Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger an einer Berufskrankheit nach der Ziffer 4302 (durch chemisch-irritativ oder toxisch
wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen) nach Anlage 1 der
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) erkrankt ist.
Der im Jahre 1946 geborene Kläger hat nach einer Ausbildung zum Schmied (1962 bis 1965) in der Zeit von 1965 bis 1968 Wehrdienst
in der Bundeswehr geleistet und anschließend ein Jahr lang als LKW-Fahrer gearbeitet. Von 1969 bis 1972 arbeitete er als Schlosser
bei der Firma K., H., anschließend kurze Zeit in einer Schlosserei in D. und von 1972 bis 2007 bei der Firma "W. GmbH" in
S. in der Schweißerei und der Schlosserei.
Mit Befundbericht vom 14. August 2013 diagnostizierte der Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. K1 bei dem Kläger
eine chronisch-obstruktive Bronchitis (GOLD I), ein "intrinsic Asthma bronchiale", ein Aortenaneurysma sowie ein Zustand nach
Operation eines thorakalen Aortenaneurysma im Jahr 2007. Die von Dr. K1 im Jahre 2013 durchgeführte Lungenfunktionsprüfung
einschließlich Bodyplethysmographie ergab eine mäßige periphere Atemwegsinstabilität, ohne Restriktion. Am 17. Juni 2015 stellte
der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr. 4302 der Anlage 1 zur
BKV (BK 4302) aufgrund seiner Erkrankung an COPD. Er trug vor, dass er während seiner beruflichen Tätigkeit über 30 Jahre Schweißrauchen
ausgesetzt gewesen sei. Er leide seit 2008 an langsam zunehmender Luftnot. Der beratende Facharzt der Beklagten Dr. S1 erklärte
in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2016, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne einer obstruktiven Bronchitis
vorliege, es finden sich keine Hinweise auf eine exogene allergische Komponente. Es seien arbeitstechnische Ermittlungen erforderlich.
In seiner Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 1. August 2018 führte der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten
aus, dass bei dem Kläger eine relevante Belastung gegenüber Stoffen im Sinne der BK 4302 von Ende 1972 bis Mitte der achtziger
Jahre bestanden habe. Danach sei keine Einwirkung mehr anzunehmen, da der Kläger seitdem als Vorarbeiter eingesetzt worden
sei und keine handwerklichen Arbeiten unter ungünstigen Arbeitssituationen ausgeführt habe. Der Gutachter Dr. S2 stellte in
seinem pneumologischen Gutachten vom 18. Oktober 2016 fest, dass bei dem Kläger eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung
COPD I nach GOLD sowie eine bronchiale Hyperreagibilität leichtgradigen Ausmaßes gemäß der BK 4302 als Folge der langjährigen
Tätigkeit als Schweißer unter ungünstigen räumlichen Bedingungen bestehe. Er schätzte die Expositionshöhe auf 100 mg/m², die
Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Folgen der Berufskrankheit werde mit 20 v.H. bewertet. Nach Einholung einer durchgehenden
Lungenfunktionsserie mit ersten Messungen am 6. Dezember 1985 bis 24. Februar 1995 ergab sich nach Ansicht des beratenden
Arztes Dr. D1 vom 28. März 2017 eine vollkommen unauffällige Lungenfunktion, ohne jeglichen Hinweis auf eine obstruktive Atemwegserkrankung.
Die bei dem Kläger vorhandene Latenzzeit von zehn Jahren sei für die Annahme einer berufsbedingten obstruktiven Atemwegserkrankung
zu groß.
Mit Bescheid vom 25. April 2017 lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK 4302 ab. Nach derzeit herrschender Meinung trete
eine Erkrankung nach dieser Ziffer 4302 nur in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der gefährdenden Tätigkeit auf. Bei
dem Kläger liegen jedoch zwischen dem Ende der Exposition und Beginn der Erkrankung mindestens 15 Jahre. Ein zeitlicher Zusammenhang
sei somit nicht gegeben.
Der Kläger legte gegen den Bescheid am 5. Mai 2017 Widerspruch ein und erklärte, dass die für die Kausalität erforderliche
Latenzzeit von 15 Jahren erfüllt sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass dem Ergebnis des Gutachtens von Dr. S2 nicht
gefolgt worden sei.
In ihrem Widerspruchsbescheid vom 17. August 2017 wies die Beklagte darauf hin, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung erstmals
im Jahre 2005 ärztlich gesichert worden sei. Ein Zusammenhang der Beschwerden mit den ca. 20 Jahren zurückliegenden beruflichen
Belastungen bis Mitte der achtziger Jahre könne medizinisch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit hergestellt werden.
