Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Leistungsausschluss für ausländische Unionsbürger mit Aufenthaltszweck der
Arbeitsuche
Gründe:
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin richtet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg (SG) vom 2. Februar 2010, mit dem die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet worden ist, dem Antragsteller
vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende
- (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2010 zu gewähren.
Der 1988 in E. geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Er reiste am 26. Februar 2009 von Polen in die Bundesrepublik
Deutschland ein. Als Grund für seine Einreise hat der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren die Betreuung und Unterstützung
seiner in F. lebenden und psychisch kranken Mutter, seiner schwer gehbehinderten Großmutter sowie seiner bei der Mutter lebenden
11- und 13-jährigen Geschwister angegeben. Er verfügt über eine bis zum 30. Juni 2010 befristete Bescheinigung gemäß § 5 des
Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU), die ihn zur Einreise und zum Aufenthalt
in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Die Agentur für Arbeit erteilte ihm mit Wirkung ab 24. April 2009 eine unbefristete
Arbeitsberechtigung-EU für eine berufliche Tätigkeit jeglicher Art. Vom 5. Juni bis 1. August 2009 war er in F. als Produktionshelfer
abhängig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete infolge einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung.
Am 10. August 2009 beantragte der Antragsteller erstmals Leistungen nach dem SGB II, die von der Antragsgegnerin unter Hinweis
auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II abgelehnt wurden (Bescheid vom 19. August 2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides
vom 13. November 2009). Dagegen verpflichtete das SG Lüneburg die Antragsgegnerin in einem vom Antragsteller eingeleiteten
sozialgerichtlichen Eilverfahren zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 520,00
EUR für die Zeit vom 13. November bis 31. Januar 2010. Das SG begründete diese Entscheidung damit, dass dem Antragsteller gem. § 7 Abs. 3 Buchstabe a) und c) der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der
Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, (Richtlinie
2004/38/EG - sog. Unionsbürgerrichtlinie - UBRL) der Arbeitnehmerstatus noch für weitere sechs Monate erhalten bleibe, so
dass der Anspruch auf SGB-Leistungen zumindest bis Ende Januar 2010 nicht gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen
sei (Beschluss vom 23. November 2009 - S 31 AS 1761/09 ER).
Mit zwei Bescheiden vom 26. Januar 2010 gewährte die Antragsgegnerin auf den Folgeantrag des Antragstellers Leistungen nach
dem SGB II nur noch für den 1. Februar 2010, lehnte dagegen eine darüber hinausgehende Leistungsgewährung unter Hinweis auf
den zwischenzeitlich eingetretenen Ablauf der 6-Monatsfrist nach § 7 Abs. 3 Buchstabe c) UBRL und den hieraus resultierenden
Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Gegen diese Bescheide hat der Antragsteller nach telefonischer Auskunft
des den Antragsteller unterstützenden Sozialarbeiters G. vom 24. Februar 2010 noch vor Ablauf der Widerspruchsfrist Widerspruch
eingelegt.
Am 1. Februar 2010 hat der Antragsteller beim SG Lüneburg um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und vorgetragen, derzeit
infolge eines Schulterbruchs bis auf Weiteres arbeitsunfähig zu sein. Da ihm keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 12.
Buch (SGB XII) gewährt würden, befinde er sich in einer akuten Notlage, auch hinsichtlich seiner medizinischen Versorgung.
Sein Vermieter habe ihm wegen Zahlungsrückständen gekündigt. Er sei nicht - wie von der Antragstellerin im Bescheid ausgeführt
- zum Zwecke der Arbeitsuche nach Deutschland eingereist, sondern um seinen hier lebenden Familienangehörigen zu helfen. Seit
dem Verlust des Arbeitsplatzes suche er eine neue Arbeitsstelle, gerne auch in der Altenpflege. Seit dem 29. Oktober 2009
nehme er - bis voraussichtlich zum 15. April 2010 - an einem Integrations-Sprachkurs teil.
