Tatbestand
Die Klägerin wendet sich mit der Berufung gegen eine Erstattungsforderung des Beklagten i.H.v. 330,42 €.
Die am 00.00.1967 geborene Klägerin bezog vom Beklagten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10.02.2016 bewilligte dieser der Klägerin für den Zeitraum von März 2016 bis einschließlich August 2016
aufstockend Grundsicherungsleistungen i.H.v. 494,42 € monatlich, die sich aus einer Regelleistung i.H.v. 164,00 € und Leistungen
für Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 330,42 € zusammensetzten.
Mit Schreiben vom 21.01.2016 kündigte die Klägerin ihre Wohnung in F zum 30.04.2016 und leistete per am 01.04.2016 ausgeführtem
Dauerauftrag ihre letzte Mietzahlung i.H.v. 330,42 € für diese Wohnung.
Bei einer Vorsprache beim Beklagten am 07.04.2016 teilte die Klägerin mit, sie beabsichtige, nach I zu ziehen. Nach der Niederschrift
zu diesem Termin wurde die Klägerin gebeten und sagte zu, Mietobergrenzen aus I und das Mietangebot mitzubringen.
Am 23.04.2016, einem Samstag, verständigte sich die Klägerin mit dem Vermieter einer neuen Wohnung in I über deren Anmietung
und unterschrieb am 27.04.2016 einen schriftlichen Mietvertrag, in dem als Beginn des Mietverhältnisses wie auch als Tag der
Übergabe des Mietobjekts der 01.05.2016 ausgewiesen wurde.
Am 28.04.2016 meldete sich die Klägerin mit ihrem neuen Wohnsitz in I an, gab als Tag des Einzugs den 23.04.2016 an und beantragte
gleichen Tages die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen beim Beigeladenen.
Am 28.04.2016 teilte die Klägerin bei einer persönlichen Vorsprache dem Beklagten ihren Umzug nach I mit und legte den Mietvertrag
vom 27.04.2016 vor.
Am 28.04.2016 wurden Leistungen des Beklagten i.H.v. 494,42 € für Mai 2016 auf dem Konto der Klägerin gutgeschrieben. Am 02.05.2016
überwies die Klägerin die Miete für die in I angemietete Wohnung für Mai 2016 i.H.v. 369,65 €.
Mit Bescheid vom 29.04.2016 hob der Beklagte den Bescheid vom 10.02.2016 wegen Wegfalls seiner örtlichen Zuständigkeit mit
Wirkung ab dem 01.06.2016 auf. Diesen Bescheid legte die Klägerin beim Beigeladenen zusammen mit dem ausgefüllten Antragsformular
vor. In das am 11.05.2016 von der Klägerin unterzeichnete Antragsformular wurde auf der 6. Seite unter 9. "Antragstellung
ab einem späteren Zeitpunkt" mit grünem Kugelschreiber/in grüner Tintenschrift eingetragen, Leistungen würden erst mit Wirkung
zum 01.06.2016 beantragt, da das Jobcenter F bis 31. Mai gezahlt habe. Mit Bescheid vom 11.05.2016 bewilligte der Beklagte
der Klägerin vorläufig Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.06.2016 bis zum 31.05.2017 i.H.v. insgesamt 533,75 €
(Regelleistung 164,00 € + Kosten für Unterkunft und Heizung 369,75 €) monatlich. Am 31.05.2016 erfolgte die Gutschrift der
Leistungen für Juni 2016 auf das Konto der Klägerin.
Der Beklagte hörte die Klägerin zu einer beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung für den Leistungszeitraum vom 24.04.2016
bis zum 30.04.2016 sowie zur Überzahlung von Regelleistungen i.H.v. 94,27 € in diesem Zeitraum und im Mai 2016 bezüglich einer
Überzahlung i.H.v. 164,00 € an Regelleistung und 330,42 € an Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung an, mit der
Folge einer Erstattungsforderung von insgesamt 588,69 €. Die Klägerin habe die Überzahlung durch die verspätete Mitteilung
leistungsrechtlich relevanter Umstände verursacht. Die Klägerin gab an, sie habe dem Beklagten ihren Umzug bei ihrer Vorsprache
im Jobcenter F am 28.04.2016 mitgeteilt. Am 29.04.2016 habe sie einen Aufhebungsbescheid zum 01.06.2016 erhalten. Diesen Bescheid
habe sie dem Beigeladenen vorgelegt. Aufgrund dieses Bescheides habe der Beigeladene erst ab dem 01.06.2016 gezahlt. Sie habe
nach den Vorgaben des Aufhebungsbescheides gehandelt.
