Tatbestand
Im Streit ist ein Anspruch auf Vergütung wegen vollstationärer Krankenhausbehandlung und dabei im Hinblick auf die Kodierung
des Operationen-und-Prozedurenschlüssel (OPS)-Kodes 9-61 (Intensivbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen
und Verhaltensstörungen bei Erwachsenen) das Vorliegen des Merkmals „Akute Selbstgefährdung durch fehlende Orientierung oder
Realitätsverkennung“ neben anderen, unstrittigen Intensivmerkmalen.
Die Klägerin betreibt ein nach §
108 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB V) zugelassenes Krankenhaus, in dem der am 15. November 1934 geborene, bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte H.K.
(im Folgenden: Versicherter) im Zeitraum vom 22. Dezember 2016 bis zum 26. Januar 2017 vollstationär behandelt wurde.
Der Versicherte litt unter einer fortgeschrittenen Demenz mit Orientierungslosigkeit und erheblicher Laufunruhe bei gut erhaltener
Mobilität. Dessen notfallmäßige Aufnahme in der Klinik der Klägerin nach Selbsteinweisung erfolgte in Begleitung seiner Ehefrau,
die angab, dass eine häusliche Versorgung des Versicherten nicht mehr möglich sei. Er sei massiv unruhig, schlafe nachts nicht
und neige zu Weglauftendenzen sowie aggressiven Durchbrüchen. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek – Betreuungsgericht
– vom 23. Dezember 2016 – 863 XVII 372/16 – wurde die vorläufige Unterbringung des Versicherten in der geschlossenen Abteilung
eines psychiatrischen Krankhauses bis zum 12. Januar 2017 genehmigt. Mit Beschluss vom 12. Januar 2017 wurde die Genehmigung
bis zum 26. Januar 2017 verlängert.
Die Klägerin stellte der Beklagten am 30. Januar 2017 für die angefallene Behandlung unter Abzug des auf den Versicherten
entfallenden Zuzahlungsbetrags insgesamt 13.597,32 Euro in Rechnung, legte dabei für die 36 Behandlungstage (22. Dezember
2016 bis 26. Januar 2017) den PEPP (Pauschalierendes Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik, Version 2016)-Kode PA15A
(Organische Störungen, amnestisches Syndrom, Alzheimer-Krankheit und sonstige degenerative Krankheiten des Nervensystems,
mit komplizierender Konstellation oder mit hoher Therapieintensität oder 1:1-Betreuung mit erhöhtem Aufwand) zugrunde und
erhob neben verschiedenen Zuschlägen ergänzende Tagesentgelte (ET) nach Anlage 5 PEPP für 33 Behandlungstage (22. Dezember
2016 bis 23. Januar 2017), an denen sie die OPS-Kodes 9-619 (Intensivbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen
und Verhaltensstörungen bei erwachsenen Patienten mit 3 Merkmalen) bzw. 9-61a (Intensivbehandlung bei psychischen und psychosomatischen
Störungen und Verhaltensstörungen bei erwachsenen Patienten mit 4 Merkmalen) für gerechtfertigt hielt, (ET02.01) mit einer
Bewertungsrelation von jeweils 0,1871 je Tag, mithin 51,62 Euro, sodass hierauf ein Teilbetrag von 1703,46 Euro (33 x 51,62
Euro) entfiel.
Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, verrechnete jedoch am 22. September 2017 einen behaupteten öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruch in Höhe von 1548,60 Euro (30 x 51,62 Euro) mit fälligen Vergütungsansprüchen der Klägerin aus anderen,
unstreitigen Behandlungsfällen. Zuvor hatte sie den damaligen Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK, jetzt: Medizinischer
Dienst <MD>) mit einer Teilprüfung des Behandlungsfalles im Hinblick auf die Korrektheit der Prozeduren und der abgerechneten
ETs beauftragt.
In seinem Gutachten vom 18. August 2017 war der MDK zu dem Ergebnis gekommen, dass durchgehend für den gesamten Aufenthalt
nur zwei Intensivmerkmale des OPS-Kodes 9-61 nachvollzogen werden könnten, nämlich die „Anwendung von Sicherungsmaßnahmen“
und die „Schwere Antriebstörung“. An den ersten beiden Behandlungstagen habe zusätzlich das Intensivmerkmal „Akute Fremdgefährdung“
vorgelegen, und am 25. Dezember 2016 habe außerdem die Ernährung vollständig von Dritten übernommen werden müssen, sodass
lediglich an diesen drei Behandlungstagen drei Intensivmerkmale vorgelegen hätten. Das Merkmal der „Akuten Selbstgefährdung
durch fehlende Orientierung oder Realitätsverkennung“ sei aus der Verlaufsdokumentation nicht nachzuvollziehen. Zwar habe
der Versicherte wiederholt Fehlhandlungen begangen, diese hätten ihn jedoch nicht akut gefährdet. Der potenziellen Selbstgefährdung
bei Desorientiertheit und Fehlhandlungen sei durch Anwendung der besonderen Sicherungsmaßnahmen in Form der geschlossenen
Unterbringung entgegengewirkt worden.
Aufgrund der Kodieränderungen hinsichtlich der Intensivmerkmale komme es zu einem teilweisen Wegfall der ergänzenden Tagesentgelte
ET02.01. Dadurch verringere sich bei unverändertem PEPP-Code PA15A das Kostengewicht von 50,0835 auf 44,4705.
Am 24. Mai 2018 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg auf Zahlung der verrechneten 1548,60 Euro nebst 5 % Zinsen seit dem 23. September 2017 erhoben.
Bei dem Versicherten habe durchgehend während des gesamten Aufenthalts das Intensivmerkmal „Akute Selbstgefährdung durch fehlende
Orientierung oder Realitätsverkennung“ vorgelegen. Der Versicherte sei aufgrund des Ausmaßes der kognitiven Einschränkungen
nicht ausreichend in der Lage gewesen, die persönlichen Konsequenzen seines Handelns zu erfassen. Eine Selbstgefährdung müsse
sich nicht bereits realisiert haben, es genüge bereits, dass von den Fehlhandlungen des Versicherten eine Gefahr für seine
Sicherheit ausgehe.
Die Beklagte hat sich demgegenüber auf das Gutachten des MDK berufen. Das 33-mal abgerechnete ET02.01 sei nur dreimal abrechenbar
gewesen.
Das SG hat über die Klage am 25. Oktober 2021 mündlich verhandelt und ihr mit Urteil vom selben Tag stattgegeben.
Die von der Klägerin im Gleichordnungsverhältnis nach §
54 Abs.
5 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) erhobene Leistungsklage sei statthaft (Hinweis auf BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R) und auch im Übrigen zulässig.
Der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch auf Vergütung der streitgegenständlichen Behandlung zu. Rechtsgrundlage des
geltend gemachten Vergütungsanspruchs sei §
109 Abs.
4 S. 3
SGB V i.V.m. §
9 Abs.
1 Nrn. 1-3 der
Bundespflegesatzverordnung (
BPflV) sowie § 17d des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) und der Vereinbarung zum pauschalierenden Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen (PEPPV) für
das Jahr 2016.
Werde die Versorgung, wie vorliegend, in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt und sei sie – was zwischen den Beteiligten
ebenfalls unstreitig sei – gemäß §
39 Abs.
1 S. 2
SGB V erforderlich, entstehe die Zahlungsverpflichtung dem Grunde nach unmittelbar nach der Inanspruchnahme der Leistung durch
den versicherten Patienten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 R, st. Rspr.).
Der Fallpauschalenkatalog sei nach Fallgruppen geordnet. Maßgebliche Kriterien für die Zuordnung eines Behandlungsfalles seien
die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuelle den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im
Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen würden mit einem Kode
gemäß der vom DIMDI (damaliges Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2020 im Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte aufgegangen) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen Internationalen
Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme verschlüsselt. Zur sachgerechten Durchführung
dieser Verschlüsselung (Kodierung) hätten die Vertragspartner auf Bundesebene die „Deutschen Kodierrichtlinien“ (hier: Version
2016) beschlossen. Für Behandlungen in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen hätten die Vertragspartner auf
Bundesebene die PEPPV geschlossen. Aus den kodierten Prozeduren werde sodann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall
maßgeblichen Faktoren unter Verwendung einer bestimmten vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zertifizierten
Software (Grouper) der entsprechende PEPP-Kode ermittelt, anhand dessen die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet
werde. Zusätzlich könnten bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, insbesondere bei erhöhtem Behandlungs- oder Pflegeaufwand,
ergänzende Tagesentgelte oder Zusatzentgelte abgerechnet werden (Hinweis dazu auf SG Hamburg, Urteil vom 8. Oktober 2019 –
S 50 KR 960/17).
