Versäumung der Berufungsfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen
Regelmäßige Postlaufzeit
Schutzwürdiges Vertrauen
Verschulden des Postunternehmens
1. Gemäß § 2 Nr. 3 der Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) müssen von den an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen (zu denen auch Einschreibsendungen gehören,
§ 1 Abs. 2 Nr. 1 PUDLV) mindestens 80 % an dem ersten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden.
2. Auch nach Inkrafttreten dieser (auf der Richtlinie 97/67/EG beruhenden) Vorschrift darf der Einlieferer einer Briefsendung darauf vertrauen, dass eine rechtzeitig am Vortag eingelieferte
Einschreibsendung am folgenden Werktag ausgeliefert/zugestellt wird.
3. Der Einlieferer darf sich darauf verlassen, dass sie am folgenden Werktag ausgeliefert wird, ohne Rechtsnachteile nur deshalb
befürchten zu müssen, weil er eine ihm eingeräumte Frist weitgehend ausgeschöpft hat.
4. Kommt es wider Erwarten nicht zur Auslieferung am folgenden Werktag, beruht dies auf einem Verschulden des Postunternehmens,
mit dem der Einlieferer nicht rechnen konnte bzw. musste und das ihm deshalb nicht zuzurechnen ist.
Gründe
I.
Das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.9.2016 wurde der Klägerin ausweislich der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde
am 27.9.2016 durch Einlegung in ihren Briefkasten zugestellt.
Ihre unter dem 24.10.2016 gefertigte, per Einschreiben versandte Berufungsschrift ist ausweislich des aufgebrachten Posteingangsstempels
am Montag, dem 31.10.2016 beim erkennenden Berufungsgericht eingegangen. Auf dem bei den Akten befindlichen Briefumschlag
ist (wohl, da nicht sicher lesbar) der Poststempel des 25.10.2016 aufgebracht. Aus dem von der Klägerin nachträglich in Kopie
vorgelegten Einlieferungsschein ergibt sich, dass sie das Einschreiben am 25.10.2016 um 11.16 Uhr bei der Deutschen Post AG
in Datteln eingeliefert hat.
II.
Der Klägerin ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, §
67 Abs
1, Abs
2 Satz 4
Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren. Ist die versäumte Rechtshandlung bereits nachgeholt, kann die Wiedereinsetzung von Amts
wegen ("auch ohne Antrag") gewährt werden.
Das Urteil des SG Gelsenkirchen wurde der Klägerin rechtswirksam am Dienstag, dem 27.9.2016 zugestellt, §§
63 Abs
2 Satz 1
SGG,
180 Zivilprozessordnung. Die einmonatige Berufungsfrist lief somit am Donnerstag, dem 27.10.2016 um 24 Uhr ab, §§
151 Abs
1,
64 Abs
2 Satz 1
SGG. Diese Frist hat die Klägerin (objektiv) nicht eingehalten, da ihre Berufungsschrift nachweislich erst am 31.10.2016 einging.
Sie hat die Frist jedoch ohne Verschulden versäumt, weil sie die Berufungsschrift rechtzeitig am Dienstag, dem 25.10.2016
um 11.16 Uhr zur Post gegeben hatte.
Die Klägerin konnte und durfte darauf vertrauen, dass die Berufungsschrift am folgenden Werktag, dem 26.10.2016, und mithin
rechtzeitig an den Adressaten, das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, ausgeliefert wird. Die verspätete Auslieferung
beruht ausschließlich auf dem Verschulden des ausliefernden Unternehmens, der Deutsche Post AG, und ist der Klägerin weder
anzulasten noch sonst zuzurechnen.
Gemäß § 2 Nr 3 der seit dem 1.1.1998 geltenden Post - Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) vom 15.12.1999 müssen von den an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen (zu denen auch Einschreibsendungen
gehören, § 1 Abs 2 Nr 1 PUDLV) mindestens 80 % an dem ersten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag [ ] ausgeliefert werden. Auch nach Inkrafttreten
dieser (auf der europäischen Richtlinie 97/67/EG beruhenden) Vorschrift darf der Einlieferer einer Briefsendung darauf vertrauen, dass eine rechtzeitig am Vortag eingelieferte
Einschreibsendung am folgenden Werktag ausgeliefert/zugestellt wird (BFH, Beschluss vom 08. Mai 2006 - VII B 219/05 -; BGH, Beschluss vom 20. Mai 2009 - IV ZB 2/08 -, in: MDR 2009, 1128f). Jedenfalls eine am Vortag um 11.16 Uhr eingelieferte Einschreibsendung ist in diesem Sinne rechtzeitig
eingeliefert. Der Einlieferer darf sich darauf verlassen, dass sie am folgenden Werktag ausgeliefert wird, ohne Rechtsnachteile
nur deshalb befürchten zu müssen, weil er eine ihm eingeräumte Frist weitgehend ausgeschöpft hat. Kommt es wider Erwarten
nicht zur Auslieferung am folgenden Werktag, beruht dies auf einem Verschulden des Postunternehmens, mit dem der Einlieferer
nicht rechnen konnte bzw. musste und das ihm deshalb nicht zuzurechnen ist (vgl dazu grundsätzlich: BVerfG, Kammerbeschluss
vom 29. Dezember 1994 - 2 BvR 106/93 - Rdnrn 15-19 in: NJW 1995, 1210ff; BGH, aaO, mwN).
Rechtsfolge der Wiedereinsetzung ist, dass die rechtzeitige Einlegung der Berufung fingiert wird.
Diese Entscheidung, die mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter erfolgt (§
153 Abs
4 i.V.m. Abs
3 SGG), ist unanfechtbar, §
67 Abs
4 Satz 2
SGG.