Tatbestand:
Die 1987 geborene Klägerin begehrt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende während einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme
am Berufsförderungswerk YE ...
Die Klägerin hatte ursprünglich ihren Hauptwohnsitz in B-Stadt. Sie nahm im Zeitraum vom 20. Juni 2007 bis zum 9. Oktober
2007 an einem Vorbereitungskurs für eine anschließende Ausbildung als medizinische Dokumentationsassistentin bei dem Berufsförderungswerk
YE. teil. Im Zeitraum vom 10. Oktober 2007 bis 9. Oktober 2009 absolvierte sie eine Ausbildung zur medizinischen Dokumentationsassistentin
bei dem Berufsförderungswerk YE ... Die Klägerin lebte vom 20. Juni 2007 bis 9. Oktober 2009 in einem Wohnheim des Berufsförderungswerkes,
das während der Ferien geschlossen ist. Während der Ausbildung war die Klägerin mit Nebenwohnsitz in YE. gemeldet. Der von
der Klägerin vorgelegte Familienheimfahrtplan für das Jahr 2007 umfasste 30 Heimfahrttage. Die Klägerin erhielt von der Agentur
für Arbeit Leistungen zu Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§
97 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) in Verbindung mit §§
33,
44 ff. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX). Mit Bescheid vom 23. Mai 2007 bewilligte die Agentur für Arbeit für die Zeit vom 20. Juni 2007 bis 9. Oktober 2009 Ausbildungsgeld
in Höhe von 93 EUR monatlich sowie Reisekosten in Höhe von 149,60 EUR monatlich. Weiterhin erhielt die Klägerin im Juni 2007
Kindergeld in Höhe von 154,- EUR monatlich. Hinsichtlich der Einkommens- und Vermögenssituation der Klägerin wird im Übrigen
auf die Feststellungen in der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen (Bl. 1 bis 11 der Verwaltungsakte).
Die Klägerin beantragte am 28. Juni 2007 bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Mit Bescheid vom 3. Juli 2007 lehnte der Beklagte den Antrag ab.
Zur Begründung verwies der Beklagte auf die fehlende örtliche Zuständigkeit.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Juli 2007 Widerspruch ein. Ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort sei B-Stadt,
auch wenn sie sich circa zweieinhalb Jahren während der Ausbildung in einer Wohnunterkunft in YE. aufhalte. Die örtliche Zuständigkeit
bleibe in B-Stadt, wo die Klägerin ihren Hauptwohnsitz habe.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2007 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass
die Umstände dafür sprächen, dass sich die Klägerin nicht nur vorübergehend in YE. aufhalte und der Aufenthalt mindestens
bis 9. Oktober 2009 fortbestehe. Wochenendheimfahrten und Ferienaufenthalte in B-Stadt könnten demgegenüber nur als vorübergehend
gewertet werden.
Die hiergegen gerichtete Klage ist am 19. September 2007 bei dem Sozialgericht in B Stadt eingegangen. Die Klägerin hat die
Begründung aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft und sich auf ihren Hauptwohnsitz berufen. Das Internat sei
in den Ferien geschlossen, so dass sie in dieser Zeit YE. verlassen müsse. Sie bewohne ein kleines Zimmer mit Dusche und WC,
welches sie selbst reinigen müsse. Sie habe daher Aufwendungen für Putz- und Waschmittel, sowie für die Benutzung von Waschmaschine
und Wäschetrockner, Kleidung, Körperpflege und für die Teilnahme am kulturellen Leben. Die Beklagte hat sich auf die Begründung
des Widerspruchsbescheides bezogen und ausgeführt, dass es auf den melderechtlichen Wohnsitz nicht entscheiden ankäme, vorrangig
sei auf den persönlichen Lebensmittelpunkt abzustellen. Die Beiladung der ARGE JobCenter Heidelberg ist mit Beschluss vom
7. April 2008 erfolgt. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 15. April 2008, der Beigeladenen zugestellt am 21. Mai 2008, die
Beigeladene verurteilt, der Klägerin ab 28. Juni 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher
Höhe zu zahlen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass die Klägerin ihren gewöhnlichen
Aufenthalt seit 20. Juni 2007 in YE. habe. Der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Klägerin befinde sich jedenfalls während
der Zeit der Ausbildung in YE ... Nach dem vorliegenden Heimfahrtplan habe es im Jahr 2007 30 Heimfahrttage gegeben, so dass
der Aufenthalt der Klägerin in B-Stadt lediglich Besuchscharakter habe. Der Aufenthalt der Klägerin in YE. sei auch nicht
nur vorübergehend, da sie sich voraussichtlich bis Oktober 2009 dort regelmäßig aufhalte. Im Allgemeinen werde man bei einem
regelmäßigen Aufenthalt an einem Ort von mehr als sechs Monaten einen gewöhnlichen Aufenthalt annehmen dürfen.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Beigeladenen ist am 29. Mai 2008 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt
eingegangen. Währenddessen hat die Beigeladene mit Bescheid vom 28. August 2008 die Leistungsgewährung abgelehnt. Eilrechtsschutz
und ein aufgrund der dortigen Rechtsmittelbelehrung durchgeführtes Widerspruchs- und Klageverfahren vor dem Sozialgericht
Mannheim sind erfolglos geblieben.