Grundsätzlich müsse nach Auffassung der fachärztlichen Literatur ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen. Dem Gutachten
von Dr. S2 habe nicht gefolgt werden können, da dieser die medizinisch-wissenschaftlich belegten Grundsätze nicht berücksichtigt
habe.
Der Kläger hat am 18. September 2017 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben und vorgetragen, dass ein zeitlicher Zusammenhang
zwischen Ausbruch der Krankheit und der Ausübung der gefährdenden Tätigkeit bestehe. Er habe die Beschwerden jedoch erst bemerkt,
als diese weiter fortgeschritten seien und die Luftnot/Husten unmittelbar behandlungsbedürftig geworden seien. Die Reichenhaller
Empfehlung zur Begutachten der BK 4302 gäben für den Gutachter vor, zu berücksichtigen, dass Symptome der COPD selten vor
Vollendung des 50. Lebensjahres der versicherten Person auftreten.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden
bezogen.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten sowie durch Einholung eines Gutachtens des Arztes
für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S3. Der Sachverständige hat in seinem internistischen Gutachten vom
4. April 2018 ausgeführt, dass eine BK 4302 nicht wahrscheinlich sei, wenn den Ausführungen des Technischen Aufsichtsdienstes
gefolgt und angenommen werde, dass ab Mitte der achtziger Jahre keine inhalative belastende Tätigkeit mit Schweißrauchen bestanden
habe. Lege man die Ausführungen des Klägers während der vorgenommenen Untersuchung zugrunde, so sei von einer belastenden
Tätigkeit bis 2007 auszugehen. Der Sachverständige hat daher eine Nachermittlung angeregt.
Der Technische Aufsichtsdienst (Dr. R1) hat in seiner Stellungnahme vom 12. Februar 2019 erklärt, dass im Rahmen der Nachermittlungen
sowie der Einvernahme der vom Kläger benannten ehemaligen Arbeitskollegen, des Niederlassungsleiters und des Bauleiters (Zeugen
K2, M., Z., R. und A.) die vom Kläger angegebene Tätigkeitsbeschreibung, er habe von 1999 bis 2007 überwiegend in engen Räumen,
an Rohrleitungssystemen und Behältern geschweißt, nicht bestätigt werden könne. Die Zeugen hätten ausgesagt, dass der Kläger
nur gelegentlich Schweißarbeiten in engen, unzureichend belüfteten Räumen ausgeführt habe. Regelmäßig hohe Schweißrauchexpositionen
hätten nicht vorgelegen. Der Anteil an der täglichen Arbeitszeit sei nicht höher als 20 % gewesen. In einer weiteren ergänzenden
Stellungnahme vom 1. November 2019 hat der Sachverständige Dr. S3 noch einmal darauf hingewiesen, dass eine Berufskrankheit
nach der Ziffer 4302 nur dann angenommen werden könne, wenn eine jahrelange Tätigkeit als Lichtbogenhandschweißer unter ungünstigen
lüftungstechnischen Bedingungen ausgeübt, bzw. umhüllte fluoridhaltige Stabelektronen verwendet worden seien, bzw. langjährige
ausschließliche Tätigkeit als Schutzgasschweißer an reflektierenden Materialien mit erhöhter Ozonkonzentration habe nachgewiesen
werden können.
Mit Gerichtsbescheid vom 10. März 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Eine BK 4302 liege nicht vor. Zwar seien
die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt, denn der Kläger habe zumindest bis Mitte der achtziger Jahre eine im Sinne
der BK 4302 gefährdende Tätigkeit ausgeübt. Auch liegen nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. S2 und Dr. S3 grundsätzlich
die Voraussetzungen in medizinischer Hinsicht vor, denn bei dem Kläger bestehe eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung
COPD I nach GOLD sowie eine bronchiale Hyperreagibilität leichtgradigen Ausmaßes. Die notwendige Kausalität zwischen der gefährdenden
Tätigkeit und der Erkrankung sei jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben. Im Streitfall spreche insbesondere
gegen die Annahme einer beruflich verursachten obstruktiven Atemwegserkrankung bei dem Kläger, dass nach den plausiblen und
sorgfältig durchgeführten Nachermittlungen durch den Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten der Kläger lediglich bis in
die Mitte der achtziger Jahre gefährdend im Sinne der BK 4302 tätig gewesen und hohen Schweißrauchexpositionen danach nicht
mehr ausgeliefert gewesen sei. Gegenteilige schlüssige Zeugenaussagen lägen zugunsten eines möglichen Anspruchs des Klägers
nicht vor. Ausgehend von einer länger zurückliegenden Expositionszeit sei es nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen,
u.a. dargelegt durch Dr. S3 in seinem Gutachten vom 4. April 2018 sowie in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme
vom 1. November 2019, ausgeschlossen, dass die erstmals 2003 aufgetretene und ab 2007 behandlungsbedürftige Atemwegserkrankung
des Klägers noch auf seine über 15 Jahre zurückliegende Tätigkeit zurückgeführt werden könne. Ein für diese Erkrankung erforderlicher
zeitlicher Zusammenhang sei nicht anzunehmen.
Der Kläger hat gegen den seiner Prozessbevollmächtigten am 21. März 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 17. April 2020 Berufung
eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die von ihm zum Beweis der von ihm ausgeübten schädigenden Tätigkeit benannten Zeugen
seinen nicht vom Gericht, sondern von der beklagten Partei selbst und auch nur telefonisch vernommen worden. Schriftliche
Zeugenaussagen liegen nicht vor und es sei ihm nicht möglich gewesen, selbst Fragen an die Zeugen zu stellen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 10. März 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 25. April 2017 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 17. August 2017 aufzuheben und festzustellen, dass er an einer Berufskrankheit nach der Ziffer
4302 der Anlage 1 der
Berufskrankheitenverordnung leidet.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen R. und A ... Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30. September 2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) erweist sich als begründet. Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§
54 Abs.
1 in Verbindung mit §
55 Abs.
1 Nr.
3 SGG) zu Unrecht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der
Kläger hat Anspruch auf Feststellung des Vorliegens einer BK 4302. Der Vorsitzende konnte zusammen mit den ehrenamtlichen
Richtern an Stelle des Senats entscheiden, da das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden
hat und der Senat ihm durch Beschluss vom 30. Juni 2020 die Berufung übertragen hat (§
153 Abs.
5 SGG).
1. Nach §
9 Abs.
1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet
und die ein Versicherter bei einer in den §§
2,
3 und
6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleidet. Nach §
1 der
BKV sind Berufskrankheiten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten (sogenanntes Listenprinzip). Für die Feststellung einer
Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen
von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine
Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende
Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte
Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge
genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 11/14 R, juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen,
die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von
der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann
der entsprechende Anspruch entfällt.
2. Die hier umstrittene BK hat der Verordnungsgeber in der Anlage zur
BKV wie folgt bezeichnet:
"Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung
aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können" (BK 4302).
Unter Würdigung der vorliegenden Behandlungsberichte über den Kläger und der während des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen
Verfahrens eingeholten Gutachten steht fest, dass bei dem Kläger eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne einer
COPD vollbeweislich gesichert vorliegt. Beispielhaft ist insoweit nur auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. S2 zu
verweisen, der in seinem pneumologischen Fachgutachten vom 18. Oktober 2016 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger eine
Atemwegserkrankung vorliegt, die mit einer Einschränkung des FEV1-Wertes unter 80%, teilweiser Einschränkung des Spitzenflusses,
einem reduzierten Tiffeneauquotienten und einer erhöhten spezifischen Resistance über mehrere Untersuchungsbefunde eine chronische
Befundkonstellation aufweist. Diese Atemwegserkrankung sei seit 2003 klinisch auffällig und seit 2008 dokumentiert. Im Anschluss
daran kommt auch der Sachverständige Dr. S3 in seinem überzeugenden Gutachten vom 4. April 2018 zu dem Ergebnis, dass der
Kläger "zweifelsfrei" an einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung COPD I nach GOLD 2006 leidet.
Diese Erkrankung ist auch mit der zu fordernden hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch berufsbedingte Einwirkungen im Sinne
der BK 4302 verursacht worden. Der Kläger hat als gewerblicher Mitarbeiter bei der W. GmbH eine versicherte Tätigkeit im Zuständigkeitsbereich
der Beklagten verrichtet. Während der Beschäftigungszeit bei diesem Unternehmen (1972 bis 2007) war er als Lichtbogenhandschweißer
auch einer sehr hohen Exposition gegenüber Schweißrauchen ausgesetzt. Schweißrauche bestehen nach der Stellungnahme der Beklagten
vom 1. August 2016 zur Arbeitsplatzexposition des Klägers aus Eisenoxyd, Siliciumdioxid, Kaliumoxid, Manganoxid, Natiumoxid,
Titanoxid und Aluminiumoxid. Der Kläger war damit chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen im Sinne der BK 4302 ausgesetzt
gewesen.
