Ausübung des Krankenkassenwahlrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Feststellung des Mitgliedschaftsstatus des Klägers.
Der im Dezember 1942 geborene Kläger ist HIV-positiv. Er war bis zum 30. Juni 1988 Mitglied der Beklagten. Danach war er bis
1992 privat krankenversichert. In den Jahren von 1992 bis 1995 war der Kläger nicht krankenversichert. Ab 1995 bezog der Kläger
Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die notwendigen Krankenbehandlungsleistungen wurden dem Kläger über die Beigeladene vermittelt.
Mit Bescheid vom 3. November 2006 bewilligte das JobCenter Region C. (JobCenter) dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
(Arbeitslosengeld II -Alg-II-) nach dem Sozialgesetzbuch -Zweites Buch- (SGB II) ab dem 1. November 2006. In dem Bescheid
hieß es, dass der Kläger während des Bezuges von Alg-II bei der Beigeladenen pflichtversichert sei.
Auf die entsprechende Anmeldung des Klägers durch das JobCenter bei der Beigeladenen teilte diese dem JobCenter mit Schreiben
vom 20. November 2006 mit, dass die Anmeldung für sie nicht nachvollziehbar sei, weil keine laufende Mitgliedschaft des Klägers
bestehe und auch ein fristgerechter Aufnahmeantrag nicht eingegangen sei. Eine Mitgliedschaft bei ihr sei für den Kläger unter
diesen Umständen nicht zustande gekommen. Dem Kläger erteilte sie den Bescheid vom 30. November 2006, mit dem sie diesem bestätigte,
dass eine Pflichtmitgliedschaft auf Grund des Bezuges von Alg-II bei ihr nicht durchgeführt werde. Zuständig sei die Krankenkasse,
bei der er zuletzt versichert gewesen sei.
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2006 teilte der Kläger der Beigeladenen mit, dass sich inzwischen auch die Beklagte geweigert
habe, ihn als Mitglied aufzunehmen. Er benötige einen rechtsmittelfähigen Bescheid, um seine Rechte wahrnehmen zu können.
Er ersuche die Beigeladene ausdrücklich um die Aufnahme als Pflichtmitglied wegen des Alg-II-Bezuges. Er übersandte der Beigeladenen
eine Kopie seines Antrages auf Alg-II-Leistungen, mit dem er die Beigeladene unter Angabe seiner Versicherungsnummer als seine
Krankenkasse angegeben hatte. Die Beigeladene erläuterte in einer Anhörung vom 22. Dezember 2006, dass in der Zeit des Sozialhilfebezuges
keine Mitgliedschaft für den Kläger bei ihr bestanden habe. Sie habe lediglich die Leistungsvermittlung für Krankenbehandlung
für den Kläger durchgeführt. Auf Grund der letzten Pflichtmitgliedschaft sei die Beklagte die für den Kläger zuständige Krankenkasse.
Mit Bescheid vom 18. Januar 2007 lehnte die Beigeladene die Aufnahme des Klägers als Mitglied ab. Der Kläger erhob dagegen
Widerspruch.
Am 3. Januar 2007 stellte der Kläger auf Grund der ablehnenden Haltung der Beigeladenen bei der Beklagten einen Antrag auf
Mitgliedschaft. Auch die Beklagte lehnte die Aufnahme des Klägers als Pflichtmitglied mit Bescheid vom 15. Januar 2007 ab.
Die letzte Mitgliedschaft sei am 30. Juni 1988 bereits beendet gewesen. Daher bestehe keine Bindung des Klägers mehr zu ihrer
Kasse, zumal auch die Krankenleistungen in der Zeit des BSHG-Bezuges von der Beigeladenen vermittelt worden seien. Der Kläger habe auch nicht innerhalb der Frist von 14 Tagen nach Beginn
des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II den erforderlichen Aufnahmeantrag gestellt. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger
am 26. Januar 2007 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Hannover. Die Beklagte erließ danach den Widerspruchsbescheid vom 25. April 2007.
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er in seinem Antrag auf Alg-II-Leistungen die Beigeladene als für sich
zuständige Kasse genannt habe, weil diese ihm die notwendigen Krankenbehandlungsleistungen vermittelt habe. Er habe unter
Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Aufnahme als Pflichtmitglied in der gesetzlichen Krankenkasse,
entweder bei der Beklagten oder bei der Beigeladenen.
Das SG hat durch Urteil vom 13. November 2007 festgestellt, dass der Kläger seit dem 1. November 2006 Pflichtmitglied der Beigeladenen
sei. Auf Grund des Bezuges von Alg-II sei er gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
2a Sozialgesetzbuch -Fünftes Buch- (
SGB V) Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenkasse. Er habe die Beigeladene als die Kasse seiner Wahl bestimmt. Das sei zwar
nicht ausdrücklich geschehen, aber konkludent durch die Angaben in dem Leistungsantrag beim JobCenter. Das JobCenter habe
dementsprechend den Kläger wirksam bei der Beigeladenen als Pflichtmitglied angemeldet.
Gegen dieses ihr am 23. November 2007 zugestellte Urteil hat die Beigeladene am 14. Dezember 2007 Berufung eingelegt. Sie
macht geltend, dass das im
SGB V verankerte Kassenwahlrecht durch den jeweiligen Versicherten persönlich wahrgenommen werden müsse. Eine konkludente Erklärung
reiche in diesem Zusammenhang nicht aus.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. November 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach den gesamten Umständen sei davon auszugehen, dass er bei der Antragstellung
bei dem JobCenter die Beigeladene als die für ihn zuständige Krankenkasse habe wählen wollen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch sie hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig. Der Kläger habe eine Verbindung zu ihr nur bis Mitte 1988 gehabt. In
der Zeit danach sei er privat versichert gewesen oder habe Sozialhilfeleistungen erhalten. Im Zuge des Sozialhilfebezuges
habe die Beigeladene die notwendigen Leistungen für den Kläger vermittelt. Sie habe deshalb nach den zeitlichen Gegebenheiten
eine größere Nähe zu dem Kläger.
Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 31. Juli 2009 zu der Absicht gehört worden, über das Verfahren im Beschlusswege zu
entscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die gemäß §
143 und §
144 Abs.
1 Ziffer 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte Berufung der Beigeladenen nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig
für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger zum 1. November 2006 Pflichtmitglied bei der Beigeladenen geworden ist. Das Urteil
ist nicht rechtswidrig und daher nicht aufzuheben.
Nach §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 24. Dezember 2003 (BGBl I 2954) sind in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig
Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen, soweit sie nicht familienversichert sind,
es sei denn, dass diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB II bezogen
werden; dies gilt auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung
zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Die Mitgliedschaft beginnt gemäß §
186 Abs.
2a SGB V mit dem Tag, von dem an Leistungen bezogen werden.
Der Kläger bezog ab dem 1. November 2006 Arbeitslosengeld II. Er war nicht familienversichert. Auch die übrigen Einschränkungen,
die einer Versicherungspflicht nach §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V hätten entgegenstehen können, lagen nicht vor. Zwischen den Beteiligten ist letztlich auch nicht streitig, dass der Kläger
für die Zeit ab dem 1. November 2006 dem Grunde nach krankenversicherungspflichtig auf der Grundlage des §
5 Abs.
1 Nr.
2a SGB V war.
Nach §
173 Abs.
1 SGB V sind Versicherungspflichtige Mitglied der von ihnen gewählten Krankenkasse. Gewählt werden kann nach §
173 Abs.
2 Nr.
2 SGB V jede Ersatzkasse, deren Zuständigkeit sich nach der Satzung auf den Beschäftigungs- oder Wohnort erstreckt. §
175 Abs.
1 SGB V bestimmt, dass die Ausübung des Wahlrechts gegenüber der gewählten Kasse zu erklären ist.
Der Kläger hat zunächst weder gegenüber der Beigeladenen noch gegenüber der Beklagten eine ausdrückliche Erklärung über seine
Krankenkassenwahl abgegeben. Er hat gegenüber einem Mitarbeiter des JobCenter bei Aufnahme seines Antrages auf Alg-II-Leistungen
angegeben, dass er zuletzt von der Beigeladenen Leistungen wegen Krankheit bezogen hatte.
Der Senat schließt sich aber der Auffassung des SG an, wonach sich aus dem Verhalten des Klägers bei der Aufnahme seines Antrages auf Alg-II-Leistungen beim JobCenter ergibt,
dass er die Beigeladene als Krankenkasse hatte wählen wollen. Der Senat teilt auch die Auffassung des Hessischen Landessozialgerichtes,
wonach es sich bei der Ausübung des Kassenwahlrechtes um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, für
die eine bestimmte Form im Gesetz nicht vorgesehen ist (vgl. Urteil vom 23. November 2006, AZ: L 1 KR 308/04, veröffentlicht in juris, Das Rechtsportal). Es ist ausreichend, wenn der Leistungsempfänger im Zusammenhang mit der Leistungsgewährung
nach dem SGB II unmissverständlich zum Ausdruck bringt, welcher Krankenkasse er angehören will.
Das ist hier der Fall. Das JobCenter hat auf Grund der Angaben des Kläger im Antragsformular diesen bei der Beigeladenen als
Pflichtmitglied gemeldet. Der Kläger selbst hat die Meldung nach Kenntnis der Umstände durch seinen am 7. Dezember 2006 gegenüber
der Beigeladenen gestellten Antrag auf Mitgliedschaft bestätigt bzw. genehmigt. Damit ist den gesetzlichen Bestimmungen Genüge
getan.
Die Beigeladene beruft sich für ihre Auffassung, die Beklagte sei die für den Kläger zuständige Krankenkasse, zu Unrecht auf
§
175 Abs.
3 Satz 1 und
2 SGB V. Danach haben Versicherungspflichtige der zur Meldung verpflichteten Stelle (hier JobCenter) unverzüglich eine Mitgliedsbescheinigung
vorzulegen. Wird die Mitgliedsbescheinigung nicht spätestens zwei Wochen nach Eintritt der Versicherungspflicht vorgelegt,
hat die zur Meldung verpflichtete Stelle den Versicherungspflichtigen ab Eintritt der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse
anzumelden, bei der zuletzt eine Versicherung bestand; bestand vor Eintritt der Versicherungspflicht keine Versicherung, hat
die zur Meldung verpflichtete Stelle den Versicherungspflichtigen ab Eintritt der Versicherungspflicht einer nach §
173 SGB V wählbaren Krankenkasse anzumelden und den Versicherten unverzüglich über die gewählte Krankenkasse zu unterrichten.
Diese Vorschriften sollen sicherstellen, dass die zuständige Krankenkasse möglichst rasch nach Eintritt der Versicherungspflicht
Kenntnis von der Mitgliedschaft des Versicherungspflichtigen und die für die Durchführung der Versicherung notwendigen Daten
erhält. Ersichtlich soll vermieden werden, dass Versicherungspflichtige ohne zuständige Krankenkasse bleiben. Dagegen ist
mit diesen Bestimmungen nach Auffassung des Senates keine Zuständigkeitsregelung in dem von der Beigeladenen dargelegten Sinne
gemeint. Der Kläger konnte bei dem JobCenter zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Mitgliedsbescheinigung gar nicht vorlegen,
weil er dort zu diesem Zeitpunkt kein Mitglied war. Entsprechend hat das JobCenter als die für die Meldung des Klägers zuständige
Stelle dem Willen des Klägers entsprechend diesen bei der Beigeladenen angemeldet.
Das JobCenter war nicht verpflichtet, den Kläger bei der Beklagten als der Kasse zu melden, bei der zuletzt eine Versicherung
bestand. Diese Regelung soll ersichtlich dann greifen, wenn die zur Meldung verpflichtete Stelle die letzte Kasse kennt und
somit eine Kontinuität des Versicherungsstatus gewährleistet bleiben soll. Eine solche Sachlage bestand hier jedoch nicht,
denn von der Beklagten hatte sich der Kläger bereits seit 18 Jahren gelöst. Der Senat nimmt bei seiner Entscheidung auch Bedacht
darauf, dass der Gesetzgeber dem Kassenwahlrecht der Versicherten einen hohen Stellenwert einräumt. Der Kläger hat mit seinem
ganzen Verhalten deutlich gemacht, dass er bei der Beigeladenen versichert sein will. Diesem Willen des Versicherten kommt
gegenüber den Regelungen über die Meldepflichten vorrangige Bedeutung zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.