Die Beigeladene trägt vor, dass für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts sowohl subjektive als auch insbesondere
objektive Elemente maßgebend seien. Insoweit stelle sich die Frage, ob sich die Klägerin in YE. bis auf weiteres im Sinne
eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhalte. Dies sei zu verneinen, da die Maßnahme bis zum 9. Oktober 2009 befristet gewesen
sei. Das dortige Zimmer stehe lediglich während der regulären Schulzeit zur Verfügung, so dass dadurch kein eigenständiges
Wohnrecht erworben werden könne. Im Übrigen fahre die Klägerin regelmäßig nach Hause, zumal sie nach den Informationen der
Beigeladenen dort ihren Freund besuche. Schließlich finde während der Ausbildung zweimal ein vierteljährliches Praktikum statt,
wobei die Möglichkeit bestehe, dieses entweder in YE. oder auch im Heimatort abzuleisten. Nach der Entscheidung des Hessischen
Landessozialgerichts vom 29. Oktober 1981 - L 1 Kg 300/80 - komme es bei einer längeren Abwesenheit darauf an, ob der Wille
zur Rückkehr entfallen sei. Bei auswärts zur Ausbildung untergebrachten Kindern dürfte am Ausbildungsort regelmäßig kein gewöhnlicher
Aufenthaltsort begründet werden, da die Kinder in dieser Zeit noch wirtschaftlich an die Eltern gebunden seien. Dies stehe
im Einklang mit der Vorschrift des § 7 Abs. 3 SGB II wonach unverheiratete Kinder unter 25 Jahren grundsätzlich der Bedarfsgemeinschaft
der Eltern zugeordnet werden würden.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und den Berufungsbeklagten zu verurteilen, Leistungen nach dem SGB II ab dem 28.
Juni 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, der gewöhnliche Aufenthalt von Studierenden am Wohnort der Eltern sei dann abzulehnen, wenn sich diese
lediglich an Wochenenden oder zur Ferienzeit dort einfänden. Nichts anderes könne für Auszubildende gelten. Die von der Beigeladenen
zitierte Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. Oktober 1981 sei vorliegend unanwendbar, da es sich bei
der Klägerin nicht um ein Kind handele.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
Sie beruft sich nunmehr auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Im Rahmen der informatorischen Anhörung im
Erörterungstermin hat sie ihre Angaben dahingehend ergänzt, dass sie unmittelbar nach Beendigung der Maßnahme in YE. zum 9.
Oktober 2009 nach A-Stadt gezogen sei. Sie habe seit drei Jahren einen Freund, der in A-Stadt lebe. Während der Berufsbildungsmaßnahme
seien zwei Praktika durchzuführen gewesen. Beide habe sie in A-Stadt absolviert und in dieser Zeit bei ihrem Freund gelebt.
Es habe sich um zwei Praktika von jeweils drei Monaten gehandelt. Ihre Eltern habe sie nur etwa alle drei Monate für ein Wochenende
besucht. Bereits zu Beginn der Maßnahme habe sie eher ihren Freund in A-Stadt besucht als die Eltern in B-Stadt.
Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter vom 19. Mai 2010 übereinstimmend ihre Zustimmung zur Entscheidung
durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und Beigeladenen sowie der Gerichtsakten des Sozialgerichts
Mannheim in den Verfahren S 2 AS 3208/08 und S 2 AS 3686/08 ER verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenstand ist ursprünglich der Leistungsanspruch der Klägerin ab 28. Juni 2007 bis zur letzten mündlichen Verhandlung
bzw. Absendung der Entscheidung durch die Geschäftsstelle des Landessozialgerichts gewesen, da die Leistungsträger den Anspruch
der Klägerin in vollem Umfang abgelehnt haben (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 B 4 AS 40/07 R). Da aber über den 9. Oktober 2009 hinaus die Zuständigkeit der beiden beteiligten Leistungsträger entfallen ist, ist der
Streitgegenstand aus tatsächlichen Gründen nunmehr insoweit begrenzt.
Einer Sachentscheidung des Berufungsgerichts steht die Befassung des Sozialgerichts Mannheim mit dem Umsetzungsbescheid vom
28. August 2008 in den Verfahren S 2 AS 3208/08 und S 2 AS 3686/08 ER nicht entgegen. Im Verfahren S 2 AS 3208/08 ist lediglich ein Prozessurteil ergangen, in dem zutreffend darauf hingewiesen wurde, dass doppelte Rechtshängigkeit bestanden
hat. Der Bescheid der Beigeladenen vom 28. August 2008, der vermeintlich auf eine Umsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung
zielte, regelte nämlich den oben dargestellten Streitgegenstand und hat - ungeachtet der Tatsache, dass er von einem anderen
Leistungsträger stammt - abändernden bzw. ersetzenden Charakter i.S.d. §
96 SGG (vgl. zum Verwaltungsakt eines notwendig Beigeladenen: Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 9. Aufl., §
96 Rdnr. 6 m.w.N.). Der Bescheid ist Gegenstand des hiesigen Berufungsverfahrens geworden. Im Verfahren S 2 AS 3686/08 ER äußert sich das Sozialgericht Mannheim hiernach zwar zuständigkeitswidrig zur Begründetheit. Diesen Ausführungen kommt
aber wegen der Vorläufigkeit des Eilverfahrens keine Rechtskraftwirkung zu.
Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beigeladene zu Recht dem Grunde nach zur Leistung verurteilt.
Die zulässige Klage war hinsichtlich der allein passivlegitimierten Beigeladenen begründet. Die Klägerin hat gegen die Beigeladene
dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Gestalt von Arbeitslosengeld II nach
§§ 7 ff., 19 ff. SGB II.
Die Beigeladene war örtlich zuständig, da die Klägerin während der Rehabilitationsmaßnahme ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
YE. hatte. Die örtliche Zuständigkeit des Trägers ist gemäß § 36 Satz 1 und Satz 2 SGB II an den gewöhnlichen Aufenthalt des
Hilfebedürftigen gebunden. Gemäß §
30 Abs.
3 Satz 2
Sozialgesetzbuch I (
SGB I) hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem
Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Dies lässt sich allein aufgrund einer vorausschauenden Perspektive
beurteilen, wobei alle für die Prognose zu Beginn des streitigen Zeitraumes erkennbaren Umstände zu berücksichtigen sind;
von Bedeutung sind objektive Momente, die auf einen Zustand längeren Verweilens schließen lassen (Seewald in: Kasseler Kommentar,
§
30 SGB I Rn. 19 (Stand 55. EL)). Hinsichtlich der Länge verbietet sich eine pauschalierende Betrachtungsweise, Inlands- und Auslandsabwesenheiten
sind ebenso unterschiedlich zu bewerten, wie der Aufenthaltszweck und Umstände, die auf eine wahrscheinliche Rückkehr schließen
lassen. Fehlen die letztgenannten Umstände, so ist es für den gewöhnlichen Aufenthalt hinreichend, dass sich jemand an einem
Ort zukunftsoffen "bis auf Weiteres" als Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen aufhält (BVerwG, Urteil vom 18. März 1999 -
5 C 11.98). Steht hingegen eine Absicht im Raum, an einen früheren Ort des gewöhnlichen Aufenthalts zurückzukehren, so muss die Wahrscheinlichkeit
der Rückkehr umso größer sein, je länger der Aufenthalt ist (Seewald in: Kasseler Kommentar, §
30 SGB I Rn. 21 (Stand 55. EL)). Der bloße Wille, den gewählten Ort wieder zu verlassen, schließt einen gewöhnlichen Aufenthalt aber
nicht aus (Hess. VGH, Beschluss vom 9. Oktober 2003 10 ZU 2113/03). Hiernach hatte die Klägerin während der Durchführung der Maßnahme am Berufsbildungswerk
YE. in YE. auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Sie beabsichtigte von Beginn an, für einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren
die meiste Zeit im Monat in YE. zu verbringen; nach dem Eindruck im Erörterungstermin nahm die Klägerin ihre Ausbildung mit
großer Ernsthaftigkeit in Angriff, woraus geschlossen werden kann, dass sie seinerzeit diese als den Lebensabschnitt prägend
wahrgenommen hat und sie am Ort der Ausbildung ihren Lebensmittelpunkt sehen musste. Für einen gewöhnlichen Aufenthalt in
YE. spricht auch, dass von Anfang keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen waren, dass die Klägerin die Maßnahme in enger Verbundenheit
zu ihrer Familie absolvieren werde. In der Rückschau wird dieses Ergebnis dadurch bestätigt, dass die Klägerin glaubhaft angegeben
hat, von Beginn an häufiger ihren Freund in A-Stadt als ihre Eltern in B-Stadt besucht zu haben. Diese Perspektive ist für
eine gerade volljährig gewordene Frau nachvollziehbar, die in der Ausbildungsphase des Lebens erstmals außerhalb des Elternhauses
wohnt. Insbesondere existiert nach Auffassung des Senates unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen keine Vermutung
dahingehend, dass junge Menschen nach einer Ausbildung oder dem Studium in größerer Entfernung vom Elternhaus üblicherweise
wieder in die Heimat zurückkehren. Auch kann aus einer internatsmäßigen Unterbringung nicht auf einen fehlenden gewöhnlichen
Aufenthalt geschlossen werden (so offenbar noch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Februar 1994 - L 4 V 76/93). Ferner hatte die Klägerin nicht vor, ihre Praktika am Heimatort zu absolvieren. Hieran änderte sich auch nichts. Letztlich
sprechen die geplante Dauer des Aufenthalts von über zwei Jahren und die zukunftsoffene Lebensperspektive der Klägerin zum
damaligen Zeitpunkt mit überwiegendem Gewicht für einen gewöhnlichen Aufenthalt in YE ... Dieser Bewertung stehen nicht die
anderslautenden Angaben der Klägerin zu Beginn des gerichtlichen Verfahren (Ferienheimfahrten, geschlossenes Wohnheim) entgegen,
die wohl darauf zurückzuführen waren, dass die Klägerin glaubte, dass es auf den Wohnsitz ankomme.
Der Leistungsberechtigung steht nicht § 7 Abs. 5 SGB II aufgrund des Bezuges von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach
§§
97 ff.
SGB III entgegen (vgl. zum Folgenden wie hier: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Februar 2008 - L 5 B 10/08 AS ER; Brühl/Schoch in: Münder LPK-SGB II, § 7 Rdnr. 114; tendenziell auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 6. September 2010
- L 7 B 633/08 AS-ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. März 2010, L 20 AS 2047/09 B ER, L 20 AS 2050/09 B PKH; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Juli 2010 - L 6 AS 587/10 B ER). Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAFöG oder der §§
60 bis
62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die §§
60 bis
62 SGB III finden auf die vorliegende Konstellation keine Anwendung. Zwar ist der von der Antragstellerin gewählte Beruf der medizinischen
Dokumentationsassistentin staatlich anerkannt und es dürfte mit dem Berufsbildungswerk YE. auch ein Berufsausbildungsvertrag
abgeschlossen worden sein. Liegen jedoch - wie hier - die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben nach §§
97 ff.
SGB III und insbesondere für die Bewilligung besonderer Leistungen nach §§
102 ff
SGB III vor, so verdrängen diese spezielleren Regelungen die allgemeinen, so dass auch für eine Anwendung der §§
60 bis
62 SGB III kein Raum verbleibt. Wer - wie die Klägerin - während einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §
104 Abs.
1 Nr.
1 SGB III Anspruch auf Ausbildungsgeld hat, hat nicht daneben noch Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach §§ 59ff.
SGB III. Zwar gelten nach §
104 Abs.
2 SGB III für das Ausbildungsgeld die Vorschriften über die BAB entsprechend, soweit im Folgenden nichts Abweichendes bestimmt ist.
Dass die BAB und das Ausbildungsgeld sich aber nicht nur hinsichtlich der Bedarfssätze und der Einkommensanrechnung (§§
105 ff.
SGB III) unterscheiden, sondern auch in Bezug auf die als förderungsfähig angesehenen Ausbildungen, zeigt §
102 Abs.
1 Satz 2
SGB III, wonach in besonderen Einrichtungen für behinderte Menschen - anders als nach §
60 Abs.
1 SGB III - auch Aus- und Weiterbildungen außerhalb des Berufsbildungsgesetzes und der Handwerksordnung gefördert werden. Handelt es sich bei dem Ausbildungsgeld nach §
104 SGB II um ein aliud zur BAB nach §
59 SGB III, so kann der für nach §§
60 bis
62 SGB III förderungsfähige Ausbildungen geltende Ausschluss gemäß §
7 Abs.
5 Satz 1 SGB II nicht ohne weiteres dahingehend ausgelegt werden, dass er auch für nach §§
97 ff.
SGB III förderungsfähige Ausbildungen gelten soll. Hätte der Gesetzgeber auch insoweit einen Ausschlusstatbestand schaffen wollen,
so hätte er die entsprechenden Vorschriften in Bezug nehmen können und müssen (LSG Berlin-Brandenburg aaO.). Die Zielsetzung
der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§
97 ff.
SGB III geht auch weit über die allein auf berufliche Eingliederung gerichtete Ausbildungsförderung nach §§
60 ff.
SGB III hinaus. Sie zielen auf einen behinderungsbezogenen Ausgleich, da sie wegen der Art und Schwere der Behinderung erforderliche
Leistungen darstellen, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe
am Arbeitsleben zu sichern (§
97 Abs.
1 SGB III). Dieser umfassende Ansatz, der auch in den Rechtsgrundlagen im Neunten Buch des Sozialgesetzbuches in §§
33 ff., 44 ff.
SGB XI sowie der Steuerung der Trägerzuständigkeit über §§
6,
6a SGB IX zum Ausdruck kommt, schließt es aus, in einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben allein eine dem Grunde nach förderungsfähige
Ausbildung zu sehen (im Ergebnis wohl auch BSG, Urteil vom 23. März 2010 - B 8 SO 17/09 R, das auf die besondere sozialpolitische
Funktion des Ausbildungsgeldes hinweist, ohne den Ausschlusstatbestand des § 22 SGB XII zu problematisieren). Wegen dieser
über die Ausbildungsförderung hinausgehenden Zielsetzung von Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§
97 ff.
SGB III ist eine fortbestehende Leistungsberechtigung auch mit dem Zweck des §
7 Abs. 5 SGB II vereinbar, wonach mit dem SGB II grundsätzlich kein drittes Fördersystem für die Ausbildungsförderung vorgehalten
werden soll. An dieser Auslegung hat sich auch durch die Einführung der Regelung des § 22 Abs. 7 SGB II nichts geändert, die
nunmehr auf bestimmte Bedarfssituationen beim Ausbildungsgeld Bezug nimmt. Zwar dürfte die Regelung im Hinblick auf Auszubildende,
die Ausbildungsgeld nach §§
104 ff.
SGB III erhalten, ins Leere laufen, wenn diese nicht unter den Anspruchsausschluss nach §
7 Abs. 5 Satz 1 SGB II fallen (a.A. Berlit in: Münder (Hrsg.), LPK-SGB II, Rdnr. 137, der hierin eine Erweiterung des Kreises
der Berechtigten über den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 5 SGB II hinaus sieht). Dies dürfte jedoch die Konsequenz eines gesetzgeberischen
Irrtums sein. Dass behinderte Menschen, die Anspruch auf besondere Leistungen nach dem
SGB III haben, dem von der Neuregelung in §
22 Abs.
7 SGB II erfassten Personenkreis zugeordnet wurden, ist darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber bei der Einfügung von §
22 Abs.
7 SGB II davon ausging, Auszubildende, die Ausbildungsgeld nach dem
SGB III bezögen, seien gleichermaßen von dem Anspruchsausschluss nach §
7 Abs. 5 Satz 1 SGB II betroffen wie Schüler, Studierende oder Auszubildende, die Leistungen nach dem BAFöG oder BAB beziehen
(vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BT-Drs. 16/1410,
S. 24). Allerdings war bis zu diesem Zeitpunkt weder § 26 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), die bis zum Inkrafttreten des SGB II insoweit maßgebliche und wortgleiche Regelung, noch § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II bis dahin
(erweiternd) ausgelegt worden, dass Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter den Leistungsausschluss gefasst wurden, weil
der ausbildungsbezogene Teil der Maßnahme bei abstrakter Betrachtung dem Wortlaut der §§
60 bis
62 SGB III unterfallen würden (Wenzel in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., München 2005, § 22 SGB XII Rdnr.
7; vgl. auch die Nachweise bei LSG Berlin-Brandenburg aaO.). Ohnehin würde ein Umkehrschluss von § 22 Abs. 7 SGB II auf den
Anwendungsbereich des § 7 Abs. 5 SGB II wenig systemgerecht nur die Fälle mit Unterkunftsbedarf erfassen. Dem Fördergebot
des Art.
3 Abs.
3 Satz 2
Grundgesetz (hierzu Jarass in: Jarass/Pieroth,
GG, 10. Aufl. Art.
3 Rdnr. 142 und 147) und den nach dem Grundsatz völkerrechtsfreundlicher Auslegung zu berücksichtigenden Fördergeboten im Bereich
Teilhabe durch Bildung, Rehabilitation und sozialer Schutz durch Art. 24, 26 und 28 des Übereinkommens über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen (BGBl. II 2008, S. 1419) würde es zumindest tendenziell zuwiderlaufen, eine unmittelbar auf die Teilhabe behinderter Menschen zielende Maßnahme in
eine reine Ausbildungsförderungsmaßnahme gleichsam umzuwidmen, um hierdurch einen Leistungsausschluss zu begründen.
Die Klägerin ist - soweit diese Frage der Prüfung des Anspruchs dem Grunde nach unterliegt - hilfebedürftig. Ausgehend von
den Feststellungen zu Bedarf und Einkommen in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten (vgl. Antrag der Klägerin gegenüber dem
Beklagten vom 19. Juni 2007), an deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen, ist nach derzeitigem Sachstand bei einem unbereinigten
Einkommen in Höhe von 247,- EUR zzgl. Fahrtkosten von einem Anspruch auf Regelleistungen bei einem Bedarf von 347,- EUR bzw.
ab 1. Juli 2008 351,- EUR zu Beginn des Leistungszeitraumes von mindestens 130,- EUR im Monat auszugehen. Ein Unterkunftsbedarf
ist nach derzeitigem Sachstand nicht erkennbar und wurde im Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten nicht geltend gemacht.
Bei der Einkommensbereinigung ist zu beachten, dass im Rahmen der Leistungsgewährung zur Teilhabe von Familienheimfahrten
gewährte Fahrtkosten als zweckgebundene Leistungen nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a) SGB II i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 10 Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-VO) anrechnungsfrei sind. Zum Abzug der Versicherungspauschale i.H.v. 30,- EUR bedarf es
keines Nachweises (BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14 AS 56/07 R).
Nach alledem besteht dem Grunde nach ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen des Arbeitslosengeldes II gegenüber der Beigeladenen.
In welcher Höhe der Anspruch tatsächlich besteht, bleibt dem Verwaltungsverfahren im Rahmen der Umsetzung dieser Entscheidung
durch die Beigeladene vorbehalten, da sich das Sozialgericht in zulässiger Weise auf ein Grundurteil beschränkt hat und der
Umstand der Entscheidung dem Grunde nach auch nicht mit einer Berufung der insoweit allein belasteten Klägerin angegriffen
worden ist. Da die Voraussetzungen des §
75 Abs.
5 SGG vorlagen, konnte auch eine Verurteilung der Beigeladenen erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Die Tenorierung des erstinstanzlichen Urteils war entsprechend anzupassen, zumal das Sozialgericht von der zutreffenden
Rechtsgrundlage ausgegangen ist.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da den streitentscheidenden Fragen wegen ihrer Einzelfallabhängigkeit keine grundsätzliche
Bedeutung zukommt.