Gesetzliche Unfallversicherung
Umfang des Versicherungsschutzes in der unechten Unfallversicherung
Verletzung bei Behandlungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Unfall vom 29. Juni 2007 im Rahmen einer Mammografie ein Arbeitsunfall ist.
Die im Oktober 1958 geborene Klägerin ist im Unfallzeitpunkt Verwaltungsangestellte in der Finanzverwaltung der Stadt E. und
bei der BKK F. krankenversichert gewesen. Am 26. Juni 2007 überwies ihre behandelnde Gynäkologin sie wegen einer akuten Mastitis
(Entzündung der Brust) rechtsseitig unklarer Ätiologie zur weiteren Abklärung zur stationären Behandlung in das Brustzentrum
der Medizinischen Hochschule E. (MHH). Sie wurde dort am 28. Juni 2007 stationär aufgenommen und am selben Tag erstmalig untersucht.
Am Morgen des 29. Juni 2007 begab sie sich zunächst erneut zu der dort behandelnden Ärztin Dr G., die eine Mammografie, bestehend
aus vier Aufnahmen, in einem 4 Räume entfernt liegenden Röntgenraum veranlasste. Dort wurden von der Medizinisch-Technischen-Röntgenassistentin
(MTRA) H. zunächst zwei Röntgenaufnahmen im kranio-kaudalen Strahlengang angefertigt. Im Verlauf der Anfertigung der dritten
Aufnahme brach die Klägerin zusammen und stürzte zu Boden. Es schloss sich eine sofortige notfallmäßige Versorgung an. Als
Folgen der bei dem Sturz erlittenen Verletzungen wurden unter anderem ein subdurales Hämatom rechts frontal, eine Felsenbeinlängsfraktur
links sowie ein Hämatotympanon links (Blutfüllung der Paukenhöhle) diagnostiziert. Auf die mehrwöchige stationäre Behandlung
auch auf der Intensivstation folgten eine Anschlussheilbehandlung und eine längere Zeit der Arbeitsunfähigkeit. Die Brustentzündung
selbst klang nach antibiotischen Infusionen ab (Durchgangsarztbericht des Prof Dr I. vom 29. Juni 2007, Gutachten des Radiologen
Prof Dr J. vom 17. März 2009, erstattet in dem Zivilrechtsstreit der Klägerin gegen die MHH und die MTRA, K., Entlassungsbericht
der Klinik L. vom 12. September 2007).
Am 3. September 2007 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Feststellung als Arbeitsunfall geltend. In der Anlage
zu dem von ihr ausgefüllten Unfallfragebogen führte sie unter dem 25. September 2007 aus, bei der Vorbereitung der Aufnahme
habe die MTRA im Rahmen der notwendigen Kompression immer wieder über die entzündete Stelle, die 4 cm oberhalb der Brust lag,
gerieben, um diese noch mit auf die Aufnahme zu bekommen. Sie habe der MTRA erklärt, dass dies sehr schmerzhaft sei und sie
damit aufhören solle. Nachdem der Kompressor aufgegangen sei, sei sie zu Boden gestürzt.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2007/Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2008, zugestellt am 21 Januar 2008, lehnte die Beklagte
die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Körperschäden, die durch ärztliche Behandlungen eingetreten seien, seien nicht von
der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) abgedeckt, unabhängig davon, ob menschliches oder technisches Versagen Ursache sei.
Weiterhin sei Unfallversicherungsschutz zu verneinen, wenn keine besondere Gefahr des Krankenhauses, sondern eine innere Ursache
zu dem Ereignis und zur Entstehung, Art und Schwere der Verletzung beigetragen habe. Eine innere Ursache liege auch dann vor,
wenn der Unfall durch das Einweisungsleiden, die Nachwirkungen der vorgenommenen Behandlung oder eine andere Erkrankung verursacht
werde.
