Gründe:
Die am 30. Juli 2010 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde der Antragsgegnerin mit dem sinngemäßen
Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 23. Juni 2010 aufzuheben und den Antrag der Antragsteller abzulehnen,
ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, vorläufig den Antragstellern die Zusicherung zu den Unterkunftskosten
der Wohnung in der C-Straße in A-Stadt und die Zusicherung der darlehensweisen Übernahme einer Mietkaution von 560,00 EUR
zu erteilen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind insoweit auch nach Auffassung des Senates
erfüllt.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein Rechtsverhältnis gemäß
§
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer
Regelungsanordnung ist sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs)
als auch ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), die glaubhaft
zu machen sind (vgl. §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Zivilprozessordnung -
ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache
nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art.
19 Abs.
4 des Grundgesetzes -
GG -), ist von diesem Grundsatz jedoch dann abzuweichen, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare später nicht
wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr
in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988, Az. 2 BvR 745/88 = BVerfGE 79, 69 ff.; Beschluss vom 22. November 2002, Az. 1 BvR 1586/02 = NJW 2003, 1236 f.). Weiter ist zu berücksichtigen, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern
eine Wechselbeziehung besteht. Die Anforderungen an den Anordnungsanspruch sind mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere
des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich
aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Beschluss des 7. Senates des Hessischen Landessozialgerichts
vom 29. Juni 2005, Az. L 7 AS 1/05 ER; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG Kommentar, 9. Aufl., §
86b Rdnr. 29). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige
Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden
ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet und das angegriffene Verwaltungshandeln offensichtlich
rechtswidrig bzw. bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Leistungsträgers, so vermindern sich
die Anforderungen an den Anordnungsgrund (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Mai 2004, Az: L
16 B 15/04 KR ER; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 31. Juli 2002, Az: L 18 B 237/01 V ER). In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, wobei jedoch auf einen Anordnungsgrund
nicht gänzlich verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung
der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Davon ausgehend spricht nach Auffassung des Senats zwar viel für die Bejahung einer Glaubhaftmachung des erforderlichen Anordnungsanspruches,
wie dies von dem Sozialgericht im Einzelnen unter ausführlicher Darlegung der zur Angemessenheit der Aufwendungen für die
Unterkunft ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begründet worden ist. Auf die Ausführungen
im angefochtenen Beschluss wird insoweit verwiesen. Der Senat vertritt jedoch die Auffassung, dass die Prüfung, ob die von
einem Leistungsträger erstellten und angewendeten "Mietdatenbanken" auf einem schlüssigen Konzept beruhen und eine hinreichende
Gewähr dafür bieten, dass sie die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergeben (vgl. BSG, Urteile
vom 18. Juni 2008, B 14/7b AS 44/06 R, 2. Juli 2009, B 14 AS 33/08 R, 22. September 2009, B 4 AS 18/09 R und 18. Februar 2010, B 14 AS 73/08 R), innerhalb des Rahmens eines Eilverfahrens in aller Regel nicht möglich ist. Dies gilt zumindest dann, wenn - wie hier
- eine grundsätzliche und abschließende (ober-) gerichtliche Prüfung des Konzepts des Leistungsträgers noch nicht erfolgt
ist. Insoweit ist im Rahmen der erforderlichen Prüfung zunächst im Wege einer umfangreichen Analyse der Frage nachzugehen,
ob die Feststellungen der Verwaltung ausreichend bzw. unzulänglich sind. Ggf. hat sodann eine Nachbesserung des Konzepts durch
weitere eigene Ermittlungen des Gerichts zu erfolgen (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010, aaO.). Es liegt nahe, hierbei fachkompetente
Stellen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (z.B. über das Institut Wohnen und Umwelt GmbH in E-Stadt) hinzuzuziehen,
um dem umfangreichen Prüfungsaufwand gerecht zu werden. Ein derartiger, mehrmonatiger Ermittlungsaufwand hätte jedoch für
ein Eilverfahren zur Folge, dass die Rechtsschutzgarantie des Art.
19 Abs.
4 GG nicht mehr hinreichend gewährleistet wäre, so dass dieser im Ergebnis dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Nach
alledem ist es vorliegend geboten, von einem offenen Anordnungsanspruch auszugehen und im Übrigen den Eilantrag gemessen an
dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes bzw. einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Nach Auffassung des Senates ergibt die Folgenabwägung, dass ein Anordnungsgrund für den Erlass der einstweiligen Anordnung
in dem von dem Sozialgericht stattgegebenen Umfang zu bejahen ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert
(Conradis, SGB II, Lehr- und Praxiskommentar, Anhang Verfahren Rdnr. 119). Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der
Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen anzunehmen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO., Rdnr. 28 u. 29a). Gegeneinander
abzuwägen sind die Folgen, die bei Erlass bzw. Ablehnung einer einstweiligen Anordnung für den unterliegenden Beteiligten
entstehen würden, jeweils unterstellt, der Erlass bzw. die Ablehnung der Anordnung erfolgte aufgrund nachträglicher Prüfung
im Hauptsacheverfahren zu Unrecht. Davon ausgehend würden den Antragstellern im Falle einer unzutreffenden Ablehnung ihres
Antrages gravierendere Nachteile entstehen als der Antragsgegnerin im Falle einer im Ergebnis unzutreffenden Stattgabe des
Antrages. Insoweit stünde zu befürchten, dass das verfassungsrechtlich gewährleistete Existenzminimum der Antragsteller, das
neben der Regelleistung auch eine angemessene Unterkunft umfasst, nicht gedeckt ist. Der Antragsteller zu 1. bewohnt eine
50 m² große Wohnung, wobei er die Antragsteller zu 2. und 3. zusammen mit deren Mutter in jeweils hälftigem Umfang betreut,
so dass ein größerer Wohnraumbedarf gegeben ist, wie dies von der Antragsgegnerin auch nicht bestritten wird. Den Antragstellern
ist nicht zuzumuten, in der wesentlich zu kleinen Wohnung bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens zu verbleiben. Vielmehr
könnte im Falle des Abwartens der Hauptsacheentscheidung die sich daraus ergebende Verletzung einer grundgesetzlichen Gewährleistung
- bei unterstelltem Obsiegen der Antragsteller - nicht durch eine nachträgliche Gewährung korrigiert werden. Für die Antragsteller
ergäbe sich eine nachträglich nicht mehr zu schließende Rechtsschutzlücke. Demgegenüber sind die Nachteile für die Antragsgegnerin,
sofern sich im Hauptsacheverfahren erweist, dass die einstweilige Anordnung zu Unrecht ergangen ist, deutlich weniger gravierend.
Sollte sich nämlich ergeben, dass die einstweilige Anordnung von Anfang an ganz oder teilweise ungerechtfertigt war, sind
die Antragsteller verpflichtet, der Antragsgegnerin den Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Vollziehung der Anordnung entsteht
(§
86b Abs.
2 S. 4
SGG i.V.m. §
945 ZPO).
Abschließend verweist der Senat wegen aller weiteren Gesichtspunkte, insbesondere im Hinblick darauf, dass die einstweilige
Verpflichtung des Leistungsträgers zur Erteilung einer Zusicherung i.S.d. § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II im Wege der einstweiligen
Anordnung erfolgen kann, zur sog. temporären Bedarfsgemeinschaft, zur Erforderlichkeit des Umzugs der Antragsteller sowie
zur darlehensweisen Übernahme der Mietkaution von 560,00 EUR auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts und macht
sich diese zu Eigen (§
142 Abs.
2 S. 3
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG).