Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen einen Sanktions- und Aufhebungsbescheid gerichteten Klage
Nichterfüllung der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflicht zur Abmeldung im Krankheitsfall
Dreiwöchiges unentschuldigtes Fernbleiben von einer Maßnahme bei der VHS
Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung in der Eingliederungsvereinbarung im Hinblick auf die Meldepflichten im Krankheitsfall
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer
Klage vom 20.07.2015 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2015
ist unbegründet.
Nach §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch bzw. die Anfechtungsklage gegen den
Sanktions- und Aufhebungsbescheid vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2015 entfalten nach §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.
Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht eine Abwägung des Interesses der Antragstellerin,
die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse) mit dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners
vorzunehmen. Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt. Dabei
richtet sich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in erster Linie nach dem Grad der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit
des angefochtenen Eingriffsbescheides und den daraus folgenden Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren (vgl. Keller
in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
86b Rn. 12a ff). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist ferner zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in der vorliegenden
Fallgestaltung ein Regel-/Ausnahmeverhältnis angeordnet hat. Da der Gesetzgeber die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen
ausgeschlossen hat, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse des Antragsgegners (vgl. BSG, Beschluss vom 29.08.2011 - B 6 KA 18/11 R - SozR 4-1500 § 86a Nr. 2). Es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 - zu §
80 Abs.
2 Nrn. 1-3
VwGO). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss in diesen Fällen eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme
sein (BVerfG, a.a.O; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 12c m.w.N).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Sozialgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den
Bescheid vom 15.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2015 zu Recht abgelehnt, weil das Interesse des
Antragsgegners am Vollzug des angefochtenen Bescheides überwiegt. Denn dieser erweist sich nach der gebotenen summarischen
Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß §
142 Abs.
2 S. 3
SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie habe sich nicht im Sinne von § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II geweigert, da Sinn und Zweck dieser Vorschrift die Sicherstellung der Wiedereingliederung sei und es aufgrund der von ihr
fortgesetzten Maßnahme an der von § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II vorausgesetzten Folge des Maßnahmeabbruchs fehle, sei darauf hingewiesen, dass der Abbruch einer zumutbaren Maßnahme als
eigenständiger Sanktionstatbestand in § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II enthalten ist. Nach der hier zur Anwendung kommenden Regelung in § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte (auch dann) ihre Pflichten, wenn sie sich trotz schriftlicher Belehrung über
die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, die in einer Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten zu erfüllen.
Diesen Tatbestand hat die Antragstellerin erfüllt, indem sie durch ihr - nach eigenen Angaben dreiwöchiges - unentschuldigtes
Fernbleiben von der Maßnahme bei der VHS ihre fehlende Bereitschaft, die in der Eingliederungsvereinbarung vom 16.03.2015
festgelegten Pflichten zur Abmeldung im Krankheits- oder Verhinderungsfall zu erfüllen, zum Ausdruck gebracht hat.
Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, in der Eingliederungsvereinbarung seien Meldepflichten festgelegt
worden, die über die Vorgaben des § 5 Abs. 1 S. 1 EntgFG - die mit denjenigen des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II übereinstimmen - hinausgingen. Bereits das Sozialgericht hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass letztlich dahinstehen
kann, ob die Eingliederungsvereinbarung strengere Bedingungen aufstellt als § 5 EntgFG. Dies wäre allenfalls dann erheblich,
wenn sich die Antragstellerin zwar erst nach 9:00 Uhr, aber noch am selben Tag ihrer jeweiligen Arbeitsunfähigkeit und damit
gegebenenfalls noch "unverzüglich" bei dem Maßnahmeträger bzw. bei dem zuständigen Integrationscoach des Jobcenters gemeldet
hätte. Dies aber war hier nicht der Fall, denn die Antragstellerin hat sich zwischen dem 15.05.2015 und dem 02.06.2015 überhaupt
nicht, weder beim Antragsgegner noch beim Maßnahmeträger, wegen der von ihr geltend gemachten Arbeitsunfähigkeit - die sie
überdies nicht nachgewiesen hat - (ab)gemeldet.
Darüber hinaus kann sich die Antragstellerin auch nicht darauf berufen, es fehle an einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung,
weil eine solche von den Pflichten abgesetzt dargestellt werden müsse und in der Eingliederungsvereinbarung unter der Rubrik
Rechtsfolgenbelehrung nur auf § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II hingewiesen werde. Die Wirksamkeit einer Rechtsfolgenbelehrung setzt voraus, dass sie konkret, richtig und vollständig ist,
zeitnah im Zusammenhang und zeitlich vor dem sanktionsbewehrten Verhalten erfolgt sowie dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
in verständlicher Form erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus einer Pflichtverletzung für ihn
ergeben (vgl. BSG, Urteile vom 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr. 4; vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr. 3; vom 18.02.2010 - B 14 AS 53/08 R - BSGE 105, 297 = SozR 4-4200 § 31 Nr. 5; vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R). Diesen Anforderungen genügt die im Hinblick auf die Meldepflichten im Krankheitsfall erteilte Rechtsfolgenbelehrung,
denn die Antragstellerin ist in der Eingliederungsvereinbarung unter Punkt 4, Unterpunkt "Krankmeldung" konkret und zutreffend
darüber belehrt worden, dass sich bei einem Verstoß gegen ihre Pflicht zur Abmeldung im Verhinderungs- oder Krankheitsfall
ihr Alg II auf die Bedarfe nach § 22 SGB II (Kosten für Unterkunft und Heizung) beschränkt, so dass die Antragstellerin auf die sich aus § 31a Abs. 2 S. 1 SGB II ergebende Sanktion bei einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II konkret und verständlich hingewiesen worden ist.
Soweit die Antragstellerin rügt, der Antragsgegner habe sein Ermessen hinsichtlich einer Verkürzung der Minderungsdauer (§
31b Abs. 1 S. 4 SGB II) nicht ordnungsgemäß nachgeholt, trifft auch dieser Einwand nicht zu. Die Ermessensentscheidung, die der Antragsgegner zulässigerweise
(erst) im Widerspruchsbescheid (vgl. Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 31b Rn. 26; S. Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31b Rn. 19 m.w.N.) vorgenommen hat, lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Insbesondere hat der Antragsgegner zutreffend darauf
hingewiesen, dass die Antragstellerin selbst nach der Abmahnung durch den Maßnahmeträger vom 27.05.2015 und dem Anhörungsschreiben
vom 28.05.2015 erneut mehrere Tage - am 05.06., 08.06. und 11.06.2015 - unentschuldigt gefehlt hat, so dass sie ihr pflichtwidriges
Verhalten fortgesetzt hat.
Schließlich vermag die Antragstellerin auch nicht mit ihrem Vorbringen durchzudringen, die Anwendung der strengeren Sanktionsregelung
sei nicht gerechtfertigt, weil sie als alleinerziehende Mutter nicht mehr im Haushalt ihrer Eltern lebe und der Wegfall (auch)
des Mehrbedarfs eine unmittelbare Schlechterstellung ihres Kindes bedeute. Soweit die Antragstellerin damit die Verfassungsmäßigkeit
der in § 31a Abs. 2 S. 1 SGB II normierten Folgen einer (erstmaligen) Pflichtverletzung von Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet
haben, in Zweifel zieht, wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen. Dass die Antragstellerin mit
einem minderjährigen Kind in einem Haushalt lebt und der Leistungsträger deshalb nach § 31a Abs. 3 S. 2 SGB II ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erbringen hat, hat der Antragsgegner im Rahmen der angefochtenen Entscheidung
im Übrigen berücksichtigt, indem er ausdrücklich Sachleistungen in Form von Lebensmittelgutscheinen gewährt hat.
Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kam mangels hinreichender Erfolgsaussichten nicht in Betracht
(§
73a SGG i.V.m. §
114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).