Hiergegen hat die Klägerin am 21. Februar 2008 Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, eine innere Ursache als Anlass für den
Sturz sei ausgeschlossen worden. Ihre rechte Brust sei zwischen Röntgentisch und Plastikabdeckung des Mammografiegerätes fixiert
gewesen. Vor der nächsten Aufnahme habe die MTRA versucht, eine suspekte "Resistenz" mit in die Aufnahme hinein zu bekommen,
was sehr schmerzhaft gewesen sei. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2009 abgewiesen. Der Unfall habe sich nicht bei einer versicherten
Tätigkeit iSd §
2 Abs
1 Nr
15a SGB VII ereignet. Risiken der Krankheit als solche oder der ärztlichen Behandlung ebenso wie fehlerhafte Maßnahmen der Hilfspersonen
der Ärzte ständen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen UV. Ein kliniktypischer Gefahrenmoment für den Eintritt des Sturzes
und der Bewusstlosigkeit im Rahmen der Mammografie sei nach den Angaben der Klägerin nicht nachgewiesen.
Gegen den am 19. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit der am 10. März 2009 eingelegten
Berufung. Sie trägt vor, bei ihr habe sich ein typisches Krankenhausrisiko verwirklicht, als sie vermutlich aufgrund der als
schmerzhaft empfundenen Kompression der rechten Brust eine vasovagale Synkope mit Bewusstseinsverlust erlitten habe.
Die Klägerin beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 9. Februar 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2008 aufzuheben,
2. festzustellen, dass der Unfall vom 29. Juni 2007 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 9. Februar 2009 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Erduldung von Behandlungsmaßnahmen stehe nicht unter Versicherungsschutz.
Nachdem die Klägerin den Abschluss des Zivilrechtsstreits vor dem OLG M. (N., Rücknahme der Berufung durch die Klägerin mit
Schriftsatz vom 14. Februar 2011) mitgeteilt und die Fortsetzung dieses Verfahrens begehrt hat, hat der Senat die Akten des
Landgerichts E. beigezogen (K.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG Hannover hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Entscheidung
der Beklagten ist rechtswidrig. Der Sturz der Klägerin vom 29. Juni 2007 im Rahmen der Mammografie ist ein Arbeitsunfall iSd
§§
8,
2 Abs
1 Nr
15a SGB VII.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeiten (§
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII). Nach der hier allein in Frage kommenden Vorschrift des §
2 Abs
1 Nr
15a SGB VII stehen die Personen unter Versicherungsschutz, die auf Kosten ihrer Krankenkasse eine stationäre Behandlung zur medizinischen
Rehabilitation erhalten. Die Versicherten sollen vor den drohenden Gefahren aus der Behandlung geschützt werden, zu deren
Mitwirkung sie verpflichtet sind. Zu der danach versicherten Tätigkeit zählt das Entgegennehmen der Behandlung sowie die Handlungen,
die die Versicherten vornehmen, um die Behandlung zu erhalten oder an ihrer Durchführung mitzuwirken, soweit sie sich dabei
im Rahmen der ärztlichen Verordnung halten. Nicht ausgeschlossen von den versicherten Tätigkeiten sind dabei auch die Verrichtungen,
die während einer ärztlichen oder therapeutischen Behandlung vorgenommen werden (BSG Urteil vom 27. April 2010, B 2 U 11/09 R mwN - SGb 2011, 53 ff zu Anm Pitz).
Die Klägerin gehörte danach im Unfallzeitpunkt zu dem nach dieser Vorschrift versicherten Personenkreis. Ihre Krankenkasse
hatte die ab dem 28. Juni 2007 beginnende stationäre Behandlung gewährt, an deren zweiten Tag sich der Unfall ereignete. Zur
Diagnostik und als Grundlage der Behandlung der Gesundheitsstörung, die Anlass für die Einweisung in die stationäre Behandlung
war, war die Anfertigung von vier Mammografieaufnahmen erforderlich, die die behandelnde Ärztin veranlasst hatte. Es kann
dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Ermöglichung der Anfertigung dieser Aufnahmen durch die Klägerin um ein aktives
Handeln oder passives Erdulden handelte, denn beide Varianten sind versichert.
Der Sturz ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die mit der Mammografie notwendigerweise einhergehende Kompression
der Mamma, die die erforderliche Qualität der bildgebenden Aufnahme erst ermöglicht, und die dadurch ausgelösten Schmerzen
einschließlich des Unwohlseins und des damit verbundenen Kollabierens der Klägerin verursacht worden. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit
setzt voraus, dass nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht
und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.
Beim vernünftigen Abwägen aller Umstände müssen die auf eine beruflich bedingte Verursachung hinweisenden Faktoren so stark
überwiegen, dass hierauf die Entscheidung gestützt werden kann (BSG Urteil vom 2. Februar 1978, - 8 RU 66/77 in BSGE 45, 285 ff; vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 48 mwN). Nicht ausreichend ist
die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs (BSG Urteile vom 9. Mai 2006, - B 2 U 26/04 R - und B 2 U 40/05 R -; vom 27. Juni 2000, - B 2 U 29/99 R - mwNw). Ebenso wenig reicht für die Annahme des Kausalzusammenhangs das bloße zeitnahe Auftreten von Gesundheitsstörungen
nach einem Unfall auch dann aus, wenn andere - konkurrierende Ursachen - als Erklärung für die Entstehung der Gesundheitsstörungen
nicht erkennbar sind (BSG Urteil vom 9. Mai 2006, - aaO.). Vorliegend sprechen das Fehlen von Hinweisen für innere Ursachen und Behandlungsfehlern
der MRTA angesichts der Begleiterscheinungen der Mammografie nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, §
128 Abs
1 S 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), für den Kausalzusammenhang:
Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Klägerin aus anderen Gründen als denen der von ihr als äußerst schmerzhaft
empfundenen Untersuchung kollabiert ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich ein Kollaps der Klägerin aus innerer
Ursache nicht nachweisen. Die Beklagte selbst hat nicht dargelegt, worauf sie ihre Annahme stützt. Aus den medizinischen Unterlagen
lassen sich keine Hinweise dafür entnehmen, dass bei der Klägerin vor dieser Mammografie eine Neigung bestand, zu kollabieren
oder aus innerer Ursache (zB infolge von Kreislaufstörungen) in Ohnmacht zu fallen. In dem im Zivilrechtsstreit erstatteten
Gutachten des Prof Dr J. wird zwar ein Kreislaufkollaps der Klägerin beschrieben. Der Sachverständige hat diesen aber auf
den mit der Mammografie zwangsläufig verbundenen Untersuchungsablauf zurückgeführt. Prof Dr J. hat dargelegt, dass die Mammografie
gerade wegen der mit ihr verbundenen Kompression der Mammae, die für die Anfertigung der Aufnahmen zwingend erforderlich ist,
von einer hohen Prozentzahl von Frauen als unangenehm und schmerzhaft empfunden wird. Dies ist im Übrigen auch allgemein bekannt
(www.brustkrebs-info.de, mammo-programm.de, krebsinforomationsdienst.de).
Es lässt sich auch nicht feststellen, dass an dem Kollaps und anschließendem Sturz der Klägerin ein Fehler der behandelnden
Ärztin oder der MTRA mitgewirkt hat. Ein solcher Behandlungsfehler ist im Urteil des Landgerichts Hannover vom 9. September
2010 ausgeschlossen worden. Ein fehlerhaftes Verhalten der MTRA ließ sich im Zivilrechtsstreit nicht nachweisen. Nach den
Ausführungen des Prof Dr J. wurde die Mammografie ordnungsgemäß durchgeführt. Entgegen der ursprünglichen Schilderungen ließ
sich auch nicht feststellen, dass die Klägerin ihr erhebliches Unwohlsein und den drohenden Kollaps so rechtzeitig angekündigt
hatte, dass für die MTRA eine Möglichkeit zur Reaktion - zB durch sofortigen Abbruch der Untersuchung - und damit zur Vermeidung
des Sturzes der Klägerin bestanden hatte.
Da die im Rahmen der Mammografie erfolgte Kompression der Brust zum Zusammenbruch und anschließenden Sturz der Klägerin und
dieser wiederum ua zu einem subduralem Hämatom rechts und damit zu einem Gesundheitsschaden geführt hat, ist ein Arbeitsunfall
zu bejahen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§
160 Abs
2 SGG).