LSG Hamburg, Urteil vom 30.10.2013 - 2 AL 66/12
Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen; Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes auch bei vorhandener
Beschäftigung und angestrebtem Arbeitsplatzwechsel zum beruflichen Aufstieg
Anspruch auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen gemäß §§ 2 Abs. 3 Var. 1 i.V.m. 68 Abs. 2 SGB IX hat angesichts einer Vielzahl inländischer, europarechtlicher und völkerrechtlicher Normen wie etwa der UN-Behindertenrechtskonvention,
die die Diskriminierung aufgrund von Behinderung verbieten und die Herstellung eines diskriminierungsfreien Zustands verlangen,
auch ein behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 30, der zwar einen leidensgerechten Arbeitsplatz hat, aber
wegen eines behinderungsbedingten Wettbewerbsnachteils einen anderen, angestrebten und ebenfalls leidensgerechten Arbeitsplatz
nicht erlangen kann, der für ihn mit einem beruflichen Aufstieg verbunden wäre.
Normenkette: ,
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HmbLVO § 9 Abs. 5 S. 3 ,
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UN-BRK Art. 27 Abs. 1 S. 2 Buchst. a und Buchst. e
Vorinstanzen: SG Hamburg 10.09.2012 S 47 AL 110/11
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 sowie der Bescheid der
Beklagten vom 18. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2011 aufgehoben. Die Beklagte wird
verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Im Streit ist ein Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach §§ 2 Abs. 3, 68 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ( SGB IX).
Die 1982 geborene Klägerin leidet an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa), aufgrund derer vom zuständigen
Versorgungsamt der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) mit Bescheid vom 17. September 2010 ein Grad der Behinderung (GdB)
von 30 mit Wirkung ab dem Tag der Antragstellung am 23. Juli 2010 festgestellt wurde.
Nach erfolgreicher, ab September 2002 bei der für die Justiz zuständigen Behörde der FHH (im Folgenden: JB) absolvierter Ausbildung
zur Justizfachangestellten ist die Klägerin dort seither im Angestelltenverhältnis (mittlerer Dienst) vollzeitbeschäftigt.
Das Beschäftigungsverhältnis ist unbefristet, ungekündigt und nach Angaben der Klägerin im Bestand nicht gefährdet; die damit
verbundene Tätigkeit kann ohne Einschränkung ausgeübt werden.
Am 24. September 2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. In
der Antragsbegründung führte sie aus, dass sie die Gleichstellung benötige, um ihre Vermittlungschancen zu erhöhen. Sie habe
die Aussicht auf ein neues Arbeitsverhältnis bzw. einen neuen Ausbildungsplatz und könne diesen geeigneten Arbeitsplatz bzw.
Ausbildungsplatz ohne die Gleichstellung nicht erlangen.
Tatsächlich hatte die Klägerin sich im Juli 2009 bei der Finanzbehörde der FHH - Steuerverwaltung - (im Folgenden: FB) für
eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst) beworben, die jährlich im Oktober beginnt und als Finanzanwärter
bzw. Finanzanwärterin ausschließlich im Status eines Beamten bzw. einer Beamtin auf Widerruf erfolgt. Nach einem erfolgreich
verlaufenen Vorstellungsgespräch am 24. September 2009 bot die FB der Klägerin eine Einstellung als Finanzanwärterin zum 1.
Oktober 2009 unter dem Vorbehalt an, dass diese Einstellungszusage nur in Verbindung mit einem positiven Gutachten des personalärztlichen
Dienstes der FHH (im Folgenden: PÄD) nach durchgeführter Einstellungsuntersuchung ihre Gültigkeit erhalte. Nachdem die Klägerin
noch mit Schreiben vom 28. September 2009 von der FB zum Antritt der Ausbildung mit Ernennung zur Beamtin auf Widerruf sowie
zur späteren Vereidigung im Rahmen einer Feierstunde eingeladen worden war, lehnte die FB mit Bescheid vom 30. September 2009
die Einstellung der Klägerin ab. Zur Begründung verwies sie auf das mittlerweile vorliegende Gutachten des PÄD vom 25. September
2009, wonach die für die Einstellung als Finanzanwärterin in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche
Eignung nicht vorliege. Der PÄD hatte nach Untersuchung der Klägerin am 23. September 2009 festgestellt, dass sich die Beschwerden
der nach über zwei Jahre wiederholt aufgetretenen Bauchbeschwerden im Jahr 2007 erstmalig diagnostizierten Colitis ulcerosa
unter medikamentöser Therapie zwar allmählich gebessert hätten und dass seit April 2008 komplette Beschwerdefreiheit bestehe,
wobei eine medikamentöse Therapie zum Erhalt der Remission weiterhin erforderlich sei. Dennoch sei der weitere Krankheitsverlauf
bei einer chronischen, zu Rückfällen neigenden Erkrankung unter Berücksichtigung des im Beamtenrecht geforderten Prognoseintervalls
ungewiss; vermehrte krankheitsbedingte Dienstunfähigkeitszeiten und/oder der Eintritt vorzeitiger dauernder Dienstunfähigkeit
vor Erreichen des Regelruhestandsalters seien für die Zukunft nicht mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen,
deren Grad der PÄD in zwei späteren Stellungnahmen vom 10. Februar und 7. Juli 2010 mit über 90 % bezifferte. Gegen diesen
Ablehnungsbescheid der FB ist nach erfolglosem Vor- (Widerspruchsbescheid des Personalamts der FHH vom 27. September 2010)
und Klageverfahren (Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 11. Januar 2013 - 8 K 3007/10) eine Berufung der Klägerin bei dem Oberverwaltungsgericht Hamburg (1 Bf 32/13) anhängig.
Den Gleichstellungsantrag der Klägerin vom 24. September 2010 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Oktober 2010 ab. Voraussetzung
für die Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes sei, dass dem behinderten Menschen ohne sie eine Beschäftigung auf
einem geeigneten Arbeitsplatz nicht möglich sei. Im Vordergrund stehe dabei die behinderungsbedingt mangelnde Konkurrenzfähigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Aufgrund des noch fortbestehenden Arbeitsverhältnisses stehe die Klägerin dem Arbeitsmarkt
nicht zur Verfügung, so dass derzeit nicht geprüft werden könne, inwieweit sie durch ihre Behinderung in der Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt und deshalb nur schwer vermittelbar sei. Eine Überprüfung könne
erst nach erfolgter Arbeitslosmeldung erfolgen.
Die Klägerin widersprach diesem Ablehnungsbescheid mit Schreiben vom 11. November 2010 und führte aus, dass sie an der Erlangung
der Stelle als Finanzanwärterin bei der FB allein wegen ihrer Behinderung gehindert werde. Bei dieser Stelle handele es sich
um einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX. Was hierunter falle, sei durch systematische Auslegung anhand von § 81 Abs. 4 SGB IX zu ermitteln (Hinweis auf Welti in: Lachwitz/Schellhorn/Welti, Handkommentar zum SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 2 Rn. 54). Die angestrebte Ausbildung sei eine Beschäftigung, bei der sie ihre fachlichen Kenntnisse im Sinne des § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX voll verwerten und weiterentwickeln könne.
Mit Widerspruchsbescheid nach §§ 118 Abs. 2, 120, 121 SGB IX vom 11. Februar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zwar gehöre die Klägerin hinsichtlich der Höhe des GdB zum
gleichstellungsfähigen Personenkreis. Es gehe ihr jedoch allein um die Verbeamtung, die am Ergebnis der ärztlichen Eingangsuntersuchung
gescheitert sei. Ungeachtet dessen und des Umstands, dass auch eine Gleichstellung sicher nicht zu einem anderen Ergebnis
geführt hätte und es nicht zu der angestrebten Verbeamtung gekommen wäre, habe der Widerspruchsausschuss die Voraussetzungen
für eine Gleichstellung geprüft. Diese könne ihre Wirkung nur auf die Sicherung des bestehenden Arbeitsverhältnisses als Justizfachangestellte
entfalten, da die Klägerin bei der JB ungekündigt beschäftigt sei. Damit liege die erforderliche behinderungsbedingte Gefährdung
des Arbeitsplatzes nicht vor. Die Klägerin habe selbst angegeben, dass sie ihre gegenwärtige Tätigkeit auch künftig ohne Einschränkungen
verrichten könne und eine Kündigung nicht im Raum stehe. Damit fehle es an dem vom Gesetzgeber geforderten kausalen Zusammenhang.
Hiergegen hat die Klägerin am 4. März 2011 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und weiter darauf verwiesen, dass schwerbehinderte
Menschen einen Anspruch auf eine Beschäftigung hätten, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten
und weiterentwickeln könnten. Sie hat die Ansicht vertreten, dass bei der Frage, was ein "geeigneter Arbeitsplatz" sei, insbesondere
auch ihre individuellen Berufswünsche zu berücksichtigen seien. Dies ergebe sich bereits aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes ( GG), dessen Schutzbereich nicht nur die Berufsausübung, sondern auch die Berufswahl umfasse. Allenfalls wenn ein schwerbehinderter
Mensch aufgrund seiner Ausbildung oder intellektuellen Fähigkeiten nicht in der Lage sei, einen bestimmten Beruf auszuüben,
trete sein Berufswunsch zurück. Dies sei bei ihr, der Klägerin, nicht der Fall. Ausweislich der Einstellungszusage der FB
vom 25. September 2009 erfülle sie die für die begehrte Ausbildung als Finanzanwärterin erforderlichen fachlichen und intellektuellen
Anforderungen. Darüber hinaus sei Art. 27 Abs. 1 lit. e und g des in nationales Recht transferierten Übereinkommens der Vereinten
Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (BGBl. 2008 II, S. 1419) (UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: UN-BRK) - zu beachten, das in Deutschland Gesetzeskraft habe und davon ausgehe,
dass behinderten Menschen hinsichtlich ihres Berufes ein weitgehendes Wahlrecht zustehe und insbesondere auch die beruflichen
Aufstiegschancen zu berücksichtigen seien. Zudem seien insbesondere Beschäftigungen im öffentlichen Sektor zu fördern. Der
diskriminierungsrechtliche Kern der UN-BRK sei nach dessen § 4 Abs. 2 letzter Halbsatz unmittelbar anwendbar, deren Standards
hätten Gesetzeskraft und seien als Auslegungshilfe für die Bestimmung und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen, so dass
sie u.a. für die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG maßstabsbildend seien, der wiederum die Auslegung des § 2 Abs. 3 SGB IX bestimme. Daher seien unter die Formulierung "einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen" in § 2 Abs. 3 SGB IX bei völkerrechts- und grundrechtskonformer Auslegung auch Fälle zu fassen, in denen behinderten Menschen wie der Klägerin
aufgrund ihrer Behinderung das berufliche Fortkommen erschwert werde. Ein solcher Fall sei vorliegend gegeben. Die gewünschte
Ausbildung gebe ihr die Möglichkeit, die Laufbahn des gehobenen Verwaltungsdienstes einzuschlagen; dadurch eröffneten sich
für sie sowohl finanziell als auch hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten mehr Perspektiven. Dem seien in
ihrer bisherigen Tätigkeit Grenzen gesetzt. Die Beklagte dürfe die Klägerin daher nicht darauf verweisen, dass sie bereits
eine Beschäftigung bei der FHH innehabe. Diese Rechtsauffassung führe im Übrigen zu unhaltbaren Ergebnissen. So könnte die
Klägerin die Gleichstellung dadurch erreichen, dass sie ihr derzeitiges Arbeitsverhältnis kündige. Dass dies seitens des Gesetzgebers
nicht gewollt sei, sei offensichtlich. Den angestrebten Arbeitsplatz in der Finanzverwaltung könne sie ohne Gleichstellung
nicht erlangen, obwohl sie über die notwendigen Qualifikationen verfüge, weil ihr aufgrund ihrer Behinderung die Aufnahme
in das Beamtenverhältnis auf Widerruf versagt werde. Daher sei sie gegenüber anderen, gleich qualifizierten nichtbehinderten
Bewerberinnen und Bewerbern nicht konkurrenzfähig. Entgegen der Auffassung der Beklagten könnte durch die Gleichstellung die
Situation der Klägerin wesentlich verbessert werden. Während bei nichtbehinderten Menschen die für die Beamtenernennung erforderliche
gesundheitliche Eignung nur zu bejahen sei, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig keine häufigen Erkrankungen oder Dienstunfähigkeit
vor Erreichen der Regelaltersgrenze zu erwarten seien, gelte dies für Schwerbehinderte bzw. ihnen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellte Menschen nicht. So sei bei ihnen ausreichend, dass für die Dauer eines Prognosezeitraums von etwa zehn Jahren
eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 % dafür spreche, dass der Beamte dienstfähig bleibe und in diesem Zeitraum krankheitsbedingte
Fehlzeiten von nicht mehr als zwei Monaten pro Jahr aufträten (Hinweis auf Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (OVG), Urteil
vom 26. September 2008 - 1 Bf 19/08, Behindertenrecht 2010, 23). Diese Voraussetzungen würde die Klägerin problemlos erfüllen. Durch die begehrte Gleichstellung wäre eine Sachlage gegeben,
die in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung der Verbeamtung auf Widerruf zu einer Verpflichtung der
FHH zur Neubescheidung führen müsste. Diese Neubescheidung dürfte angesichts der bereits festgestellten Eignung der Klägerin
zu einer Einstellung führen.
Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Bescheide entgegengetreten. Sie hat weiter vorgetragen,
dass keine Hinweise vorlägen, dass die Berufung der Klägerin im Falle der Gleichstellung in das Beamtenverhältnis möglich
wäre. Im Übrigen diene die Bewerbung ausschließlich dem beruflichen Fortkommen der Klägerin und nicht der Sicherung ihres
bisherigen, für sie unstreitig geeigneten Arbeitsplatzes. Es gehe nicht um den angestrebten Arbeitsplatz bzw. um die Tätigkeit
als solche, sondern um den rechtlichen Status. Der berufliche Aufstieg könne nicht im Wege der Gleichstellung gefördert werden
(Hinweis auf Bayerisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 15. Februar 2001 - L 9 AL 381/99, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. März 1970 - 2 A 85/69, FEVS 18, 186 (Leitsatz 1 und Gründe)). Die Erlangensalternative des § 2 Abs. 3 SGB IX greife erst, wenn es darum gehe, bei Beschäftigungslosigkeit oder aber bei Beschäftigung auf einem ungeeigneten Arbeitsplatz
behinderungsbedingt bestehende Wettbewerbsnachteile auszugleichen und Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche zu bieten (Hinweis
auf LSG für das Land Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: LSG NRW), Urteil vom 2. September 2008 - L 1 AL 35/07, juris). Eine behinderungsbedingte Arbeitsplatzgefährdung liege bei der Klägerin indes nicht vor.
Hierauf hat die Klägerin repliziert, dass sowohl die Entscheidung des Bayerischen LSG aus dem Jahr 2001 als auch die darin
in Bezug genommene des OVG Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 1970 spätestens seit dem Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland am
26. März 2009 nicht mehr mit der geltenden Rechtslage in Einklang stünden. In dem der Entscheidung des LSG NRW zu Grunde liegenden
Fall sei es der dortigen Klägerin hingegen nicht um das Erlangen eines anderen Arbeitsplatzes, sondern um den Erhalt des vorhandenen
gegangen. Der dort in den Gründen aufgeführte Rechtssatz, dass die Erlangensalternative bei vorhandenem Arbeitsplatz zumindest
eine unmittelbar bevorstehende Kündigung voraussetze, sei in seiner Allgemeinheit als obiter dictum anzusehen. Dieser Satz
finde im Übrigen trotz der entsprechenden Zitierung des LSG NRW keine Stütze in dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2. März 2000 (B 7 AL 46/99 R, BSGE 86, 10).
Das Sozialgericht hat die Klage nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10. September 2012 mit Urteil vom selben
Tag abgewiesen. Die Klägerin könne nicht die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen verlangen. Zwar falle sie
bei dem festgestellten Grad der Behinderung von 30 grundsätzlich in den persönlichen Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 SGB IX. Es liege aber keine der Gefahrenlagen dieser Bestimmung vor: Da die Klägerin in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis
stehe, dessen Bestand unstreitig nicht gefährdet sei, sei die zweite Variante des § 2 Abs. 3 SGB IX, in der es um das Behalten eines geeigneten Arbeitsplatzes gehe, zweifelsfrei nicht einschlägig, ohne dass dies einer weiteren
Erörterung bedürfe. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dass sie ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz
erlangen könnte (§ 2 Abs. 3 Var. 1 SGB IX). Diese Variante dürfte schon begrifflich nicht einschlägig sein, denn es bestehe zur Beschäftigungssicherung keine Notwendigkeit,
einen Arbeitsplatz zu erlangen: Die Klägerin habe bereits einen geeigneten, ungefährdeten Arbeitsplatz. Es gehe ihr darum,
diesen gegen einen anderen, für sie attraktiveren Arbeitsplatzes im Sinne eines beruflichen Aufstiegs einzutauschen. Diese
Konstellation falle nach Auffassung der Kammer, die sich hierzu der Entscheidung des Bayerischen LSG vom 15. Februar 2001
(L 9 AL 381/99, aaO.) anschließe, nicht unter das "Erlangen" eines geeigneten Arbeitsplatzes im Sinne des § 2 Abs. 3, Var. 1 SGB IX. Daran ändere auch die von der Klägerin in Bezug genommene Bestimmung des Art. 27 Abs. 1 UN-BRK nichts. Diese erfordere es
mangels Anwendungsvorrang nicht, § 2 Abs. 3 SGB IX dahingehend auszulegen, dass eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen auch dann auszusprechen wäre, wenn es dem
Behinderten nicht um die Sicherung eines Arbeitsplatzes, sondern um einen beruflichen Aufstieg gehe. Der Gleichstellung nach
§ 2 Abs. 3 SGB IX liege maßgeblich der Gedanke der Sicherung zugrunde: Ziel sei es, die Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu
sichern. Eine Förderung des beruflichen Aufstiegs ginge über diese Zielsetzung hinaus. Im Übrigen habe das Gericht Zweifel
daran, dass der Klägerin in ihrer konkreten Situation mit der begehrten Gleichstellung tatsächlich geholfen wäre. Im Grunde
gehe es ihr darum, den Status einer Beamtin zu erlangen, der, ihren Vortrag zugrunde gelegt, eine Voraussetzung für die Durchführung
der geplanten Berufsausbildung sei. Das Gericht sehe nicht, dass dieser Statuswechsel durch eine Gleichstellung der Klägerin
gefördert werden könnte. Soweit es um die Beachtung von Art. 27 Abs. 1 UN-BRK gehe, dürfte diese Frage in erster Linie im
verwaltungsrechtlichen Streit um die Verbeamtung der Klägerin eine Rolle spielen. Über sie könne in dem hier anhängigen Verfahren
nicht entschieden werden.
Mit ihrer am 17. Oktober 2012 gegen dieses ihren Prozessbevollmächtigten am 17. September 2012 zugestellte Urteil eingelegten
Berufung wiederholt die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass es sich bei dem von ihr angestrebten
Wechsel auf einen Arbeitsplatz als Finanzanwärterin in der H. Steuerverwaltung entgegen der Auffassung des Sozialgerichts
um einen Schritt zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes und nicht lediglich die Förderung des beruflichen Aufstiegs
handele. Es werde zwar nicht in Abrede gestellt, dass der Arbeitsplatz als Justizangestellte lange Zeit einen geeigneten Arbeitsplatz
im Sinne des § 2 Abs. 3 SGB IX dargestellt habe, mithin - bei systematischer Auslegung unter Einbeziehung des § 81 Abs. 4 SGB IX sowie der Art. 2 Abs. 4 und 27 Abs. 1 UN-BRK - einen solchen, bei denen sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll habe verwerten und weiter entwickeln
können. Zunehmende Qualifizierung und langjährige Arbeitserfahrung könnten jedoch dazu führen, dass ein vormals geeigneter
Arbeitsplatz ungeeignet werde, weil z.B. die zwischenzeitlich erlangten Kenntnisse und Fähigkeiten weit über das hinausgingen,
was im üblichen Arbeitsalltag eingebracht werden könne. Könne der Arbeitnehmer auf seinem derzeitigen Arbeitsplatz nur noch
einen Teil seiner Kenntnisse und Fähigkeiten verwerten, müsse es ihm möglich sein, einen neuen Arbeitsplatz zu erlangen, der
diesen Fertigkeiten und den diesen entsprechenden beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Mit dem
von ihr angestrebten neuen Arbeitsplatz in der Steuerverwaltung wolle die Klägerin genau das tun. Daher sei der Sachverhalt
auch ein anderer als jener, der dem Urteil des Bayerischen LSG vom 15. Februar 2001 (L 9 AL 381/99, aaO.) zu Grunde gelegen habe. Dort habe ein Lehrer die Gleichstellung beantragt, weil anderenfalls eine Verbeamtung in derselben
Position nicht möglich gewesen sei. Das Bayerische LSG habe darauf abgestellt, dass eventuelle Beförderungsstellen von Beamten
keine Arbeitsplätze seien, auf deren Erlangung die Gleichstellungsmöglichkeit abziele. Hier komme es jedoch nicht auf eine
Gleichstellung an, um in ihrer jetzigen Position verbeamtet zu werden. Vielmehr habe sie sich auf eine andere Stelle in einem
anderen Tätigkeitsfeld beworben, für die eine Verbeamtung notwendige Voraussetzung sei. Langfristig sei mit der Ausbildung
in der Steuerverwaltung auch ein beruflicher Aufstieg möglich, der ihr in ihrer jetzigen Position als Justizangestellte faktisch
unmöglich sei. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB IX sei nicht allein, die Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu sichern. Mit der Gleichstellung sollten die ungünstige
Konkurrenzsituation des Behinderten am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt verbessert und damit der Arbeitsplatz sicherer
gemacht oder seine Vermittlungschancen erhöht werden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 1. März 2011 - B 7 AL 6/10 R, BSGE 108, 4). Der Sicherungsgedanke sei demnach nur ein Teilaspekt des Normzwecks. Ein weiterer Aspekt liege im Nachteilsausgleich: Durch
die Gleichstellung sollten Nachteile des Behinderten am Arbeitsmarkt verhindert werden, die ohne seine Behinderung nicht bestehen
würden. Mit dieser Begründung habe auch das Sozialgericht Kassel (Urteil vom 10. September 2012 - S 3 AL 131/11, juris) einen Gleichstellungsanspruch in einem Fall bejaht, dem ein nahezu identischer Sachverhalt wie dem Urteil des Bayerischen
LSG vom 15. Februar 2001 (L 9 AL 381/99, aaO.) zu Grunde gelegen habe. Nur durch die Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten könne die Klägerin infolge des dann
geltenden leicht abgesenkten Prognosemaßstabs über die gesundheitliche Eignung die von ihr angestrebte Arbeitsstelle trotz
ihrer (gering ausgeprägten) Colitis ulcerosa erlangen. Die ungünstige Konkurrenzsituation würde ausgeglichen werden. Die Gleichstellung
der Klägerin entspreche somit dem Sinn und Zweck der Norm. Es mangele auch nicht einem ursächlichen Zusammenhang zwischen
der besonderen Schutzbedürftigkeit auf dem Arbeitsmarkt und der Behinderung. Dieser Zusammenhang zeige sich hier zwar nicht
im Vorliegen einer behinderungsbedingten konkreten Arbeitsplatzgefährdung. Er zeige sich aber im Vorliegen einer konkreten
Gefahr, einen Arbeitsplatz trotz vorhandener Eignung behinderungsbedingt nicht erlangen zu können. Das BSG habe in dem Urteil vom 1. März 2011 (B 7 AL 6/10 R, aaO.) entschieden, dass die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, nicht dadurch eingeschränkt werden
könne, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitssuche schlechter gestellt werde. Daher
gelte, dass auch Menschen, die sich aus einem gesicherten Arbeitsverhältnis heraus bewürben, eine Gleichstellung zugesprochen
werden müsse, wenn dadurch ein geeigneter Arbeitsplatz erlangt werden könne. Es lägen schließlich auch keine außergewöhnlichen
Umstände vor, die der Beklagten die Möglichkeit gäben, von ihrem gebundenen Ermessen abzuweichen. Entgegen der Auffassung
des Sozialgerichts wäre die Klägerin durch die Gleichstellung tatsächlich in der Lage, die angestrebte Stelle zu erlangen.
Nachdem infolge der Entscheidung des Hamburgischen OVG vom 26. September 2008 (1 Bf 19/09, aaO.), bestätigt vom Bundesverwaltungsgericht in dessen Beschluss vom 23. April 2009 (2 B 79/08, juris), an schwerbehinderte Menschen und diesen gleichgestellte ein herabgesenkter Prognosemaßstab hinsichtlich der gesundheitlichen
Eignung anzulegen sei, erscheine eine Verbeamtung der Klägerin, bei der die Darmerkrankung in sehr geringem Maße ausgeprägt
sei, und damit eine Einstellung sehr gut möglich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. September 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2010 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin einem schwerbehinderten
Menschen gleichzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für richtig, wiederholt und vertieft ihren bisherigen Vortrag. Die Voraussetzungen
des § 2 Abs. 3 SGB IX lägen nicht vor. Auch wenn es sich bei der angestrebten Beschäftigung um eine geeignete handele, so habe die Klägerin doch
bereits mit der derzeit ausgeübten und nicht in ihrem Bestand gefährdeten Tätigkeit einen geeigneten Arbeitsplatz inne. Ungeeignet
wäre er nach Sinn und Schutzzweck des SGB IX nur, wenn durch Ausübung der Tätigkeit eine Verschlimmerung der Behinderung drohte. Die Beklagte hält unter Bezugnahme auf
die Urteile des OVG Rheinland-Pfalz vom 25. März 1970 (2 A 85/69, aaO.) und des Bayerischen LSG vom 15. Februar 2001 (L 9 AL 381/99, aaO.) daran fest, dass die Förderung des beruflichen Aufstiegs, um die es der Klägerin ausschließlich gehe, Aufgabe des
Arbeitgebers im Rahmen dienstrechtlicher Fürsorgepflichten sei. Schließlich bleibt sie bei der Auffassung, dass es wegen des
ungekündigten Arbeitsverhältnisses und des Fehlens einer bevorstehenden Kündigung an einer Konkurrenzsituation in Bezug auf
den Arbeitsmarkt im Sinne des Verständnisses des § 2 Abs. 3 SGB IX fehle, in der ein Wettbewerbsnachteil der Klägerin aufgrund ihrer Behinderung durch eine Gleichstellung ausgeglichen werden
müsste, und bezieht sich insoweit auf die Urteile des BSG vom 2. März 2000 (B 7 AL 46/99 R, aaO.) und des LSG NRW vom 12. April 2010 (L 19 AL 51/09, juris).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten, die Sitzungsniederschrift
vom 30. Oktober 2013 und auf den weiteren Inhalt der hiesigen Prozessakte sowie der ausweislich der Sitzungsniederschrift
beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die statthafte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
abgewiesen. Der den Gleichstellungsantrag der Klägerin ablehnende Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2011 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gleichstellung mit einem
schwerbehinderten Menschen durch die Beklagte nach §§ 2 Abs. 3, 68 Abs. 2 SGB IX.
Nach § 2 Abs. 3 SGB IX in der Fassung vom 19. Juni 2001 (BGBl. I Seite 1046) sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des
Abs. 2 (Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt oder Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich
dieses Gesetzbuches) vorliegen, schwer behinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne
die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 nicht erlangen oder nicht behalten können. Nach § 68 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 23. April 2004 (BGBl. I Seite 606) erfolgt die Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen aufgrund einer Feststellung nach § 69 auf
Antrag des behinderten Menschen durch die Bundesagentur für Arbeit (Satz 1). Die Gleichstellung wird mit dem Tag des Eingangs
des Antrags wirksam (Satz 2). Sie kann befristet werden (Satz 3).
Die Klägerin mit Wohnsitz in Deutschland erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für die Gleichstellung. Auf ihren Antrag
hin hat das Versorgungsamt Hamburg als zuständige Behörde im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der Fassung vom 19. Juni 2001 (aaO.) einen GdB von 30 festgestellt, der im Gleichstellungsverfahren zu Grunde zu legen
und weder von der Beklagten noch vom erkennenden Gericht zu hinterfragen ist. Sie kann auch infolge ihrer durch die Colitis
ulcerosa bedingten Behinderung mit einem zuerkannten GdB von 30 ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne
des § 73 - nämlich denjenigen als Finanzanwärterin - nicht erlangen (§ 2 Abs. 3 Var. 1 SGB IX).
Arbeitsplätze sind nach § 73 Abs. 1 SGB IX in der Fassung vom 19. Juni 2001 (aaO.) alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen,
Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden, soweit
sie nicht unter die - vorliegend nicht einschlägigen - in § 73 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 23. April 2004 (aaO.) und § 73 Abs. 3 SGB IX in der Fassung vom 19. Juni 2001 (aaO.) genannten Ausnahmen fallen. Die Geeignetheit des Arbeitsplatzes ist individuell nach
dem Eignungs- und Leistungspotenzial des Behinderten zu bestimmen (Luthe in: jurisPK- SGB IX, Stand: 13. August 2013, § 2 Rn. 100 mN). Geeignet sind mithin alle diejenigen Arbeitsplätze, die nach ihrem Anforderungsprofil den beruflichen Kenntnissen
und Fähigkeiten sowie den gesundheitlichen Möglichkeiten des betroffenen behinderten Menschen entsprechen, auf denen er somit
unter Berücksichtigung von Art und Schwere seiner Behinderung die geforderte Tätigkeit auf Dauer ausüben kann, während solche
Arbeitsplätze nicht geeignet sind, auf denen sich bei einer Weiterbeschäftigung die Behinderung zu verschlechtern droht und
sich für den behinderten Menschen selbst durch eine technische Umgestaltung des Arbeitsplatzes/Arbeitsumfeldes eine Verbesserung
der Arbeitssituation nicht ergeben würde (Welti und Stähler/Bieritz-Harder in: Lachwitz/Schellhorn/Welti, Handkommentar zum
SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 2 Rn. 54 und § 68 Rn. 7). Im Zweifel ist ein Arbeitsplatz geeignet, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, auf die nach § 81 Abs. 4 SGB IX ein Anspruch für schwerbehinderte Menschen besteht (Welti, aaO.).
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei dem von der Klägerin angestrebten Arbeitsplatz als Finanzanwärterin bei der FB um
einen für sie geeigneten, wovon im Übrigen die Beteiligten auch übereinstimmend ausgehen. Das körperliche Anforderungsprofil
dieser behördlichen Bürotätigkeit entspricht im Wesentlichen demjenigen ihrer derzeit und bereits seit vielen Jahren ohne
Einschränkungen und ohne Auftreten längerer Arbeitsunfähigkeitszeiten ausgeübten Tätigkeit als Justizfachangestellte. Dass
die Klägerin auch die fachlichen Anforderungen erfüllt, ergibt sich aus dem im Jahr 2009 bereits erfolgreich durchlaufenen
Bewerbungsverfahren, das zu einer Einstellungszusage unter dem Vorbehalt der Feststellung der gesundheitlichen Eignung durch
den PÄD geführt hatte.
Da die Klägerin einen Tätigkeits- und damit Arbeitsplatzwechsel anstrebt, kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem
Begriff des Arbeitsplatzes im Sinne des § 73 SGB IX um eine rein rechnerische Größe handelt (in diesem Sinne: Bayerisches LSG, Urteil vom 15. Februar 2009 - L 9 AL 381/99, aaO., und OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. März 1970 - 2 A 85/69, aaO., mit der Folge, dass dort jeweils eine Gleichstellung zum Zwecke des bloßen beruflichen Fortkommens abgelehnt wird;
s.a. Jabben in: Beck scher Online-Kommentar zum Sozialrecht, Stand: 1. März 2013, § 73 SGB IX Rn. 3 mwN) oder ob auch auf die rechtlich-funktionalen Qualitäten abzustellen ist (so: Hessisches LSG, Urteil vom 19. Juni
2013 - L 6 AL 116/12, aaO., mit der Folge, dass selbst für den angestrebten Wechsel eines angestellten Lehrers in das Beamtenverhältnis bei Fortsetzung
der bisherigen Tätigkeit - anders als durch das Bayrische LSG bei ähnlichem Sachverhalt - ein Gleichstellungsanspruch zur
Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes bejaht wird; s.a. Luthe, aaO., § 2 Rn. 100.1, 101.1, 101.2; Trenk-Hinterberger in:
Lachwitz/Schellhorn/Welti, aaO., § 73 Rn. 5). Ebenso kann offen bleiben, ob nach jahrelanger Tätigkeit der Arbeitsplatz der
Klägerin als Justizfachangestellte nunmehr ungeeignet geworden ist, wie sie mit der Berufung vorträgt.
Denn entgegen der Auffassung der Beklagten kommt ein Gleichstellungsanspruch zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes
nicht nur dann in Betracht, wenn der behinderte Mensch bislang entweder keinen Arbeitsplatz innehat oder der innegehabte Arbeitsplatz
ungeeignet oder gefährdet ist. Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 SGB IX noch aus deren Zweck unter Beachtung der historischen Entwicklung und anderer, insbesondere auch höherrangiger Rechtsnormen.
Entgegen der Darstellung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil soll die Gleichstellung nicht erfolgen, wenn der behinderte
Mensch ohne sie keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen könnte (was in der Tat so klänge, als würde irgendein geeigneter Arbeitsplatz
reichen), sondern wenn er ohne sie einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erreichen könnte (was sich auch auf einen bestimmten
Arbeitsplatz beziehen kann, wenn ein anderer bereits innegehabt wird oder ein oder mehrere andere als zu erlangende in Betracht
kommen).
Der Gesetzgeber hat bereits zur Einführung der Vorgängernorm des § 2 Abs. 3 SGB IX, des im Wesentlichen gleich lautenden § 2 Abs. 1 des Schwerbehindertengesetzes in der Fassung vom 26. August 1974 (BGBl. I S. 1881) ausgeführt, dass die zuvor nach § 2 des Schwerbeschädigtengesetzes vom 14. August 1961 (BGBl. I S. 1233) vorgesehene Beschränkung der Gleichstellung auf bestimmte Betriebe gestrichen werde, weil sie die berufliche Beweglichkeit
des Gleichgestellten zu sehr einschränke und der gesetzliche Schutz bei einem Wechsel des Betriebs automatisch verloren gehe
und für den neuen Betrieb erst wieder beantragt werden müsse (BT-Drucks 7/656, S. 25 zu Nr. 3; s.a. BSG, Urteil vom 2. März 2000 - B 7 AL 46/99 R, aaO.), dürfte mithin vorausgesetzt haben, dass mit dem Innehaben eines geeigneten Arbeitsplatzes durch Gleichgestellte nicht
zwingend das Eingliederungsziel dergestalt erreicht ist, dass bei einem Arbeitsplatzwechsel der teilweise Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen
durch die Gleichstellung nicht mehr gewährt würde. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde offenbar der Berufswahl- und ausübungsfreiheit
behinderter Menschen durch den Gesetzgeber ein Rang eingeräumt, der in der Praxis der Gleichstellung in den folgenden Jahrzehnten
möglicherweise nicht ausreichend beachtet worden ist. Dass das BSG in seinem Urteil vom 1. März 2011 (B 7 AL 6/10 R, aaO.) ausführte, dass die Freiheit, auch als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, nicht dadurch eingeschränkt werden
könne, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Arbeitnehmern bei der Arbeitssuche schlechter gestellt werde, dürfte
allerdings auf die besondere zugrunde liegende Fallgestaltung zurückzuführen gewesen sein: Der dortige Kläger war zwar wegen
seines Beamtenstatus´ unkündbar, hatte aber tatsächlich seinen Arbeitsplatz verloren und fand sich nunmehr in einer Beschäftigungsgesellschaft
wieder.
Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände gegen ein weites Verständnis der Gleichstellungsvorschriften entspringen nach
Überzeugung des Senats einem überkommenen Verständnis von der Eingliederung behinderter Menschen, wonach es ausreicht, wenn
der behinderte Mensch nicht beschäftigungslos zu Hause bleiben muss, sondern irgendeinen geeigneten Arbeitsplatz innehat;
die für nicht behinderte Menschen selbstverständliche Beweglichkeit auf dem Arbeitsmarkt spielt hierbei zu Unrecht keine Rolle.
Zunächst sind die von der Beklagten in Bezug genommenen Ausführungen des LSG NRW in den Urteilen vom 2. September 2008 (L 1 AL 35/07, aaO.) und 12. April 2010 (L 19 AL 51/09, aaO.) angesichts der jeweils besonderen Sachverhalte nicht verallgemeinerbar, zumal sie jeweils nicht entscheidungserheblich
waren, weil es um die Behaltensvariante des § 2 Abs. 3 SGB IX ging. Schließlich übersieht die Beklagte ebenso wie das LSG NRW, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, dass eine Vielzahl
inländischer, auch höherrangiger - z.B. Art. 3 Abs. 3 Satz 3 GG -, und europarechtlicher sowie weiterer völkerrechtlicher Normen die Diskriminierung behinderter Menschen aufgrund ihrer
Behinderung verbietet und die Herstellung eines diskriminierungsfreien Zustands fordert (s. Auflistung bei Luthe, aaO., Rn.
101.1) und zur Auslegung des § 2 Abs. 3 SGB IX heranzuziehen ist.
Speziell bei der Bewegung auf dem Arbeitsmarkt - auch im Sinne einer Förderung beim beruflichen Aufstieg - ist der von der
Klägerin herangezogene Art. 27 Abs. 1 Satz 2 lit. a und e UN-BRK zu beachten sowie die durch Art. 12 Abs. 1 GG auch gewährleistete Berufswahlfreiheit.
Soweit die Beklagte immer wieder anführt, dass die Gleichstellung nicht der Förderung des beruflichen Aufstiegs dienen dürfe,
kann sich dies vor diesem Hintergrund nur darauf beziehen, dass der behinderte Bewerber um einen Beförderungsposten durch
die Gleichstellung keinen Vorteil gegenüber dem nichtbehinderten Mitbewerber erlangen darf, sondern insoweit die Förderung
im Rahmen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers maßgeblich sein soll. Dies kann jedoch nicht gelten, wenn der behinderte Mensch
in einer Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt aufgrund seiner Behinderung gegenüber nichtbehinderten Mitbewerbern benachteiligt
ist.
