Streit über die Kostenübernahme für eine Schülermonatsfahrkarte als Leistung für Bildung und Teilhabe nach dem SGB II (hier bei einem Fußweg von 3 km)
Bestimmung des Begriffs "angewiesen" sein auf die Schülerbeförderung
Rückgriff auf die Vorschriften der SchfkVO NRW
Entfernung des Schulwegs als Entscheidungskriterium
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger Anspruch auf Kostenübernahme für eine Schülermonatsfahrkarte als Leistung
für Bildung und Teilhabe nach dem SGB II hat.
Der am 00.00.1996 geborene Kläger beantragte am 15.04.2011 rückwirkend zum 01.01.2011 die Übernahme der Kosten für die Schülerbeförderung
in Höhe von 28,70 EUR monatlich.
Mit Bescheid vom 14.10.2011 lehnte der Beklagte den Antrag gestützt auf § 28 Abs. 3a SGB II ab. Nach der genannten Norm würden bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächst gelegenen Schule des gewählten
Bildungsgangs auf Schülerbeförderung angewiesen seien, die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt,
soweit sie nicht von Dritten übernommen würden und es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden könne, die Aufwendungen
aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Angewiesen auf eine Schülerbeförderung seien Schüler dann, wenn die nächstgelegene Schule
des jeweiligen Bildungsgangs unangemessen weit entfernt sei und daher Fahrtkosten notwendig entstünden. In NRW würden die
notwendigen Fahrtkosten gemäß §§ 4,5 Schülerfahrkostenverordnung (SchfkVO) durch den Schulträger übernommen. Sofern im Rahmen
des Schokotickets ein Eigenanteil anfalle (wegen der Nutzbarkeit der Fahrkarte auch an Wochenenden, Feiertagen und in den
Schulferien) bestehe auch hierfür kein Leistungsanspruch nach § 28 SGB II, denn der Eigenanteil sei in dem Regelbedarf enthalten. Dieser enthalte einen Anteil für Verkehr, der in der Altersstufe
14-17 Jahre monatlich 12,62 EUR betrage.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 26.10.2011, den er damit begründete, der Begriff der Angemessenheit
müsse im Rahmen einer Ermessensausübung überprüft werden, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2011 im wesentlichen
aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ergänzend führte der Beklagte aus, nach den Vorschriften der SchfkVO
liege eine Notwendigkeit zur Kostenübernahme nur vor, wenn der Schulweg für Schüler der Sekundarstufe I mehr als 3,5 km betrage.
Nach den Ermittlungen betrage der einfache Schulweg des Klägers jedoch nur 3,06 km.
Hiergegen richtete sich die am 07.12.2011 vor dem Sozialgericht Dortmund erhobene Klage. Es sei nicht die SchfkVO heranzuziehen,
sondern andere Prüfungsmaßstäbe. Der Begriff "angewiesen" sei nicht über die Entfernung zu bestimmen, ausschlaggebend seien
vielmehr die konkreten Gegebenheiten. In dem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass der kürzeste Schulweg durch ein Waldstück
führe und die Kriminalitätsrate dort nicht gering sei. Im Winter sei der Weg auch wegen des Schneebruchs nicht zumutbar, außerdem
gebe es Tage mit Sturmböen. Im übrigen stelle sich die Frage, ob ein Fußweg von 3 km überhaupt zumutbar sei, wenn man bedenke,
dass die besuchte Schule eine Ganztagsschule sei. Im Übrigen falle der Kläger aus dem sozialen Geflecht heraus, wenn er nicht
mit Gleichaltrigen, die öffentliche Verkehrsmittel benutzen, fahren könne.
Der Bevollmächtigte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 04.02.2014 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.10.2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2011 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2011
Fahrtkosten für den Schulweg zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verblieb bei seiner in den angefochtenen Bescheiden dargelegten Auffassung.
Das Sozialgericht Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 04.02.2014 abgewiesen. Die Voraussetzungen der einschlägigen Rechtsgrundlage
des § 28 Abs. 4 SGB II lägen nicht vor. Der Kläger sei nicht auf die Schülerbeförderung angewiesen. Der Beklagte habe zu Recht auf die SchfkVO zurückgegriffen.
Dieser lege in typisierender Weise Entfernungen fest, bei denen ein Schulweg zu Fuß zumutbar sei. Dies begegne keinen Bedenken.
Ausnahmen könnten nur bestehen, wenn der Schulweg besonders gefährlich sei oder der Schüler aus gesundheitlichen Gründen auf
die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sei. In diesen Fällen komme die Übernahme nach § 6 SchfkVO in Betracht
Die Stadt Bochum - Schulverwaltungsamt - habe die Übernahme der Schülerfahrtkosten mit Bescheid vom 23.09.2011 abgelehnt.
Eine Übernahme durch den Beklagten komme nicht in Betracht, da eine ausreichende landesgesetzliche Regelung bestehe. Mit §
28 Abs. 4 SGB II habe der Bundesgesetzgeber nur eine Auffangregelung schaffen wollen für unzureichende landesrechtliche Regelungen. Solche
lägen aber in NRW nicht vor.
Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 06.03.2014 zugestellt.
Hiergegen richtet sich seine Berufung vom 25.03.2014. Es bestehe ein Unterschied zwischen der SchfkVO und § 28 SGB II. Die Verordnung regele allgemein gültig anhand eines singulären Merkmals die Zumutbarkeit, einen gewissen Schulweg zurückzulegen
und lasse alle weiteren Kriterien außer Betracht. Sie stamme aus einer anderen Zeit. § 28 SGB II würde demgegenüber Leistungen gewähren, die andere Stellen nicht gewährten. Die jüngere Schwester des Klägers erhielte Leistungen
von der Stadt Bochum, alle anderen Schüler führen mit dem Bus, der Kläger werde ausgegrenzt Im übrigen sei zu bedenken, dass
hier zumindest eine Ermessensleistung vorliege.
Der Bevollmächtigte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 04.02.2014 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.10.2011
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2011 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2011
Fahrtkosten für den Schulweg zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten sowie der
Akte der Stadt Bochum - Schulverwaltungsamt -, die der Senat beigezogen hat und deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist sowie auf den Vortrag der Beteiligten im übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zurecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn der Kläger
ist durch den angefochtenen Bescheid vom 14.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11. 2011 nicht beschwert
im Sinne des §
54 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), denn er hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme durch den Beklagten für die Schülermonatsfahrkarte. Zur Vermeidung von
Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden und umfassenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug (§
153 Abs.
2 SGG).
Auch das Vorbringen des Klägers zur Begründung seiner Berufung führt zu keiner abweichenden Entscheidung, denn es besteht
in einer Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. In dem Zusammenhang weist der Senat klarstellend darauf
hin, dass entgegen der Auffassung des Klägers § 28 Abs. 4 SGB II nicht losgelöst von den landesrechtlichen Bestimmungen und damit nicht nach grundlegend anderen Kriterien zu prüfen ist.
Die einschlägigen Kommentierungen machen deutlich, dass der in der Norm verwandte unbestimmte Rechtsbegriff " angewiesen sein"
im Rahmen der landesrechtlichen Bestimmungen zu interpretieren ist (vgl. hierzu Luik in Eicher, SGB II, 3.Auflage 2013, § 28 Rdz 34 und Münder, SGB II, 5. Auflage 2013, § 28 Rdz 20). Das ist auch allein deshalb geboten, um keine Besserstellung der Schüler zu erreichen, die Leistungen nach dem SGB II beziehen im Verhältnis zu denen, bei denen sich die Leistungen auf Kostenübernahme der Schülerbeförderung nicht über einen
SGB II Leistungsbezug ableiten lassen. Die landesrechtlichen Regelungen schaffen hier durch Festlegung der Länge des Schulwegs sachgerechte
und einheitliche Lösungen. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, bestehen auch keine durchgreifenden rechtlichen
Bedenken gegen die typisierende Betrachtungsweise hinsichtlich der Entfernung des Schulwegs als Entscheidungskriterium. Auch
nach Ansicht des Senats handelt es sich hierbei um den einzig objektiven Gesichtspunkt, anhand dessen die Frage zu klären
ist , wann man auf eine Beförderung durch öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und wann es unzumutbar ist, einen Weg zu Fuß
zurückzulegen. Den vom Kläger angesprochenen Aspekt, er werde ausgegrenzt, da alle seine Mitschüler mit dem Bus fahren würden,
hält der Senat für nicht durchgreifend, abgesehen davon, dass die Richtigkeit dieses Vortrags nicht überprüfbar ist.
Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus § 6 der SchfkVO. In Betracht käme hier allenfalls Abs. 2, der auf
das Kriterium der Gefährlichkeit des Schulweges abstellt oder auf die Prüfung der Frage, ob der Schulweg nach den örtlichen
Verhältnissen ungeeignet ist. Hierzu ergibt sich aus der beigezogenen Akte der Stadt Bochum, dass diese Voraussetzungen nicht
gegeben sind. Das Schulverwaltungsamt der Stadt Bochum hatte mit Bescheid vom 23.09.2011 die Übernahme der Schülerfahrkosten
abgelehnt. Dagegen fand ein Klageverfahren (4 K 4490/11) in der Verwaltungsgerichtsbarkeit statt, für dessen Durchführung PKH beantragt wurde. Das VG Gelsenkirchen hatte mit Beschluss
vom 22.03.2012 PKH mangels hinreichender Aussicht des Verfahrens auf Erfolg abgelehnt und sich in dem Zusammenhang mit den
genannten Kriterien der Gefährlichkeit und der Ungeeignetheit auseinandergesetzt. Diese Entscheidung hat das OVG Münster mit
Beschluss vom 14.05.2013 bestätigt (19 E 378/12). Der Senat schließt sich diesen Feststellungen an.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist vorliegend auch kein Ermessen auszuüben, dafür gibt der Wortlaut des § 28 Abs. 4 SGB II nichts her. Die Norm ist als gebundene Vorschrift formuliert.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen.