Erwerbsminderungsrente bei gleichzeitiger Alkohol- und Opiatabhängigkeit
Beweislast für das Vorliegen seelisch bedingter Störungen
Teilweise und volle Erwerbsminderung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Der 1965 geborene Kläger hat in den Jahren 1981 bis 1983 in der ehemaligen DDR eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur
absolviert und erfolgreich abgeschlossen. In der Folgezeit war er - unterbrochen durch eine etwa 1 ½-jährige Zeit als Berufssoldat
- als Schlosser und Maschinist tätig. Im Jahr 1990 erkrankte der Kläger an Hodenkrebs. In der Folge gab er im Februar 1992
seine Tätigkeit krankheitsbedingt auf und arbeitete im Anschluss bis Februar 2008 überwiegend als Kraftfahrer bzw. Kurierfahrer.
Die Beklagte gewährte dem Kläger in der Zeit vom 17. April bis 8. Mai 2008 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der
orthopädischen Abteilung der Klinik am Park in Bad Schwalbach. Im Entlassungsbericht vom 20. Mai 2008 (Dr. H.) wird sozialmedizinischerseits
bei den Diagnosen
1. LWS-Syndrom bei Bandscheibenschaden L5/S1 und L4/5 nach Bandscheibenprotrusion,
2. beginnende Coxarthrose links,
3. Anpassungsstörungen
ausgeführt, der Kläger könne als Kurierfahrer nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich tätig sein. Leichte bis mittelschwere
Arbeiten ohne exzentrische Wirbelsäulenbelastung wie häufiges Bücken, lang anhaltende Rumpfzwangshaltungen, Rotationsstellungen
sowie das Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten und ohne Gehen in unebenem Gelände könne der Kläger jedoch noch sechs
Stunden und mehr verrichten.
Am 30. Mai 2008 stellte der Kläger Rentenantrag und gab dabei an, aufgrund der 1990 aufgetretenen Krebserkrankung mit anschließender
Dünndarmresektion leide er unter akuten Verdauungsproblemen und Gewichtsverlust, er sei kaum belastbar. Seit Januar 2008 habe
er auch akute Probleme im Bereich des Bewegungsapparates, in deren Folge er arbeitsunfähig sei.
Nach Auswertung des Entlassungsberichtes vom 20. Mai 2008 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 15. Juli 2008 den Rentenantrag
des Klägers mit der Begründung ab, es liege weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung vor. Der Kläger sei noch
in der Lage, mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig
zu sein.
Der Kläger erhob am 1. August 2008 Widerspruch und machte geltend, er habe bis zu 16-mal täglich Stuhlgang verbunden mit erheblichem
Gewichtsverlust, ständiger Müdigkeit, gestörter Nachtruhe und kaum noch gegebener Leistungsfähigkeit. Aufgrund dessen falle
es ihm mittlerweile sehr schwer, einer geregelten Arbeit nachzugehen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung
aus, der Kläger habe zwar im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente
wegen Erwerbsminderung erfüllt, er sei jedoch weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Der Kläger könne noch sechs Stunden
und mehr täglich leichte und zeitweise mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen ausüben. Es liege auch keine Summierung
ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, so dass es deswegen der Benennung
einer Verweisungstätigkeit nicht bedürfe. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aufgrund der vorgetragenen gesundheitlichen
Beeinträchtigungen. Diese seien hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Leistungsvermögen berücksichtigt worden, neue medizinische
Gesichtspunkte habe der Kläger nicht vorgetragen.
Der Kläger erhob am 5. November 2008 Klage bei dem Sozialgericht Kassel und legte u.a. ein ärztliches Attest der Internistin
I. vom 5. Januar 2009, eine Bescheinigung des Hausarztes J. vom 16. April 2009, den Bescheid des Versorgungsamtes Kassel vom
19. Juni 1997 (GdB 50), einen Befundbericht des Anästhesisten Dr. E. vom 4. Mai 2009 sowie einen Bericht über die berufliche
Eignungsabklärung des Zentrums für berufliche Diagnostik Nordhessen vom 30. April 2009 vor.
Im Rahmen der Beweiserhebung zog das Sozialgericht zunächst medizinischen Unterlagen des Versorgungsamtes Kassel sowie Befundberichte
des Neurologen und Psychiaters Dr. K. vom 17. Dezember 2008, des Psychiaters L. vom 22. Dezember 2008 und des Allgemeinarztes
J. (Eingang 5. Januar 2009) bei. Sodann veranlasste das Sozialgericht die Erstellung eines medizinischen Gutachtens vom 5.
Juni 2009 durch den Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. M. Der Sachverständige stellte die Diagnosen
1. permanente Durchfallerkrankung mit Stuhlgangfrequenzen anamnestisch bis zu 16 pro Tag auf der Grundlage eines sog. Kurzdarmsyndroms
bei Zustand nach ausgedehnter Dünndarmresektion im Juli 1990 wegen anhaltender Bauchfellentzündung mit Dünndarmnekrose und
als Folgezustände:
a) schubweiser Gewichtsverlust,
b) resorptionsbedinger Vitamin-D-Mangel.
c) Bauchwandschwäche im Narbenbereich,
2. chronifizierter, derzeit opiatpflichtiger Schmerzzustand der unteren Lendenwirbelsäule, aktuell mit linksseitiger Nervenwurzelreizung
bei nachgewiesener Bandscheibenschädigung L4/5 und L5/S1, leichter linkskonvexer Verkrümmung der LWS und Beckentiefstand nach
links von 1,5 cm, mäßige Funktionseinschränkung in allen Bewegungsebenen, fixierte Lendenwirbelkrümmung bei Vorwärtsbewegung,
3. altersunphysiologische Verschleißumformung beider Hüftgelenke mit Beugeeinschränkung und Innenrotationsaufhebung, beginnende
Hüftkopfentrundung rechts,
4. reaktive psychische Beeinträchtigung, am ehesten im Sinne einer Anpassungsstörung mit aggressiven und depressiven Elementen,
Zustand nach früherem Alkoholabusus,
5. weitgehend schmerzfreie Funktionseinschränkung der HWS in Reklination und Seitwärtsneigung zu beiden Seiten,
6. Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik des linken Kniegelenkes im Januar 2001 mit derzeit ausreichender Funktionalität
des Kniegelenks,
7. Zustand nach operativer Entfernung eines malignen Hodentumors im Jahr 1990, derzeit ohne Rezidivnachweis,
8. entzündungsähnliche Veränderungen am Sehnen/Knochenübergang des rechten inneren Ellenbogens,
9. Lungenüberblähung,
10. leichte Vermehrung der weißen Blutkörperchen,
11. symptomloser Status nach Blinddarmentfernung 1972 und Rachenmandelentfernung 1971
und gelangte zu der sozialmedizinischen Beurteilung, der wesentlichste erwerbsmindernder Dauereinfluss komme der Diagnose
zu 1. zu. Nach operativer Entfernung eines malignen Hodentumors im Jahre 1990 sei es zu einer Infektion im Bauchwandbereich
mit anschließender langer intensivmedizinischer Behandlung und künstlichem Koma sowie zusätzlich zu einer Beeinträchtigung
der Darmwände mit Absterben über eine weite Strecke gekommen, die eine nahezu 2/3-Resektion des Dünndarms erforderlich gemacht
habe. Hieraus resultierten eine erhebliche Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme und ein sog. Kurzdarmsyndrom mit extrem hoher
Stuhlfrequenz pro Tag. Darüber hinaus schränkten die Diagnosen zu 2. bis 4. die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers
ein. Im Ergebnis vertrat der Sachverständige Dr. M. die Auffassung, der Kläger sei noch in der Lage, zumindest sechs Stunden
arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes leichte Arbeiten zu verrichten, wobei die Betonung auf "derzeit
noch" liege und sich nur noch ein schmaler Grat zur Leistungsaufhebung biete. Dabei seien die folgenden qualitativen Einschränkungen
zu beachten: ohne durchgehend mittelschwere oder schwere Arbeiten, nicht im Außendienst, ohne Schichtarbeit, ohne Heben und
Tragen schwerer Lasten über 8 kg (zeitweilig) bzw. 5 kg (wiederkehrend), ohne Wirbelsäulenzwangshaltung, insbesondere Rumpfvorhaltung,
ohne Exposition gegenüber ungünstigen Witterungsbedingungen (Kälte, Nässe, Zugluft), ohne Klettern oder Steigen, nicht in
hockender Position, ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastung und ohne Publikumsverkehr. Eine Einschränkung
im Hinblick auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, das Führen eines Kraftfahrzeugs und die Wegefähigkeit (4 x 500
m in jeweils weniger als 20 Min.) ergebe sich nicht. Soweit für den Kläger häufigere Toilettengänge erforderlich seien, bedinge
dies keine betriebsunüblichen Arbeitspausen, sondern falle unter die persönlichen Verteilzeiten. Das Leistungsvermögen sei
bereits weit abgesunken bis nahe an die Grenze zur Leistungsaufhebung. Dem könne mit Wahrscheinlichkeit noch rehabilitativ
mit einem gastroenterologisch ausgerichteten Heilverfahren entgegengewirkt werden. Die Leistungsbeurteilung gelte für die
Zeit seit der gutachterlichen Untersuchung des Klägers vom 8. Mai 2009. Weitere Gutachten auf anderen medizinischen Fachgebieten
seien nicht erforderlich.
Nach Implantation einer sog. McMinn-Prothese (Oberflächenersatz der Hüfte) am 6. August 2009 wurde in der Zeit vom 17. September
bis 21. Oktober 2009 im Casalis Ambulanten Orthopädischen Reha-Zentrum Kassel GmbH eine Anschlussheilbehandlung durchgeführt.
Nach dem Abschlussbericht von Dr. N. vom 21. Oktober 2009 sei das verbliebene Leistungsvermögen mit der zuletzt ausgeübten
Tätigkeit als Kurierfahrer nicht vereinbar. Der Kläger könne jedoch noch leichte Arbeiten mit Einschränkungen vollschichtig
verrichten. Das Sozialgericht holte hierzu eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. M. vom 15. Januar 2010 ein.
Der Sachverständige wies darauf hin, dass die Reha-Behandlung in der Folge der Hüftoperation durchgeführt worden sei und keinen
bessernden Einfluss auf die gastroenterologische Erkrankung des Klägers gehabt habe. Er schlage vor, die rehabilitativen Anstrengungen
gemäß den Vorgaben seines Gutachtens nunmehr in Angriff zu nehmen. Sodann zog das Sozialgericht die Gerichtsakten des Klageverfahrens
des Klägers gegen die Deutsche BKK betreffend einen streitigen Anspruch auf Krankengeld (S 12 KR 321/08) mit den in diesem Verfahren erstellten Gutachten des Arbeitsmediziners Dr. O. vom 18. Januar 2010 und des Neurologen und
Psychiaters Prof. Dr. P. vom 24. März 2010 bei.
Nach erneuter Hüftoperation des Klägers vom 10. November 2010 (Implantation Hüft-TEP) erfolgte erneut eine ambulante Anschlussheilbehandlung
im Casalis Ambulanten Orthopädischen Reha-Zentrum Kassel GmbH. Im Abschlussbericht vom 16. Dezember 2010 stellte Dr. N. die
Diagnosen
1. therapieresistente Beschwerden nach Hüftkappen-OP links 08/09,
2. Hüft-TEP Implantation 10. November 2010,
3. Depressionen,
4. allgemeine Erschöpfung
und führte aus, aus orthopädischer Sicht könnten von dem Kläger noch körperlich mittelschwere Tätigkeiten ohne häufiges Heben
oder Tragen von Lasten ohne technische Hilfsmittel (Belastungsgrenze 10 kg), ohne tiefe und hockende Positionen sowie ohne
Arbeiten auf Leitern und Gerüsten vollschichtig bzw. sechs Stunden mehr verrichtet werden. Hinsichtlich der Tätigkeit als
Kurierfahrer bestehe (weiterhin) ein nur noch unter dreistündiges Leistungsvermögen. Abschließend empfahl Dr. N. die Einholung
eines internistischen und psychiatrischen Gutachtens, ebenso die Behandlung der psychischen und psychosomatischen Störungen.
Im weiteren Verlauf holte das Sozialgericht Befundberichte bei dem behandelnden Psychiater L. vom 16. Juni 2011 sowie dem
Internisten und Gastroenterologen Dr. F. vom 21. Februar 2011 ein und gab sodann ein internistisches Gutachten bei dem Chefarzt
der Medizinischen Klinik III, Gastroenterologie, Proktologie, Diabetologie, Sozialmedizin des Elisabeth Krankenhauses Kassel,
Dr. Q., in Auftrag. Der Sachverständige stellte im Gutachten vom 5. Oktober 2011 die Diagnosen
1. Kurzdarmsyndrom als Folge einer operativen Therapie mit retroperitonealer Lymphadenektomie eines Hodenzell-Karzinoms rechts
1990,
2. chronisches Schmerzsyndrom mit Nervenwurzelreizung bei LWS- und Sacralgelenkdegeneration,
3. Funktionseinschränkung am linken Hüftgelenk nach schwerer Coxarthrose und mehrfachen operativ-endoprothetischen Eingriffen,
4. Sulcus-ulnaris-Syndrom und Carpaltunnelsyndrom linker Arm/Hand,
5. depressive Episode
und führte weiter aus, das Leistungsbild des Klägers sei durch das Kurzdarmsyndrom deutlich eingeschränkt. Zusätzliche Einschränkungen
würden sich aus den weiteren Diagnosen ergeben. In der Gesamtschau sei der Kläger noch in der Lage, leichte bis gelegentlich
mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest sechs Stunden arbeitstäglich mit folgenden Einschränkungen
zu verrichten: Eine Toilette solle für den Kläger immer erreichbar sein und er müsse die Möglichkeit haben, kleinere Mengen
Nahrungsmittel oder Kalorien-Trinklösungen zu sich zu nehmen. Zu vermeiden seien das Heben schwerer Gegenstände, einseitige
Wirbelsäulenbelastungen, häufiges Bücken, Zwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern, Treppen und Gerüsten, Tätigkeiten in hockender
Körperhaltung und im Knien. Öffentliche Verkehrsmittel könne der Kläger benutzen. Auch sei ihm ein Fußweg von 4 x 500 m in
einem Zeitraum von jeweils weniger als 20 Min. ohne unzumutbare Schmerzen möglich. Zudem könne der Kläger ein Kraftfahrzeug
eigenständig führen. Es bestehe nicht das Erfordernis der Einhaltung von zusätzlichen, betriebsunüblichen Pausen. Die aktuell
festgestellte Minderung des Leistungsvermögens sei dauerhaft, eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes werde voraussichtlich
nicht zu erzielen sein. Das dargestellte Leistungsvermögen bestehe seit August 2011, dem Zeitpunkt der Begutachtung. Weitere
Gutachten auf anderem Fachgebiet seien nicht erforderlich.
Durch Urteil vom 11. April 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt,
die Kammer sei davon überzeugt, dass das quantitative Leistungsvermögen des Klägers nicht gemindert sei. Dieser könne noch
sechs Stunden und mehr täglich zumindest leichte Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten.
Ein solches zeitliches Leistungsvermögen hätten die behandelnden Ärzte der Klinik am Park in ihrem Reha-Entlassungsbericht
vom 20. Mai 2008, der Gerichtssachverständige Dr. M. in seinem Gutachten vom 5. Juni 2009 und ergänzender Stellungnahme vom
15. Januar 2010, die Sozialmedizinerin Dr. R. in ihrer Stellungnahme vom 1. März 2010, der Arbeitsmediziner Dr. O. im Gutachten
vom 18. Januar 2010, der psychiatrische Sachverständige Prof. P. in seinem Gutachten vom 24. März 2010, die behandelnden Ärzte
des Orthopädischen Reha-Zentrums Kassel im Bericht vom 16. Dezember 2010 und der Gerichtssachverständige Dr. Q. in seinem
Gutachten vom 5. Oktober 2011 festgestellt. Für das Hauptleiden des Klägers, das Kurzdarmsyndrom, gebe es nach den zutreffenden
Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. keine exakte Regel, ab welcher Ausprägung eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens
vorliege. Hier hätten alle Sachverständigen völlig nachvollziehbar (lediglich) eine Minderung des qualitativen Leistungsvermögens
dergestalt angenommen, dass dem Kläger keine schweren Arbeiten mehr zuzumuten seien und dass bei einem potentiellen Arbeitsplatz
eine Toilette in der Nähe sein müsse. Nach umfassender Würdigung sämtlicher medizinischer Unterlagen und unter Berücksichtigung
der Entwicklung des Gewichts sei für die Kammer nachvollziehbar, dass aus dem Kurzdarmsyndrom keine Minderung des quantitativen
Leistungsvermögens resultiere. Hierbei hat das Sozialgericht u.a. auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Q. verwiesen,
der in seinem Gutachten eine Normalgewichtigkeit bzw. einen Body-Maß-Index im Normbereich festgestellt und im Übrigen anhand
der Ergometerbefunde eine ausreichende körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers dokumentiert habe. Eine Einschränkung des
quantitativen Leistungsvermögens ergebe sich auch nicht aus den orthopädischen Leiden des Klägers mit dem chronischen Schmerzsyndrom,
was insbesondere aus den Gutachten von Dr. O. und Dr. M. hervorgehe. Gleiches gelte für die Gesundheitsstörungen des Klägers
auf psychiatrischem Fachgebiet. So führten die Somatisierungsstörung und die depressive Episode zu einer weiteren Einschränkung
lediglich des qualitativen Leistungsvermögens. Ohnehin habe die Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen,
dass der Kläger in seiner Aufmerksamkeit und seinem Konzentrationsvermögen nicht wesentlich beeinträchtigt sei. Zudem sei
die Kammer von einer weiteren Besserung des seelischen Gesundheitszustandes des Klägers überzeugt, da er im laufenden Klageverfahren
im November 2010 geheiratet habe und auch vom behandelnden Psychiater Dr. L. im Befundbericht vom 16. Juni 2011 eine weniger
ausgeprägte depressive Symptomatik beschrieben werde. Letztlich ergebe sich eine andere Beurteilung auch nicht aus der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichtes zu sog. Seltenheitsfällen, wonach der Arbeitsmarkt ausnahmsweise auch bei einem vollschichtigen
Leistungsvermögen verschlossen sein könne. Einer dieser Seltenheitsfälle liege jedoch nicht vor, denn der Kläger sei nicht
in seiner Wegefähigkeit eingeschränkt, er benötige keine betriebsunüblichen Pausen und es bestehe auch keine Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen.
Gegen dieses dem Kläger am 16. Mai 2012 mittels Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil richtet sich seine am 18. Juni 2012
(Montag) bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegte Berufung. Er trägt im Wesentlichen vor, die von dem Sozialgericht
aus der Bewertung der Gutachten gezogenen Schlüsse seien unzutreffend und es werde unberücksichtigt gelassen, dass er zunächst
nicht und sodann lediglich im Rahmen eines sog. Minijobs berufstätig gewesen sei, wobei er hinreichend Gelegenheit gehabt
habe, sich auf das Kurzdarmsyndrom und dessen Folgen einzustellen. Insbesondere die erforderlichen häufigen Nahrungsaufnahmen
könnten im Rahmen einer vollschichtigen Berufstätigkeit nicht umgesetzt werden. Darüber hinaus sei das Sozialgericht zu den
Ausführungen zum Body-Maß-Index insoweit zu korrigieren, als dieser im Februar 2010 an der unteren Grenze der Normalgewichtigkeit
und seit Vollendung des 45. Lebensjahres im Bereich der Untergewichtigkeit liege. Im Hinblick auf die Erkrankung der Lendenwirbelsäule
sei zu berücksichtigen, dass durch den Einsatz von Opiatpflastern zwar eine erträgliche Schmerzform erreicht worden sei, jedoch
die Schmerzmittel in Form der Opiatpflaster selbst zu einer weiteren Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit führten. So habe
Prof. Dr. P. im Laufe der Untersuchung, die sich über einige Stunden erstreckt habe, Entzugserscheinungen bei ihm festgestellt.
Das Erreichen einer erträglichen Schmerzform habe daher eine weitere Einschränkung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit zur
Folge, was das Sozialgericht nicht untersucht habe. Letztlich sei zu beanstanden, dass das Sozialgericht zur Frage eines Seltenheitsfalles
lediglich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verwiesen habe, ohne eine entsprechende Überprüfung durchzuführen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. April 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 2008 unbefristete
Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält unter Hinweis auf die nach ihrer Auffassung zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils an ihrer Auffassung fest,
dass der Kläger nicht rentenrelevant erwerbsgemindert sei.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 30. November 2012 bei dem Sachverständigen
Dr. D., Arzt für Neurologie und Psychiatrie mit der Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie, der folgende Diagnosen stellte:
1. leichtgradiges Karpaltunnelsyndrom links (ICD-10 G56.0),
2. leichtgradiges Sulcus-ulnaris-Syndrom links (ICD-10 G56.22),
3. mittelschwere Anpassungsstörung im Sinne einer Verbitterungsstörung (ICD-10 F43.2),
4. chronische Alkoholabhängigkeit, aktuell mit Substanzmittelmissbrauch (ICD-10 F10.24),
5. Morphium- und Opiumabhängigkeit, gegenwärtig mit Substanzgebrauch (ICD-10 F11.24),
6. negative Antwortverzerrung im Sinne einer Aggravation und/oder Simulation.
Dr. D. führte aus, die Einschränkung der Leistungs- und Partizipationsfähigkeit aufgrund des Karpaltunnelsyndroms und Sulcus-ulnaris-Syndroms
sei als sehr leicht einzuschätzen. Im Rahmen der psychiatrisch-gutachterlichen Untersuchung habe sich in einem von drei durchgeführten
Testverfahren ein deutlicher Hinweis auf eine negative Antwortverzerrung ergeben. Unter Berücksichtigung der anamnestischen
Angaben des Klägers über einen Alkoholkonsum von ein bis zwei Flaschen Wein pro Tag und unter Berücksichtigung der anamnestischen
Angaben über eine Einnahme von bis zu 170 mg Morphium pro Tag plus Opium sei die Diagnose eines chronischen Alkoholabhängigkeitssyndroms
und eines chronischen Morphiumabhängigkeitssyndroms mit Substanzmittelgebrauch zu stellen. Darüber hinaus sei unter Berücksichtigung
der anamnestischen Angaben und des psychopathologischen Untersuchungsbefundes sowie der kontinuierlichen Tagesstruktur und
der Fremdbeurteilung mittels Mini-ICF-APP (Kurzinstrument zur Fremdbeurteilung von Aktivitäts- und Partizipationsstörungen
bei psychischen Erkrankungen in Anlehnung an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
- ICF- der Weltgesundheitsorganisation) die Diagnose einer mittelschweren Anpassungsstörung im Sinne einer Verbitterungsstörung
zu stellen. Die aktuelle Einschränkung der Leistungs- und Partizipationsfähigkeit aufgrund der psychiatrischen Gesundheitsstörung
sei als mittelgradig bis schwer einzuschätzen. Die Alkohol- und Morphiumabhängigkeit sowie die mittelschwere Anpassungsstörung
führten zu einer Beeinträchtigung der sozialen Kompetenzen, der Kommunikationsfähigkeit, des Antriebs, des planerischen Denkens
und der Motivation. Nach den Angaben seiner Ehefrau habe der Kläger vor zweieinhalb Jahren und vor einem Jahr einen Suizidversuch
mit einer Morphinüberdosierung durchgeführt. Aus nervenärztlicher Sicht sei der Kläger in der Lage, mindestens drei aber unter
sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies gelte für leichte und punktuell mittelschwere sowie geistig einfache Arbeiten
ohne besondere psychische Beanspruchung, ohne besondere Beanspruchung an die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit und ohne
besondere Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit. Die Frage, ob sich bei der Begutachtung Zweifel an der Fähigkeit des
Klägers ergeben hätten, sich an die Erfordernisse im Erwerbsleben anzupassen bzw. umzustellen, sei im Hinblick auf die chronische
Alkohol- und Morphiumabhängigkeit zu bejahen. Das festgestellte Leistungsvermögen gelte für die Zeit seit 2008. Damals sei
es zu zunehmenden Schmerzen mit Entwicklung einer Morphiumabhängigkeit gekommen. Der Kläger sei bisher nicht adäquat psychiatrisch
behandelt worden. Eine stationäre Entgiftung bezüglich des Alkohols und auch des Morphiums solle unbedingt erfolgen mit anschließender
ambulanter psychotherapeutischer Behandlung einschließlich erhöhter medikamentöser antidepressiver Therapie. Hiermit sei die
Leistungsfähigkeit des Klägers deutlich zu verbessern.