Diese Einwirkungen haben auch die Krankheit verursacht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber bei der BK
4302 hinsichtlich der erforderlichen Einwirkungen von chemisch-irritativen oder toxischen Stoffen gerade keinen Schwellenwert
festgeschrieben hat, der Voraussetzung für eine Anerkennung der BK 4302 ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R, BSGE 123, 24 zur BK 1103). Die Anerkennung dieser BK ist damit nicht davon abhängig, dass ein bestimmter Grenzwert erreicht wird. Die
erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit zwischen Exposition und Erkrankung ist hier gegeben, weil ein plausibler zeitlicher
Zusammenhang zwischen der Exposition und dem Beginn sowie dem Verlauf der Erkrankung festgestellt werden kann. Zudem bestehen
keine Anhaltspunkte für eine alternative (innere oder äußere) Ursache für die Erkrankung, insbesondere hat der Kläger nie
geraucht.
Die Beweisaufnahme hat die auf die ursprünglichen Ausführungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten gestützte Annahme
des Sozialgerichts, dass der Kläger seit Mitte der achtziger Jahre nicht mehr gefährdend im Sinne der BK 4302 tätig gewesen
ist, nicht bestätigt, sondern widerlegt. Der Zeuge R. hat ausgesagt, dass er den Kläger über einen Zeitraum von 20 Jahren
hinweg immer dann gesehen habe, wenn er (der Zeuge) nicht auf auswärtigen Baustellen, sondern in seinem Büro in H1 gewesen
sei. Der Kläger sei als Schlosser auch mit Schweißarbeiten beschäftigt gewesen; deren Anteil an der Gesamtarbeitszeit schätze
er auf 50% bzw. drei bis vier Stunden täglich. Der Kläger habe auch als Vorarbeiter geschweißt, bei so kleinen Arbeitsgruppen
"rechne" sich das sonst nicht. Während Montagearbeiten sei überwiegend im Freien gearbeitet worden, aber auch in Tanks und
engen Räumen.
Der Zeuge A. hat ausgesagt, dass er mit dem Kläger von 1982 bis etwa 2003/2004 zusammengearbeitet habe. Man habe sowohl in
der Werkstatt in H1 als auch in etwa gleichem Umfang auf Montage gearbeitet. Der Kläger habe als Schlosser und Schweißer gearbeitet
und sei später als Vorarbeiter Ansprechpartner auf den Baustellen gewesen. Der Kläger habe aber wie alle anderen Arbeitnehmer
auch "mitangefasst". Der Anteil der Schweißarbeiten sei unterschiedlich gewesen, es habe Tage gegeben, an denen acht bis zehn
Stunden geschweißt worden sei. Insgesamt hätten sich die Schweißarbeiten mit den übrigen Arbeiten die Waage gehalten.
Das Gericht folgt diesen nachvollziehbaren und glaubhaften Aussagen der Zeugen. Diese hatten eine gute Erinnerung an die damaligen
Verhältnisse und das Arbeitsumfeld des Klägers. Sie machten beide einen ausgesprochen glaubwürdigen Eindruck und sind ohne
eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Zudem decken sich ihre Angaben miteinander und weitgehend auch mit den Ausführungen
des Klägers selbst. Dieser bekundete - persönlich gehört -, er habe bis etwa 2005 in der Werkstatt in H1 gearbeitet. Es habe
sich um eine kleine Halle mit einem Ausmaß von etwa zwölf mal sieben Metern gehandelt, in der sechs bis zehn Mitarbeiter beschäftigt
gewesen seien. Der Kläger schätzte den Anteil seiner Schweißertätigkeit auf 80% ein. Dabei sei es auch geblieben, nachdem
er Vorarbeiter geworden sei. Während der Montagetätigkeiten, meistens auf Raffinerien, seien ähnliche Arbeiten verrichtet
worden.
Danach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger nicht nur bis Mitte der achtziger Jahre mit Schweißarbeiten
beschäftigt war, sondern diese bis fast zum Ende seiner Berufstätigkeit (2007), nämlich bis 2003/2004, tatsächlich noch durchgeführt
hat. Der auch nach den einschlägigen Merkblättern der Gesundheitsbehörden (vgl. z.B. Bek. des BMA vom 10. Juli 1979 im Bundesarbeitsblatt
7/8/1979, S. 74; Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nummern 1315, 4301 und 4302 - Reichenhaller Empfehlung
- der DGUV von November 2012 unter Ziff. 3.2.1, S. 33) notwendige zeitliche Zusammenhang zwischen Exposition und Krankheitsbeginn
ist daher im Streitfall gegeben. Der Umfang der von dem Kläger erledigten Schweißarbeiten war auch so hoch, dass bei ihm nicht
von einem sogen. "Gelegenheitsschweißer" ausgegangen werden kann. Selbst wenn der von dem Kläger selbst mit 80% angegebene
Anteil zu hoch gegriffen sein dürfte, steht nach der Beweisaufnahme doch fest, dass der Kläger etwa während der Hälfte der
täglichen Arbeitszeit geschweißt hat und Schweißarbeiten nicht nur gelegentlich vorgekommen und nur gelegentlich von dem Kläger
erledigt worden sind. Das Gericht geht weiter davon aus, dass der Kläger bei seinen beruflichen Tätigkeiten als Schweißer
bei der W. GmbH in der Zeit von 1972 bis 2003/2004 in erheblichem Maße einer Exposition durch Schweißrauch ausgesetzt war,
so dass sich daraus für ihn in deutlich erhöhtem Maße die Gefahr einer obstruktiven Atemwegserkrankung ergab. Der Kläger hat
jahrelang unter ungünstigen lüftungstechnischen Bedingungen, nämlich in einem abgegrenzten Bereich einer kleinen, nur etwa
100m² großen Halle und auch in Containern als Lichtbogenhandschweißer gearbeitet. Das Gericht verkennt nicht, dass nach den
Zeugenaussagen bei Montagearbeiten vielfach auch im Freien geschweißt wurde. Das ändert aber nichts daran, dass der Kläger
viele Jahre auch unter ungünstigen Bedingungen Schweißarbeiten als Lichtbogenhandschweißer verrichtet hat. Die Voraussetzungen,
wonach bei einer nachgewiesenen obstruktiven Atemwegserkrankung bei Schweißern eine Berufskrankheit angenommen werden kann,
sind daher erfüllt. Der Sachverständige Dr. S3 hat dies in seinem überzeugenden Gutachten vom 4. April 2018 dargelegt. Eine
abschließende Festlegung im Streitfall hat er nur deshalb nicht vornehmen können, da er wegen eines abweichenden Berichts
des Beratungsarztes der Beklagten den Expositionszeitraum für noch nicht abschließend geklärt hielt.
Das Gericht folgt der letzten Stellungnahme des Technische Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 12. Februar 2019 nicht. Dieser
hat das Ergebnis seiner nur telefonisch durchgeführten Zeugenbefragung einseitig zu Lasten des Klägers bewertet. So hat er
unter anderem ausgeführt, der Kläger habe als Schlosser Werkstücke durch Heften oder kurze Schweißnähte zusammengefügt. Für
umfangreiche Schweißarbeiten hätten Schweißer zur Verfügung gestanden, die auch über die notwendigen Schweißprüfungen verfügt
hätten. Es sollte offenbar der Eindruck erweckt werden, der Kläger hätte sicherheitsrelevante Anlagenteile gar nicht bearbeiten
dürfen. Tatsächlich hat der Kläger in der Berufungsverhandlung mehrere Prüfbescheinigungen des Deutschen Verbandes für Schweißtechnik
e.V. vorgelegt, unter anderem auch eine Bescheinigung über die bestandene Prüfung zum Lichtbogenschweißer aus dem Jahr 1972.
Aufgrund seiner - jetzt durch die Beweisaufnahme widerlegten - Annahme eines nur 20%-Anteils von Schweißarbeiten an der täglichen
Arbeitszeit geht der Technische Aufsichtsdienst (Dr. R1) davon aus, dass für den Kläger pro Schicht nur eine Schweißrauchexposition
von 3 - 4 mg/m³ bestanden habe. In seiner Stellungnahme vom 1. August 2019 ist Dr. R1 dagegen noch von einer Belastung von
100 mg/m³ ausgegangen. Das Gericht geht von einer deutlichen höheren Belastung als dem zuerst genannten Wert aus, wobei der
genaue Wert aber offen bleiben kann, da der Verordnungsgeber gerade keinen bestimmten Schwellenwert vorausgesetzt hat.
Die für die Feststellung der Berufskrankheit Nr. 4302 bestehende Voraussetzung, dass die obstruktive Atemwegserkrankung zur
Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können, lag spätestens seit 2003/2004 vor. Dass der Kläger zu dieser Zeit auch wegen der Schließung
der Werkstatt in H1 und im Jahre 2007 auch wegen Erreichen der Altersgrenze die schädigende Tätigkeit unterließ, ist unschädlich,
da es auf den - hier gegebenen - objektiv bestehenden Zwang ankommt (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1981 - 2 RU 65,80, BSGE 55, 17).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG).