Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) Nr 1317 der Anlage zur
BKV (Polyneuropathie oder Encephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) und die Gewährung von Rente.
Der 1939 geborene Kläger arbeitete von April 1963 bis Oktober 1987 in der Lackiererei bei F. in G ...
Am 12. Juli 1988 verspürte er Brechreiz, heftigen Druck im Kopf (keine Schwindelerscheinungen, keine Doppelbilder, jedoch
verschwommenes Sehen), Atemnot und ein Taubheitsgefühl der gesamten linken Gesichtshälfte. Bei der Ankunft im Krankenhaus
H. gab er an, eine ähnliche Symptomatik seit über zwei Jahren zu haben (anfallsweise heftigste Kopfschmerzen, nur verschwommenes
Sehen, Ohrensausen, Gleichgewichtsstörungen). Bei der stationären Beobachtung (bis 28. Juli 1988) bot der Kläger verschiedene
neurologische flüchtige Erscheinungen. Das neurologische Konsil ergab den Verdacht auf eine Multiple Sklerose. Anschließend
wurde der Kläger vom 3. bis 12. August 1988 in der Neurologischen Klinik der I. stationär behandelt. Aufgrund der Anamnese,
des klinischen und des laborchemischen Befundes handele es sich um einen Zustand nach passageren Durchblutungsstörungen des
Hirnstamms (Bericht I. vom 28. September 1988). Bei der Kontrolluntersuchung am 20. Oktober 1988 war der neurologische Untersuchungsbefund
unauffällig (Bericht vom 21. März 1989).
In der Folgezeit war der Kläger in Behandlung wegen Schmerzen im Wirbelsäulenbereich und in beiden Kniegelenken, wegen nachlassendem
Hörvermögen und Ohrgeräuschen. Am 25. Juli 1994 erfolgte die Entfernung eines Bandscheibenvorfalls L4/5, seit Mai 1994 war
der Kläger arbeitsunfähig, seit Dezember 1994 bezog er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Am 29. November 1994 wandte sich der Kläger an die Beklagte und zeigte als BK eine "Stammhirn- und Rückenmarksschädigung durch
Vergiftung" an. Prof Dr J. (I.) habe 1988 eine "Rückenmarksschädigung mit Stammhirnbeteiligung durch Vergiftung" festgestellt.
Er habe erstmals 1974 Kopfschmerzen und Schwindelanfälle bemerkt (Angaben vom 8. Februar 1995). Nach den Ermittlungen des
Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) war der Kläger von 1962 bis 1987 gegenüber Lösungsmitteln exponiert (Bericht des Dipl.-Ing.
K. vom 30.August 1995). Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei, ua den Befundbericht des behandelnden Arztes L. und
Unterlagen der LVA M ... Im Gutachten vom 2. April 1995 (für die LVA) teilte der Psychiater N. eine deutliche Diskrepanz zwischen
den geklagten bzw demonstrierten Beschwerden und den objektivierbaren bzw nachvollziehbaren Befunden mit. Dies sei aber nicht
Ausdruck einer neurotischen Persönlichkeitsstörung oder einer demonstrativen Haltung. Es bestehe vielmehr ein pseudoneurasthenisches
Syndrom als Ausdruck einer hirnorganischen Leistungsfunktionsstörung.
Die Beklagte holte das neurologische Gutachten (mit elektromyographischem, elektroneurographischem und elektroencephalographischem
Zusatzgutachten) von Prof Dr O. vom 18. Mai 1996 ein. Dort gab der Kläger an, er leide seit Beginn der 80er Jahre unter Beschwerden,
während der Arbeit sei ihm einige Male schlecht geworden, zu einem Anfall mit Bewusstseinstrübung oder Ohnmacht sei es nicht
gekommen, die Beschwerden seien zuhause und im Urlaub stärker gewesen als bei der Arbeit. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistungen
erschienen orientierend nicht eingeschränkt, anders nach den Testergebnissen, wobei die Mitarbeit bei den Tests nicht immer
in ausreichendem Maße zu beurteilen sei. Auch unter Berücksichtigung der Diskrepanzen lägen Hinweise darauf vor, dass Hirnleistungsveränderungen
vorhanden seien, die mit der Annahme einer hirnorganisch bedingten Veränderung der cerebralen Informationsverarbeitung vereinbar
seien. Eine andere Ursache sei nicht nachweisbar. Dies und die lange Exposition seien Argumente für eine beruflich bedingte
Encephalopathie. Der Gutachter bejahte eine BK Nr 1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol) und schätzte
die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 vH.
Dagegen schätzte Dr P. in seiner Stellungnahme vom 21. Oktober 1996 die MdE auf 30 vH und wies darauf hin, dass eine neue
BK (BK Nr 1317) in Vorbereitung sei. In seiner Stellungnahme vom 7. Januar 1997 wandte Dr Q. ua ein, dass die Expositionshöhe
nicht bekannt sei. Der Umstand, dass wesentliche Beschwerden erst nach Ende der Exposition aufgetreten seien, spreche gravierend
gegen einen ursächlichen Zusammenhang, ebenso das anfallsartige Auftreten. Im weiteren Verlauf ermittelte die Beklagte weiterhin
zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen (Bericht des Dipl.-Ing. K. vom 5. März 1997: typische Messergebnisse aus der Lackiererei
von 1980 - 1985) und holte den Bericht der I. vom 28. September 1988 ein.
1998 erlitt der Kläger eine Herzerkrankung, deshalb musste die wegen des Vorliegens neuer Unterlagen erforderliche weitere
Begutachtung zunächst verschoben werden. In dem Gutachten von Prof Dr O. vom 21. Mai 1999 (mit neuropsychologischem Gutachten
des Dipl.-Psych. R. vom 17. März 1999) wies der Gutachter darauf hin, dass der Befund "Durchblutungsstörungen im Hirnstamm"
nicht gesichert sei. Die beim Kläger bestehende kognitive Symptomatik sowie die Antriebs- und Affektstörungen seien typisch
für eine diffuse Hirnschädigung, wie sie auch nach toxischen Einflüssen beschrieben werde. Auf Anregung von Dr Q. ermittelte
die Beklagte weiter zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen (Bericht des Dipl.-Ing. S. vom 9. September 1999: durchschnittliche
Konzentrationen oder eine Aussage zur Häufigkeit von Spitzenwerten können auch aus den Originalmessergebnissen nicht abgeleitet
werden) und holte das arbeitsmedizinische Gutachten von Prof Dr T./Dr U. vom 6. Juli 2000 ein. Bei der gutachterlichen Untersuchung
gab der Kläger an, es sei Ende der 80er Jahre am Arbeitsplatz wiederholt zu Übelkeit und Schwindel gekommen. Bei Lösemittelkontakt
habe er sich wohler gefühlt. Die Fremdanamnese seiner Ehefrau ergab, dass ihr seit mehreren Jahren Persönlichkeitsveränderungen
aufgefallen seien, der Kläger sei vermehrt gereizt, insbesondere in arbeitsfreien Zeiten. Bei beruflichem Kontakt zu Lösungsmitteln
sei er weniger gereizt gewesen. Die Gutachter diagnostizierten ein organisches Psychosyndrom bzw ein pseudoneurasthenisches
Syndrom mit kognitiven Funktionseinschränkungen. Bei den testpsychologischen Untersuchungen waren die Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen
deutlich eingeschränkt. Diese Einschränkungen seien im Zusammenhang mit Lösungsmittelexposition verschiedentlich nachgewiesen
worden. Dennoch müssten sie als relativ unspezifisch interpretiert werden. Abzuklären sei, ob auch eine Depression bestehe.
Die geplante psychiatrische Begutachtung konnte nicht durchgeführt werden, weil dem Kläger der Weg wegen seiner Herzerkrankung
zu weit war. Nach der Auffassung der Gutachter ist eine BK Nr 1317 nicht wahrscheinlich, weil insgesamt mehr gegen als für
einen Zusammenhang spreche. Für einen Zusammenhang sprächen das typische Krankheitsbild, die langjährige Exposition und das
Auftreten unspezifischer Krankheitssymptome unter bestehender Exposition. Dagegen sprächen die ermittelte Höhe der Belastung,
die fehlende Abgrenzung einer depressiven Erkrankung und der Krankheitsverlauf.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2001 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr 1317 ab. Beim Kläger bestehe eine unspezifische
Erkrankung des zentralen Nervensystems, die in keinem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe (bestätigt durch Widerspruchsbescheid
vom 13. Juni 2001).
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig hat das SG die Unterlagen von Dr L. beigezogen und das arbeitsmedizinische Gutachten von Prof Dr V./Dr W. vom 11. Juni 2003 eingeholt.
Bei der Untersuchung hat der Kläger angegeben, er habe seit dem Ereignis 1988 einen dicken Kopf, seitdem habe er wiederholt
Kopfschmerzen und Schwindelanfälle, sei wiederholt beim Werksarzt gewesen und habe erstmals seit 1988 eine Vergesslichkeit
bemerkt. Bei der Arbeit sei ihm wiederholt schlecht geworden, rauschähnliche Zustände seien jedoch nicht eingetreten. Die
Sachverständigen diagnostizierten eine diffuse Hirnfunktionsstörung mit Einschränkung von kognitiver und mnestischer Fähigkeit.
Vor dem Hintergrund der arbeitstechnischen Ermittlungen seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Zusammenhang
sei auch unwahrscheinlich: Die Beschwerdesymptomatik müsse während des Expositionszeitraums auftreten, hier lägen keine eindeutigen
Belege vor, die Krankheitsauszüge wiesen keine relevante Diagnose aus, die Vorsorgeuntersuchungen seien unauffällig gewesen.
Allein die anamnestischen Angaben (Schwindel und Kopfschmerzen seit 1974) wären mit einer BK Nr 1317 zu vereinbaren. Allerdings
fehlten wichtige anamnestische Hinweise wie Alkoholintoleranz und häufig pränarkotische Symptome im unmittelbaren Zusammenhang
mit der Exposition (Benommenheit, Trunkenheit, Müdigkeit, Übelkeit, Brechreiz, aber auch Zustände von Euphorie), die die Annahme
von lösemittelexpositionsbedingten Beschwerden stützen könnten. Im Rahmen der psychiatrischen Zusatzuntersuchung durch Prof
Dr X./Dr Y. vom 14. Januar 2003 (mit neuropsychologischem Zusatzgutachten von Prof Dr Z. vom 29. Dezember 2002) fielen im
Gespräch eine Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses und eine Herabsetzung der Konzentrationsfähigkeit auf. Klinisch und
testpsychologisch seien Einschränkungen der kognitiven und mnestischen Fähigkeiten nachweisbar. Die Symptome seien vereinbar
mit einer diffusen Hirnschädigung.
Außerdem hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) das arbeitsmedizinisch-internistische Gutachten von Prof Dr AA./Dr AB. vom 9. Dezember 2004 eingeholt. Dort gab der Kläger
an, während der Lackiertätigkeit sei ihm manchmal schwindlig geworden, etwa fünf- bis sechsmal in den 25 Jahren. Manchmal
habe er beim Lackieren auch Kopfschmerzen gehabt. Er habe schon vorher seit 1985/1986 leichte Schwächeanfälle gehabt, auch
Kribbeln in den Beinen und Missempfindungen im Gesicht. Seit dem Kollaps 1988 habe er eine Verschlechterung des Gedächtnisses
und der Konzentrationsleistung sowie Kopfschmerzen (dicker Kopf) bemerkt. Die dazu befragte Ehefrau hat angegeben, der Kläger
habe sich schon seit Mitte der 70er Jahre verändert, die Gedächtnislücken und das Durcheinanderbringen seien ihr schon damals
aufgefallen. Die Sachverständigen diagnostizierten ein hirnorganisches Psychosyndrom. Von besonderer Bedeutung sei, dass die
Arbeitshandschuhe des Klägers von Lösungsmitteln häufiger durchfeuchtet waren, dh eine zusätzlich perkutane Aufnahme stattgefunden
habe. Es handele sich deshalb um eine rechtserhebliche Lösungsmittelbelastung über eine Dauer von 25 Jahren. Wissenschaftlicher
Konsens bestehe darin, dass mindestens 10 Jahre andauernde erhebliche Lösungsmittelbelastungen während der Exposition oder
innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr nach Expositionsende zu einer leichten, allenfalls mittelgradig ausgeprägten hirnorganischen
Symptomatik führen könnten. Die Erkrankung 1988 sei keine Folge einer Lösungsmittelintoxikation. Diese könnte aber ebenfalls
eine hirnorganische Symptomatik erklären. Es kristallisierten sich somit zwei potentielle Ursachen der Encephalopathie heraus.
Die Schadstoffbelastung sei Mitursache, wenn eine ausreichende Exposition stattgefunden habe. Das müsse das Gericht entscheiden.
Bei Berücksichtigung einer (kumulativen) mindestens 10-jährigen grenzwertüberschreitenden inhalativen und einer zusätzlichen
25-jährigen perkutanen Lösungsmittelbelastung, dem Auftreten einer Symptomatik während der Exposition und dem Einsetzen einer
hirnorganischen Symptomatik wie Vergesslichkeit bereits vor dem Ereignis 1988 sei eine BK Nr 1317 gegeben. Die MdE betrage
dann seit 12. Juli 1988 20 vH.
Das SG hat das Gutachten von Dr AC. vom 7. März 2005 nach Aktenlage eingeholt. Der Sachverständige hat eine BK Nr 1317 verneint.
Wegen der Voruntersuchungen, die alle zu dem gleichen Ergebnis kamen, sei zweifelsfrei von Einschränkungen der Gedächtnisfunktion,
der Konzentration, der Aufmerksamkeit und in dem Bereich der exekutiven Funktionen auszugehen. Das Beschwerdebild sei vereinbar
mit dem Vorliegen einer lösungsmittelinduzierten Encephalopathie. Es sei aber keine relevante Exposition belegbar. Außerdem
sei die 1988 aufgetretene Durchblutungsstörung des Hirnstamms ein wesentlicher außerberuflicher Risikofaktor bzw Ursache für
die noch geklagte Beschwerdesymptomatik.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger das Schreiben von Dr AD. vom 23. März 2005 vorgelegt, in dem dieser eine
BK Nr 1317 bejaht. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 31. März 2005 abgewiesen: Beim Kläger bestehe zwar eine Encephalopathie, es lasse sich aber
kein Zusammenhang mit seiner Tätigkeit herstellen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht bewiesen. Außerdem spreche
die Hirnstammdurchblutungsstörung dagegen.
Gegen dieses am 8. April 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12. April 2005 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren
weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 31. März 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2001 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2001 aufzuheben,
2. festzustellen, dass eine bei ihm diagnostizierte Encephalopathie Folge einer Berufskrankheit Nr 1317 der Anlage zur
BKV ist,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente in Höhe von mindestens 20 vH der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 31. März 2005 zurückzuweisen.
Im vorbereitenden Verfahren sind Unterlagen von Dr AD. und von Dr L. beigezogen worden. Außerdem ist das neurologisch-neuropsychologische
Gutachten von Prof Dr AE. vom 30. März 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 13. Juni 2009 eingeholt worden.
Der Sachverständige ist anders als die vorbefassten Gutachter und Sachverständigen zu der Auffassung gekommen, dass die beim
Kläger bisher auf dem Boden von testpsychologischen Befunden postulierte Encephalopathie in nicht unerheblichem Maße durch
aggravierendes/simulierendes Verhalten erklärt werden kann. Die testpsychologische Untersuchung des Klägers ergebe zahlreiche
Auffälligkeiten, die nicht als Folge einer hirnorganischen Erkrankung interpretiert werden könnten. Es sei möglich, dass eine
gewisse Beeinträchtigung von höheren Hirnfunktionen vorhanden sei. Diese lasse sich aber nicht von den vorhandenen Antwortverzerrungstendenzen
abgrenzen. Keiner der früheren Gutachter und Sachverständigen habe Testverfahren verwendet, die eine Aggravation/Simulation
aufdecken können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde
gelegen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist aber unbegründet. Der Kläger hat
keinen Anspruch auf Rente, weil sich nicht feststellen lässt, dass bei ihm eine BK Nr 1317 der Anlage zur
BKV (Polyneuropathie oder Encephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) vorliegt.
1. Es steht nicht im Sinne des nach den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Vollbeweises fest,
dass beim Kläger eine in der BK Nr 1317 genannten Erkrankungen besteht. Eine Polyneuropathie ist bei den zahlreich durchgeführten
Untersuchungen und Begutachtungen von keinem Arzt diagnostiziert worden. Darauf hat Prof Dr AE. in seiner ergänzenden Stellungnahme
zu Recht hingewiesen. Eine Encephalopathie ist ebenfalls nicht bewiesen. Eine toxische Encephalopathie äußert sich durch diffuse
Störungen der Hirnfunktion. Konzentrations- und Merkschwächen, Auffassungsschwierigkeiten, Denkstörungen, Persönlichkeitsveränderungen
oft mit Antriebsarmut, Reizbarkeit und Affektstörungen stehen im Vordergrund (vgl. dazu Merkblatt zu der BK Nr 1317, abgedruckt
bei Mehrtens/Brandenburg, Die
Berufskrankheitenverordnung, III. Krankheitsbild und Diagnose). Der psychopathologische Befund muss durch psychologische Testverfahren objektiviert werden,
die das Alter des Patienten berücksichtigen. Wichtige anamnestische Hinweise sind Alkoholintoleranz und häufige pränarkotische
Symptome im unmittelbaren Zusammenhang mit der Lösungsmittelexposition (Benommenheit, Trunkenheit, Müdigkeit, Übelkeit, Brechreiz,
aber auch Zustände von Euphorie). Im vorliegenden Fall ist indes eine Encephalopathie nicht durch aussagekräftige Untersuchungsbefunde
nachgewiesen. Dies ergibt sich aus dem schlüssigen Gutachten des Prof Dr AE ... Aufgrund der Tendenz des Klägers zur Antwortverzerrung
kann eine sichere Aussage zu neurokognitiven Funktionsstörungen nicht getroffen werden. Es ist lediglich möglich, dass eine
gewisse Beeinträchtigung höherer Hirnfunktionen vorhanden ist. Diese lässt sich aber nicht von den vorhandenen Antwortverzerrungen
abgrenzen. Eine bloße Möglichkeit reicht aber zur Anerkennung einer BK nicht aus. Prof Dr AE. hat darauf aufmerksam gemacht,
dass Messdaten aus testpsychologischen Untersuchungen auch von der Mitarbeit des Untersuchten abhängig sind und durch bewusste
oder unbewusste Aggravation oder Simulation manipuliert werden können. Der Patient müsse in den ihm vorgelegten Aufgaben nur
etwas langsamer reagieren, sich vermeintlich etwas weniger erinnern oder etwas weniger Aufgaben lösen. Patienten mit aus Hirnverletzungen
resultierenden neurokognitiven Funktionsstörungen zeigten spezifische Muster bei der Testdiagnostik, die sich von simulierten
oder verdeutlichten Funktionsdefiziten unterscheiden. Simulierende Probanden verfügten meist nicht über hinreichende Kenntnisse,
um komplexe neuropsychologische Syndrommuster psychometrisch stimmig darzustellen und diese gleichzeitig plausibel mit ihren
vorgetragenen Beschwerden und beobachtbarem Verhalten abzugleichen. Die im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung durchgeführte
testpsychologische Untersuchung des Klägers ergab zahlreiche Punkte, die nicht als Folgen einer hirnorganischen Erkrankung
interpretiert werden können, sondern für ein antwortverzerrendes Verhalten sprechen (vgl. dazu die Aufstellung der Punkte
a.) bis g.) unter der Überschrift "Nachweis von simulierendem Verhalten beim Untersuchten"). Es liegen damit Hinweise vor,
die zusammengefasst eindeutig für eine nicht optimale Mitarbeit des Klägers sprechen und eine Aggravation/Simulation belegen.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Senat nicht an der Verwertung dieses Gutachtens gehindert. Auch wenn Prof Dr AE.
dem Kläger im Gespräch nur einige Fragen gestellt und die testpsychologische Untersuchung nicht persönlich durchgeführt hat,
liegt kein Verstoß gegen §
407a Abs
2 ZPO vor. Nach dieser Vorschrift ist der Sachverständige zwar nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Er kann
sich aber der Mitarbeit einer anderen Person bedienen, diese hat er namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben,
falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt. Ein unverwertbares Gutachten liegt erst dann vor,
wenn die Grenze der erlaubten Mitarbeit überschritten ist. Dies ist der Fall, wenn aus Art und Umfang der Mitarbeit eines
anderen Arztes gefolgert werden kann, der beauftragte Sachverständige habe seine - das Gutachten prägenden und regelmäßig
in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden - Zentralaufgaben nicht selbst wahrgenommen, sondern delegiert
(BSG Beschlüsse vom 17. November 2006 - B 2 U 58/05 B; 30. Januar 2006 - B 2 U 358/05 B und vom 15. Juli 2004 - B 9 V 24/03 B, SozR 4-1750 § 407 a Nr 2). Davon kann hier nicht die Rede sein.
Der Sachverständige Prof Dr AE. hat im Gutachten vom 30. März 2008 angezeigt, dass die testpsychologische Untersuchung von
Frau Dipl Psych AF. vorgenommen und gemeinsam mit ihm ausgewertet wurde. Aufgrund der Fragestellung (Vorliegen einer Encephalopathie)
bestand die nunmehr gerügte Untersuchung allein aus der Anwendung verschiedener Testverfahren, die im Gutachten im Einzelnen
beschrieben werden. Die Durchführung derartiger Tests gehörte nicht zum Kern der von dem Sachverständigen persönlich zu leistenden
Aufgabe. Diese bestand vielmehr in der Auswertung der während des gesamten Verfahrens erhobenen und beigezogenen Befunde und
in der Beantwortung der Frage, ob Gesundheitsschäden bestehen, die sich mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers in einen
ursächlichen Zusammenhang bringen lassen. Dieser Aufgabe ist der Sachverständige nachgekommen. Den erforderlichen Umfang der
Untersuchung kann der Kläger als medizinischer Laie nicht beurteilen. Dies gilt auch für die Frage, ob und in welche Richtung
die von ihm geforderten Pausen die Testergebnisse beeinflusst hätten.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist Prof Dr AE. nicht der einzige Gutachter, der Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des
Klägers hat: Nach den Angaben des Psychiaters N. ergab sich insgesamt eine deutliche Diskrepanz zwischen den geklagten bzw
demonstrierten Beschwerden und den objektivierbaren bzw nachvollziehbaren Befunden. Bei der Untersuchung durch Prof Dr O.
war die Mitarbeit während der Testdurchführung nicht immer in ausreichendem Maße zu beurteilen. Es fiel auf, dass die kognitiven
Leistungen in den Untertests rechnerisches Denken, allgemeines Verständnis, Gemeinsamkeitenfinden oder Figurenlegen und Zahlen-Symbol-Test
sehr niedrig ausfielen, dass andererseits diese gravierenden Defizite bei der orientierenden Untersuchung nicht in diesem
Maße zu erkennen waren. Auch Dipl-Psych. R. hat im neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 17. März 1999 darauf hingewiesen,
dass der Kläger der Untersuchung zunächst eher ablehnend gegenübertrat (wieder der Idiotentest) und zunächst auch wenig anstrengungsbereit
schien. Auch der neuropsychologischen Untersuchung durch Prof Dr Z. stand der Kläger eher ablehnend gegenüber (schon wieder
der Idiotentest). Auch Prof Dr AG. haben mitgeteilt, dass bei der Lungenfunktionsprüfung nur eine eingeschränkte Mitarbeit
zu verzeichnen war. Der Einsatz von Verfahren zur Diagnostik von Antwortverzerrungen ist im vorliegenden Fall auch methodisch
nicht ausgeschlossen. Denn die Lebensführung des Klägers (selbstständiges Ausführen des Hundes, selbstständiges Durchführen
von Gartenarbeiten) und seine detaillierten Aussagen bei den Begutachtungen sprechen gegen eine schwerwiegende Demenz, bei
der Tests zur Antwortverzerrung nur mit Einschränkung einsetzbar wären (erg. Stellungnahme Prof. Dr. AE.).
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht deshalb, weil andere Gutachter und Sachverständigen hirnorganische Veränderungen
bejahen und von einer Encephalopathie ausgehen. Denn diese Gutachten überzeugen den Senat insoweit nicht. Der Psychiater N.
hat eine hirnorganische Leistungsfunktionsstörung (pseudoneurasthenisches Syndrom) diagnostiziert. Er hat aber keine eigenen
Befunde - erst recht keine Testergebnisse - mitgeteilt, die diese Diagnose belegen. Er hat sich vielmehr auf den Bericht der
I. aus dem Jahr 1989 bezogen, in dem von einer passageren Stammhirndurchblutungsstörung ausgegangen wird. Auch letztere Diagnose
ist jedoch nach den Ausführungen von Prof Dr AE. nicht gesichert, weil Kopfschmerzen, Ohrensausen und vor allem Atemnot nicht
zu dieser Diagnose passen. Prof Dr O. weist im Gutachten vom 18. Mai 1996 ausdrücklich darauf hin, dass Diskrepanzen zwischen
den vom Kläger geklagten Beschwerden und den objektivierbaren Hirnleistungsveränderungen bestehen. Es überzeugt deshalb nicht,
wenn er die Diagnose "toxische Encephalopathie" eben mit diesen - wenig aussagekräftigen - Testergebnissen begründet und diese
- eher vorsichtig und als nur fragliche Diagnose zu verwerten - als Hinweise bezeichnet "dass Hirnleistungsveränderungen vorhanden
sind, die mit der Annahme einer hirnorganisch bedingten Veränderung der cerebralen Informationsverarbeitung vereinbar sind".
Im Gutachten vom 21. Mai 1999 ist er dem Hinweis nicht nachgegangen, dass der Kläger erneut bei der neuropsychologischen Untersuchung
wenig anstrengungsbereit war. Die Untersuchungen durch Prof Dr O. schlossen keine Verfahren ein, die es gestattet hätten,
eine Aggravationstendenz oder Simulationstendenz nachzuweisen. Darauf hat Prof Dr AE. zu Recht hingewiesen. Prof Dr AH. haben
ein organisches Psychosyndrom bzw ein pseudoneurasthenisches Syndrom unklarer Genese mit kognitiven Funktionseinschränkungen
(Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistungen) diagnostiziert. Sie haben zwar ausgeführt, dass eine Simulation des Klägers nicht
erkennbar gewesen sei. Nach den Ausführungen von Prof Dr AE. ist es allerdings schwierig bzw unmöglich, eine Antwortverzerrung
ohne Anwendung von speziellen Verfahren nachzuweisen. Einschlägige Gedächtnistests wurden jedoch bei der Untersuchung nicht
durchgeführt, gleichwohl eine Störung der entsprechenden Funktionen unterstellt. Der beratende Arzt der Beklagten Dr Q. hat
die Diagnose von Prof Dr AH. übernommen, da er sich für nur eingeschränkt kompetent hält, die psychologischen Tests zu beurteilen
(Stellungnahme vom 22. Juli 1999). Bei der neuropsychologischen Untersuchung durch Prof Dr Z., die dem Gutachten von Prof
Dr AI. zugrunde lag, wurden ebenfalls keine Testverfahren verwendet, die eine Aggravation/Simulation aufdecken könnten. Außerdem
wurde die Plausibilität der beobachteten kognitiven Minderleistungen (demgegenüber im Wortpaaretest (mnestische Fähigkeiten)
"erstaunlicherweise" ein durchschnittliches Ergebnis) nicht durch klinische Überlegungen geprüft. Darauf hat Prof Dr AE. hingewiesen.
Auch Prof Dr AA./Dr AB. haben keine ausreichenden Untersuchungen durchgeführt. Die Sachverständigen haben zudem selbst auf
eingeschränkte Untersuchungsbedingungen (technische Gründe) hingewiesen und nicht hinreichend erklärt, wieso sich gleichwohl
"insgesamt" Hinweise für eine erworbene hirnorganische Leistungseinschränkung ergeben haben sollen. Dr AC. hat sein Gutachten
nach Aktenlage erstellt. Er geht nur deshalb von Einschränkungen der Gedächtnisfunktion, der Konzentration, der Aufmerksamkeit
und in dem Bereich der exekutiven Funktionen aus, weil die zahlreichen Voruntersuchungen/Vorbegutachtungen hinsichtlich des
medizinischen Beschwerdebildes letztlich alle zu dem gleichen Ergebnis kamen. Eine eigene kritische Prüfung der Schlüssigkeit
der Vorgutachten enthält das Gutachten des Sachverständigen nicht.
2. Da schon das Vorliegen des erforderlichen Krankheitsbildes nicht bewiesen ist, musste der Senat nicht aufklären, ob die
Exposition des Klägers gegenüber Lösemitteln in der Lackiererei (1963 bis 1987) geeignet war, eine solche Erkrankung zu verursachen.
Die Auswertung der vorliegenden Unterlagen ergibt allerdings, dass auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung
einer BK Nr 1317 zu verneinen wären: Nach den Ermittlungen des TAD der Beklagten ergaben die Messergebnisse aus der Lackiererei
von 1980 bis 1985, dass die Grenzwerte zum größten Teil deutlich unterschritten wurden. Nach den Ausführungen des Dipl.-Ing.
K. vom 5. März 1997 sind diese Messungen auch repräsentativ für den Zeitraum ab 1963, da sich in dieser Zeit nichts Grundlegendes
geändert habe. Die Messungen seien in Kabinen mit Absaugung personenbezogen vor der Aktivkohlefiltermaske durchgeführt worden,
so dass die Exposition deutlich niedriger anzunehmen sei. Der Kläger hat gegenüber Dipl.-Ing. K. angegeben, den Atemschutz
immer getragen zu haben. Biologisches Material des Klägers, das Aufschluss über die Menge der von seinem Körper aufgenommenen
Stoffe geben könnte, liegt nicht vor. Aus den vorliegenden Unterlagen lassen sich auch keine anamnestischen Hinweise auf eine
relevante Exposition gegenüber Lösungsmitteln entnehmen. Solche Hinweise wären Alkoholintoleranz und häufige pränarkotische
Symptome in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lösungsmittelexposition (Benommenheit, Trunkenheit, Müdigkeit, Übelkeit, Brechreiz
aber auch Zustände von Euphorie). Nach den arbeitsmedizinischen Untersuchungen (1977 bis 1987) war der Kläger für die Tätigkeit
geeignet. Erst die Untersuchung "Lärm" am 8. April 1987 ergab gesundheitliche Bedenken. Dies war nach den Angaben des Klägers
vom 29. November 1994 auch der Grund für die Umsetzung Ende Oktober 1987. Es liegen keine Angaben über Arbeitsunfähigkeitszeiten
des Klägers wegen neurologischer Krankheitsbilder vor (Aufstellung der BKK F. über den Zeitraum 1966 bis 1994). Ärztliche
Unterlagen aus den Jahren 1963 bis 1987 liegen nicht mehr vor. Dr AD. (Schreiben vom 23. März 2005 und 27. November 2006)
kennt den Kläger erst seit 1988. Dr L. hat in seinen Schreiben vom 20. Februar 1995 und 24. Mai 2002 zwar über eine 25-jährige
Behandlung berichtet. Diese ist aber im Wesentlichen von seinem Vater als Praxisvorgänger durchgeführt worden. Er führt zwar
auch Beschwerden wie Schwindelanfälle, Vergesslichkeit und Kopfschmerzen an, daraus lässt sich aber nicht entnehmen, dass
diese Beschwerden gehäuft während der Exposition gegenüber Lösungsmitteln auftraten. Dies ergibt sich zudem auch nicht durchgängig
aus den anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber den Gutachtern und Sachverständigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), sind nicht gegeben.