Mit Bescheid vom 30.06.2016 hob der Beklagte die Bewilligung vom 10.02.2016 mit Wirkung ab dem 24.04.2016 unter Berufung auf
§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf und machte eine Erstattungsforderung i.H.v. insgesamt 588,69 € geltend. Die Klägerin habe ihren Umzug zum 23.04.2016
verspätet mitgeteilt.
Mit ihren Widerspruch machte die Klägerin die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung geltend. Der Beigeladene habe erst ab dem
01.06.2016 Leistungen bewilligt, der Beklagte könne daher nach § 105 SGB X einen Erstattungsanspruch gegen diesen geltend machen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2017 reduzierte der Beklagte die Erstattungsforderung auf 330,42 € (Kosten der Unterkunft
für Mai 2016) und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Die Aufhebung werde auf § 48 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB X gestützt. Die Klägerin habe erkennen können, wegen ihrer Anmietung einer neuen Wohnung und ihres Umzugs zum 01.05.2016 der
Beigeladene und nicht mehr der Beklagte für sie zuständiger Leistungsträger gewesen sei. Ab dem 01.05.2016 habe die Klägerin
ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich und daher auch kein Leistungsanspruch gegen ihn gehabt.
Dies gelte wegen der Verhinderung einer Leistungsunterbrechung durch § 2 Abs. 3 SGB X jedoch nicht für die Regelleistung, da der Beigeladene erst ab dem 01.06.2016 Leistungen bewilligt habe.
Am 12.10.2016 beantragte die Klägerin beim Beigeladenen die Überprüfung des Bescheides vom 11.05.2016 gemäß § 44 SGB X. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 15.11.2016 bewilligte der Beigeladene der Klägerin weitere Leistungen für Kosten der
Unterkunft und Heizung für Mai 2016 i.H.v. 39,33 €. Vom Beklagten seien für den Monat Mai 2016 bereits Leistungen ausgekehrt
worden. Eine erneute Auskehrung des Anspruches von Regelleistungen und Leistungen für die Unterkunft nach dem SGB II für einen bereits berücksichtigten Monat an denselben Kunden sei nicht möglich. Er habe berücksichtigt, dass die tatsächlichen
Aufwendungen für Kosten der Unterkunft im Mai 2016 die vom Beklagten gewährten Leistungen um 39,33 € überstiegen. Ein Erstattungsanspruch
des Beklagten sei nicht geltend gemacht worden. Er gehe davon aus, dass der Bescheid vom 30.06.2016 des Beklagten von der
Klägerin angefochten werde. Eine Prüfung der Befriedigung eines Erstattungsanspruches des Beklagten werde nicht ausgeschlossen.
Gegen den Bescheid vom 30.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2017 hat die Klägerin am 12.07.2017 Klage
erhoben und einen Erstattungsanspruch des Beklagten gegen den Beigeladenen nach § 105 SGB X als vorrangig im Verhältnis zum Erstattungsverlangen des Beklagten ihr gegenüber angesehen
Mit Urteil vom 09.10.2019 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Auf die Entscheidungsgründe
wird Bezug genommen.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 05.11.2019 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 04.12.2019,
mit der sie darauf hinweist, dass der Ausgangsbescheid auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X, der Widerspruchsbescheid auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X und die Begründung des angefochtenen Urteils wiederum auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X gestützt wurden. Einem Erstattungsanspruch des Beklagten stehe § 2 Abs. 3 SGB X sowie der Vorrang eines Erstattungsanspruches nach § 105 SGB X gegen den Beigeladenen entgegen. Im Hinblick auf das anteilige Obsiegen im Widerspruchsbescheid sei jedenfalls die Kostenlast
zu quoteln.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt:
"Das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.10.2019 aufzuheben und den Bescheid vom 30.06.2016 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.06.2017 aufzuheben."
Der Vertreter der Beklagten beantragt:
"Die Berufung zurückzuweisen."
Der Beklagte hält das Urteil für zutreffend.
Mit Schreiben vom 04.01.2021, adressiert an den Prozessbevollmächtigten, hat der Beklagte eine Anhörung der Klägerin zum Tatbestand
des §§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X übersandt. In dem Schreiben wird ausgeführt, die Klägerin habe erstmals am 07.04.2016 bekundet, nach I umziehen zu wollen.
Bei dieser Vorsprache habe sie die Kündigung ihrer Wohnung in F bereits zum 30.04.2016 nicht mitgeteilt. Sie sei umgezogen
und habe auch dann weder die Kündigung ihrer Wohnung in F schon zum 30.04.2016 noch ihren Einzug in die Wohnung in I bereits
am 23.04.2016 mitgeteilt. Sie habe gewusst oder hätte wissen müssen, dass der ihr für Mai 2016 zuerkannte Anspruch auf Leistungen
für Kosten der Unterkunft und Heizung zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei.
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 14.01.2021 hat die Klägerin angegeben, sie habe den Beklagten so zügig wie
möglich über alles Wesentliche informiert. Sie habe sich am 23.04.2016 mit dem Vermieter ihrer neuen Wohnung auf den Abschluss
eines Mietvertrages verständigt. Der am 27.04.2016 unterschriebene Mietvertrag sei bereits am Folgetag bei den beiden beteiligten
Jobcentern vorgelegt worden. Viel schneller könne man nicht reagieren. Sie sei nicht schon am 23.04.2016 schon in die Wohnung
in I eingezogen. Es sei für sie auch nicht erkennbar gewesen, dass der ihr zuerkannter Anspruch ganz oder teilweise weggefallen
sei. Sie habe die Situation überhaupt nicht überblickt. Sie habe sich konsequenterweise an die beteiligten Behörden gewandt.
Wenn die Rechtslage so eindeutig gewesen wäre, wie behauptet, hätten beide Jobcenter sie entsprechend informieren und beraten
müssen mit der Konsequenz, dass die Kosten der Unterkunft ab Mai 2016 vom Beigeladenen hätten übernommen werden müssen.
Zu weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten des
Beklagten und des Beigeladenen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 30.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.2017,
mit dem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für Mai 2016 i.H.v. 330,42 € aufgehoben
und die Erstattung dieses Betrages verlangt hat.
Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen; die erhobene Anfechtungsklage ist zulässig aber unbegründet.
Die Klägerin ist nicht beschwert i.S.v. §
54 Abs.
2 S.1
SGG.
Der Beklagte ist berechtigt gewesen, die Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung für Mai 2016 nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X teilweise aufzuheben und 330,42 € nach § 50 SGB X zurückzufordern.
Die Rechtsgrundlage der teilweisen Aufhebung der Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Mai 2016 bilden
§§ 40 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II (i.d.F. des Gesetzes vom 26.07.2016, BGBl I 1824 aha), 330 Abs. 3 S. 1
SGB III (i.d.F. des Gesetzes vom 20.12.2011, BGBl I 2854), 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die
bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der
Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in
besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen
oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
1. Wegen der Aufgabe der Wohnung in F zum 30.04.2016 und des Bezuges der Wohnung in I ist eine i.S.v. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die dem Bewilligungsbescheid vom 10.02.2016 zugrunde gelegen haben. Wesentlich
sind Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen dann, wenn sich die für den Erlass des Verwaltungsaktes entscheidungserheblichen
Bezieher von Leistungen der Grundsicherung tatsächlichen Umstände so erheblich verändert haben, dass diese rechtlich anders
zu bewerten sind und daher der Verwaltungsakt unter Zugrundelegung des geänderten Sachverhalts so, wie er ergangen ist, nicht
mehr erlassen werden dürfte. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich nach den für die Leistung maßgeblichen
Bestimmungen des materiellen Rechts (BSG, Urteil vom 17.03.2016 - B 4 AS 18/15 R m.w.N.).
Durch den Umzug ist nicht nur ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der Leistungsträger nach § 36 Abs. 1 S. 1 SGB II eingetreten, vielmehr ist der Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für die von der Klägerin bewohnte Wohnung P 5, F entfallen. Denn der Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II besteht nur in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für den konkreten Bedarf, d.h. für die von einer leistungsberechtigten
Person tatsächlich genutzte Wohnung (BSG, Urteile vom 30.10.2019 - B 14 AS 2/19 R und vom 23.5.2012 - B 14 AS 133/11 R). Die Bewilligung der Leistungen für Unterkunft und Heizung durch Bescheid vom 10.02.2016 war bestimmt zur Deckung der
Kosten, die durch die Nutzung der Wohnung P 5, F entstehen. Ab dem 01.05.2016 hat die Klägerin diese Wohnung nicht mehr benutzt,
so dass für diese Wohnung keine berücksichtigungsfähigen Kosten mehr angefallen sind.
2. § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X (i.d.F. der Bekanntmachung vom 18.01.2001, BGBl. I 130) greift nicht zugunsten der Klägerin ein. Danach muss die bisher zuständige
Behörde bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit die Leistungen noch solange erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen
Behörde fortgesetzt wird. Grundsätzlich muss daher die Leistung durch die örtlich nicht mehr zuständige Behörde bis zur Aufnahme
der Leistung durch die nunmehr örtlich zuständige Behörde in dem bisherigen (rechtmäßigen) Umfang erbracht werden. Ausgenommen
von dem Anspruch auf Weiterzahlung sind solche Leistungen, die sich auf einen Anspruch beziehen, der allein durch die bisher
oder im Anschluss zuständige Behörde zu decken ist. Der Begriff "Leistungen" i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB II setzt ein Fortbestehen des Leistungsanspruchs sowie der notwendigen Leistungsvoraussetzungen unabhängig vom Wechsel der Behördenzuständigkeit
voraus. Daher ist im Bereich des SGB II bei einem sog. trägerübergreifenden Umzug die Weiterzahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung ausgeschlossen. Zieht
ein Grundsicherungsleistungsempfänger aus seiner Wohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich einer Behörde aus, verliert er
automatisch seinen Anspruch auf Leistungen für die nicht mehr genutzte Wohnung nach § 22 Abs. S. 1 SGB II, weil ein entsprechender Bedarf nicht mehr zu berücksichtigen ist. § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X soll nach seiner ratio legis nur bestehende und fortwirkende Leistungsansprüche sichern. Da ein Umzug nicht nur zu einem
Zuständigkeitswechsel, sondern auch zum Wegfall des Leistungsanspruchs führt, kann dies nicht über § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X ausgehebelt werden (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 04.09.2017- L 2 AS 397/17 B ER und vom 27.01.2015 - L 4 AS 969/13 NZB; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB, 11/20, § 36 SGB II Rn. 271f; Neumann in: Hauck/Noftz, SGB, 08/13, § 2 SGB X, Rn. 37; Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl, § 36 (Stand: 01.03.2020), Rn. 87 und 97; Böttiger in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 36 Rn. 52; Palsherm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 2 SGB X (Stand: 23.09.2019), Rn. 22).
3. Die teilweise Aufhebung der Bewilligung des Bedarfes nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegenüber der Klägerin ist auch nicht wegen eines Erstattungsanspruches des Beklagten gegen den Beigeladenen nach § 107 Abs. 1 SGB X ausgeschlossen. Soweit ein Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X besteht, gilt nach § 107 Abs. 1 SGB X der Anspruch des hinsichtlich der Sozialleistung Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger - also
den Erstattungsverpflichteten - als erfüllt. Im Umfang des Eintritts der Erfüllungsfiktion ("soweit") entfällt die Möglichkeit
des erstattungsberechtigten Sozialleistungsträgers, den Bescheid über die Gewährung von erbrachten Leistungen nach den §§
44 ff. SGB X zurückzunehmen (BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 203/10 R m.w.N.) und einen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X gegenüber dem Sozialleistungsempfänger gelten zu machen. Die Erfüllungsfiktion verleiht dem Sozialleistungsempfänger einen
Rechtsgrund, die Leistung zu behalten. Der erstattungsberechtigte Leistungsträger ist dann gehalten, seinen Erstattungsanspruch
gegenüber dem erstattungspflichtigen Leistungsträger durchzusetzen. Er hat kein Wahlrecht, die Erstattung entweder vom anderen
Leistungsträger oder vom Leistungsempfänger zu verlangen (BSG, Urteil vom 26.09.1991 - 4/1 RA 33/90). Voraussetzung für den Eintritt der Erfüllungsfiktion ist, dass der Beklagte einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen
als ab dem 01.05.2016 zuständigen Leistungsträger hat. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Erstattungsansprüche nach § 102 SGB X oder § 103 SGB X kommen nicht in Betracht, da der Beklagte weder vorläufig Leistungen erbracht hat noch seine Leistungsverpflichtung nachträglich
entfallen ist (§ 103 SGB X; vgl. hierzu Prange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 103 SGB X (Stand 04.11.2020) Rn. 36 und 37).
Auch folgt kein Erstattungsanspruch des Beklagten als nachrangig verpflichteter Leistungsträger aus § 104 SGB X. Denn es besteht kein Nachrangverhältnis zwischen dem Beklagten als ursprünglich örtlich zuständigem Träger und dem Beigeladenen
als ab dem 01.05.2016 örtlich zuständigem Leistungsträger.
Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs aus § 105 Abs. 1 SGB X sind gleichfalls nicht gegeben. Er setzt voraus, dass ein Leistungsträger die Sozialleistung unter Verstoß gegen Regelungen
der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit erbracht hat. Liegt darüber hinaus aber auch noch eine dem materiellen Sozialrecht
widersprechende Leistung vor, ist § 105 SGB X nicht anwendbar. Insoweit kommt lediglich ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Leistungsempfänger in Betracht. Fehler eines
Leistungsträgers im Bereich der sonstigen materiellen Rechtsanwendung sind nicht privilegiert. Wie die §§ 102 -104 SGB X verlangt auch dieser Erstattungsanspruch ein rechtmäßiges Handeln des Leistungsträgers (vgl. Roos in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 105 Rn. 8; Prange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 105 SGB X (Stand: 04.11.2020), Rn. 33; Kater in: Kasseler Kommentar, Stand September 2020, SGB X § 105 Rn. 14). Im Mai 2016 haben die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung eines Bedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bezogen auf die Wohnung P 5, F im Mai 2016 nicht mehr vorgelegen; § 105 Abs. 1 SGB X ist daher nicht anzuwenden.
Der Erstattungsanspruch aus § 40a Abs. 1 S. 1 SGB II ist auch nicht einschlägig. Denn der Beigeladene hat der Klägerin für Mai 2016 keine Leistungen bewilligt
Auch der Erstattungsanspruch aus § 2 Abs. 3 S. 2 SGB X greift nicht. Danach hat die zuständige Behörde der bisher zuständigen Behörde die nach dem Zuständigkeitswechsel noch erbrachten
Leistungen auf Anforderung zu erstatten. Voraussetzung ist, dass eine Leistungserbringung i.S.v. § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X vorliegt. Dies ist hinsichtlich der Erbringung der Regelleistung für Mai 2016 durch den Beklagten, nicht aber hinsichtlich
der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung der Fall. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
Eine entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X scheidet aus. Ein Analogieschluss setzt voraus, dass die geregelte Norm analogiefähig ist, das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke
enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber
geregelt hat, dass angenommen werden kann, er wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen
hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.
Analogie ist mithin die Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestands auf einen ihm ähnlichen, aber ungeregelten
Sachverhalt (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R m.w.N. und vom 25.08.2011 - B 11 AL 30/10 R m.w.N.). Der Erstattungsanspruch aus § 2 Abs. 3 S. 2 SGB X ergänzt die Erstattungsansprüche der §§ 102ff SGB X und regelt als Rechtsfolge den Ausgleich zwischen den Leistungsträgern vor dem Hintergrund des in § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X geregelten Fortwirkens eines materiell rechtmäßigen Leistungsanspruches bei Wechsel der örtlichen Zuständigkeit. Das Fortwirken
knüpft an Umstände in der Person des Leistungsberechtigten - Hilfsbedürftigkeit, Erwerbsfähigkeit, Alter und gewöhnlicher
Aufenthalt im Inland - an, hinsichtlich derer sich durch den Umzug nichts ändert.