In dem im Rahmen der Beweiserhebung parallel in Auftrag gegebenen orthopädischen Gutachten vom 3. Januar 2013 stellte die
Sachverständige Dr. C., Fachärztin für Orthopädie, die Diagnosen
1. Verschleißerkrankung beider Hüftgelenke (M 16.0; links, Zustand nach Hüft-Totalendoprothese 11/2010) mit Einschränkung
des Bewegungsausmaßes und verminderter Belastbarkeit,
2. degenerative Verschleißerkrankung der Halswirbelsäule im Segment HWKS/6 (Spondylarthrose/Osteochondrose/Spondylose, M47.82/M42.12)
mit Einschränkung des Bewegungsausmaßes und verminderter Belastbarkeit; keine radikuläre Begleitsymptomatik
3. Fehlstatik (Kyphose M40.24/Rundrückenbildung) der Brustwirbelsäule und beginnender Verschleiß im unteren Abschnitt (Spondylose/Osteochondrose
M42.14); keine radikuläre Begleitsymptomatik, ausgeprägte Insuffizienz der wirbelsäulenaufrichtenden, stabilisierenden Muskulatur,
4. degenerative Verschleißerkrankung der Lendenwirbelsäule im Segment LWK4/5 (Spondylarthrose, M47.86) und LWK5/SWK1 (kernspintomographisch
03/2010 nachgewiesener Bandscheibenvorfall, M51.2) mit Einschränkung des Bewegungsausmaßes und verminderter Belastbarkeit;
keine radikuläre Begleitsymptomatik
5. Verschleiß der Iliosakralgelenke beidseits (M19.97)
6. endgradig eingeschränkte Vor- und Seitwärtshebung des linken Armes; allenfalls geringfügige Funktionseinschränkung
7. verminderte Belastbarkeit des linken Kniegelenkes nach stattgehabter Kreuzband-Ersatzplastik (2001); klinisch kein Zeichen
für Instabilität und/oder vorauseilenden Verschleiß
und führte sozialmedizinischerseits aus, der Kläger habe sich zum Zeitpunkt der Untersuchung in gutem Allgemein- und leicht
reduziertem Ernährungszustand befunden. Im Rahmen der orthopädischen Untersuchung hätten sich Hinweise auf eine starke Verdeutlichungstendenz
(Aggravation/Simulation) ergeben. Die bei dem Kläger bestehenden Funktionseinschränkungen seien vor allem durch die beidseitige
Verschleißerkrankung der Hüftgelenke bedingt. Links sei im November 2010 ein künstliches Hüftgelenk implantiert worden, rechts
zeige die aktuelle Röntgenaufnahme eine zunehmende Entrundung des Hüftkopfes. Die aktuellen Röntgenaufnahmen des Achsenorganes
zeigten in allen Abschnitten einen degenerativen Verschleiß, jedoch ohne radikuläre Begleitsymptomatik. Soweit der Kläger
im Jahr 2001 einen Kreuzbandersatz erhalten habe, bestehe funktionell ein gutes Ergebnis ohne Instabilität bzw. vorauseilenden
Verschleiß. Zusammenfassend bedingten die bestehenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet folgende qualitative
Leistungseinschränkungen: keine schweren oder mittelschweren Arbeiten, die die dauerhafte Einnahme von Zwangshaltungen (gebückt,
hockend und/oder kniend, vornüber geneigt) erfordern, die dauerhaft gehend und/oder stehend zu verrichten sind, die das Heben
und Tragen von Lasten von mehr als 5 bis 7 kg ohne mechanische Hilfsmittel sowie das Klettern und Steigen auf Leitern und
Gerüsten erfordern, sowie ohne Witterungseinflüsse wie Kälte, Hitze, starke Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe. Bei
Beachtung dieser Einschränkungen könne der Kläger aus orthopädischer Sicht leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
vollschichtig verrichten. Unter Berücksichtigung der neurologisch-psychiatrischen Zusatzbegutachtung bestehe jedoch eine Minderung
des Leistungsvermögens auf drei bis unter sechs Stunden täglich bei chronischer Alkohol- und Morphinabhängigkeit. Auf internistischem
Fachgebiet sei eine dauerhafte Einschränkung des Leistungsvermögens auf maximal sechs Stunden täglich bei bekanntem Kurzdarmsyndrom
festgestellt worden. Unter wertender Zusammenschau der auf allen Fachgebieten festgestellten Gesundheitsstörungen benötige
der Kläger grundsätzlich keine zusätzlichen betriebsunüblichen Pausen. Ebenso bestehe keine sozialmedizinisch relevante Einschränkung
der Wegefähigkeit. Der Kläger sei insoweit in der Lage, 4 x täglich eine Strecke von mehr als 500 m in 20 Min., ggf. unter
Verwendung von Hilfsmitteln bzw. unter Einlegung von Pausen, zurückzulegen. Das orthopädischerseits aktuell festgestellte
Leistungsvermögen bestehe seit der Rentenantragstellung im Jahr 2008. Insoweit müsse auch von dauerhaften qualitativen Leistungseinschränkungen
ausgegangen werden. Weitere Gutachten auf anderen medizinischen Fachgebieten seien nicht erforderlich.
Nachdem sich die Beklagte unter Einschaltung ihres beratungsärztlichen Dienstes (Stellungnahme Dr. S. vom 1. März 2013) mit
Schriftsatz vom 6. März 2013 kritisch mit der Beurteilung von Dr. D. auseinandergesetzt hat, hat der Senat eine ergänzende
Stellungnahme des Sachverständigen vom 8. April 2013 eingeholt. Dr. D. hat darin ausgeführt, der Beanstandung der Beklagten,
bei der Diagnose einer Anpassungsstörung sei das zu Grunde liegende Ereignis nicht benannt worden, sei entgegenzutreten. Insofern
sei ein traumatisierendes Ereignis im Sinne der posttraumatischen Belastungsstörung oder posttraumatischen Belastungsreaktion
nicht zu fordern. Vorliegend existierten viele belastende Faktoren, die zu einer Anpassungsstörung geführt hätten: der Hodenkrebs
1990, die chronische Schmerzsymptomatik und die anschließende Alkoholabhängigkeit mit den daraus sich ergebenden sozialen
Folgen. Er habe im Gutachten entgegen der Auffassung der Beklagten auch keinen weitgehend normalen psychopathologischen Untersuchungsbefund
dokumentiert. Vielmehr habe er eine deutlich auffällige Kommunikationsstruktur, aggressive und verbitterte Stimmung und eingeschränkte
Schwingungsfähigkeit beschrieben. Lediglich der Antrieb des Klägers sei unauffällig gewesen. Zudem habe die Ehefrau des Klägers
fremdanamnestisch eine Suizidalität und einen Wechsel von Depressivität und Aggressivität angegeben. Im Hinblick auf die von
der Beklagten beanstandete Rückdatierung der Leistungseinschränkung auf das Jahr 2008 sei zwar zu berücksichtigen, dass die
Opioideinnahme des oral verabreichten Medikaments 2008 noch nicht vorhanden gewesen sei. Andererseits seien in einem nervenärztlichen
Bericht vom 17. Dezember 2008 (Dr. K.) und im psychiatrischen Bericht vom 27. Oktober 2008 (Facharzt für Psychiatrie L.) ein
deutlich depressives Syndrom mit Affektlabilität und Alkoholabhängigkeit beschrieben worden. Weiter wies Dr. D. darauf hin,
soweit Dr. M. in seinem arbeitsmedizinischen Gutachten den Kläger noch für fähig erachtet habe, sechs Stunden pro Tag an fünf
Tagen pro Woche leichte Arbeiten zu verrichten, sei dieses Gutachten insofern nicht maßgeblich, weil Dr. M. Arbeitsmediziner
und kein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sei, so dass sich die erhobenen Befunde deutlich von den Untersuchungsbefunden
der nervenärztlichen Kollegen unterscheiden würden. Zu bestätigen sei allerdings die Kritik der Beklagten, dass eine Objektivierung
der Angaben des Klägers bezüglich seiner Medikamenteneinnahme und seines Alkoholkonsums nicht erfolgt sei. Insoweit könne
der Mangel durch Auswertung der Rezeptausstellungen des behandelnden Hausarztes und/oder des behandelnden Schmerztherapeutin
und durch Bestimmung der Leberwerte behoben werden. Ggf. sei seine Leistungsbeurteilung zu korrigieren.
Der Senat hat daraufhin weiter Beweis erhoben durch Beiziehung von Befundberichten des Dr. E. datierend zwischen dem 4. Mai
2009 und 17. Juni 2013 sowie des Dr. F. vom 23. Juni 2013. In der hierauf eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 20. August
2013 führte der Sachverständige Dr. D. aus, die zu objektivierende Morphineinnahme und Alkoholeinnahme seien mit den Befundberichten
nicht bewiesen. Insbesondere enthielten die Berichte von Dr. E. lediglich Empfehlungen.
Im Anschluss hat der Senat zur Frage der Alkoholabhängigkeit sowie der Opiatabhängigkeit einschließlich einer Rückdatierung
ein (Kurz-)Gutachten des Facharztes für Laboratoriumsmedizin Dr. G. vom 22. Januar 2014 eingeholt. Der Sachverständige führte
nach Durchführung eines toxikologischen Drogenscreenings sowie einer toxikologischen Untersuchung zur Abstinenzkontrolle im
Gutachten aus, generell gelte, dass eine Untersuchung von Drogen im Blut nicht sinnvoll sei. Vielmehr sei eine Drogenuntersuchung
im Urin und für eine Langzeitaussage in den Haaren sinnvoll. Aufgrund des Kurzhaarschnitts des Klägers sei eine entsprechende
Diagnostik nicht möglich gewesen. Das Drogenscreening im Urin sei im Hinblick auf Ethylglucuronid (Abbauprodukt von Ethanol
- Alkohol) hoch positiv gewesen und decke sich mit der Angabe des Klägers, dass er eine Flasche Wein pro Tag konsumiere. Darüber
hinaus sei in Übereinstimmung mit der angegebenen Medikation an Schmerzmitteln das Drogenscreening auf Opiate/Morphin positiv
gewesen. Zusammenfassend könne aus der einmaligen Untersuchung allein nicht auf Abhängigkeit geschlossen werden. Dies sei
aber bei der angegebenen Anamnese anzunehmen.
Letztlich hat der Senat auch hierzu eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. D. vom 23. April 2014 eingeholt.
Dr. D. führte aus, aus dem Gutachten von Dr. G. seien zwei Erkenntnisse zu gewinnen: Zum einen habe der Kläger die von ihm
eingenommenen zentralen Schmerzmittel, nämlich Opioide und Morphine regelmäßig eingenommen. Zum anderen habe der Kläger regelmäßig
Alkohol konsumiert, nach seinen eigenen Angaben eine Flasche Wein pro Tag. Die Urinprobe habe einen hoch positiven Befund
ergeben. Damit sei ein Alkoholmissbrauch im Vollbeweis belegt und auch die regelmäßige Einnahme zentral wirkender Schmerzmittel.
Ebenso seien die Diagnosen chronische Alkoholabhängigkeit und Morphium- und Opiumabhängigkeit, wie sie in seinem Gutachten
gestellt worden seien, belegt. Weitere Folge sei, dass die im Gutachten ausgeführte Einschätzung der Leistungs- und Partizipationsfähigkeit
ebenfalls untermauert sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist auch teilweise begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung
unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 29. November 2012 für die Zeit vom 1. Juni 2013 bis 31. Mai 2016 zu. Das Urteil
des Sozialgerichts Kassel vom 11. April 2012 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 waren entsprechend zu ändern.
Gemäß §
43 Abs.
1 und
2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung,
wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung
oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind
nach §
43 Abs.
2 Satz 3
SGB VI auch
1. Versicherte nach §
1 Satz 1 Nr. 2
SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen
Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des §
43 Abs.
3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig
sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Davon ausgehend ist im vorliegenden Fall die Fähigkeit des Klägers, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in
nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), durch verschiedene Gesundheitsstörungen beeinträchtigt. Unter
Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger seit dem 29. November
2012 nur noch in der Lage ist, drei bis unter sechs Stunden täglich leichte sowie geistig einfache Arbeiten mit Einschränkungen
(ohne besondere psychische Beanspruchung, ohne besondere Anforderungen an die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, ohne besondere
Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit, ohne Arbeiten, die die dauerhafte Einnahme von Zwangshaltungen (gebückt, hockend
und/oder kniend, vornübergeneigt) erfordern, die dauerhaft gehend und/oder stehend zu verrichten sind, die das Heben und Tragen
von Lasten von mehr als 5 bis 7 kg ohne mechanische Hilfsmittel sowie das Klettern und Steigen auf Leitern und Gerüsten erfordern,
sowie ohne Witterungseinflüsse wie Kälte, Hitze, starke Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe) zu verrichten. Diese Beurteilung
des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau
der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten, insbesondere
aus der im Gutachten vom 30. November 2012 sowie in der ergänzenden Stellungnahme vom 23. April 2014 ausgeführten Beurteilung
des Gerichtssachverständigen Dr. D.
Zunächst sind die Ausführungen des im erstinstanzlichen Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen Dr. M. in seinem arbeitsmedizinischen
Gutachten vom 5. Juni 2009 zu berücksichtigen. Dr. M. hat darin im Einzelnen den Krankheitsverlauf dargelegt, der zu dem sog.
Kurzdarmsyndrom geführt und dem er den wesentlichsten erwerbsmindernden Dauereinfluss gegenüber den weiteren Diagnosen zugemessen
hat. Im Rahmen der operativen Sanierung des malignen Hodentumors im Jahr 1990 kam es bei dem Kläger zu einer Infektion im
Bauchwandbereich und Beeinträchtigung der Darmwände mit Absterben über eine weite Strecke, die eine nahezu 2/3-Resektion des
Dünndarms erforderlich gemacht hat. Hieraus resultieren eine erhebliche Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme und eine hohe
Stuhlfrequenz. Dr. M. hat bereits aus diesem Krankheitskomplex abgeleitet, dass die berufliche Belastbarkeit des Klägers an
der Grenze zur Leistungsunfähigkeit zu sehen ist und rehabilitative Maßnahmen im Sinne eines gastroenterologisch ausgerichteten
Heilverfahrens erforderlich sind. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeiten bei der Beurteilung
des Kurzdarmsyndroms sowie darauf verwiesen, dass alternativ medizinisch vertretbar sei, entweder von der Aufhebung des Leistungsvermögens
für eine begrenzte Zeit auszugehen, um die nachfolgende Zeit für längere Behandlungsansätze und rehabilitative Maßnahmen zu
nutzen, oder aber noch ein positives Restleistungsbild anzunehmen, die Erwerbsfähigkeit aber als deutlich gefährdet anzusehen
mit entsprechenden umgehenden rehabilitativen Maßnahmen und anschließender erneuter Beurteilung der Leistungsfähigkeit. Insgesamt
ist angesichts der Ausführungen von Dr. M. gut nachvollziehbar, dass bereits aufgrund des Kurzdarmsyndroms von einem weit
herabgesunkenen beruflichen Leistungsvermögens auszugehen ist, zumal die angesprochenen rehabilitativen Maßnahmen in der Folgezeit
nicht stattgefunden haben. Die Beurteilung von Dr. M. wird im Übrigen bestätigt durch das internistisch-gastroenterologische
Gutachten des ebenfalls im erstinstanzlichen Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen Dr. Q. vom 5. Oktober 2011, der auch
von einer deutlichen Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgrund des Kurzdarmsyndroms ausgegangen ist.
Dies vorausgeschickt sind die weiteren von dem Sachverständigen Dr. D. beurteilten Einschränkungen aufgrund der Alkoholabhängigkeit
und der Opiatabhängigkeit sowie der Anpassungsstörung zu berücksichtigen. Zunächst bestehen an dem Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit
und einer Opiatabhängigkeit bei dem Kläger für den Senat keine vernünftigen Zweifel. Soweit Dr. D. hiervon in seinem Gutachten
vom 30. November 2012 unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben des Klägers über einen Alkoholkonsum von ein bis zwei
Flaschen Wein pro Tag sowie der anamnestischen Angaben über eine Einnahme von bis zu 170 mg Morphium pro Tag plus Opium ausgegangen
ist und der beratende Arzt der Beklagten, Dr. S., eine entsprechende Objektivierung für erforderlich gehalten hat, ist diese
durch das (Kurz-) Gutachten des Facharztes für Laboratoriumsmedizin Dr. G. vom 22. Januar 2014 erfolgt. Das dem Gutachten
zu Grunde liegende Screening war im Hinblick auf Alkohol (Ethylglucuronid) sowie auf Opiate/Morphin positiv. Zwar hat es sich
hierbei um eine einmalige Untersuchung gehandelt, gleichwohl führt die Gesamtschau der Untersuchungsergebnisse von Dr. G.
mit den vorherigen medizinischen Dokumentationen einschließlich der anamnestischen Angaben des Klägers zweifelsfrei zu der
Bejahung der Diagnosen Alkoholabhängigkeit und Opiatabhängigkeit. Soweit die Beklagte bzw. ihr beratender Arzt weiterhin in
Zweifel gezogen hat, dass ein entsprechender Alkohol- und Schmerzmittelkonsum des Klägers stattfindet, und im Übrigen die
"Vorbereitung" des Klägers auf die bevorstehende Untersuchung durch Dr. G. in den Raum gestellt hat, vermag der Senat dem
nicht zu folgen. Vielmehr handelt es sich um spekulative und damit nicht entscheidungserhebliche Äußerungen. Angesprochen
ist in diesem Zusammenhang vor allem die Frage der Nachweisbarkeit bzw. Objektivierbarkeit von medizinischen Befunden und
krankhaften Zuständen. Insoweit ist auf die entsprechenden Anforderungen, die an ein Sachverständigengutachten zu stellen
sind, hinzuweisen: Die sachgerechte sozialmedizinische Beurteilung bzw. die Erhellung eines medizinischen Sachverhaltes setzt
eine ausreichende Anamneseerhebung, die Erhebung des klinischen Befundes sowie den Einsatz möglicher apparativer Diagnostikmöglichkeiten
voraus. Im Falle von psychiatrischen Sachverständigengutachten kommt ggf. eine psychologische Testung hinzu. Dies führt dazu,
dass in die Gesamtschau sowohl objektivierbare als auch nicht objektivierbare Elemente einfließen. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass sich nicht jegliche gesundheitliche Beeinträchtigung apparativ oder labormedizinisch objektivieren lässt. Die medizinische
Einschätzung hinsichtlich Befund, Diagnose und Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit hat deshalb auch alle weiteren
Gesichtspunkte einzubeziehen. Insoweit gehört zur originären Sachverständigentätigkeit im sozialgerichtlichen Verfahren, sowohl
objektivierbare Elemente als auch nicht objektivierbare Anhaltspunkte in einer Gesamtschau kritisch zu würdigen und schlussendlich
zu einer Beurteilung zu gelangen. Diesen Anforderungen wird das Gutachten von Dr. D. uneingeschränkt gerecht und dem Sachverständigen
ist hinsichtlich der gestellten Diagnosen einer chronischen Alkoholabhängigkeit sowie einer Morphium- und Opiumabhängigkeit,
jeweils mit Substanzmittelmissbrauch bzw. -gebrauch, zu folgen. In der Längsschnittbetrachtung finden sich über die Gutachten
von Dr. D. und Dr. G. hinaus in folgenden Berichten/Gutachten Hinweise auf Alkoholgebrauch: Befundbericht Psychiater L. vom
27. Oktober 2008, Gutachten Dr. M. vom 5. Juni 2009, Abschlussbericht des Ambulanten Orthopädischen Reha-Zentrums Kassel vom
21. Oktober 2009, Gutachten Dr. O. vom 18. Januar 2010, Gutachten Prof. Dr. P. vom 24. März 2010, Abschlussbericht des Ambulanten
Orthopädischen Reha-Zentrums Kassel vom 16. Dezember 2010, Sachverständigengutachten Dr. Q. vom 5. Oktober 2011. Angesichts
dessen kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Anamnese hinsichtlich Alkohol "leer" ist. Besonderes Gewicht kommt
den Feststellungen von Dr. O. zu, der in dem sozialgerichtlichen Verfahren des Klägers gegen seine Krankenkasse als Sachverständiger
tätig geworden ist. Danach ist der Befund eines erhöhten Leberwertes erhoben worden, was Dr. O. mit einem Alkoholabusus in
Zusammenhang gebracht hat. In der Gesamtschau ist jedenfalls festzustellen, dass sich der Alkoholgebrauch in der Zeit vor
der Untersuchung durch Dr. D. aufgrund der Angaben in den genannten medizinischen Dokumentationen, auf die im Einzelnen Bezug
genommen wird, von "abstinent" über "selten" bzw. "gelegentlich" und "2 mal 0,125 l" täglich auf ein bis zwei Flaschen täglich
gesteigert hat. Hinsichtlich der Einnahme von Opiaten/Morphin enthalten über die Gutachten von Dr. D. und Dr. G. hinaus folgende
chronologisch wiedergegebenen Berichte/Gutachten, auf die ebenfalls Bezug genommen wird, Hinweise: Bericht Dr. E. vom 4. Mai
2009, Gutachten Dr. M. vom 5. Juni 2009, Bericht Dr. E. vom 22. Dezember 2009, Gutachten Prof. P. vom 24. März 2010, Berichte
Dr. E. vom 15. April 2010, 28. Juni 2011, 25. Januar 2012, 16. Mai 2012, 27. Mai 2013 und vom 17. Juni 2013 sowie Bericht
Dr. F. vom 23. Juni 2013. Nach den Angaben in den genannten Unterlagen ist zunächst im Mai 2009 von Dr. E. eine Medikation
mit Norspan und Temgesic (beides Opioide) empfohlen worden. Soweit der Sachverständige Dr. D. in seiner Stellungnahme vom
20. August 2013 hieraus und aus den weiteren Berichten von Dr. E. geschlossen hat, es habe sich lediglich um Empfehlungen
gehandelt, so dass die entsprechende Rezeptierung und Einnahme mit den Angaben in den Berichten nicht objektiviert seien,
trifft dies offensichtlich nicht zu. Lediglich der Bericht von Dr. E. vom 4. Mai 2009 enthält eine Medikamentenempfehlung
hinsichtlich Norspan und Temgesic, in allen weiteren Berichten wird eine entsprechende Medikation bzw. die Änderung der Präparate
(hinsichtlich Capros und Sevredol, beides Morphine) bestätigt. Wird weiter berücksichtigt, dass Dr. M. in seinem Gutachten
aufgrund der Untersuchung und Anamneseerhebung vom 18. Mai 2009 ausgeführt hat, der Kläger werde seit drei Wochen mit Opiaten
behandelt, steht in der Gesamtschau zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger seit Mai 2009 Opiate bzw. Morphine einnimmt,
wobei neben den Verordnungen von Dr. E. die Rezeptierung von Opiumtropfen wegen therapierefraktärer Diarrhöen hinzugekommen
ist, wie dies der Bericht von Dr. F. vom 23. Juni 2013 ausweist. Bestehen damit für den Senat keine Zweifel an dem Vorliegen
einer Alkoholabhängigkeit sowie einer Morphium- und Opiatabhängigkeit, gilt dies gleichermaßen für die weiter von Dr. D. diagnostizierte
mittelschwere Anpassungsstörung. Anhaltspunkte für eine solche Erkrankung finden sich bereits in dem Reha-Entlassungsbericht
der Klinik am Park vom 20. Mai 2008, ebenso in dem Gutachten von Dr. M. vom 5. Juni 2009. Dementsprechend spiegeln auch die
Angaben der behandelnden Ärzte (so z. B. Befundberichte L. vom 27. Oktober 2008, Dr. T. vom 24. August 2009 und Dr. E. vom
27. Mai 2013) dieses Krankheitsbild wieder. Nicht zuletzt sind im Hinblick auf die Ausprägung der Erkrankung auch die beiden
Suizidversuche des Klägers mit einer Morphinüberdosierung zu berücksichtigen. Soweit der in der Begutachtung von Rentenbewerbern
besonders erfahrene Sachverständige Dr. D. im Ergebnis unter Berücksichtigung der mittelschweren Anpassungsstörung, der chronischen
Alkoholabhängigkeit sowie der chronischen Morphium- und Opiatabhängigkeit zu der Beurteilung gelangt ist, es liege psychiatrischerseits
eine mittelgradig bis schwer einzustufende Einschränkung der Leistungs- und Partizipationsfähigkeit mit Beeinträchtigung der
sozialen Kompetenzen, der Kommunikationsfähigkeit, des Antriebs, des planerischen Denkens und der Motivation vor mit der Folge,
dass der Kläger nur noch in der Lage ist, drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, ist dies schlüssig, widerspruchsfrei
und überzeugend. Die Leistungsbeurteilung wird von Dr. D. nach eingehender Befunderhebung mit nachvollziehbarer und für den
Senat einleuchtender Begründung aus den gestellten Diagnosen abgeleitet und steht im Einklang mit den übrigen Befundunterlagen
der den Kläger behandelnden Ärzte.
Die von Dr. D. beschriebene - rentenrelevante - Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers ist für die Zeit
seit dem 29. November 2012, dem Zeitpunkt der dortigen gutachterlichen Untersuchung, zu bejahen. Der Senat vermag dem Sachverständigen
in seiner Beurteilung nicht zu folgen, das von ihm festgestellte eingeschränkte Leistungsvermögen gelte bereits für die Zeit
seit 2008, weil es seinerzeit zu zunehmenden Schmerzen mit Entwicklung einer Morphiumabhängigkeit gekommen sei. Diese Begründung
erachtet der Senat nicht als tragfähig. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass für das tatsächliche Vorliegen von seelisch
bedingten Störungen, ihre Unüberwindbarkeit aus eigener Kraft und ihre Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
den Rentenbewerber die (objektive) Beweislast trifft (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 5 RJ 48/03 R m.w.N.). Davon ausgehend kann vorliegend für die Zeit vor dem 29. November 2012 gerade nicht mit der erforderlichen an
Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass das quantitative Leistungsvermögen des Klägers auf unter
sechs Stunden täglich herabgesunken war. Soweit der Sachverständige Dr. D. auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Mai
2008 abgestellt hat, ergibt sich aus den genannten Befunddokumentationen, dass die Behandlung des Klägers mit Morphinen erst
im Mai 2009 begonnen hat. Zudem liegt auf der Hand, dass ab diesem Zeitpunkt nicht sogleich die von Dr. D. beschriebene Morphium-
und Opiatabhängigkeit bei dem Kläger eingetreten sein kann, sondern diese sich schleichend im weiteren Verlauf der Behandlung
entwickelt hat. Ab welchem Zeitpunkt genau von der gesicherten Diagnose einer Morphium- und Opiatabhängigkeit auszugehen ist,
lässt sich anhand der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht feststellen. Insoweit enthalten die Befundberichte der behandelnden
Ärzte lediglich Hinweise auf die entsprechende Medikation. Aber auch die Ausführungen des im Verfahren gegen die Krankenkasse
des Klägers tätig gewordenen Sachverständigen Prof. Dr. P. in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 24. März 2010,
wonach im Rahmen der Untersuchung vom 19. März 2010 ein feinschlägiger Händetremor feststellbar gewesen sei, was der Sachverständige
als Entzugssymptome gedeutet hat, reichen nicht aus, um die von Dr. D. festgestellte Morphium- und Opiatabhängigkeit einschließlich
der sich daraus ergebenden Folgen bereits ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. P. annehmen zu können. Gleichermaßen
kann die festgestellte Alkoholabhängigkeit nicht auch für die Zeit vor der Untersuchung durch Dr. D. bejaht werden. Wie bereits
ausgeführt, hat sich der Alkoholgebrauch des Klägers seit 2008 gesteigert bis hin zu einem Umfang von ein bis zwei Flaschen
Wein täglich. Auch insoweit bleibt unklar, ab welchem Zeitpunkt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Alkoholgebrauch
des Klägers zu einer entsprechenden Abhängigkeit geführt hat. Zwar hat Dr. O., der ebenfalls im Verfahren des Klägers gegen
die Krankenkasse ein medizinisches Sachverständigengutachten erstellt hat, auf einen erhöhten Leberwerte "als Ausdruck der
Leberbelastung bei bekanntem Alkoholabusus" hingewiesen. Hieraus allein lässt sich jedoch nicht auf eine Alkoholabhängigkeit
schließen, so dass es auch insoweit bei dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. D. zu verbleiben hat. Letztlich
führt die Gesamtschau der medizinischen Unterlagen im Hinblick auf die bei dem Kläger vorliegende Anpassungsstörung nicht
zu einem Leistungsfall vor dem 29. November 2012. Zum einen ist Prof. Dr. P. in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten
vom 24. März 2010 - dem einzigen Gutachten dieses Fachgebietes vor Erstellung des Gutachtens von Dr. D. - noch von einem quantitativ
nicht eingeschränkten Leistungsvermögen ausgegangen. Zum anderen hat Dr. D. nachvollziehbar seine Leistungsbeurteilung und
damit die quantitative Leistungseinschränkung auf das Zusammenwirken der mittelgradigen Anpassungsstörung mit dem chronischen
Alkoholabhängigkeitssyndrom sowie dem chronischen Morphiumabhängigkeitssyndrom gestützt und hieraus eine mittelgradige bis
schwerer Beeinträchtigung des Klägers abgeleitet. Sowohl die Alkoholabhängigkeit als auch die Morphiumabhängigkeit können
jedoch - wie ausgeführt - erst ab dem 29. November 2012, dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. D., als
nachgewiesen angesehen werden. Für die Zeit zuvor verbleibt es bei der Nichterweislichkeit einer quantitativen und damit rentenrelevanten
Leistungseinschränkung bzw. bei dem Ergebnis der im erstinstanzlichen Verfahren durchgeführten Ermittlungen.
Nach alledem ist der Kläger seit dem 29. November 2012 nur noch in der Lage ist, drei bis unter sechs Stunden täglich mit
den genannten qualitativen Einschränkungen erwerbstätig zu sein. Dies erfüllt die Voraussetzungen eines Leistungsfalles der
teilweisen Erwerbsminderung gemäß §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI. Zugleich sind hiermit die Voraussetzungen des Leistungsfalles einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI erfüllt. Für die Beurteilung, ob ein Versicherter, der aufgrund seines Gesundheitszustands in quantitativer Hinsicht nur
noch weniger als täglich sechs Stunden und mindestens täglich drei Stunden arbeiten kann, voll erwerbsgemindert ist, kommt
es darauf an, ob für entsprechende Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die der Versicherte mit seinen Kräften
und Fähigkeiten noch ausfüllen kann. Insoweit kann jedoch ohne weitere Prüfung bzw. ohne Nachweis - fehlgeschlagener - Vermittlungsbemühungen
der Arbeitsverwaltung oder des Rentenversicherungsträgers innerhalb eines Jahres von der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes
ausgegangen werden (vgl. BSG, Urteil vom 8. September 2005, B 13 RJ 10/04 R m.w.N.; vgl. zur Fortgeltung der Rechtsgrundsätze über die sog. Arbeitsmarktrenten auch BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R). Bei einem quantitativ auf drei bis unter sechs Stunden täglich reduzierten Leistungsvermögen ist mithin grundsätzlich
neben dem Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung zugleich auch der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eingetreten.
Ausgehend von dem 29. November 2012 als Leistungsfall sind vorliegend ausweislich des Versicherungsverlaufes vom 23. Juli
2014 neben der allgemeinen Wartezeit (§
43 Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 SGB VI, §
50 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB VI) auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§
43 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 SGB VI) erfüllt. Im danach maßgeblichen (verlängerten) Zeitraum von fünf Jahren vom 29. Juli 2007 bis 28. November 2012 hat der
Kläger 42 Monate mit Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt.
Der Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung erstreckt sich auf einen Leistungszeitraum vom 1. Juni 2013
bis 31. Mai 2016. Insoweit war die dem Kläger zuerkannte Rente nach §
102 Abs.
2 Satz 1
SGB VI zu befristen. Nach dieser Vorschrift werden u.a. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Rentengewährung
erfolgt nur unbefristet, wenn sie nicht von der Arbeitsmarktlage abhängt und es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der
Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; die letztgenannte Voraussetzung ist bei einer Gesamtdauer der Rentengewährung von neun
Jahren stets zu bejahen (§
102 Abs.
2 Satz 5
SGB VI). Hier kam nur eine befristete Rente in Betracht, da dem Kläger der Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung
nur wegen der Verschlossenheit des (Teilzeit-) Arbeitsmarktes zusteht und im Übrigen nach den Ausführungen des Sachverständigen
Dr. D. die Leistungsfähigkeit des Klägers mit einer adäquaten psychiatrischen Behandlung deutlich zu verbessern ist. Die Befristung
erfolgt nach §
102 Abs.
2 Satz 2
SGB VI für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die es rechtfertigen könnten, von dieser
für den Regelfall vorgegebenen Befristungsdauer hier abzuweichen. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden
nach §
101 Abs.
1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Der siebte Kalendermonat
nach Eintritt der nachgewiesenen Erwerbsminderung begann hier am 1. Juni 2013, so dass sich der Leistungszeitraum von drei
Jahren auf die Zeit bis zum 31. Mai 2016 erstreckt.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass dem Kläger für die Zeit vor dem 1. Juni 2013 kein Rentenanspruch
zusteht, die Berufung war insoweit zurückzuweisen. Der Kläger konnte ausgehend von dem nicht widerlegten Ermittlungsergebnis
im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Zeitpunkt des Leistungsfalles vom 29. November 2012 zumindest noch leichte Arbeiten
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten und
musste sich zur Verwertung seines Restleistungsvermögen auf sämtliche - ihm in gesundheitlicher Hinsicht objektiv zumutbaren
- Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts der Bundesrepublik Deutschland verweisen lassen. Zunächst wird zur Vermeidung
von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen, denen sich der Senat anschließt (§
153 Abs.
2 SGG). Insbesondere vertritt auch der Senat die Auffassung, dass kein sog. Katalog- bzw. Seltenheitsfall gemäß der ständigen Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 9. Mai 2012, B 5 R 68/11 R m.w.N.) hinsichtlich der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung
oder von betriebsunüblichen Pausen bezogen auf die Zeit vor dem 29. November 2012 vorlag. Dass der Kläger nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme im erstinstanzlichen Verfahren nur noch für Tätigkeiten in Betracht kam, bei denen sich in unmittelbarer
Nähe zum Arbeitsplatz eine Toilette befindet, steht einer Tätigkeit unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen nicht
entgegen. Denn wie sich aus den vom Senat zum Gegenstand des Verfahrens gemachten berufs- und wirtschaftskundlichen Auskünften
der Bundesagentur für Arbeit - Regionaldirektion Hessen - vom 3. März 2005 und vom 10. Dezember 2010 ergibt, besteht jedenfalls
bei Tätigkeiten im Bürobereich, z.B. für Poststellenmitarbeiter, auch unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
durchaus die Möglichkeit zur jederzeitigen Arbeitsunterbrechung zum Toilettengang, und es gibt auch genügend solcher Arbeitsplätze,
in deren unmittelbarer Nähe eine Toilette vorhanden ist. Eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ist allenfalls dann zu erwägen,
wenn bei einem Arbeitnehmer zusätzlich zur üblichen Frequenz noch weitere Toilettengänge in einem solch großen Ausmaß anfallen,
dass dies mit einem ungestörten Arbeitsablauf schlechthin nicht mehr zu vereinbaren ist. Dass dies im Falle des Klägers gegeben
sein könnte, lässt sich jedoch nicht bejahen. So hat der Sachverständige Dr. M. im Gutachten vom 5. Juni 2009 ausgeführt,
dass die für den Kläger erforderlichen häufigeren Toilettengänge keine betriebsunüblichen Arbeitspausen bedingen, sondern
unter die persönlichen Verteilzeiten fallen. Gleichermaßen hat sich der gastroenterologische Sachverständige Dr. Q. in seinem
Gutachten vom 5. Oktober 2011 geäußert, wonach eine Toilette für den Kläger immer erreichbar sein muss, dies jedoch nicht
zu dem Erfordernis der Einhaltung von zusätzlichen betriebsunüblichen Pausen führt. Dies gelte im Übrigen ebenso, soweit der
Kläger die Möglichkeit haben müsse, kleinere Mengen Nahrungsmittel oder Kalorien-Trinklösungen zu sich zu nehmen. Zu weitergehenden
berufs- und wirtschaftskundlichen Ermittlungen brauchte der Senat sich nicht gedrängt zu fühlen. Denn zu den besonderen gesetzlichen
Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit gehört unter anderem die Arbeitsmarktforschung, und sie verfügt zur Erfüllung dieses
Auftrages über entsprechende personelle und sachliche Einrichtungen, so dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass Aussagen
der Bundesagentur für Arbeit und ihrer Behörden zu Fragen des Arbeitsmarktes von besonderer Sachkunde gestützt werden (vgl.
BSG, Urteil vom 5. Juni 1984, 4a RJ 19/85). Dies muss umso mehr gelten, als konkrete Gesichtspunkte, unter denen die Richtigkeit
der vorliegenden berufs- und wirtschaftskundlichen Auskünfte in Zweifel gezogen werden könnte, weder dargetan worden noch
sonst erkennbar sind und sich insbesondere auch nicht aus den Beurteilungen der Sachverständigen Dr. M. und Dr. Q. ergeben.
Ob im Übrigen die in Betracht kommenden Arbeitsplätze frei waren oder besetzt, ist für die Entscheidung unerheblich, denn
die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie der Kläger für die Zeit vor dem 29. November 2012 noch zumindest sechs Stunden
pro Arbeitstag einsatzfähig war, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für ihn offenen Arbeitsplätzen für die in
Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise
auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts
(vgl. BSG vom 10. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75 u. GS 3/76) kann bei diesem Personenkreis grundsätzlich nicht herangezogen werden. Das hat der Gesetzgeber in §
43 Abs.
3 SGB VI nochmals ausdrücklich mit dem Hinweis darauf klargestellt, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer - ungeachtet der jeweiligen
Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig
sein kann. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn ein Versicherter nach seinem Gesundheitszustand nicht
dazu in der Lage ist, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten,
oder wenn er außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 79/11 R). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch - wie ausgeführt - nicht gegeben.
Nach allem konnte die Berufung des Klägers nur hinsichtlich eines Anspruches auf befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung
für die Zeit vom 1. Juni 2013 bis 31. Mai 2016 Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht erfüllt sind.