Eben Letzteres ist aber bei der Klägerin der Fall. Ausschließlich wegen ihrer festgestellten Behinderung hat sie bei gleicher
oder besserer fachlicher Qualifikation als nichtbehinderte Bewerberin keine Möglichkeit, ihrem Wunsch entsprechend eine Ausbildung
bei der FB als Finanzanwärterin mit dem Ziel der späteren Tätigkeit als Diplom-Finanzwirtin zu beginnen, weil ihr die für
die dafür notwendige Berufung in das Beamtenverhältnis erforderliche gesundheitliche Eignung nach dem für nicht schwerbehinderte
oder ihnen gleichgestellte Bewerber angelegten Maßstab fehlt.
Dieser Wettbewerbsnachteil könnte jedoch durch die Gleichstellung in dem Sinne jedenfalls zum Teil ausgeglichen werden, dass
die Einstellungschancen der Klägerin stiegen, weil von schwerbehinderten Menschen - oder ihnen gleichgestellten - nach § 9
Abs. 5 Satz 3 der Verordnung über die Laufbahnen der hamburgischen Beamtinnen und Beamten (HmbLVO) vom 22. Dezember 2009 (HmbGVBl.
2009, 511) (entspricht § 13 Abs. 1 Satz 1 HmbLVO vorheriger Fassung) bei der Einstellung nur das Mindestmaß körperlicher Eignung
für die Wahrnehmung der Laufbahnaufgaben verlangt werden darf, was vom Hamburgischen OVG mit dem Urteil vom 26. September
2008 (1 Bf 19/08, aaO.) dahingehend konkretisiert wurde, dass die körperliche Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis bei schwerbehinderten
Bewerbern oder ihnen gleichgestellten Personen verlange, dass für etwa 10 Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 % dafür
spreche, dass der Beamte dienstfähig bleibe und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa
zwei Monaten pro Jahr auftreten würden, wobei die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, etwas längeren Ausfallzeit einer positiven
Prognose nicht entgegenstehe (bestätigt vom BVerwG, Beschluss vom 23. April 2009 - 2 B 79/08, aaO.; einen abgemilderten Prognosemaßstab ebenfalls bejahend: VG Bayreuth, Urteil vom 29. Mai 2009 - B 5 K 08.173, juris).
Hieran orientiert sich seither die H. Verwaltungspraxis und entsprechend der Begutachtungsmaßstab des PÄD. Da die Klägerin
seit Anfang 2008 trotz ihrer chronischen Darmerkrankung unter dauerhafter Medikation ohne größere Arbeitsunfähigkeitszeiten
und ohne Einschränkung ihre Tätigkeit als Justizfachangestellte bei der JB verrichten konnte und kann, der PÄD in seinen Stellungnahmen
vom 25. September 2009, 10. Februar 2010 und 17. Juli 2010 die gesundheitliche Eignung unter Zugrundelegung des strengen Maßstabes
für nicht behinderte Bewerber, wonach mit über 90 %iger Wahrscheinlichkeit krankheitsbedingte Dienstunfähigkeitszeiten und/oder
der Eintritt vorzeitiger dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen des Regelruhestandsalters ausgeschlossen werden müssten,
verneinte und gleichzeitig die behandelnden Ärzte der Klägerin in ihren im verwaltungsrechtlichen Vorverfahren eingereichten
Attesten vom 23. Oktober 2009 (Praxis am B.) und 7. Juni 2010 (A.-Klinikum H.) bescheinigten, dass die Klägerin völlig beschwerdefrei
und eine vorzeitige Dienstunfähigkeit nicht zu erwarten sei, ist jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass die begehrte Gleichstellung
nach § 2 Abs. 3 SGB IX dazu führen kann, dass der PÄD ihre gesundheitliche Eignung als Finanzanwärterin feststellt und eine entsprechende Einstellung
erfolgt. Auch wenn die Klägerin möglicherweise ein neues Bewerbungsverfahren mit offenem Ausgang durchlaufen zu haben wird,
reicht dies, um einen Anspruch auf Gleichstellung gegen die Beklagte zu bejahen. Denn zum einen setzt die Gleichstellung mit
einem schwerbehinderten Menschen zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes weder eine Erfolgsprognose, dass durch die
Gleichstellung ein geeigneter Arbeitsplatz auch besetzt werden kann, noch ein konkretes Arbeitsplatzangebot voraus (vgl. Luthe,
aaO., § 2 Rn. 101), und zum anderen muss bei Vorliegen der Voraussetzungen angesichts der Formulierung "soll" in § 2 Abs. 3 SGB IX eine Gleichstellung erfolgen, wenn kein atypischer Fall vorliegt (BSG, Urteile vom 2. März 2000 - B 7 AL 46/99 R - und 1. März 2011 - B 7 AL 6/10 R, jeweils aaO.), für den es vorliegend keinerlei Anhaltspunkte gibt.
Die Sorge der Beklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen wie dem vorliegenden, wenn ein geeigneter Arbeitsplatz innegehabt
wird, zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen wird, vermag der Senat nicht zu teilen. Die Prüfung
des Gleichstellungsanspruchs im Rahmen der Erlangensalternative des § 2 Abs. 3 SGB IX erfolgt nach den dortigen Tatbestandsvoraussetzungen niemals abstrakt, sondern knüpft an einen bestimmten Arbeitsplatz an,
dessen Geeignetheit schließlich festzustellen ist. Dass tatsächlich eine größere Zahl an Gleichstellungen erfolgen könnte
als in der Vergangenheit ist eine zwingende Folge der nach nationalem und supranationalem Recht geforderten Beseitigung der
Diskriminierung behinderter Menschen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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