Anerkennung eines Wegeunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung; Abweg aufgrund einer akuten Unterzuckerung
Tatbestand:
Zwischen Klägerin und Beklagter besteht Streit darüber, ob der Unfall des Beigeladenen ein Arbeitsunfall war und wer demgemäß
die Kosten der Heilbehandlung zu tragen hat.
Der am xxxxx 1950 geborene Beigeladene, der insulinpflichtiger Diabetiker ist, verließ am 4. Dezember 2006 um 6.15 Uhr sein
Wohnhaus in S., um mit seinem Personenkraftwagen (Pkw) Opel Astra GTC, amtliches Kennzeichen X, in das Berufsfortbildungszentrum
in H. zu fahren, wo er an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme zu Lasten der Bundesagentur für Arbeit teilnehmen sollte.
Unterrichtsbeginn dort war um 07.30 Uhr. Gegen 7.10 Uhr verunglückte der Beigeladene auf der Bundesautobahn (BAB) A 9 bei
Kilometer 283,2 in Fahrtrichtung Süden, indem er ohne jegliche Fremdeinwirkung mit seinem Pkw von der Fahrbahn abkam und sich
hierbei multiple schwerste Verletzungen, u.a. ein schweres Schädelhirntrauma, zuzog. Durch Blutentnahme noch am Unfallort
wurde festgestellt, dass der Beigeladene zum Zeitpunkt des Unfalls an einer erheblichen Unterzuckerung mit einem Blutzuckerwert
von 18 mg/dl litt. Als Zeuge des unmittelbaren Unfallgeschehens gab der T.K. gegenüber der Polizei zu Protokoll, dass er von
dem Fahrzeug des Beigeladenen rechts auf der Abbiegespur zum Parkplatz S2 mit hoher Geschwindigkeit überholt wurde, das Fahrzeug
dann ungebremst mit dem rechten Vorderrad auf die Leitplanke geriet und hierdurch in die Luft geschleudert wurde. Im Vorbeifahren
habe er gesehen, dass der Mann am Steuer mit dem Rücken an den Fahrersitz angelehnt und der Kopf nach unten in Richtung Brust
gebeugt gewesen sei. Beim Aufsuchen des Aufprallortes habe er den angeschnallten Fahrer bewusstlos und mit schwachem Puls
vorgefunden. Die Ehefrau des Beigeladenen gab gegenüber der Polizei an, ihr Ehemann habe am Morgen des Unfalltages bereits
gefrühstückt gehabt, als sie aufgestanden sei. Er sei so gewesen "wie immer". Man habe noch eine Tasse Kaffee zusammen getrunken
und dann habe er sich auf den Weg zur Fortbildungsstätte gemacht.
Wegen der Verletzungsfolgen war und ist der Beigeladene nicht in der Lage, Angaben zum Unfallhergang zu machen. Für ihn ist
eine Betreuung durch seine Ehefrau eingerichtet.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2007 lehnte die Klägerin gegenüber dem Beigeladenen die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus
Anlass des Ereignisses vom 4. Dezember 2006 ab. Dieser haben keinen Arbeitsunfall im Sinne des §
8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (
SGB VII) erlitten. Als Teilnehmer an einer von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Weiterbildungsmaßnahme habe er zwar zum Kreis
der in der Gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen gehört. Auch seien nach §
8 Abs.
2 SGB VII Unfälle auf einem mit einer der in §§
2,
3 und
6 SGB VII genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit ebenfalls Arbeitsunfälle. Der Verletzte habe
sich jedoch zum Unfallzeitpunkt nicht auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zur Ausbildungsstätte befunden, sondern
sei über die Anschlussstelle H.-Ost, wo er die BAB 93 hätte verlassen müssen, hinaus auf die BAB 72 in Richtung Westen und
schließlich von dort aus auf die BAB 9 in Richtung Süden bis zum 45 Kilometer von der Abfahrt H.-Ost entfernten Unfallort
gefahren. Damit habe er sich auf einem so genannten Abweg befunden. Unfälle auf Abwegen seien nicht versichert.
Unter dem 29. Juni 2006 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten unter Hinweis auf den Bescheid vom 28. Juni 2006 einen
Erstattungsanspruch wegen der verauslagten Krankenbehandlungskosten geltend und beendete die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung.