Das SG hat die Antragsgegnerin mit dem mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Beschluss vom 2. Februar 2010 verpflichtet,
dem Antragsteller vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2010 zu
gewähren. Zwar könne der Antragsteller sein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik ausschließlich aus dem Zweck der Arbeitsuche
herleiten (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes vom 19. August 2007 über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - Freizügigkeitsgesetz/EU),
so dass einfachgesetzlich die Gewährung von SGB II-Leistungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen sei. Es beständen
jedoch erhebliche Zweifel an der Europarechtskonformität dieses vom deutschen Gesetzgeber in das SGB II eingefügten Leistungsausschlusses
(vgl. Beschluss des Bayrischen LSG vom 4. Mai 2009 - L 16 AS 130/09 B ER). Im Rahmen einer Folgenabwägung sei die Antragsgegnerin zur vorläufigen Leistung verpflichtet.
Gegen den der Antragsgegnerin am 3. Februar 2010 zugestellten Beschluss richtet sich ihre noch am selben Tag eingelegte Beschwerde,
mit der sie die Aufhebung der Entscheidung des SG begehrt. Sie hält § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für europarechtskonform, so dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe.
Der Antragsteller bezieht sich auf den aus seiner Sicht zutreffenden Beschluss des SG. Er verweist auf seine aktuelle Notlage und die sich aus der Leistungsablehnung ergebenden psychischen Belastungen für ihn
und seine auf Hilfe angewiesenen Familienmitglieder.
II. Die nach §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Der Beschluss des SG ist aufzuheben, weil der Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfällt (s. nachfolgend unter 2.). Der deutsche Gesetzgeber war europarechtlich befugt, einen
solchen Leistungsausschluss gesetzlich zu regeln (Artikel 24 Abs. 2 UBRL, s. nachfolgend unter 3.). Gegen die Vereinbarkeit
von Artikel 24 Abs. 2 UBRL mit übergeordnetem EU-Recht bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken (s. nachfolgend
unter 4.), so dass dem Antragsteller im Ergebnis kein Anordnungsanspruch zur Seite steht. Bei dieser Sachlage besteht kein
Anlass für eine Folgenabwägung (s. nachfolgend unter 6.).
1. Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung
setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die
Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als
auch der Anordnungsgrund sind gemäß §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) i.V.m. §
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG glaubhaft zu machen.
2. Ein Anordnungsanspruch für die vom Antragsteller begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Leistungsgewährung
besteht nicht, da der Antragsteller nicht zu dem nach dem SGB II anspruchsberechtigten Personenkreis gehört.
Nach §
7 SGB II Abs.
1 Satz 1
SGG erhalten zwischen 15 und 65 Jahre alte erwerbsfähige hilfebedürftige Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind davon ausgenommen jedoch Ausländer,
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Der Antragsteller unterfällt diesem Ausschlusstatbestand, da sich sein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland
allein aus § 2 Abs. 2 Nr. 1, 2. Alternative Freizügigkeitsgesetz/EU ergibt, wonach Unionsbürger gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt
sind, die sich zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten wollen. So sucht der Antragsteller auch nach seinem
eigenen Vortrag seit August 2009 wiederum Arbeit in Deutschland. Dass das Motiv zur Einreise nach Deutschland nicht die Arbeitsuche,
sondern vorrangig die Sorge für seine in Deutschland lebenden Angehörigen gewesen sein soll (vgl. hierzu: Schriftsatz vom
31. Januar 2010), ändert an einem Aufenthaltsrecht allein aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. Freizügigkeitsgesetz/EU nichts. Schließlich
genießt der Antragsteller seit Ablauf der 3-Monatsfrist nach Art. 6 UBRL kein anderweitiges Aufenthaltsrecht, da er über keine
eigenen ausreichenden Existenzmittel verfügt (vgl. hierzu: Art. 7 Abs. 1 Buchst. b) Freizügigkeitsgesetz/EU). Er kann ein
anderweitiges Aufenthaltsrecht auch nicht (mehr) aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) i.V.m. Abs. 3 Buchstabe b) und c) UBRL herleiten.
Nach dieser Vorschrift bleibt die ein Aufenthaltsrecht vermittelnde Erwerbstätigeneigenschaft bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit
nach mehr als einjähriger Beschäftigung unbefristet, bei einer innerhalb eines Jahres eintretenden unfreiwilligen Arbeitslosigkeit
dagegen nur für 6 Monate aufrechterhalten. Da der Antragsteller nicht bereits mehr als ein Jahr in Deutschland abhängig beschäftigt
war, sondern nur vom 5. Juni bis 1. August 2009, blieb - wie das SG in dem Beschluss vom 23. November 2009 (S 31 AS 1761/09 ER) zutreffend entschieden hat - seine Arbeitnehmereigenschaft nur für sechs Monate, d.h. bis 1. Februar 2010 aufrechterhalten
(Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) i.V.m. Abs. 3 Buchst. c) Freizügigkeitsgesetz/EU). Die in der Zeit der 6-monatigen Aufrechterhaltung
der Arbeitnehmereigenschaft eingetretene Arbeitsunfähigkeit (ab 30. Dezember 2009) hat keine Verlängerung des "Nachwirkungszeitraums"
bewirkt, so dass sich das Aufenthaltsrecht des Antragstellers seit 2. Februar 2010 allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Dementsprechend unterfällt der Antragsteller seit 2. Februar 2010 dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB
II.
3. Der bundesdeutsche Gesetzgeber war zur Regelung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gem. Art.
24 Abs. 2 UBRL europarechtlich befugt.
Art. 24 Abs. 2 UBRL erlaubt es einem Mitgliedsstaat in Abgrenzung zu der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 23.03.2004, Az.
C-138-02 - Collins -) ausdrücklich, andere Unionsbürger als Arbeitnehmer, Selbstständige oder Personen, denen dieser Status
erhalten bleibt, sowie deren Familienangehörige vom Anspruch auf "Sozialhilfe" auszunehmen. Der EuGH hat es in seiner Entscheidung
vom 4. Juni 2009 ausdrücklich als legitim bezeichnet, dass ein Mitgliedsstaat eine Beihilfe (Sozialhilfe) erst gewährt, wenn
der Arbeitsuchende eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaates hergestellt hat (Az. C-22/08, C-23/08 - Vatsouras, Koupatantze, Rn 38 - zitiert nach Juris).
Von dieser vom EuGH als legitim angesehenen Ermächtigungsnorm hat der deutsche Gesetzgeber mit der in Rede stehenden Vorschrift
des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für arbeitsuchende Ausländer Gebrauch gemacht (so ausdrücklich die Begründung zum Gesetzentwurf
in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 15. Februar 2006, BT-Drucksache 16/688, S. 13). Der
deutsche Gesetzgeber war hierzu auch berechtigt, da es sich bei dem im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Arbeitslosengeld
II (§ 19 SGB II) um eine Sozialhilfeleistung i.S.d. Art 24 UBRL handelt.
Sozialhilfeleistungen i.S.d. Art. 24 Abs. 2 UBRL sind, wie sich auch aus dem Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie
ergibt, alle finanziellen Mittel, die der Existenzsicherung dienen. Nicht dazu zählen finanzielle Leistungen, die den Zugang
zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen (EUGH, aaO., Rn. 45).
Der Senat wertet die vorliegend streitbefangene Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gem. § 20 SGB II [einschl.
etwaiger Mehrbedarfe gem. § 21 SGB II] sowie die Leistung nach § 22 SGB II (Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft)
als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 UBRL (ebenso: Hailbronner, aaO., S. 201). Schließlich ist das zum 01.01.2005
eingeführte Arbeitslosengeld II in Anlehnung an die Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB
XII) ausgestaltet. Es umfasst eine pauschalierte, dem Regelsatz der Sozialhilfe vergleichbare Regelleistung zur Sicherung
des Lebensunterhalts sowie die Übernahme der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Ähnlich wie in der Sozialhilfe
sind für verschiedene Bedarfslagen Leistungen für Mehrbedarfe vorgesehen, vgl. § 21 SGB II. Das Arbeitslosengeld II knüpft
hinsichtlich seiner Höhe nicht an ein aus einer vorherigen Beschäftigung bezogenes Einkommen an und weist somit eine sozialhilferechtliche
Konzeption auf (vgl. Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen - 8. Senat - vom 14.01.2008, Az. L 8 SO 88/07 ER; Hailbronner,
aaO.; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 31.10.2007, Az. B 14/11b AS 5/07 R, Rn. 35: "steuerfinanzierte Fürsorgeleistung"). Auch das Bundesverfassungsgericht charakterisiert das SGB II ausdrücklich
als ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzmininums (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09, Rn 147).
Die Tatsache, dass der deutsche Gesetzgeber zum 1. Januar 2005 die bis dahin geltende "klassische" Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) mit der früheren Arbeitslosenhilfe (Alhi) nach dem Sozialgesetzbuch 3. Buch (
SGB III) in einem neuen Leistungssystem zusammengefasst hat (SGB II als abschließende Regelung für alle hilfebedürftigen Erwerbsfähigen),
spricht nicht gegen die Bewertung der existenzsichernden Leistungen des SGB II als Leistungen der Sozialhilfe i.S.d. Art.
24 UBRL. Zwar handelte es sich bei der früheren Alhi um eine im unmittelbaren Bezug zum Arbeitsmarkt stehende Sozialleistung
und damit nicht um "Sozialhilfe" (vgl. umfassend hierzu: Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts,
1. Auflage 2003, Rn 3, 8, 14 und 15ff.). Das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II stellt jedoch materiell-rechtlich gerade
keine einfache Fortsetzung bzw. Nachfolgeregelung zur früheren Alhi dar. Vielmehr handelt es sich bei der Einführung des Arbeitslosengeldes
II im Hinblick auf die bis dahin geltende Alhi um eine vom Gesetzgeber beabsichtigte rechtliche und tatsächliche Zäsur (BSG,
Urteil vom 21. Dezember 2009 - B 14 AS 46/08 R, Rn 10).
Dass der Gesetzgeber mit Schaffung des SGB II für die von diesem Gesetz erfassten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen neben Regelungen
zur Existenzsicherung auch umfangreiche Regelungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt geschaffen hat, ist sozialpolitisch
begründet. Der Gesetzgeber verfolgt hiermit das Ziel, neben der Sicherung des Existenzminimums die Hilfebedürftigen auch bei
der Arbeitsaufnahme zu unterstützen und ihnen damit eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen (Grundsatz des Forderns
und Förderns, §§ 2 und 14 SGB II). Diese dem SGB II zugrunde liegende sozialpolitische Zielvorstellung rechtfertigt es jedoch
nicht, das sich seiner Struktur nach als Sozialhilfeleistung darstellende Arbeitslosengeld II als Instrument der Arbeitsförderung
anzusehen. Auch wenn der deutsche Gesetzgeber zum 1. Januar 2005 für die Gruppe der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen einerseits
und die erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen andererseits mit dem SGB II und dem SGB XII zwei unterschiedliche Leistungsgesetze
geschaffen hat, sind die dort jeweils vorgesehenen Leistungen zur Existenzsicherung weitestgehend identisch. Die zum 1. Januar
2005 erfolgte Aufspaltung der früheren Sozialhilfe nach dem BSHG in das SGB II sowie das SGB XII erfolgte ausschließlich im Hinblick auf das beabsichtigte Fördern und Fordern der erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen, nicht dagegen wegen struktureller Unterschiede in den existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II einerseits
bzw. nach dem SGB XII andererseits. Die Beschränkung des Geltungsbereichs des SGB II auf die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
stellt im Hinblick auf die Rechtsnatur der existenzsichernden Leistungen somit ein rein formales Kriterium dar. Formale Kriterien
sind bei der Prüfung des Zwecks einer Sozialleistung jedoch nicht ausschlaggebend (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, aaO.,
Rn. 42).
Gegen die rechtliche Bewertung des Arbeitslosengeldes II als Sozialhilfe i.S.d. Art. 24 Abs. 2 UBRL lässt sich auch nicht
einwenden, dass es sich bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende europarechtlich nicht um "Sozialhilfe", sondern um eine
"besondere beitragsunabhängige Leistung der sozialen Sicherheit" i.S.d. Art. 4 Abs. 2a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des
Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige,
die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149 vom 05.07.1971) handeln soll (so jedoch das vom SG ausdrücklich zitierte Bayrische LSG, Beschluss vom 04.05.2009, Az. L 16 AS 130/09 B ER). Zwar unterscheidet die Verordnung Nr. 1408/71 zwischen Sozialhilfe und beitragsunabhängigen Leistungen der sozialen
Sicherheit und sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende im
Anhang IIA (besondere beitragsunabhängige Geldleistungen) aufgeführt. Dieser Umstand ist allerdings für die Auslegung des
Sozialhilfebegriffs in Art. 24 UBRL unerheblich, weil der Gemeinschaftsgesetzgeber nach Entstehungsgeschichte, Wortlaut und
Zweck der Vorschrift davon ausgeht, dass von Art. 24 Abs. 2 UBRL Leistungen erfasst werden, die den Lebensunterhalt von Arbeitssuchenden
sichern sollen (vgl. Hailbronner, aaO., m.w.N.).
Für die Auffassung des Senats spricht im Ergebnis auch die Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg und des Oberverwaltungsgerichts
(OVG) Bremen, wonach jedenfalls die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Kapitel 3 Abschnitt 2 des SGB II keine
Leistungen sind, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.06.2009, Az.:
L 34 AS 790/09 B ER; OVG Bremen, Beschluss vom 15.11.2007, Az.: S 2 B 426/07). In diesen Entscheidungen ist überzeugend dargelegt worden, dass das SGB II zwischen Leistungen zur Beendigung oder Verringerung
der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) und solchen zur Sicherung des
Lebensunterhalts (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 SGB II) unterscheide. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasse nach
§ 20 Abs. 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie, Bedarfe des täglichen Lebens
sowie in vertretbarem Umfang die Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben, enthalte mithin keine Leistungen
zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Es handele sich damit wie die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII um existenzsichernde
Leistungen, die nicht den Zweck hätten, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die diesbezüglichen Ansprüche der Hilfebedürftigen
seien vielmehr im Wesentlichen im ersten Abschnitt des dritten Kapitels des SGB II geregelt.
4. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erweist sich - zumindest für die vorliegend zu entscheidende
Fallkonstellation - auch im Übrigen als europarechtskonform.
Den bislang in Rechtsprechung und Literatur geäußerten Bedenken gegen die Europarechtskonformität des Ausschlusstatbestands
nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. Art. 24 Abs. 2 UBRL (vgl. etwa: Bayrisches LSG, Beschluss vom 04.05.2009, Az. L
16 AS 130/09 B ER; Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7 Rn. 17ff m.w.N.; Brühl/Schoch in: LPK-SGB II, 3. Auflage
2009, § 7 Rn 36 m.w.N.; umfassend zum Meinungsstand: Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195, 199ff.) vermag der erkennende Senat
angesichts des Urteils des EuGH vom 04.06.2009 (Az. C-22/08, C-23/08) nicht zu folgen. Geltend gemacht werden insoweit Verstöße gegen das in Art. 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (EG) enthaltene Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das aus Art. 39 EG entwickelte
Gebot der sozialrechtlichen Gleichbehandlung.
Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 4. Juni 2009 die Gültigkeit des Artikel 24 Abs. 2 UBRL nicht in Zweifel gezogen. Auch
nach Auffassung des Senats ist Artikel 24 Abs. 2 UBRL mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
Nach Art. 39 Abs. 2 EG haben Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats, die in einem anderen Mitgliedsstaat eine Beschäftigung
suchen, einen Anspruch auf die in der Bestimmung vorgesehene Gleichbehandlung. Zwar können sich nach der Entscheidung des
EuGH die Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten, die auf Arbeitssuche in einem anderen Mitgliedsstaat sind und tatsächliche
Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben, auf Artikel 39 Abs. 2 EG berufen, um eine finanzielle
Leistung in Anspruch zu nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Bei dem vorliegend vom Antragsteller begehrten
Arbeitslosengeld II handelt es sich - wie bereits dargelegt - jedoch nicht um Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt
erleichtern sollen, sondern um Sozialhilfeleistungen i.S.d. Art. 24 Abs. 2 UBRL. Soweit diese Bestimmung den Zugang zu steuerfinanzierten
Sozialleistungssystemen einschränkt, hat der EuGH keine Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Richtlinie geäußert (aaO. Rn.
