
Die Klägerin stellte einen Rehabilitationsantrag Anfang 2013. In seiner Stellungnahme vom 19. April 2013 hielt der Radiologe
Dr. L. eine medizinische Rehabilitation nicht für geeignet. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 18.
Februar 2013 ab und wies den dagegen gerichteten Widerspruch mit Bescheid vom 17. Februar 2014 zurück (Stellungnahmen im Widerspruchsverfahren
durch die Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie Dr. F1 unter dem 9. Oktober 2013 und den Facharzt für Innere Medizin Dr. F.
unter dem 16. Januar 2014, die beide bei der Klägerin ein Leistungsvermögen für mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen
von über 6 Stunden annahmen und eine Rehabilitationsmaßnahme nicht für sinnvoll hielten.) Das Klageverfahren S 4 R 265/14 endete am 12. Mai 2016 mit einem Anerkenntnis, nachdem der Neurologe/Psychiater Dr. N. im Gutachten vom 12. August 2015 dargelegt
hatte, es bestehe eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. Im Übrigen legte er dar, dass grundsätzlich ein Leistungsvermögen
von über 6 Std täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit wenigen qualitativen Einschrän-kungen bei erhaltener Wegefähigkeit
und der Fähigkeit, Hemmungen gegenüber einer Ar-beitsleistung zu überwinden, bestehe und begründete dies mit der zurzeit nicht
so ausge-prägter Panikstörung. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 1. Oktober 2015 schloss sich der Facharzt für Innere
Medizin/Sozialmedizin Dr. E. zuvor der medizinischen Ein-schätzung des Krankheitsbildes an, vertrat aber die Auffassung, eine
ambulante Psychothe-rapie sei eine medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vorzuschalten.
Den zwischenzeitlich ebenfalls gestellten Antrag auf Weiterzahlung der ihr mit Bescheid vom 5. November 2012 gewährten Rente
wegen Erwerbsminderung auf Zeit über den 31. Dezember 2013 hinaus (Antrag vom 24.05.2013) lehnte die Beklagte mit Bescheid
vom 23. Oktober 2013 ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbe-scheid vom 5. November 2013 zurück.
Im hier vorliegenden Gerichtsverfahren gegen diese Ablehnung ist der Bericht über medizini-sche Rehabilitationsmaßnahme in
den Segeberger Kliniken vom 25. August bis 29. September 2016 vorgelegt worden. Nach Einschätzung der Klinik bestehe bei der
Kläge-rin ein aufgehobenes Leistungsvermögen wegen der ausgeprägt maladaptiven (=unangepassten) Krankheitsverarbeitung und
der langen Arbeitsunfähigkeitszeit, aufgrund derer nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Klägerin ihre Restleistungsfähigkeit
wahrnehmen könne. Daher sei das an sich vorhandene Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit nur qualitativen
Einschränkungen auf unter 3 Std tägliche Ar-beitsleistung gesunken. Als Diagnose auf psychiatrischem Gebiet ist mitgeteilt
worden: So-matisierungsstörung und rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig. Weiter ist aufgeführt worden,
dass die Klägerin über weite Teile einem Verständnis des Krankheits-mechanismus, insbesondere des Krankheitsgewinns, nicht
zugänglich gewesen sei. Es werde davon ausgegangen, dass psychotherapeutische Behandlungen erst nach Beendigung des Rentenverfahrens
eingreifen könnten.
Im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren S 4 R 265/14 (Streitgegenstand: medizinische Reha-bilitation) ist der Neurologe/Psychiater Dr. N. - und im Übrigen auch der berufskundige
Sachverständige Herr M2 - in der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2016 zu seinem Gutachten vom 12. August 2015 gehört worden.
Anschließend ist die Anhörung zum Erlass eines Gerichtsbescheides im vorliegenden Verfahren erfolgt.
Mit Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die
begehrte Rente. Zu Recht und von Dr. N. bestätigt, sei die Beklagte in den angegriffenen Bescheiden von einem noch ausreichenden
Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei un-zutreffend. Tatsächlich könne sie
(die Klägerin) die Panikattacken, unter denen sie leide, trotz erheblicher Anstrengungen nicht überwinden. Auch das Reha-Verfahren
habe die Situation nicht verbessern können. Das bestätige der Bericht über den Notfallaufenthalt im Krankenhaus E1 Anfang
des Jahres 2016.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 27. Juli 2016 sowie den Ablehnungsbe-scheid der Beklagten vom 23. Oktober 2013
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen
voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts sei nicht zu beanstanden. Die medizinische Rehabilitationsmaßnahme
habe nur deswegen keinen Erfolg gehabt, weil das Rentenverfahren nicht abgeschlossen gewesen sei. Im Übrigen sei dort auch
der nicht hilfreiche multimodale Behandlungsansatz verfolgt worden.
Im Berufungsverfahren hat der Neurologe/Psychiater Dr. N. nach Untersuchung der Klägerin seine gutachterliche Äußerung mündlich
im Verhandlungstermin am 11. April 2017 abgegeben. Er hat die Klägerin weiterhin für in der Lage gehalten, leichte bis mittelschwere
Arbeit mit wenigen qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich zu ver-richten. Auch sei die Wegefähigkeit
- anders als früher von Prof. Dr. M1 angenommen - erhalten, denn die Panikattacken seien nicht (mehr) so ausgeprägt, dass
sie die Klägerin relevant einschränken würden. Auch sei die Klägerin in der Lage, Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung
zu überwinden. In der Untersuchung am Tage vor dem Verhandlungs-termin habe die Klägerin über Ängste, Depression und Panikattacken
berichtet. Hinsichtlich der Panikattacken habe sie angegeben, 4- bis 5-mal monatlich unter ausgeprägten Attacken zu leiden,
bei denen sie zittere, handlungsunfähig sei und fast ohnmächtig werde. Dann sei sie auf die Hilfe von Angehörigen angewiesen
und komme nur langsam wieder zu sich. Im letzten Türkeiaufenthalt sei auch eine solche Attacke eingetreten. Sie habe da eine
Tablette von einer Neurologin bekommen. Als Befund bei der Untersuchung habe eine gute Schwin-gungsfähigkeit festgestellt
werden können. Die depressive Symptomatik sei nicht gravierend. Auch sei die Klägerin distanziert in der Lage gewesen, Ängste
und Panik zu schildern. Es gebe keinen sozialer Rückzug, keinen Interessenverlust und keine Freudlosigkeit. Die Ta-gesstruktur
sei aufrecht haltbar. Eine vermehrte Selbstbeobachtung sei willentlich überwind-bar, weil eine gute psycho-soziale Integration
gegeben sei und die komplexen Ich-Funktionen (Affekt, Intentionalität, Realitätsprüfung, Urteilsbildung, Interaktionskompetenz)
erhalten seien. Deswegen werde das Leistungsvermögen so wie im eigenen früheren Gutachten ein-geschätzt. Die Klägerin sei
insbesondere auch in der Lage, unbegleitet Fahrten mit öffentli-chen Verkehrsmitteln durchzuführen, denn sie habe auch ihre
Flugangst überwinden können. Die Klägerin erfahre einen sehr hohen Krankheitsgewinn durch Entpflichtung und Entlastung. Anders
als von den Segeberger Kliniken im Bericht über den dortigen Aufenthalt angenom-men, sei der Klägerin dieser Krankheitsgewinn
bewusst. Sie könne diesen Vorteil auch wil-lentlich überwinden. Ebenso seien für sie Ängste und Panik aus eigenem Entschluss
über-windbar. Die Einschätzung von Prof. Dr. M1 treffe zumindest für die Zeit nach der Zeitrente nicht mehr zu. Der Bevollmächtigte
hat in der mündlichen Verhandlung die Stellung eines Antrags auf Anhö-rung eines von der Klägerin gewählten Gutachters gemäß
§ 109 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) angekündigt, den er versichert hat, innerhalb von sechs Wochen nach dem Verhandlungstag zu benennen. Eine solche Benennung
erfolgte nicht und sämtliche Erinnerungen des Gerichts blieben un-beantwortet. Das Gericht hat dann für den 12. Juni 2018
einen erneuten Verhandlungstermin geladen. Im Rahmen mehrmaliger Versuche, die Empfangsbescheinigung für die Terminsla-dung
vom Bevollmächtigten der Klägerin zu erhalten, hat die Geschäftsstelle den Bevoll-mächtigen der Klägerin telefonisch erreicht.
Dieser hat über eine Überschwemmung seiner Büroräume berichtet und in der Folge dann um Aufhebung des Termins gebeten. Nach
weiteren Anfragen des Gerichts zum Fortgang des Verfahrens hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 3. September
2018 als Gutachter nach § 109 SGG den be-handelnden Facharzt Dr. S. benannt. Diesen Antrag hat das Gericht mit Beschluss vom 16. Oktober 2018 abgelehnt. Nach
Einholung aktualisierter Befundberichte der behandelnden Ärzte hat der Neuro-loge/Psychiater Dr. N. im Gutachten vom 31. Januar
2019 nach eingehender Untersuchung die Auffassung vertreten, das früher angenommene Restleistungsvermögen des Gutachtens vom
12. August 2015 und der gutachterlichen Stellungnahme von 11. April 2017 liege bei der Klägerin weiterhin vor. Hinsichtlich
der Einzelheiten seiner Äußerung wird auf das schriftliche Gutachten verwiesen. Der in der mündlichen Verhandlung vom 19.
Februar 2019 gegen die Berichterstatterin ge-stellte Befangenheitsantrag ist mit Senatsbeschluss vom 21. Februar 2019 zurückgewiesen
worden. Das Urteil ist am 26. Februar 2019 verkündet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die in der Sitzungsniederschrift
vom 19. Februar 2019 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Gerichts
gewesen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte die Berichterstatterin an Stelle des Senats entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden
erklärt haben (§ 155 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 SGG). Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet.
Gemäß § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versicherte u.a. Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens sechs (teilweise Erwerbsminderung gemäß Abs. 1) bzw. drei (volle Erwerbsminderung gemäß Abs. 2)
Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Ar-beitsmarktes
mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen
(Abs. 3). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie ist nach Überzeugung des Gerichts weder voll noch teilweise
erwerbsgemindert, sondern in der Lage, zumindest körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen
unter den übli-chen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Das Gericht folgt den überzeugenden
Ausführungen des Neurologen/Psychiaters Dr. N., der insbesondere im Einzelnen dargelegt und begründet hat, dass die bei der
Klägerin vorliegende depressive Störung, mit Ängsten und Panik gemischt, nicht so ausgeprägt ist, dass sie einer Leistungsfähigkeit
entgegensteht. Die Klägerin kann auch Hemmungen gegenüber der Aufnahme einer Tätigkeit aus eigener Kraft überwinden. Wegefähigkeit
ist gegeben, wobei die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel auch alleine benutzen kann. Die qualitativen Leis-tungseinschränkungen
sind von einer solchen Art, dass sie ebenfalls einer Arbeitstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegenstehen.
Es kann dahinstehen, ob dem Gutachten vom 26. Oktober 2011 des Neurolo-gen/Psychiaters/Neuropsychologen Prof. Dr. M1 überhaupt
gefolgt werden kann, jedenfalls kann ihm keine Aussage für die hier streitige Zeit ab 1. Januar 2014 entnommen werden. Selbst
wenn man unterstellt, dass die Panikstörung bei der Klägerin seinerzeit so ausgeprägt war, dass sie diese an einer Erwerbstätigkeit
gehindert hat, so gilt das nicht mehr für die Folgezeit. Wie der Neurologe/Psychiater Dr. N. in zwei schriftlichen und einem
mündlichen Gutachten überzeugend dargelegt hat, kommt es zwar noch vor, dass die Klägerin in Panik verfällt, jedoch sind diese
Attacken jedenfalls bereits seit 2015 nicht so ausgeprägt, dass sie einer Arbeitsleistung entgegenstehen würden. Die Klägerin
selbst gibt sogar an, lediglich 4- bis 5-mal monatlich in eine Situation zu geraten, in der sie auf Hilfe angewiesen sei.
Auch das Gutachten für die Bundesagentur für Arbeit vom 2. August 2012 der beratenden Ärztin Lewandowski-Klein stellt die
Einschätzung von Dr. N. nicht in Frage, denn es äußert sich nur für einen Zeitraum von über sechs Monaten und trifft keine
Aussage für eine längere Zeit. Im Übrigen wird dort keine nachvollziehbare Begründung für die Annahme des aufgehobenen Leistungsvermögens
angegeben. Entgegen der Auffassung der Klägerin, ist der Einschätzung im Bericht über medizinische Rehabilitationsmaßnahme
in den Segeberger Kliniken vom 25. August bis 29. September 2016 nicht zu folgen, wo von einem aufgehobenen Leistungsvermögen
ausgegangen wird. Nach Meinung der Klinik besteht bei der Klägerin ein aufgehobenes Leistungsvermögen we-gen der ausgeprägt
maladaptiven (=unangepassten) Krankheitsverarbeitung und der langen Arbeitsunfähigkeitszeit, aufgrund derer nicht davon ausgegangen
werden könne, dass die Klägerin ihre Restleistungsfähigkeit wahrnehmen könne. Weiter ist aufgeführt worden, dass die Klägerin
über weite Teile einem Verständnis des Krankheitsmechanismus, insbesondere des Krankheitsgewinns, nicht zugänglich gewesen
sei. Daher sei das an sich vorhandene Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit nur qualitativen Einschränkun-gen
auf unter 3 Std tägliche Arbeitsleistung gesunken. In ihrer Begründung gibt die Klinik damit keine Einschätzung auf Basis
der gesundheitlichen Situation ab, sondern folgert im Wesentlichen aus dem Krankheitsverständnis der Klägerin, dass diese
ihre eigentliche Restleistungsfähigkeit nicht ausschöpfen wird. Wenn als Diagnose auf psychiatrischem Ge-biet eine Somatisierungsstörung
und eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig, angenommen werden, reicht dies nicht, um schlüssig ein
aufgehobenes Leis-tungsvermögen zu begründen. Daher folgt das Gericht zusammen mit dem Gutachter Dr. N. dieser Einschätzung
nicht.
Gemäß § 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versicherte unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auch noch nach dem
31. Dezember 2000 Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Hierfür ist das Vorliegen
von Berufsunfähigkeit Voraussetzung (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit
von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten
auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu
beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der
Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer Berufstätigkeit
zu-gemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB VI). Nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die je-weilige
Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4 der Vorschrift).
Der Kreis der Tätigkeiten, auf die ein Versicherter gemäß § 240 SGB VI zumutbar verwiesen werden kann, beurteilt sich nach der Wertigkeit seines bisherigen Berufes. Für die Beant-wortung der Frage,
wie einerseits die bisherige Berufstätigkeit des Versicherten qualitativ zu bewerten ist, und andererseits Berufstätigkeiten,
die der Versicherte nach seinen gesund-heitlichen Leistungsvermögen noch ausüben kann, zu beurteilen sind, hat das Bundessozial-gericht
(BSG) aufgrund seiner Beobachtungen der tatsächlichen Gegebenheiten der Arbeits- und Berufswelt ein Mehrstufenschema entwickelt,
das auch das erkennende Gericht seiner Einschätzung zugrunde legt. Danach sind zu unterscheiden: Ungelernte Berufe (Stufe
1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe
3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe
4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbei-ter, Meister, Berufe
mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder
eine zumindest gleichwertige Berufs-ausbildung voraussetzen (Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hoch-schulstudium
oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6, vgl. BSG, 29.7.04, B 4 RA 5/04 R, in: Juris; vgl. auch 9.12.97, a.a.O. sowie 14.5.96, 4 RA 60/94, BSGE 78, 207). Zumutbar im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind für Versicherte, die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können, alle Tätigkeiten, die zur Gruppe mit einem Leitberuf
gehö-ren, der höchstens eine Stufe niedriger einzuordnen ist als der von ihnen bisher ausgeübte Beruf. Dabei sind die sog.
Facharbeiter (Stufe 3) auf alle Tätigkeiten der Stufe 2 verweisbar, auch auf die sog. einfachen Anlerntätigkeiten (BSG 26.1.00, B 13 RJ 45/98 R, SGb 2000, 364). Die Klägerin ist als Reinigungskraft im ungelernten Bereich tätig gewesen. Damit ist sie auf alle Arbeiten des allgemeinen
Arbeitsmarktes verweisbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt es eine Vielzahl von Tätigkeiten, die sie verrichten kann.
Daher liegt auch Berufsunfä-higkeit nicht vor.
Das Gericht hat von der Möglichkeit, Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen, im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht. Die Klägerin hat den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl ihr von der Berichterstatterin
im Sitzungstermin am 19. Februar 2019 die Missbräuchlichkeit der weiteren Rechtsverfolgung ausführlich dargelegt wurde und
sie auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits - ohne dass dies von der Rechtsschutzversicherung
übernommen würde - hingewiesen worden ist. Die weitere Rechtsverfolgung im Berufungsverfahren war missbräuchlich, weil sie
angesichts der erdrückenden Gutachtenlage, gegen die die Klägerin Argumente nicht vorbringen konnte, offensichtlich aussichtslos
war. Das gilt insbesondere nach dem Scheitern des Antrags auf weitere Begutachtung nach § 109 SGG. Dies konnte die Klägerin auch unschwer erkennen, denn sie wurde durch ihren Anwalt, also einen Volljuristen, beraten. Die
Klägerin selbst hat sich dahingehend geäußert, dass sie den Betrag von ihrer Rente tragen werde. Das Gericht hat die Verschuldenskosten
auf den pauschalen Betrag von 500,- Euro festge-setzt, der schätzungsweise durch die Absetzung und Zustellung des Urteils
unter Beteiligung der Berichterstatterin sowie weiteren Mitarbeitern des Gerichts entsteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
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