Unzulässigkeit des Widerspruchs gegen einen während eines laufenden Widerspruchsverfahrens ergangenen Abänderungsbescheid
Tatbestand
Der 1981 geborene Kläger wehrt sich gegen die Aufhebung seiner Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. Mai 2019 bis 31. Oktober
2019 sowie die festgesetzte Erstattungssumme in Höhe von 4.016,42 Euro.
Der Kläger bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Beklagten.
Mit Bescheid vom 5. November 2019 hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 4. Dezember 2018 in der Gestalt des Änderungsbescheides
vom 14. Oktober 2019 für den Zeitraum 1. Mai 2019 bis 31. Oktober 2019 ganz auf und setzte eine Erstattung überzahlter Leistungen
in Höhe von insgesamt 4.808,23 Euro fest. Die Aufhebung des Beklagten umfasste den jeweils monatlich bewilligten Regelbedarf
in Höhe von 424 Euro, die bewilligten Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 269,95 Euro und
Beiträge für die Krankenversicherung in Höhe von monatlich 100,02 Euro und für die Pflegeversicherung in Höhe von monatlich
21,53 Euro für diesen Zeitraum.
Dagegen legte der Kläger am 15. November 2019 Widerspruch ein.
Daraufhin änderte der Beklagte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 5. November 2019 mit Bescheid vom 29. Januar 2020
dahingehend, dass die Aufhebung für den Monat Oktober 2019 teilweise in Höhe von 62,51 Euro bezüglich der Kosten der Unterkunft
und Heizung zurückgenommen wurde. Auch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im Zeitraum 1. Mai 2019 bis 31. Oktober
2019 in Höhe von monatlich jeweils für die Krankenversicherung 100,02 Euro sowie für die Pflegeversicherung 21,53 Euro wurden
nicht mehr aufgehoben und die Erstattungsforderung reduzierte sich entsprechend der niedrigeren Aufhebung auf 4.016,42 Euro.
Der Bescheid enthielt auf Seite 3 den Hinweis „Dieser Bescheid wird Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (§
86 Sozialgerichtsgesetz –
SGG)“. Eine weitere Rechtsbehelfsbelehrung war nicht angefügt.
Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 13. Februar 2020 Widerspruch ein.
Mit hier streitgegenständlichem Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2020 wurde dieser Widerspruch gegen den Bescheid vom
29. Januar 2020 als unzulässig verworfen. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der angegriffene Bescheid sei bereits gemäß
§
86 SGG Gegenstand des am 15. November 2019 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens geworden, worauf der Kläger zutreffend hingewiesen
worden sei.
Am 2. März 2020 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Klage erhoben, mit dem Antrag, den Bescheid vom 29. Januar 2020 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2020 aufzuheben.
Der Beklagte ist der Klage unter Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegengetreten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2020 hat der Beklagte über den Widerspruch des Klägers vom 15. November 2019 gegen
den Bescheid vom 5. November 2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 29. Januar 2020 entschieden.
Das Sozialgericht Hamburg hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2022 abgewiesen.
Der Widerspruch des Klägers vom 13. Februar 2020 sei mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2020 rechtmäßig als unzulässig
verworfen worden, da er unstatthaft gewesen sei. Der angegriffene Änderungsbescheid sei bereits Gegenstand eines anderen Widerspruchsverfahrens
gewesen. Gemäß §
86 1. Halbsatz
SGG werde ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens, wenn er während des Vorverfahrens ergehe und den dort gegenständlichen
Verwaltungsakt ändere. Mit Widerspruch vom 15. November 2019 habe der Kläger ein Widerspruchsverfahren gegen den Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid vom 5. November 2019 eingeleitet. Dieser Bescheid habe die Bewilligung für den Zeitraum 1. Mai 2019
bis 31. Oktober 2019 aufgehoben und eine daraus resultierende Erstattungssumme festgesetzt. Der am 29. Januar 2020 erlassene
Bescheid sei nach Beginn des Vorverfahrens ergangen. Er habe ebenfalls den gleichen Bewilligungszeitraum zum Gegenstand und
ändere den Bescheid vom 5. November 2019 dahingehend, dass ein Teil der Aufhebung zurückgenommen worden sei und die Erstattungsforderung
sich reduziert habe. Der Beklagte habe auch keinen Anlass für den Widerspruch vom 13. Februar 2020 gegeben, da er den Kläger
im Bescheid vom 29. Januar 2020 auf die Auswirkungen des §
86 SGG hingewiesen und keine Rechtsbehelfsbelehrung zu einem etwaigen Widerspruchsverfahren in den Bescheid aufgenommen habe. Eine
materiell-rechtliche Prüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 5. November 2019, geändert durch den Bescheid vom
29. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2020, habe in diesem Verfahren nicht erfolgen können.
Dafür wäre eine Klage gegen den Bescheid vom 17. April 2020 notwendig gewesen.
Der Kläger hat gegen den ihm am 27. Januar 2022 zugestellten Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2022 am 16. Februar 2022 Berufung
eingelegt.
Für ihn seien überzahlte Leistungen in Höhe von 4.808,23 Euro festgesetzt worden. Nach seinem Widerspruch seien es dann 4016,42
Euro geworden. Er verstehe nicht, warum er die Summe überhaupt zahlen müsse. Er verstehe bis heute nicht, warum seine Bewilligungsentscheidung
aufgehoben worden sei. Er habe nicht von dem Geld aus der Erbschaft gelebt, das ganze Geld sei für die Beerdigung seiner Mutter
aufgewendet worden.
Der Kläger beantragt nach Aktenlage,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Januar 2022 aufzuheben, sowie den Bescheid des Beklagten vom 29. Januar
2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2020 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Ausführungen im Widerspruchbescheid und im Gerichtsbescheid.
Mit Übertragungsbeschluss vom 25. April 2022 hat der Senat der Berichterstatterin, die zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern
entscheidet, das Verfahren nach §
153 Abs.
5 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte sowie die Sitzungsniederschrift
vom 15. Juli 2022 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die der Senat gemäß §
153 Abs.
5 SGG durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.
Der Senat konnte im Termin vom 15. Juli 2022 auch in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da er ordnungsgemäß geladen und
in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (vgl. §§
110 Abs.
1 S. 2, 126
SGG).
Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 29. Januar 2020 und den Widerspruchsbescheid vom 21. Februar
2020 abgewiesen, weil auf diese nicht über die Aufhebung und Erstattung überzahlter Leistungen für den Zeitraum 1. Mai 2019
bis 31. Oktober 2019 zu entscheiden war.
Über das vom Kläger verfolgte Begehren, die Aufhebung seiner Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. Mai 2019 bis 31. Oktober
2019 sowie die geltend gemachte Erstattung der Leistungen für diesen Zeitraum aufzuheben, ist dem Senat eine Sachentscheidung
verwehrt, weil dieses Begehren nicht im vorliegenden Verfahren eingeklagt werden konnte.
Zwar hat der Beklagte durch den angefochtenen Änderungsbescheid vom 29. Januar 2020 über die Aufhebung und Erstattung von
Leistungen für den Zeitraum 1. Mai 2019 bis 31. Oktober 2019 eine Entscheidung getroffen, nachdem bereits mit Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid vom 5. November 2019 Leistungen für diesen Zeitraum aufgehoben worden waren. Der Bescheid vom 29.
Januar 2020 war indes kraft Gesetzes Gegenstand des gegen den Bescheid vom 5. November 2019 geführten Widerspruchsverfahrens
W 17079/19 geworden, weshalb das spätere Widerspruchsverfahren W 2694/20, das durch den Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2020 endete, unstatthaft und in ihm eine Sachentscheidung über das Begehren
des Klägers nicht zu treffen war.
Der Bescheid vom 29. Januar 2020 war kraft Gesetzes Gegenstand des gegen den Bescheid vom 5. November 2019 geführten Widerspruchsverfahrens
W 17079/19 geworden. Gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 5. November 2019 hatte der Kläger Widerspruch eingelegt, über
den der Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 29. Januar 2020 noch nicht entschieden hatte. Aufgrund von §
86 SGG war der den Bescheid vom 5. November 2019 abändernde Bescheid vom 29. Januar 2020 Gegenstand des laufenden, gegen den Bescheid
vom 5. November 2019 geführten Widerspruchsverfahrens geworden, das durch den Widerspruchsbescheid vom 17. April 2020 endete.
Schon nach seinem Wortlaut erfasst §
86 SGG Bescheide, durch die während des Widerspruchsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt abgeändert wird, und bestimmt, dass
auch der neue Bescheid Gegenstand des Widerspruchsverfahrens wird. Hier ändert der Bescheid vom 29. Januar 2020 den Bescheid
vom 5. November 2019 dahingehend ab, dass die Leistungen für Oktober 2019 nur noch teilweise aufgehoben werden, in Höhe von
62,51 Euro weniger als zuvor, sowie eine Aufhebung der von dem Beklagten gewährten Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung
nicht mehr erfolgte. Zudem wurde der Erstattungsbetrag von 4.808,23 Euro auf 4.016,42 Euro reduziert.
Damit war über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung und geltend gemachten Erstattung für den Zeitraum 1. Mai 2019 bis 31. Oktober
2019 gegenüber dem Kläger in dem Widerspruchsverfahren zu entscheiden, das durch den Widerspruchsbescheid vom 17. April 2020
endete. Nicht dieser ist indes vorliegend mit der Klage angefochten, sondern der Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2020.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.