46). Im Übrigen hat der EuGH auch festgestellt, dass Artikel 12 EG einer nationalen Regelung nicht entgegen steht, die Staatsangehörigen
der Mitgliedsstaaten von Sozialhilfeleistungen ausschließt, die Drittstaatenangehörigen gewährt werden. Ob der Ausschlusstatbestand
des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auch die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erfasst, ist im vorliegenden Verfahren nicht
zu entscheiden. Denn der Antragsteller begehrt ausschließlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Ein Leistungsanspruch des Antragstellers lässt sich auch nicht damit begründen, dass der Antragsteller durch seine von Juni
bis Anfang August 2009 ausgeübte Erwerbstätigkeit bereits eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik
Deutschland hergestellt haben könnte. Diesem Gesichtspunkt wird bereits durch die (im vorliegenden Fall nur für 6 Monate geltende)
Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft nach § 7 Abs. 3 Buchst. c) UBRL Rechnung getragen. Für die Folgezeit (d.h.
ab 2. Februar 2010) gilt der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. Art. 24 Abs. 2 UBRL auch für den
Antragsteller. Dieser nach der Rechtsprechung des EuGH europarechtskonforme Leistungsausschluss kann nicht dadurch umgangen
werden, dass das Tatbestandsmerkmal "Aufenthaltsrecht (...) allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" mit der Begründung verneint
wird, dass sich der Betroffene tatsächlich nachhaltig um Arbeit bemüht und deshalb nicht als Arbeitsuchender, sondern als
eine in den nationalen Arbeitmarkt integrierte Person zu behandeln sei (so jedoch offensichtlich der Generalanwalt des EuGH
R.-J. Colomer in seinen Schlussanträgen vom 12. März 2009 - C-22/08). Denn nach Überzeugung des Senats handelt es sich bei einer solchen Auffassung nicht mehr um die Korrektur einer - nach
Auffassung des Generalanwalts unzulässigen - zu restriktiven Auslegung von Art. 24 UBRL durch den bundesdeutschen Gesetzgeber
(vgl. Schlussanträge vom 12. März 2009 - C-22/08, Rn 61 - zitiert nach Juris). Vielmehr würde mit einer solchen Argumentation dem nationalen Gesetzgeber im Ergebnis untersagt,
von einer - vom EuGH ausdrücklich als legitim angesehenen - Ermächtigungsnorm Gebrauch zu machen.
5. Ob sich für Unionsbürger ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen
vom 11.12.1953 ergeben kann (vgl. hierzu ausführlich LSG Niedersachsen-Bremen - 8. Senat - aaO.), braucht der Senat im vorliegenden
Verfahren nicht zu entscheiden. In diesem Abkommen hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, unter bestimmten
Voraussetzungen Fürsorgeleistungen den Staatsangehörigen der anderen Vertragsschließenden zu gewähren. Polen gehörte jedoch
seinerzeit nicht zu den vertragsschließenden Staaten und ist dem Abkommen auch nicht nachträglich beigetreten.
Art
1. Abs.
1 GG iVm dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
1 und
3 Grundgesetz wird durch das gefundene Ergebnis nicht verletzt. Der Staat ist zwar verpflichtet, dem mittellosen Bürger die Mindestvoraussetzungen
für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern. Dabei ist dem Gesetzgeber allerdings
im Rahmen der Entscheidung, in welchem Umfang Fürsorgeleistungen unter Berücksichtigung vorhandener Mittel gewährt werden
können, ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 29.05.1990, Az. 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, 80 f = SozR 3-5870 § 10 Nr 1 S 5 f). Danach ist nicht zu beanstanden, wenn Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
für arbeitsuchende Unionsbürger europarechtskonform nicht gewährt werden und diese damit auf die Inanspruchnahme entsprechender
Leistungen in ihrem Heimatland verwiesen werden.
6. Für eine Entscheidung anhand einer Folgenabwägung (vgl. hierzu Beschluss des BVerfG vom 25.02.2009, Az. 1 BvR 120/09 m.w.N.) ist kein Raum, da nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Anordnungsanspruch gegeben ist und es im
vorliegenden Verfahren auch nicht um einen nur kurzzeitigen Leistungszeitraum geht (vgl. hierzu: Beschluss des erkennenden
Senats vom 22. Dezember 2009 - L 15 AS 864/09 B ER).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.