Zur Begründung des für den Beigeladenen gegen den Bescheid vom 28. Juni 2006 erhobenen Widerspruchs wurde vortragen, dieser
habe aufgrund beginnender Unterzuckerung nur noch versucht, das Auto auf der Straße zu halten, sei orientierungslos gewesen
und habe sich verirrt. Es habe sich deshalb um einen versicherten Abweg gehandelt, weil dieser im Zusammenhang mit der versicherten
Tätigkeit gestanden habe. Unter dem 27. August 2007 nahmen die Bevollmächtigten des Klägers den Widerspruch zurück.
Die Beklagte lehnte es mit Schreiben vom 3. September 2007 ab, Kosten zu erstatten und trug vor, der Versicherte habe einen
Arbeitsunfall erlitten, weil er während einer Dienstfahrt einen Unterzuckerungsschock erlitten habe und deshalb die Betriebsweise
des Beförderungsmittels als eine wesentliche Mitursache bei der Entstehung des Unfalls zu werten sei. Mit weiterem Schreiben
vom 13. September 2007 wies die Beklagte noch darauf hin, dass ein Arbeitsunfall auch deshalb vorliege, weil der Beigeladene
aufgrund seines Zuckerschocks vom Wege abgekommen sei und völlig die Orientierung verloren habe.
Daraufhin hat die Klägerin bei dem für sie mit Blick auf ihren Sitz zuständigen Sozialgericht Hamburg die vorliegende Klage
erhoben, welcher die Beklagte mit der Erwägung entgegengetreten ist, der Beigeladene habe in seinem Zustand gar keine bewusste
Entscheidung zum Verlassen des versicherten Weges mehr treffen können. Bei dieser Sachlage müsse die Klägerin beweisen, dass
der Beigeladene den versicherten Weg bewusst verlassen habe. Dem ist wiederum die Klägerin entgegengetreten und hat vorgetragen,
dass auch für die Wegeabweichung allein in der Person des Beigeladenen liegende Umstände ursächlich seien. Demnach sei er
aufgrund innerer Ursache auf einen Abweg geraten und habe sich so von der versicherten Tätigkeit gelöst.
Das Sozialgericht hat von der Ehefrau des Beigeladenen die Blutzuckerprotokolle, u.a. für den Unfalltag, vorlegen lassen.
Die Klägerin hat hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. S. vom 11. August 2011
vorgelegt, der darauf hingewiesen hat, dass zwar in dem vorgelegten Blutzuckerprotokoll des Beigeladenen für den Morgen des
Unfalltages ein Wert von 48 mg/dl angegeben sei, jedoch Angaben zur Nahrungszufuhr und zur Insulindosis fehlten, weswegen
weitere Aussagen nicht getroffen werden könnten. Jedoch sei davon auszugehen, dass der Verletzte mit einem gut eingestellten
Blutzuckerwert die Autofahrt begonnen hat, zumal er als langjähriger Diabetiker mit der Blutzuckereinstellung erfahren gewesen
sei. So habe die Ehefrau des Beigeladenen auch berichtet, dass ihr an diesem Morgen nichts Ungewöhnliches aufgefallen sei.
Der Beratungsarzt hielt es nach allem für ganz ungewöhnlich, wenn es bis zum Erreichen der Anschlussstelle H.-Ost, also innerhalb
der nächsten halben Stunde, zu einer Entgleisung des Blutzuckers gekommen wäre.
Das Sozialgericht hat den Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin Dr. S1 im Erörterungstermin am 23. September 2011
zu den Umständen der Unterzuckerung des Beigeladenen befragt. Dr. S1 hat ausgeführt, ab einem Blutzuckerwert von 40 mg/dl
könne es zu Bewusstseinsveränderungen bzw. apathischen Reaktionen kommen. Jedoch lasse sich aufgrund des für den Unfallzeitpunkt
ermittelten Blutzuckerwertes von 18 mg/dl keine Rückrechnung vornehmen, wann ein solcher Zustand bei dem Verletzten erreicht
wurde. Auch die vorgelegten Blutzuckerprotokolle gäben keinen weiteren Aufschluss. In der Gesamtschau - auch der aktenkundigen
Zeugenaussagen - sei davon auszugehen, dass der Beigeladene nicht mehr Herr seiner Sinne war, als er auf die BAB 72 auffuhr.
Durch an Verkündung Statt der Klägerin am 2. Dezember 2011 zugestelltes Urteil vom 18. November 2011 hat das Sozialgericht
die Klage abgewiesen. Der Beigeladene habe sich nicht auf einem unversicherten Abweg befunden, als er am 4. Dezember 2006
verunglückte. Vielmehr sei in Würdigung der Gesamtumstände festzustellen, dass er bereits im Zeitpunkt des Verlassens des
direkten Weges eine erhebliche Unterzuckerung aufwies, die dazu geführt habe, dass er keinen eigenen Willen für eine eigenwirtschaftliche
Tätigkeit mehr entwickeln konnte. Dies folge aus dem Inhalt der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte und hier namentlich aus
den dort festgehaltenen Zeugenaussagen, insbesondere derjenigen des Zeugen W., aus denen Dr. S1 entnommen habe, dass der Beigeladene
für eine Unterzuckerung typische Verhaltensweisen gezeigt habe. Demgegenüber sei die rein finale Betrachtungsweise der Klägerin,
wonach sich der Beigeladene zum Unfallzeitpunkt auf einem Abweg befunden habe, nicht angebracht. Abzustellen sei vielmehr
auf den Zeitpunkt des Verlassens des versicherten Weges. Überdies trage die Klägerin die Beweislast dafür, dass kein Arbeitsunfall
vorgelegen hat. Diese Feststellung aber lasse sich nach allem nicht treffen. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 19. Dezember 2011 Berufung eingelegt. Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, es sei zwar unbestritten,
dass der Beigeladene zum Unfallzeitpunkt Teilnehmer einer Weiterbildungsmaßnahme und damit Lernender im Sinne des §
2 Abs.
1 Nr.
2 SGB VII gewesen sei, jedoch habe er den Unfall nicht aufgrund versicherter Tätigkeit erlitten. Vielmehr habe er sich zum Unfallzeitpunkt
auf einem Abweg befunden und sich so von der grundsätzlich versicherten Tätigkeit - dem Zurücklegen des Weges - gelöst. Immerhin
betrage die Entfernung zwischen der Ausfahrt H.-Ost, wo der Beigeladene die Autobahn zum Erreichen des Bildungszentrums hätte
verlassen müssen, bis zur Unfallstelle fast 50 Kilometer. Es sei auch unrealistisch, wenn das Sozialgericht meine, dass der
Beigeladene bereits vor Passieren der Abzweigung H.-Ost, als er sich noch auf seinem unmittelbaren Weg befand, nicht mehr
"Herr seiner Sinne" gewesen, aber dennoch in der Lage gewesen ist, sein Fahrzeug über 50 Kilometer hinweg mit zum Teil sehr
hoher Geschwindigkeit und mehrfachem Spurwechsel auf drei verschiedenen Autobahnen und im morgendlichen Berufsverkehr bei
winterlicher Dunkelheit verkehrssicher zu lenken. Wie Dr. S. in seiner Stellungnahme ausgeführt habe, wäre eine Entgleisung
der Blutzuckersituation bis hin zu einer bewusstseinseinschränkenden Hypoglykämie innerhalb der halben Stunde zwischen dem
Verlassen der Häuslichkeit und dem Erreichen der Anschlussstelle H.-Ost ungewöhnlich. Was die Ausführungen des Sozialgerichts
zur Beweislastverteilung angehe, so gälten diese nur, wenn der Versicherte im Unfallzeitpunkt noch bei versicherter Tätigkeit
war und die Handlungstendenz zu ermitteln ist. Soweit sich das Sozialgericht auf die Aussagen des Zeugen W. stütze, lasse
sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, also im Vollbeweis, die Feststellung treffen, dass der Beigeladene
bereits zum Zeitpunkt des Passierens der versicherten Abzweigung zum Berufsfortbildungszentrum H. einer Bewusstseinsstörung
unterlegen habe, welche seinen auf die Fahrt zur Bildungsstätte gerichteten Willen ausgeschlossen oder wesentlich beeinträchtigt
habe. Die Beschreibung, welche der Zeuge von dem Fahrzeuglenker gegeben habe, passe nicht auf den Beigeladenen, welcher zum
Unfallzeitpunkt bereits 55 Jahre alt gewesen sei. Die Beobachtungen der weiteren Zeugen seien erst einige Kilometer weiter
gemacht worden und deshalb nicht geeignet, eine Bewusstseinsstörung bereits zum Zeitpunkt des Passierens der Abzweigstelle
zum Berufsfortbildungszentrum H. zu beweisen. Auch frische Streifspuren seien ebenfalls erst auf den letzten Kilometern vor
dem Unfall sichergestellt worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die anlässlich
des Unfalls des Beigeladenen entstandenen Aufwendungen nach Maßgabe der für die Beklagte geltenden Vorschriften zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte tritt diesem Vorbringen unter Berufung auf die ergangene Entscheidung entgegen. Anhaltspunkte, welche ergäben,
dass das Ziel der Fahrt nicht mehr das Fortbildungszentrum gewesen sei, lägen nicht vor. Es komme doch darauf an, dass die
Wahl der weiteren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärlichen Sicht des Versicherten noch dem Zurücklegen
des Weges nach dem Ort der Tätigkeit zuzurechnen sei. Dies werde etwa auch dann bejaht, wenn ein Versicherter sich verfahren
habe. Mit Blick auf die erforderliche Feststellung der Handlungstendenz gebe es hier auch keine Hinweise darauf, dass diese
persönlichen Zwecken gedient habe.
Für den Beigeladenen hat sich niemand geäußert.
Das Berufungsgericht hat den U.W. als Zeugen zu den näheren Umständen des Unfallereignisses am 4. Dezember 2006 vernommen.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts
und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die ausweislich dieser Niederschrift zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) ist begründet. Nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§
128 Abs.
1 Satz 1
SGG) gewonnenen Überzeugung des Senats geschah der Unfall des Beigeladenen nicht bei versicherter Tätigkeit, so dass die Klägerin
als unzuständiger Leistungsträger im Sinne des § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) geleistet hat, als sie dem Beigeladenen berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung bis zum 29. Juni 2007 angedeihen ließ.
Dementsprechend ist die Beklagte zum Ersatz der Aufwendungen verpflichtet und (nach § 105 Abs. 2 SGB X beschränkt auf einen Betrag, der den für sie geltenden Vorschriften entspricht) zur Erstattung der Kosten zu verurteilen.
Arbeitsunfälle sind nach §
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII besteht Versicherungsschutz in der Gesetzlichen Unfallversicherung nicht nur während der eigentlich versicherten Tätigkeit,
sondern es gilt darüber hinaus in Ansehung der Worte "sind auch" als versicherte Tätigkeit in gleicher Weise das Zurücklegen
des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges von und nach dem Ort der Tätigkeit.
Auf einem solchermaßen versicherten Weg ist der Beigeladene nicht verunfallt, als er am Morgen des 4. Dezember 2006 mit seinem
Pkw von der Straße abkam und sich hierbei schwerste Verletzungen zuzog. Er hat keinen Arbeits- (Wege-) Unfall erlitten.
Allerdings schließt nicht bereits der Umstand, dass der Beigeladene zum Unfallzeitpunkt sein Fahrzeug krankheitsbedingt nicht
mehr lenken konnte, die Annahme eines Arbeitsunfalls unter allen Umständen aus. Zwar litt er zu jenem Zeitpunkt bei einem
Blutzuckerwert von lediglich noch 18 mg/dl unter einem hypoglykämischen Schock und demzufolge sowie auch ausweislich der Angaben
des Zeugen K. gegenüber der Polizei unter Bewusstlosigkeit, so dass der Unfall seine (innere) Ursache hierin findet. Gleichwohl
kann die ursächliche Verknüpfung zur versicherten Tätigkeit (Unfallkausalität) nicht bereits deswegen verneint werden. Denn
der Beigeladene hätte diesen Unfall nicht erlitten, wenn er sich nicht an diesem Morgen mit dem Pkw auf den grundsätzlich
versicherten Weg zu seiner Fortbildungsstätte gemacht hätte. Auch handelte es sich lediglich um eine vorübergehende Gesundheitsstörung,
die für sich betrachtet nicht so schwerwiegend war, dass sie zum Tode geführt hätte. Die danach (vgl. Bundessozialgericht
(BSG), Urt. vom 18.04.2000 - B 2 U 7/99 R, Rn. 27) vorzunehmende Abwägung der besonderen Wegegefahr mit der inneren Ursache Krankheit ergibt, dass die besondere Wegegefahr
eine der Unterzuckerung zumindest gleichwertige Ursache ist und deshalb als im Sinne des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung
wesentliche Ursache angesehen werden kann.
Letztlich bedarf es einer Entscheidung dieser Frage aber nicht. Denn der Beigeladene befand sich schon nicht auf einem nach
§
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII versicherten Weg zu seiner Fortbildungsstätte, als er verunfallte. Dies ergibt bereits die geographische Betrachtung des
Unfallortes im Verhältnis zum Sitz des Berufsfortbildungszentrum in H., wohin sich der Verletzte aufgrund seines Fortbildungsverhältnisses
an diesem Morgen zu begeben hatte. Danach befand er sich auf einem so genannten Abweg. Ein solcher Abweg liegt vor, wenn der
Versicherte den Weg zum Ort der Tätigkeit räumlich dadurch verlängert, dass er eine Strecke wählt, die nicht mehr in Richtung
auf sein versichertes Ziel führt. So liegt es hier, weil der Unfall in etwa 50 Kilometer Entfernung von der Fortbildungsstätte
in Fahrtrichtung Süden an einer Stelle geschah, die bei objektiver Betrachtung nicht Teil der von dem Verletzten üblicherweise
nach Verlassen der Häuslichkeit zurückzulegenden Wegstrecke war. Dies schließt den Versicherungsschutz für den Unfallzeitpunkt
bereits nach dem Wortlaut von §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII aus. Denn nicht versichert ist hiernach im Grundsatz derjenige, der auf ein anderes Ziel als den Ort der Tätigkeit hinsteuert.
Der objektiv festzustellende Abweg indiziert das Fehlen einer auf das Erreichen der Arbeitsstätte gerichteten Handlungstendenz.
Von den hiervon nach allgemeiner Auffassung zu machenden Ausnahmen (vgl. Wagner in jurisPK-
SGB VII, §
8 Rn. 211 m.N.) liegt keine vor. Denn weder hat der Beigeladene sich infolge Nebels, Dunkelheit oder schlechter Beschilderung
verirrt, noch lässt sich feststellen, dass Krankheit dazu geführt hat, dass der Beigeladene vom üblichen Wege abgekommen ist
und somit ausnahmsweise auch auf diesem Teil der Wegstrecke versichert war.
Zunächst lässt sich schon keine Feststellung dazu treffen, welchen Weg der Verletzte nach Antritt der Fahrt überhaupt eingeschlagen
hat. Dokumentiert sind insoweit nur der Unfallort und der Ausgangsort sowie der Zeitpunkt des Unterrichtsbeginns. Soweit das
Sozialgericht es demgegenüber gleichwohl für erwiesen gehalten hat, dass der Beigeladene an diesem Morgen auf der BAB 93 an
der Anschlussstelle H.-Ost vorbeigefahren, dabei zudem seine ursprüngliche, auf das Erreichen des Ziels gerichtete Handlungstendenz
nicht aufgegeben hat bzw. dieses gar nicht konnte, weil er bereits zum Zeitpunkt des Passierens der Anschlussstelle H.-Ost
unter einer Bewusstseinsstörung litt, und dies aus den aktenkundigen Zeugenaussagen, namentlich derjenigen des Zeugen W. und
der Einschätzung des Dr. S1 hergeleitet hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Dabei unterstellt der Senat, dass Zuckerkrankheit
im Grundsatz derartige Folgen haben und somit zu den Krankheitsbildern gehören könnte, die geeignet wären, einen Abweg ausnahmsweise
als zur versicherten Wegstrecke gehörig erscheinen zu lassen, so dass das tatsächliche Auftreten einer derartigen Krankheitsfolge
den Beigeladenen und mit ihm die in seinem Sinne streitende Beklagte mit Blick auf den objektiv festgestellten Abweg entlasten
würde.
Soweit für den Beigeladenen behauptet wird, dieser habe auf dem üblichen Weg fahrend aufgrund beginnender Unterzuckerung nur
noch versucht, das Auto auf der Straße zu halten, sei orientierungslos gewesen und habe sich verirrt, kann hieraus für die
vorliegend zu treffende Entscheidung nichts hergeleitet werden, weil es sich nicht um eine Äußerung des Beigeladenen, sondern
eine durch seine Bevollmächtigten bzw. seine Betreuerin geäußerte Vermutung handelt. Der Beigeladene selbst ist zur Abgabe
einer solchen Erklärung aufgrund der Unfallfolgen nicht in der Lage. Aus den bekannten Blutzuckerwerten des Morgens lässt
sich ein Rückschluss auf den Fahrweg sowie auf den gesundheitlichen Zustand des Klägers vor dem Unfall ebenfalls nicht ziehen.
Insoweit hat Dr. S1 ebenso wie der Beratungsarzt geäußert, dass aus den bekannten Werten nicht auf den Zeitpunkt des Eintritts
der Bewusstseinsstörung infolge hypoglykämischen Schocks zurückgerechnet werden kann. Gleiches gilt, wenn der Beratungsarzt
aufgrund der bekannten Werte eine hypoglykämische Entgleisung innerhalb einer halben Stunde nach der letzten Messung am Morgen
und Aufnahme der Fahrt - also etwa zu dem Zeitpunkt, als der Verletzte die Anschlussstelle H.-Ost hätte passieren müssen -
für unwahrscheinlich hält.
Auch aus den Beobachtungen der Zeugen unmittelbar vor dem Unfall lässt sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit, d.h.
im Vollbeweis und somit ohne vernünftigen Zweifel ableiten, dass der Verletzte an der Anschlussstelle H.-Ost vorbeifahren
ist, weil er bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr "Herr seiner Sinne" war, wie es das Sozialgericht meint. Zunächst hat
keiner der von der Polizei vernommenen Zeugen Beobachtungen für den vermuteten Zeitpunkt des Passierens der Anschlussstelle
H.-Ost gemacht. Alle Aussagen beziehen sich vielmehr auf das eigentliche Unfallereignis bzw. auf wenige Momente davor. Auch
Berührungen der Leitplanken durch das Fahrzeug des Beigeladenen hat es erst in der Nähe der Unfallstelle gegeben. Der Zeuge
U.W., welcher als Einziger Beobachtungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt gemacht haben will, hat dem Senat nicht die erforderliche
Gewissheit davon vermitteln können, dass er den Beigeladenen beobachtet hat, als er auf die BAB 72 auffuhr und erst recht
nicht, dass der gesundheitliche Zustand des Beigeladenen dazu geführt hat, dass dieser den Weg zur Fortbildungsstätte verlassen
hat. Zwar will er in dem verunfallten Fahrzeug dasjenige Fahrzeug wiedererkannt haben, dessen Fahrweise ihm bereits einige
Zeit zuvor am Dreieck Hochfranken aufgefallen war, obschon er sich das Kennzeichen dieses Fahrzeuges nicht gemerkt hatte,
er dieses vielmehr nur an der Farbe der Lackierung und der sportlichen Aufmachung wiedererkannt haben will. Auch eine Aussage
zu dem Zustand des Fahrers konnte er nicht machen. Die Zuordnung seiner Beobachtungen am Dreieck Hochfranken zu dem späteren
Unfallgeschehen wird auch dadurch erschwert, dass nach der Einvernahme des Zeugen durch den Senat immer noch unerklärt bleibt,
welcher weiße längliche Gegenstand sich in dem beobachteten Fahrzeug befunden hat. Diese Beobachtung gibt damit weiteren Anlass
zu der Annahme, dass es sich um verschiedene Fahrzeuge handelte. Wenn der Zeuge überdies angibt, zwischen der erstmaligen
Begegnung mit dem Fahrzeug und der Unfallstelle hätten etwa 60 Kilometer Wegstrecke gelegen, die in dichtem morgendlichen
Berufsverkehr hätten zurückgelegt werden müssen, dann bleibt unerfindlich, wie der Beigeladene diese Strecke ohne Unfall hätte
zurücklegen können, wenn er sich schon zuvor in einem seine Fahreignung ausschließenden gesundheitlichen Zustand befunden
hätte. Auch dies spricht dafür, dass der Zeuge am Dreieck Hochfranken nicht das später verunfallte Fahrzeug, sondern ein ähnliches
gesehen hat. Hierfür spricht auch, dass er das fragliche Fahrzeug einmal mit und einmal ohne eingeschaltete Warnblinkanlage
gesehen haben will.
Nach allem bleibt offen, aus welchem Grunde der Beigeladene sich zum Unfallzeitpunkt auf dem Weg nach Süden und mehr als 50
Kilometer von dem Ort befand, den er zur Durchführung der Fortbildung hätte ansteuern sollen. Es lässt sich namentlich nicht
feststellen, dass er die Anschlussstelle H.-Ost verfehlt und bereits zu diesem Zeitpunkt krankheitsbedingt nicht mehr steuerungsfähig
war. Weitere Ermittlungen zu diesem Punkte sind dem Senat nicht möglich, zumal der Beigeladene sich selbst nicht äußern kann.
Da die Beklagte die objektive Beweislast für das Vorliegen von ihr behaupteter für sie günstiger Tatsachen trägt, geht die
Nichterweislichkeit des Umstandes, dass ihr Versicherter sich zum Unfallzeitpunkt trotz festgestellten Abweges auf einem nach
§
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII geschützten Weg befand, zu ihren Lasten (vgl. BSG, Urt. vom 18.04.2000 - B 2 U 7/99 R, Rn. 28).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren nicht der Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen, weil dies nicht
der Billigkeit im Sinne des §
197a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
162 Abs.
3 VwGO entsprochen hätte.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.