Dagegen fällt der Anspruch auf unterkunftsbezogenen Leistungen mit Aufgabe der Wohnung am Wegzugsort - wegen der Zweckbestimmung
als Leistung für die konkret genutzte Wohnung, vergleiche soeben - ersatzlos weg und wirkt nicht im Verhältnis zum Leistungsträger
am neuen Wohnort.
Insoweit fehlt es an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte, weshalb bereits ein Analogieschluss ausscheidet. Darüber hinaus
zwänge eine analoge Anwendung von § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X zur Gewährung materiell-rechtlich - wegen der Aufgabe der ursprünglich bewohnten Wohnung - nicht mehr zustehender Leistungen.
3. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X liegen vor. Die Klägerin wusste im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X, dass der Anspruch auf den Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für die in F benutzte Wohnung ab dem 01.05.2016 nicht mehr besteht. Denn sie hat in der mündlichen Verhandlung des Senats
zu Protokoll erklärt, ihr sei klar gewesen, dass sie dem Beklagten die Zahlung für Mai werde zurückzahlen müssen.
4. Die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Deckung des Bedarfes nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für die Zeit vom 01.05.2016 bis zum 31.05.2016 durch den angefochtenen Aufhebungsbescheid ist nicht rechtswidrig, weil sich
der Beklagte in diesem Bescheid auf § 48 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB X und im Widerspruchsbescheid auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X gestützt hat. Dieses Auswechseln der Rechtsgrundlage ist zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 15.06.2016 - B 4 AS 41/15 R m.w.N.).
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist das sog. "Nachschieben von Gründen" (das Stützen der Entscheidung auf
eine andere Rechtsgrundlage) insoweit zulässig, als der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem
Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert
wird (siehe zusammenfassend BSG, Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R m.w.N.). Der Verwaltungsakt darf nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und
seiner Wirkung nicht wesentlich verändert werden. Das Wesen eines Bescheides ist dann grundlegend verändert, wenn ein dem
Bescheid unterstellter und aus seiner Begründung hervorgehender Sachverhalt durch einen anderen widersprechenden und erst
später geltend gemachten Sachverhalt ersetzt wird (BSG, Urteil vom 29.09.1987 - 7 RAr 104/85) bzw. keine Änderung, wenn andere Rechtsgrundlage bzw. Auswechseln der Begründung, aber auf denselben Lebenssachverhalt stützt
(BSG Urteil vom 02.06.2004 - B 7 AL 58/03 R). Hier wurde der subjektive Vorwurf - Unkenntnis anstelle Verletzung der Mitteilungspflicht - ausgewechselt. Dies wird jedoch
auf den denselben Lebenssachverhalt - Umzug in eine andere Stadt und Bezug von Leistungen für eine tatsächlich nicht mehr
genutzte Wohnung - gestützt. Weiterhin wird der Regelungsumfang des Bescheides - die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides
wegen Eintritt einer wesentlichen Änderung - nicht tangiert. Die Rechtsverteidigung der Klägerin ist auch nicht erschwert
worden.
5. Die Klägerin ist zu dem Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis bzw. Unkenntnis nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört worden. Hierzu ist zwar seitens des Beklagten keine Anhörung vor Erlass des Ausgangsbescheides erfolgt, jedoch hat
der Beklagte die Anhörung im Berufungsverfahren ordnungsgemäß nachgeholt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 26.07.2016 - B 4 AS 47/15 R).
6. Nach § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
3 S. 1
SGB III ist bei der Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit kein Ermessen auszuüben.
7. Der Beklagte hat bei der Aufhebung der Bewilligung auch die Fristen des § 48 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 S. 3 und Abs. 4 S. 2 SGB X gewahrt.
9. Die Erstattungspflicht der Klägerin ergibt sich aus § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.