Im vorliegenden Verfahren sei zwischen den Beteiligten einzig die Abrechnung der aus der Kodierung der Intensivbehandlung
bei psychischen und psychosomatischen Störungen und Verhaltensstörungen resultierenden ergänzenden Tagesentgelte streitig.
Nach Maßgabe der oben genannten Abrechnungsbestimmungen habe die Klägerin hinsichtlich der erfolgten stationären Behandlung
des Versicherten am 22., 23. und 25.12.2016 die Prozedur 9-61a und am 24. Dezember 2016 sowie in der Zeit vom 26. Dezember
2016 bis zum 26. Januar 2017 die Prozedur 9-619 nach dem OPS (Version 2016) zu Recht kodiert und die entsprechenden ergänzenden
Tagesentgelte abgerechnet, denn der Versicherte habe in dieser Zeit vier bzw. drei Intensivmerkmale im Sinne der streitigen
Prozedur aufgewiesen.
In den Hinweisen des DIMDI zum OPS-Code 9-61 seien folgende Intensivmerkmale aufgeführt:
o Anwendung von Sicherungsmaßnahmen
§ Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn die Notwendigkeit des Einsatzes von individuellen Sicherungsmaßnahmen oder stete Bereitschaft
dazu besteht und diese ärztlich angeordnet sind.
o Akute Selbstgefährdung durch Suizidalität oder schwer selbstschädigendes Verhalten
§ Unter selbstschädigendem Verhalten versteht man z.B. häufige Selbstverletzungen von Borderline-Patienten, durchgängige Nahrungsverweigerung
bei Essstörungen oder Demenz oder die Selbstgefährdung durch selbstinduziertes Stürzen.
o Akute Fremdgefährdung
§ Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn der Patient gewaltbereit oder gewalttätig ist.
o Schwere Antriebsstörung (gesteigert oder reduziert)
§ Das Merkmal "schwere gesteigerte Antriebsstörung" ist erfüllt, wenn der Patient ständig aktiv ist, sich durch Gegenargumente
nicht beeindrucken lässt und selbst persönliche Konsequenzen nicht zur Kenntnis nimmt oder sie ihm nichts ausmachen. Das Merkmal
"schwere reduzierte Antriebsstörung" ist erfüllt, wenn Anregungen von außen den Patienten kaum oder gar nicht mehr erreichen.
Die Alltagsverrichtungen sind beeinträchtigt. Hierzu gehört auch der Stupor.
o Keine eigenständige Flüssigkeits-/Nahrungsaufnahme
§ Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn die Ernährung vollkommen von Dritten übernommen werden muss (nicht bei alleiniger Sondenernährung
oder alleiniger parenteraler Ernährung).
o Akute Selbstgefährdung durch fehlende Orientierung oder Realitätsverkennung.
o Vitalgefährdung durch somatische Komplikationen
§ Dieses Merkmal ist erfüllt, wenn eine Überwachung der Vitalparameter und der Vigilanz engmaschig erfolgt.
Die Beteiligten stritten vorliegend allein um die Frage, ob neben der „Schweren Antriebsstörung“ des Patienten und der „Anwendung
besonderer Sicherungsmaßnahmen“ sowie der „Akuten Fremdgefährdung“ am 22. und 23. Dezember 2016 sowie dem Merkmal „Keine eigenständige
Flüssigkeits-/Nahrungsaufnahme“ am 25. Dezember 2016 das Merkmal „Akute Selbstgefährdung durch fehlende Orientierung oder
Realitätsverkennung“ während des Aufenthalts vorgelegen habe. Dies sei zur Überzeugung des Gerichts der Fall gewesen.
Das streitige Intensivmerkmal werde durch den OPS-Kode 9-61 in der Version 2016 nicht näher definiert. In der Version 2017
werde das Intensivmerkmal im OPS-Kode 9-61 durch ein Beispiel konkretisiert, dort heiße es „Akute Selbstgefährdung durch fehlende
Orientierung (z.B. Stürze ohne Fremdeinfluss) oder Realitätsverkennung“. Wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des
Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems sei die Auslegung eng am Wortlaut orientiert und allenfalls
unterstützt durch systematische Erwägungen vorzunehmen (Hinweis auf BSG, Beschluss vom 31. März 2021 – B 1 KR 82/20 B).
Das Verhalten des Versicherten zeige zur Überzeugung der Kammer, dass der Versicherte während des gesamten Aufenthalts unter
fehlender Orientierung und Realitätsverkennung gelitten habe. Aus der Behandlungsdokumentation zeige sich, dass der Versicherte
durchgängig während seines gesamten Aufenthalts eine ausgeprägte Laufunruhe gezeigt habe. Nahezu täglich fänden sich in der
Verlaufsdokumentation Einträge dazu, dass der Versicherte unruhig auf der Station umherlaufe und sich dabei regelmäßig auch
entkleide. Auch an den Tagen, an denen der Versicherte aufgrund des bei ihm festgestellten Norovirus auf seinem Zimmer isoliert
worden sei, sei dokumentiert, dass er unruhig im Raum umherlaufe. Ebenfalls verzeichne die Verlaufsdokumentation nahezu an
jedem Tag Einträge zu Fehlhandlungen des Versicherten. Der Versicherte habe immer wieder auf den Fußboden uriniert und gekotet,
mit seinen Exkrementen geschmiert, wiederholt Stationsmöbel verrückt, sei in fremde Patientenzimmer gegangen und habe sich
in fremde Betten gelegt. In der Dokumentation sei auch immer wieder vermerkt, dass der Versicherte stark desorientiert und
schwer ansprech- und lenkbar sei und unter einem Verfall der Sprache leide.
Zur Überzeugung der Kammer fordere der Wortlaut des streitgegenständlichen Intensivmerkmals nicht, dass eine Selbstschädigung
tatsächlich eingetreten sein müsse. Der Wortlaut des Intensivmerkmals fordere nur eine akute Selbstgefährdung und gerade nicht,
dass sich diese Selbstgefährdung in einer konkreten Selbstschädigung realisiert haben müsse. Auch erfordere das Merkmal der
akuten Selbstgefährdung zur Überzeugung der Kammer nicht, dass die Handlungen mit Selbstschädigungsabsicht ausgeführt werden
müssten oder nach außen (wie z.B. das beabsichtigte Ritzen mit einem Messer) eindeutig als eine auf Selbstschädigung ausgelegte
Handlung erkennbar sein müssten. Vielmehr sei es nach Auffassung der Kammer so, dass auch von außen betrachtet alltägliche
Handlungen wie Laufen oder das Verschieben von Möbeln eine akute Selbstgefährdung begründen könnten. Die Qualität einer akuten
Selbstgefährdung bei alltäglichen Verrichtungen ergebe sich im hier streitgegenständlichen Fall gerade – wie vom Wortlaut
des Merkmals auch gefordert – aus der fehlenden Orientierung und Realitätsverkennung des Versicherten. Zwar zeige sich in
der Verlaufsdokumentation nicht, dass sich der Versicherte durch seine Fehlhandlungen und die Laufunruhe selbst geschädigt
habe. Auch sei nicht dokumentiert, dass es beinahe zu Selbstschädigungen gekommen sei. Allerdings habe dem Verhalten des Versicherten
gerade aufgrund der fehlenden Orientierung und Realitätsverkennung die ständig bestehende Gefahr einer Selbstschädigung innegewohnt.
Die durchgängig dokumentierte Laufunruhe des Patienten begründe insbesondere bei der bei ihm bestehenden Desorientierung das
Risiko eines Sturzes. So sei auch in dem Formular zur Erfassung des Sturzrisikos (Bl. 34 der Krankenakte) das Tragen von Antirutschsocken
als prophylaktische Maßnahme verzeichnet worden. Dies werde auch durch die OPS-Version 2017 des OPS 9-61 gestützt. In dieser
Version sei zu dem streitgegenständlichen Merkmal gerade ein Sturz ohne Fremdeinwirkung als Beispiel für eine akute Selbstgefährdung
aufgrund fehlender Orientierung genannt.
Auch bei den übrigen Verhaltensweisen des Versicherten sei nach Überzeugung der Kammer eine akute Selbstgefährdung aufgrund
von fehlender Orientierung anzunehmen. Beim Verrücken von Möbeln bestehe bei fehlender Einsichtsfähigkeit stets ein Verletzungsrisiko.
Auf den Versicherten könnten beim Bewegen der Möbelstücke Gegenstände fallen, er könne sich Gliedmaßen einklemmen, sich stoßen,
oder die Möbelstücke könnten auf den Versicherten fallen. Auch in den Fehlhandlungen des Versicherten in Form des Urinierens
und Kotens auf den Boden und des Schmierens mit Exkrementen sei ein Sturzrisiko wie auch ein Infektionsrisiko zu sehen. Ebenfalls
könne die fehlende Distanzlosigkeit des Versicherten eine Selbstgefährdung begründen, etwa wenn der Versicherte aufgrund seines
distanzlosen Verhaltens in einen körperlichen Konflikt mit einem anderen Patienten gerate.
Auch der Sinn und Zweck der Intensivmerkmale des OPS-Kodes 9-61 spreche nach Auffassung des Gerichts dafür, in dem hier streitgegenständlichen
Fall das Vorliegen des Merkmals „Akute Selbstgefährdung durch fehlende Orientierung und Realitätsverkennung“ anzunehmen. Die
Intensivmerkmale des OPS-Kodes 9-61 sollten den Mehraufwand für das Pflegepersonal abbilden. Einen Patienten, der wie der
Versicherte unter Desorientierung leide und dabei beständig Fehlhandlungen begehe und unter starker Laufunruhe leide, müsse
das Pflegepersonal ganz besonders stark unter Beobachtung haben. Einem verstärkten Überwachungserfordernis bei einem Patienten
mit fehlender Orientierung werde durch das Intensivmerkmal „Akute Selbstgefährdung durch fehlende Orientierung und Realitätsverkennung“
Rechnung getragen.
Gegen dieses ihr am 2. November 2021 zugestellte Urteil richtet sich die am 8. November 2021 eingelegte Berufung der Beklagten,
mit der sie die Auffassung vertritt, dass das Merkmal „Akute Selbstgefährdung durch fehlende Orientierung oder Realitätsverkennung“
eine tatsächliche Gefährdung voraussetze. In der OPS-Version 2017 finde sich zwar keine nähere Definition. In der Version
2020 seien als dies belegende Beispiele hingegen „Stürze ohne Fremdeinfluss“ oder „durchgängige Nahrungsverweigerung bei Demenz“
genannt.
Vorliegend habe eine solche tatsächliche Gefährdung nicht bestanden. Weder das Herumlaufen noch das Urinieren auf dem Boden
oder das Verrücken von Möbeln seien an sich gefährlich. Es müsse vielmehr ein weiterer Umstand hinzukommen. Der Patient müsse
Ausrutschen, auf den Möbeln müssten Gegenstände stehen, die fallen könnten.
Die Selbstgefährdung müsse zudem „akut“ sein. Die Bedeutung des Wortes „akut“ werde mit „im Augenblick herrschend, vordringlich,
brennend, unmittelbar“ sowie „unvermittelt oder plötzlich auftretend“ oder „schnell und heftig verlaufend“ beschrieben. Der
Zusatz „akut“ ergänze das Merkmal der Selbstgefährdung und solle klarstellen, dass eine rein theoretische, abstrakte Gefährdungslage
für die Annahme des Intensivmerkmals nicht ausreiche.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Oktober 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Im OPS-Kode sei, wie die Beklagte zugestehe, lediglich beispielhaft die
Eigengefährdung durch Sturz ohne Fremdeinwirkung aufgeführt worden. Die Nennung eines Beispiels sei aber selbstverständlich
nicht abschließend. Gefordert werde bei dem streitigen Intensivmerkmal eine „Gefährdung“, hingegen aber keine „Schädigung“.
Dass diese Gefährdung sich als akut dargestellt habe, ergebe sich dabei aus dem dokumentierten Verhalten des Versicherten.
Auch die Realitätsverkennung sei schon aus den Einträgen der Verlaufsdokumentation über Fehlhandlungen des Patienten an nahezu
jedem Behandlungstag zu erkennen.
Am 25. Mai 2022 hat der Senat über die Berufung mündlich verhandelt. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Sitzungsniederschrift
und den weiteren Inhalt der Prozessakte sowie der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten und Unterlagen
Bezug genommen.
Das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren führt zu keiner hiervon abweichenden rechtlichen Beurteilung. Streitig
ist allein, ob vorliegend während des stationären Aufenthalts des Versicherten von Beginn an und jedenfalls bis zum 23. Januar
2017 (auch) das Merkmal „Akute Selbstgefährdung durch fehlende Orientierung oder Realitätsverkennung“ vorlag. Zu Recht ist
das Vorliegen der auch vom SG benannten weiteren Intensivmerkmale sowie der weiteren Mindestmerkmale des OPS-Kodes 9-61 unstreitig. Dabei ist es für die
Vergütung unerheblich, ob an einzelnen Tagen drei oder vier Intensivmerkmale vorlagen, weil die ergänzenden Tagesentgelte
ET02.01 gemäß PEPP-Entgeltekatalog 2016 (Anlage 5 zu § 6 PEPPV 2016) sowohl für den OPS-Kode 9-619 als auch für den Kode 9-61a
gleich bewertet werden, anders als z.B. in der PEPP-Version 2017, die hier angesichts des Beginns der stationären Behandlung
im Jahr 2016 nach dem allein auf den Tag der Aufnahme abstellenden § 1 Abs. 1 PEPPV 2016 jedoch trotz der Erstreckung der
Behandlung bis ins Jahr 2017 nicht anwendbar ist.
Zu Recht weisen sowohl die Klägerin als auch das SG darauf hin, dass das streitige Merkmal lediglich eine Gefährdung, nicht jedoch deren Realisierung erfordere. Auch eine Selbstschädigungsabsicht
ist anders als bei dem Intensivmerkmal „Akute Selbstgefährdung durch Suizidalität oder schwer selbstschädigendes Verhalten“
keine Voraussetzung. Dies dürfte auch der Hintergrund dafür sein, dass die in späteren Versionen des OPS im streitigen Merkmal
genannten Beispiele (Sturz ohne Fremdeinfluss, Nahrungsverweigerung bei Demenz), die in der Version 2016 noch unter jenem
Merkmal aufgeführt waren, „verschoben“ wurden.
Ebenfalls zu Recht bejaht das SG eine akute Selbstgefährdung des ausweislich der Krankenakte nicht orientierten und die Realität verkennenden Versicherten
vor dem Hintergrund des durchgehend dokumentierten Verhaltens mit Fehlhandlungen. Das ständige wiederholte Verrücken von Möbeln,
das Herumlaufen ohne Schuhe gerade auch auf eingekotetem und volluriniertem Boden sowie das Betreten fremder Zimmer, das tatsächlich
jedenfalls einmal auch zu einem gewalttätigen Konflikt mit einem Mitpatienten führte (10. Januar 2017, Bl. 52 der Krankenakte),
begründete auch nach Überzeugung des Senats ohne Zweifel eine ständige akute (Selbstschädigungs-)Gefahr, was wiederum einen
ständigen besonderen Überwachungsaufwand erforderte, der wiederum nachvollziehbar Grund für die bei Annahme mehrerer Intensivmerkmale
höhere Vergütung des Krankenhauses ist. Die Gefährdung ist auch vor dem Hintergrund der von der Beklagten aufgeführten Bedeutung
des Wortes „akut“ als eine solche anzusehen. Angesichts der Fehlhandlungen des Versicherten bestand die Gefährdung in jedem
Augenblick und unmittelbar, war nicht nur latent vorhanden bzw. abstrakt. Im Übrigen wird bei einem Blick auf ein anderes
Intensivmerkmal des OPS-Kodes 9-61, die „Akute Fremdgefährdung“, ein noch weitergehendes Verständnis des Normgebers im Hinblick
auf den Begriff „akut“ deutlich. Hierzu findet sich die Erläuterung des DIMDI, dass dieses Merkmal erfüllt sei, wenn der Patient
gewaltbereit oder gewalttätig sei. Wenn schon die bloße Gewaltbereitschaft eines Patienten zur Annahme einer akuten Fremdgefährdung
ausreichen soll, ist vorliegend erst Recht angesichts der ständigen, auch gefährlichen Fehlhandlungen des Versicherten von
einer akuten Selbstgefährdung auszugehen.