Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" (Gehörlosigkeit).
Bei dem am xxxxx 1964 geborenen Kläger wurde mit Neufeststellungsbescheid vom 5. Juli 2017 ein Grad der Behinderung (GdB)
von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" festgestellt. Hierbei berücksichtigte
die Beklagte eine Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche mit einem Teil-GdB von 70 sowie eine psychische Störung mit einem Teil-GdB
von 30.
Mit Schreiben vom 13 Juli.2017 beantragte der Kläger außerdem die Feststellung des Merkzeichens "Gl". Zur Begründung führte
er aus, dass er durch seinen beidseitigen Hörverlust im Alltag sehr eingeschränkt sei, so dass eine Teilhabe am sozialen Miteinander
nicht mehr möglich sei. Trotz beidseitiger Versorgung mit Hörgeräten sei sein Sprachverstehen so schlecht, dass er, wenn Hintergrundgeräusche
die Akustik störten, normale Kommunikation nicht verstehe, sondern nur noch als Geräusche wahrnehme.
Die Beklagte lehnte die Feststellung des Merkzeichens "Gl" mit Bescheid vom 18. Juli 2017 ab. Zur Begründung führte sie aus,
dass der Bescheid vom 5. Juli 2017 weder nach § 44 SGB X abzuändern sei noch eine Neufeststellung gem. § 48 SGB X zu treffen sei.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25. Juli 2017 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass er nicht die Feststellung
eines höheren Grades der Behinderung, sondern nur die Feststellung des Merkzeichens "Gl" begehre. Hierzu vertrat er die Ansicht,
dass auch schwerbehinderte Menschen mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit wie er einen Anspruch auf die Feststellung
des Merkzeichens hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Dies begründete sie damit,
dass weder ein höherer GdB nachgewiesen sei noch die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" vorlägen. Gehörlos im Sinne
des §
145 Abs.
1 SGB IX seien nach § 2 VersMedV nur Hörbehinderte, bei denen eine beidseitige Taubheit vorliege oder Hörbehinderte mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit
beidseits, bei denen außerdem noch schwere Sprachstörungen vorlägen. Beim Kläger sei zwar eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit
nachgewiesen, aber keine schwere Sprachstörung.
Der Kläger hat am 21. August 2017 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Er hat argumentiert, dass die angefochtene
Entscheidung diskriminierend sei und ihn benachteilige, da auch hörbeeinträchtigte Menschen mit einem an Taubheit grenzenden
Hörverlust in ihrer Mobilität und Kommunikation erheblich eingeschränkt seien. So leide er aufgrund der vielen Einschränkungen
und der dadurch bedingten sozialen Isolierung unter massiven Depressionen, Angstzuständen und Panikattacken. Der Verlust an
Lebensqualität bei Menschen, die spät an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit erkrankt seien, sei daher unabhängig
vom Vorliegen einer Sprachstörung ebenso schwer zu bewerten wie eine seit der Geburt vorliegende oder frühkindliche Taubheit.
Das Sozialgericht hat nach Anhörung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2018 abgewiesen. Die Voraussetzungen für
das Merkzeichen "Gl" seien nicht gegeben. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 der Schwerbehinderten- Ausweisverordnung (SchwbAwV) sei das Merkzeichen "Gl" in dem Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch gehörlos im Sinne
des § 228 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch (
SGB IX) sei. Die weiteren Voraussetzungen folgen aus der gemäß § 241 Abs. 5
SGB IX anwendbaren Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersmedV). Nach Teil B Nr. 4 VersmedV gelten als gehörlos nicht nur Schwerbehinderte, bei denen eine Taubheit beiderseits
vorliegt, sondern auch diejenigen, bei denen eine an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit vorliegt, wenn daneben schwere Sprachstörungen
vorliegen. Das seien in der Regel Hörbehinderte, bei denen die an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit angeboren, oder in der
Kindheit erworben wurde.
Diese Voraussetzungen würden beim Kläger unstreitig nicht vorliegen. Soweit er hierzu vortrage, dass eine aus seiner Sicht
ebenso gravierende Beeinträchtigung gegeben sei, führe dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn die Gleichstellung von
Hörbehinderten mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit mit denjenigen, die bereits taub sind, hänge nicht davon ab, ob
die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit früh oder spät erworben worden sei. Voraussetzung für die Gleichstellung sei vielmehr
das Vorliegen schwerer Sprachstörungen, die im Regelfall - aber nicht zwangsläufig - vorliegen dürften, wenn die an Taubheit
grenzender Schwerhörigkeit angeboren oder in der Kindheit erworben worden sei. Deshalb komme eine Gleichstellung von Personen
mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit mit den Gehörlosen nach der eindeutigen Regelung der VersmedV nicht in Betracht.
Es sei auch nicht von einer Diskriminierung oder Ungleichbehandlung von Personen mit früh oder spät erworben oder an Taubheit
grenzender Schwerhörigkeit ersichtlich, da das Unterscheidungskriterium nicht die Frage sei, wann die Behinderung eingetreten
sei, sondern ob eine die Kommunikation zusätzlich zu der Behinderung beeinträchtigende schwere Sprachstörungen vorliege, die
eine Gleichstellung rechtfertige, oder nicht.
Der Kläger hat am 13. Februar 2018 gegen den am 7. Februar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg Berufung
eingelegt und kritisiert, dass die schwereren Folgeerkrankungen einer spät an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit keine Beachtung
gefunden hätten. Schwere Sprachstörungen seien bei ihm tatsächlich nicht gegeben, allerdings seien die gravierenden Folgen
seiner an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die im Gerichtsbescheid angeführten
Sprachstörungen würden seiner Ansicht nach überbewertet und es ergebe sich auch eine schwere Benachteiligung derer, die später
an Taubheit/Schwerhörigkeit erkrankt seien. Eine Hörbehinderung mit schweren Sprachstörungen werde zu Unrecht höher bewertet
als eine spät eingetretene Hörbehinderung. Denn in diesem Fall verliere der behinderte Mensch einen Großteil seiner bisherigen
Lebensqualität. Das gelte für lieb gewonnenen Gewohnheiten, Hobbys, Freundeskreis und das frühere soziale Umfeld. Beide Beeinträchtigungen
sollten gleichermaßen Berücksichtigung finden.
Der Kläger beantragt sinngemäß nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Januar 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2017 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der gesundheitlichen
Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen des Sozialgerichts Hamburg im Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2018.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2018 ist die Berufung gegen den Gerichtsbescheid dem Berichterstatter übertragen wurden, der zusammen
mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet (§
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)). Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §
124 Abs.
2 SGG erteilt.
Die Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§
124 Abs.
2 SGG)
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Berufung des Klägers
hat keine Aussicht auf Erfolg.
Das Sozialgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat es rechtmäßig mit Bescheid
vom 18. Juli 2017 und Widerspruchsbescheid vom 16. August 2017 abgelehnt, die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Gl" festzustellen.
Hierauf besteht kein Anspruch, weil die unter Teil D Nr. 4 VersmedV aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Denn
der Kläger ist nicht gehörlos und leidet unstreitig nicht an Sprachstörungen. Der Senat verweist zur weiteren Begründung auf
das Urteil vom 31. Januar 2018 (§
153 Abs.
3 SGG). Das Sozialgericht hat sich mit den Argumenten des Klägers auseinandergesetzt und mit zutreffenden Erwägungen dargelegt,
dass ein Anspruch nicht besteht. Ergänzend ist anzumerken, dass Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung nunmehr § 228 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch (
SGB IX) in Verbindung mit §
152 Abs.
1,
3,
4 und
5 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen
mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BGBl I 2016, 3234) ist. Die Neuregelung entspricht ihrem Inhalt der in der erstinstanzlichen Entscheidungen dargestellten Vorgängerregelung.
Die Einwände im Berufungsverfahren führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass
die Situation behinderter Menschen, die erst spät unter an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit leiden, nicht ausreichend Beachtung
gefunden habe. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass nach den Vorgaben der VersmedV, die über § 241 Abs. 5
SGB IX Anwendung finden und bindend sind, das in Rede stehende Merkzeichen nur für Gehörlose vorgesehen ist und nur unter der weiteren
Voraussetzung zusätzlicher Sprachstörungen - egal zu welchem Zeitpunkt diese eingetreten sind - auch bei behinderten Menschen
mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit festgestellt werden kann. Nach den zu beachtenden Vorgaben kommt es im Zusammenhang
mit dem Merkzeichen "Gl" nicht darauf an, wie intensiv sich die Beeinträchtigung durch die schwere Hörbehinderung darstellt.
Soweit der Kläger hierin eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung oder Ungleichbehandlung erblickt, kann dem nicht gefolgt
werden. Das Merkzeichen "Gl" soll grundsätzlich bei Taubheit/Gehörlosigkeit festgestellt werden. Nur ausnahmsweise besteht
beim Vorliegen einer zusätzlichen Voraussetzung, nämlich einer schweren Sprachstörung, die hier unstreitig nicht gegeben ist,
ein Anspruch. Die Annahme des Verordnungsgebers, dass eine mit vollständiger Gehörlosigkeit vergleichbare Einschränkung erst
dann gegeben ist, wenn Hörbehinderte, bei denen eine an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit vorliegt, unter gravierenden Sprachstörungen
leiden, ist gerechtfertigt. Die vollständige Taubheit geht im Regelfall mit derartigen Sprachstörungen einher und führt zu
erheblichen Schwierigkeiten bei der Kommunikation und sozialen Interaktion. Auch wenn dies in einem bestimmten Ausmaß bei
an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit der Fall ist - die vom Kläger geschilderten Schwierigkeiten werden nicht in Abrede
gestellt - ist die Möglichkeit der Kommunikation nicht gänzlich und in allen Situationen eingeschränkt. Das gilt insbesondere
unter der Nutzung von Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich (Hörgeräten). Aufgrund des Resthörvermögens ist in bestimmten
Situationen eine Verständigung durchaus möglich. Dies ist auch beim Kläger der Fall. Zwar bestehen im Außenbereich bzw. auf
öffentlichen Plätzen sowie in Räumen mit schlechter Akustik erhebliche Schwierigkeiten, jedoch ist im Einzelgespräch wie sich
gerade auch aus dem Entlassungsbericht vom 26. April 2017 der Dr. Becker Burg-Klinik ergibt, in welcher der Kläger in der
Zeit vom 4. April 2017 des 13. April 2017 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme absolvierte, durchaus eine Verständigung
möglich gewesen. Zwar hat der Kläger die Rehabilitationsmaßnahme aufgrund der Schwierigkeiten, sich in Gruppen zu verständigen,
abgebrochen jedoch war im Einzelgespräch eine Verständigung mit den Ärzten und Therapeuten möglich. Bei zusätzlichen erheblichen
Sprachstörungen wäre auch eine solche Kommunikation im geschützten Rahmen nicht mehr möglich. Erst dann besteht eine mit vollständig
Gehörlosen vergleichbare Situation. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt deshalb nicht vor. Es ist nicht zu
beanstanden, wenn der Verordnungsgeber das Merkzeichen Gehörlosigkeit ("Gl") auf vollständige Taubheit beschränkt und nur
unter engen Voraussetzungen vorsieht. Soweit der Kläger auf die gravierenden und erheblichen Einschränkungen seiner Hörbehinderung
und hieraus folgenden psychiatrischen Erkrankungen verweist, wird dies bei der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB)
mit 80 und mit der Feststellung des Merkzeichens RF berücksichtigt. Der vom Kläger geforderte Nachteilsausgleich ist nach
den Vorgaben der VersmedV in zutreffender Weise von der Beklagten vorgenommen worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß §
160 SGG nicht vorliegen.