Tatbestand
Streitig ist die Vormerkung von Kindererziehungszeiten im Rentenversicherungskonto der Klägerin bei der Beklagten.
Die am 00.00.1957 geborene Klägerin ist niederländische Staatsangehörige. Sie hatte vom 14.8.1978 bis 14.2.1984 ihren Wohnsitz
und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Davor und danach lebte und wohnte sie in den Niederlanden. In den Niederlanden
ist zu ihren Gunsten vom 01.10.1976 bis zum 27.8.1982 eine Beitragszeit vermerkt. In dieser Zeit war die Klägerin nach eigenen
Angaben bei der Stadtverwaltung X in den Niederlanden sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Deutsche (Pflicht-)Versicherungszeiten,
insbesondere Zeiten einer Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland, hat die Klägerin zu keiner Zeit zurückgelegt; sie
war in Deutschland nie versicherungspflichtig beschäftigt. Der am 00.00.1954 geborene und beigeladene Ehemann der Klägerin
ist deutscher Staatsangehöriger. Er war nach seit dem Jahr 1969 bis zum Oktober 2015 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 22.4.2015 beantragte die Klägerin gemeinsam mit dem Beigeladenen die Feststellung von Kindererziehungszeiten bzw. von Kinderberücksichtigungszeiten
wegen der Kindererziehung für die zwei aus der Ehe hervorgegangenen gemeinsamen Töchter M (geb. am 00.07.1982) und N (geb.
00.11.1984) in ihrem Versicherungskonto. Die Erziehung ist nach der vorgelegten, gemeinsamen Erklärung gemeinsam mit dem anderen
Elternteil erfolgt, überwiegend habe jedoch die Klägerin die Kinder erzogen. Der Beigeladene stellte für sich keinen Antrag
auf Feststellung der Kindererziehungszeit. Die Kinder seien ab dem 1.2.1984 bis zum 31.7.1984 und ab dem 18.11.1984 bis zum
18.11.1994 im Ausland in den Niederlanden erzogen worden.
Auf Nachfrage übermittelte die niederländische Sociale Verzekeringsbank der Beklagten am 19.5.2015 die dort gespeicherten
Zeiten vom 19.4.1974 bis zum 27.8.1982 sowie vom 14.2.1984 zum 18.4.2024. Hierbei wurde allein die Zeit vom 1.10.1976 bis
zum 27.8.1982 als eine "verplichte Verzekering" angegeben. In einer zudem eingeholten Meldeauskunft des Einwohnermeldeamts
Geilenkirchen war eine Abmeldung der Klägerin zum 26.1.1984 vermerkt.
Mit Bescheid vom 15.7.2015 merkte die Beklagte die Zeit vom 1.8.1982 bis zum 26.1.1984 als Kindererziehungszeit für das am
00.07.1982 geborene Kind M vor. Die Zeit vom 27.1.1984 bis zum 31.7.1984 für das Kind M könne nicht als Kindererziehungszeit
vorgemerkt werden, weil das Kind in dieser Zeit in einem EU Mitgliedstaat, EWR-Staat oder der Schweiz erzogen worden sei und
die Rechtsvorschriften dieses Staates Kindererziehungszeiten vorsehen würden. Für das am 00.11.1984 geborene Kind N könne
die Zeit vom 1.12.1984 bis zum 30.11.1986 nicht als Kindererziehungszeit vorgemerkt werden, da auch dieses Kind in dieser
Zeit in einem anderen EU Mitgliedstaat, EWR-Staat oder der Schweiz erzogen worden sei und die Rechtsvorschriften dieses Staates
Kindererziehungszeiten vorsehen würden.
Hiergegen erhob die Klägerin am 2.9.2015 Widerspruch. Zum einen seien ihre Kinder mit der deutschen Nationalität aufgewachsen
und erzogen worden und sie habe für die Erziehung der Kinder ihre berufliche Tätigkeit beendet. Des Weiteren sehe das niederländische
Recht keinerlei Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung für die Rentenleistungen (AOW) vor. Darüber hinaus habe ihr
Ehegatte aufgrund seiner Erwerbstätigkeit in Deutschland seit dem August 1969 weiterhin in einer engen Beziehung zur Arbeitswelt
und Erwerbswelt in Deutschland gestanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.1.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Anrechnungsgrundlage für die Erziehungszeiten
bei Erziehung in den Niederlanden seien die Regelungen in §§
56,
249 SGB VI i.V.m. Art. 44 Verordnung (= VO) (EG) Nr. 987/2009. Die Voraussetzungen für die Anerkennung der Kindererziehungszeiten seien jedoch ab dem
Verzug in die Niederlande am 27.1.1984 nicht mehr erfüllt. Insbesondere habe weder die Klägerin noch ihr Ehemann nach dem
Zuzug in die Niederlande bis zum Ende der Höchstdauer der jeweils grundsätzlich für die Kinder anrechenbaren Erziehungszeiten
dort eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Der Ehegatte der Klägerin übe seit dem 1.8.1969 eine versicherungspflichtige
Beschäftigung ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland aus. Auch komme eine Anerkennung von Kindererziehungszeiten
nach Art. 44 VO (EG) 987/2009 nicht in Betracht. Hiernach könnten Erziehungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat angerechnet
werden, wenn der Mitgliedstaat, in dem die Erziehung erfolge, nach seinen Rechtsvorschriften grundsätzlich keine Kindererziehungszeiten
berücksichtige. In diesem Falle solle der Mitgliedstaat, in dem unmittelbar vor der Kindererziehungszeit eine Erwerbstätigkeit
ausgeübt worden sei, die Anerkennung dieser Kindererziehungszeit (nachrangig) übernehmen. Hierbei stelle die Vorschrift darauf
ab, ob nach "den Rechtsvorschriften" (also nicht im Einzelfall) dieses Mitgliedstaats die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten
als rentenrechtlich relevanter Sachverhalt überhaupt vorgesehen sei. Es genüge somit die pauschale Feststellung, dass das
Kind in einem Mitgliedstaat erzogen worden sei, dessen Rechtsvorschriften die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten
vorsehe. Da der Sachverhalt "Kindererziehung" nach derzeitigen Erkenntnissen in den Niederlanden rentenrechtlich bedeutsam
sei, komme die Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei der Beklagten nach Maßgabe des Artikel 44 VO (EG) 987/2009 nicht
in Betracht. Darüber hinaus sei der Vortrag, wonach die Kinder mit der deutschen Staatsangehörigkeit aufgewachsen seien und
es sich bei dem Umzug im Jahr 1984 in die Niederlande um einen grenznahen Wohnortwechsel innerhalb des damaligen Zollgrenzgebiets
gehandelt habe, rechtlich nicht relevant.
Hiergegen hat die Klägerin am 8.2.2016 Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass schon die Behauptung, wonach der Sachverhalt "Kindererziehung" in den Niederlanden rentenrechtlich
bedeutsam sei, nicht zutreffe. Dies sei ihr in einem Beratungsgespräch im Eurode Business Center in Kerkrade/NL am 3.2.2016
von einem Mitarbeiter der SVB/BDZ (Sociale Verzerkeringsbank, Abteilung vor Duitse Zaken) bestätigt worden. Da in den Niederlanden
somit keine Kindererziehungszeiten vorgesehen seien, müsse ihr nach europäischer Rechtsverordnung die Kindererziehungszeit
auf deutscher Seite für beide Kinder schon aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung in voller Höhe zuerkannt werden. So
würden etwa auch bei der Mütterrente die Kindererziehungs- und die Beitragszeiten zusammentreffen und die Entgeltpunkte für
Kindererziehungszeiten zusätzlich berücksichtigt. Unabhängig von einer eigenen Berufstätigkeit müsse sie im Hinblick auf die
mütterlichen bzw. Erziehungszeiten den Frauen, die in Deutschland wohnen, gleichgestellt werden. Auch müsse die Erziehung
in den Niederlanden mit der in Deutschland gleichgestellt sein. Wegen der Grenznähe (Geburtsort, Wohnort, Arbeitsstellen beider
Eltern, Lage im früheren Zollgrenzgebiet) dürfe ihr nunmehr bei der Mütterrente kein Nachteil entstehen. Sie habe ihre aktive
Berufstätigkeit in den Niederlanden mit Beginn der normalen Mutterschutzfrist vor Geburt des ersten Kindes eingestellt und
bis heute nicht mehr aufgenommen. Das Beschäftigungsverhältnis habe nach der normalen Mutterschutzfrist, d.h. nach der Geburt
des ersten Kindes, geendet. Sie habe sich dann voll und ganz der Kindererziehung gewidmet. Es stelle sich demgemäß ebenso
die Frage, ob nicht zu ihren Gunsten von der Geburt als dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt für die begehrte Feststellung
abgewichen werden könne. Ob die von der Beklagten benannten Verordnungen etc. zutreffen würden oder nicht, könne sie nicht
beurteilen. Die Beklagte habe jedenfalls nicht die theoretischen Auswirkungen auf ihren Fall dargestellt.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 15.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.1.2016 zu verurteilen,
bei ihr Kindererziehungszeiten nach Maßgabe des §
56 SGB VI für die Erziehung der Töchter M (geboren am 00.07.1982) und N (geboren am 00.11.1984) anzuerkennen, auch soweit deren Erziehung
im Königreich der Niederlande erfolgte.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat ausgeführt, dass die Gleichstellung nach nationalem Recht im Sinne von §
56 Abs.
3 S. 2 und 3
SGB VI vorliegend nicht greife, da weder die Klägerin noch ihr Ehegatte während einer relevanten Beschäftigung in den Niederlanden
Versicherungszeiten zur deutschen Rentenversicherung zurückgelegt hätten. Das Europarecht habe mit Art. 44 VO (EG) Nr. 987/2009
für seinen Anwendungsbereich eine Kollisionsnorm und somit keine eigene Anspruchsgrundlage für die Berücksichtigung von Erziehungszeiten
geschaffen. Diese Norm sei im Zusammenhang mit den weiteren Kollisionsnormen der Art. 11 ff. VO (EG) 883/2004 zu sehen. Hierbei
stelle sich im Wesentlichen die Frage, ob die Niederlande nach ihrem nationalen Recht den Tatbestand der Kindererziehung berücksichtigen
würde. Anders als in Deutschland seien in den Niederlanden die Risiken der Invalidität (Erwerbsminderung), des Alters sowie
des Todes in getrennten Systemen organisiert. Dies bedeute zum einen, dass ggf. unterschiedliche Träger zuständig seien, und
zum anderen, dass unterschiedliche Rechtsnormen greifen würden. Soweit der Beklagten bekannt sei, sei der Tatbestand der Kindererziehung
nur im Invaliditätsrentensystem der Niederlande von Bedeutung. Hierbei sei die Berücksichtigung von Erziehungszeiten in der
Weise ausgestaltet, dass der Tatbestand der Erziehung in ansonsten nicht versicherten Zeiträumen dazu führen könne, dass die
Invaliditätsleistung für einen längeren Zeitraum als "höhere Leistung" zu zahlen sei. Auch eine solche Form der Berücksichtigung
falle nach Auffassung der Beklagten unter die Begriffsdefinition des Art. 44 Abs. 1 VO (EG) 987/2009; hierbei verweise die
Beklagte auf die beigefügte Note der Niederlande für die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen
Sicherheit vom 28.3.2011. Die Tatsache, dass der Umstand der Kindererziehung nur in einem System der gesetzlichen Rentenversicherung
der Niederlande berücksichtigt werde (nämlich im System der Invaliditätsversicherung), schließe es aber aus, die Niederlande
als einen Staat anzusehen, welcher Kindererziehungszeiten nicht berücksichtige. Vielmehr sehe das niederländische Rentensystem
generell die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten als einen rentenrechtlich relevanten Sachverhalt vor.
Darüber hinaus würden auch die Voraussetzungen einer Anrechnung nach deutschem Recht fehlen. Der Antragsteller müsse gem.
Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 nach dem Recht des an sich unzuständigen Staates im Zeitpunkt des Beginns der Anrechnung von
Erziehungszeiten (also in der Regel zum Zeitpunkt der Geburt) eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit ausgeübt haben.
Hierfür reiche es aus, wenn eine solche Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit im letzten Kalendermonat vor der Geburt
vorgelegen habe. Die Klägerin habe aber tatsächlich - unstreitig - zu keiner Zeit eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit
in Deutschland ausgeübt oder Beiträge zur deutschen Sozialversicherung gezahlt. Insofern komme auch keine Anwendung des EuGH
Urteils vom 19.2.2012 in der Sache RS C-522/10 "Reichel-Albert" in Betracht. Danach seien Erziehungszeiten in dem Mitgliedstaat anzurechnen, in dem ein Antragsteller ausschließlich
seine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe. Dies solle auch gelten, wenn vorübergehend der gewöhnliche Aufenthalt und die Erziehung
in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt seien. Dies sei bei der Klägerin jedoch mangels Beschäftigung bzw. selbstständiger
Tätigkeit in Deutschland nicht der Fall.
Mit Gerichtsbescheid vom 8.3.2019 hat das Sozialgericht Münster die Klage abgewiesen.
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des §
56 SGB VI bzw. auch §
57 SGB VI bestehe kein Anspruch, auch nicht auf bloße Vormerkung der streitigen Kindererziehungszeiten bzw. auch nicht von Berücksichtigungszeiten
in einem Versicherungskonto der Klägerin bei der Beklagten. Der gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin mit ihren Kindern in den
Niederlanden stehe einer Inlandserziehung nicht gleich im Sinne von §
56 Abs.
3 SGB VI. Insbesondere habe die Klägerin während der Erziehung oder unmittelbar vor Geburt beider Töchter gemäß §
56 Abs.
3 S. 2 und 3
SGB VI unstreitig keine Pflichtbeitragszeiten wegen einer im Ausland ausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit. Mithin
treffe die Regelung im §
56 Abs.
3 S. 3
SGB VI schon nach seinem Wortlaut auf den hier vorliegenden Sachverhalt nicht zu.
Auch aus dem europäischen Recht folge hier nichts anderes. Insbesondere sei zur Überzeugung des Gericht Art. 44 Abs. 2 VO
(EG) Nr. 987/2009 nicht zu Gunsten der Klägerin einschlägig. Die Beklagte sei als Trägerin der Alterssicherung nach deutschem
Recht schon nicht zuständig, weil die Versicherte eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit ausgeübt hätte, mit der
Folge, dass die Beklagte daraus für die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften
zuständig geworden wäre. Vielmehr fehle es bereits an einer solchen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit in der Bundesrepublik
Deutschland.
Zu Recht beziehe sich die Beklagte für die gebotene Abgrenzung auf das Urteil des EuGH vom 19.7.2012, C-522/10 "Reichelt-Albert". Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 sei für die Prüfung der Vereinbarkeit mit Sekundärrecht anzuwenden, denn
diese Verordnung gelte für Fälle, in denen die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen nach dem 1.5.2010 ergangen seien. Die
Vorgängervorschrift VO (EWG) 1408/71 habe noch keine Bestimmungen über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten enthalten.
Der EuGH habe hierzu jedenfalls den Fall entschieden, dass eine Versicherte zunächst eine Zeit lang eine berufliche Tätigkeit
in Deutschland ausgeübt habe, diese zur Zeit der Geburt des Kindes vorübergehend eingestellt und den Wohnsitz aus rein familiären
Gründen in das Gebiet des anderen Mitgliedstaats verlegt habe. Aber auch dies treffe bei der Klägerin unstreitig nicht zu.
Soweit die Klägerin sinngemäß den allgemeinen Gleichheitssatz anspreche, fehle es jedenfalls im Sinne von Art.
3 Grundgesetz (
GG) an dem Vorliegen eines vergleichbaren Lebenssachverhalts. Die Unterschiede zwischen den Systemen in den Niederlanden und
der Bundesrepublik Deutschland würde insoweit keine Gleichbehandlung bei den jeweils nationalstaatlichen eigenständig geregelten,
überhaupt kaum miteinander vergleichbaren Systemen der Alterssicherung gebieten. Vielmehr werde zu Recht die Eingliederung
in das jeweilige Sozialsystem verlangt. Davon könne - bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland - bei der Klägerin, wie bereits
ausgeführt und soweit hier ersichtlich, keine Rede sein. Mithin seien auch bei den beiden der Europäischen Union angehörenden
Nachbarstaaten mit ihren funktionierenden Sozialleistungssystemen und ebensolchem Rechtstaat primär Ansprüche gegenüber der
Sozialversicherung des jeweiligen Heimatlandes, soweit kein besonderer Auslandsbezug festzustellen sei, geltend zu machen.
Eine über den eigentlichen Anwendungsbereich hinausgehende erweiternde Auslegung von §
56 Abs.
3 SGB VI mit dem Ziel der Gleichstellung einer Auslandserziehung mit einer Inlandserziehung in den Fällen, in denen der nicht erziehende
Ehegatte in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sei, während der Erziehende und das Kind im Ausland lebten, komme nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ebenfalls nicht in Betracht. Denn die Nichtberücksichtigung von Kindererziehungszeiten
im Ausland in diesen Fällen sei schon keine planwidrige Regelungslücke gewesen. Der Gesetzgeber honoriere auch danach grundsätzlich
die Erziehungsleistung in der Bundesrepublik Deutschland, soweit unter diesen Umständen gerade wegen der Kindererziehung ein
Nachteil in der Altersversorgung eintreten könne. Lediglich dann wäre ein ausländischer Erziehungsort einem inländischen ausnahmsweise
gleichzustellen, wenn die auch faktisch tatsächlich erziehende Person - und nicht der andere voll erwerbstätige (Ehe)Partner
- vor der Geburt oder während der Kindererziehung in enger Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben gestanden
habe (§
56 Abs.
2 S. 2
SGB VI). Dieses Prinzip des engen Bezugs der erziehenden Person zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben bei der Gleichstellung
des inländischen mit dem ausländischen Erziehungsort werde durch §
56 Abs.
3 S. 3
SGB VI lediglich aus verfassungsrechtlichen Gründen - ausnahmsweise - modifiziert und der Inlandsbezug des Erziehenden mittelbar
über den Ehegatten hergestellt. Als Ausdruck der Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie (Art.
6 Abs.
1 Grundgesetz) solle es dem erziehenden und nicht erwerbstätigen Elternteil nicht zum Nachteil gereichen, wenn diese Person das Inland
verlasse, um mit dem vorübergehend im Ausland erwerbstätigen Ehegatten, der - weiterhin - in ein inländisches Arbeitsverhältnis
eingebunden sei, und mit dem Kind zusammenzuleben. Wer (sonst) im Ausland Kinder erziehe und nicht erwerbstätig sei, habe
keinen derartigen Bezug zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben. Bei ihm könne typisierend und pauschalierend nicht davon
ausgegangen werden, dass gerade wegen der Kindererziehung Pflichtbeitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung entstünden.
Ebenso liege der Sachverhalt hier bei der Klägerin, die unabhängig von der zeitweisen Kindererziehung in Deutschland und dann
auch wieder überwiegend in den Niederlanden dadurch selbst keine Beitragsausfälle nach dem
SGB VI haben könne, weil sie eben nie in das bundesdeutsche Arbeits- und Sozialversicherungssystem als versicherungspflichtige Arbeitnehmerin
eingebunden gewesen sei. Abgesehen davon sei das Regelungskonzept des §
56 SGB VI abschließend.
Die Nichtanerkennung verstoße zudem nicht gegen die Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Denn die Klägerin werde bei der Ausübung der Unionsbürgerfreizügigkeit nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert.
Die Nichtanerkennung der Wohnsitzzeiten der Klägerin in den Niederlanden als Zeiten insbesondere nach §
56 SGB VI im jetzt noch streitigen Umfang sei mit Rechtsprechung und Literatur allenfalls als (erlaubte) Beschränkung der Unionsbürgerfreizügigkeit
anzusehen. Mit der Rechtsprechung des EuGH gelte zwar als Beeinträchtigung bereits der Fall, dass nationale Bestimmungen die
Inanspruchnahme der Freizügigkeit unwahrscheinlicher machten. Unter anderem im Urteil Reichel-Albert habe der EuGH deutlich
gemacht, dass aus seiner Sicht die §§
56,
57 SGB VI wegen der Nichtanerkennung ausländischer Wohnsitzzeiten als Kindererziehungszeiten gegen europäische Grundfreiheiten verstießen.
Dennoch könne die Klage vorliegend keinen Erfolg haben. Anders als im Fall Reichel-Albert sei für die Klägerin während der
noch streitigen Zeiten in den Niederlanden bezogen auf die Rentenansprüche allein auf den dortigen Hauptwohnsitz der gesamten
Familie abzustellen.
Aus Sicht des Gerichts treffe die Klägerin damit vorwiegend ein systemimmanenter Nachteil, der seine Wurzel darin habe, dass
die Systeme der sozialen Sicherheit auch in der Europäischen Union bewusst bisher lediglich koordiniert und nicht harmonisiert
seien. Im Bereich der sozialen Sicherheit könnten Versicherte daher nur verlangen, dass ihr Umzug in einen anderen Mitgliedstaat
keine Auswirkungen auf Art oder das Niveau der Leistungen wie im Herkunftsstaat habe. Die Tatsache, dass die Ausübung des
Rechts auf Freizügigkeit hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die soziale Sicherheit möglicherweise nicht neutral sein möge,
d.h. je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile haben könne, sei dann unmittelbare Folge dessen, dass der zwischen den Rechtsvorschriften
der Mitgliedsstaaten bestehende Unterschied bei den Systemen der sozialen Sicherheit beibehalten worden sei. Zwar seien im
Fall des EuGH die noch streitgegenständlichen Zeiten der Kindererziehung als solche weder in Deutschland noch in den Niederlanden
anerkannt worden. Die Lücke in der Erwerbsbiografie, die aufgrund der Erziehung der Kinder entstanden sei, werde jedoch dem
Grunde nach durch einen auf den anderen rentenrechtlichen Anknüpfungspunkt beruhenden- national autonom eben in den Niederlanden
geregelten - Altersversorgungsanspruch der Klägerin "abstrakt" dort auch erfasst.
Gegen den der Klägerin in dem Zeitraum bis zum 2.4.2019 zugestellten Gerichtsbescheid vom 8.3.2019 hat die Klägerin über ihren
Bevollmächtigten am 11.6.2019 Berufung erhoben.
Die Klägerin trägt zur Begründung der Berufung vor, dass bei der Regelung des §
56 Abs.
3 SGB VI eine planwidrige Regelungslücke bestehe, wenn danach lediglich Ehegatten Berücksichtigung finden dürften, die eine versicherungspflichtige
Beschäftigung im Ausland ausüben, was bei dem Ehemann der Klägerin gerade nicht der Fall gewesen sei. Nach dem Sinn und Zweck
der Regelung dürfe die Klägerin aber nicht schlechter gestellt werden als andere, deren Ehegatten im Ausland arbeiten und
gemäß §
56 Abs.
3 S. 3
SGB VI den Ehegattenvorteil genießen würden. Hier liege eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin vor, nur weil ihr Ehemann
im Inland sozialversicherungspflichtig gearbeitet habe und nicht im Ausland. Eine engere Beziehung zur Arbeits- und Erwerbswelt
in der Bundesrepublik Deutschland als eine Tätigkeit des Ehegatten in der Bundesrepublik könne jedoch nicht bestehen. Im Übrigen
habe die Klägerin vom 1.10.1976 bis zum 27.8.1982 sozialversicherungspflichtig bei der Stadtverwaltung X in den Niederlanden
gearbeitet und sei somit unmittelbar vor der Geburt der ersten Tochter dort sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen.
Jedenfalls müsse eine Anrechnung der Kindererziehungszeiten der Klägerin gemäß Art. 44 VO (EG) Nr. 987/2009 erfolgen, da nach
dieser Vorschrift die Zeiten der Kindererziehung auch in einem anderen Mitgliedstaat zu berücksichtigen seien. Die Klägerin
habe bis Geburt der ersten Tochter in den Niederlanden sozialversicherungspflichtig gearbeitet und in dieser Zeit in der Bundesrepublik
Deutschland gewohnt. Die Klägerin habe allein von ihrem Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 21 AEUV Gebrauch gemacht und sei mit ihrem Ehemann wieder zurück in die Niederlande gezogen und habe dort ab Januar 1984 wieder ihren
gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Eine nationale Regelung, die Unionsbürger allein deshalb benachteilige, weil sie von ihrem
Recht Gebrauch machen, sich in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, führe jedoch zu einer Ungleichbehandlung,
die den Grundsätzen widerspreche, auf denen der Status eines Unionsbürger beruhe, nämlich der Garantie der gleichen rechtlichen
Behandlung bei der Ausübung seiner Freizügigkeit. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 19.7.2012 habe die
Bundesrepublik Deutschland nicht nachgewiesen oder auch nur behauptet, dass eine Regelung wie in §
56 und §
57 SGB VI aufgrund objektiver Erwägungen gerechtfertigt sei und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit nationalem Recht legitmerweise
verfolgten Zweck stehen könne (Ausübung der Freizügigkeit eines Unionsbürgers). Auch wenn der Sachverhalt im Fall des EuGH
nicht ganz konkret auf den vorliegenden Sachverhalt passe, sei es sachlich nicht gerechtfertigt, die Klägerin anders zu behandeln
als wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland weiter gewohnt hätte. Sie sei aus rein familiären Gründen mit ihrem Ehemann,
der als Grenzpendler weiter in der Bundesrepublik gearbeitet habe, zurück in die Niederlande gezogen.
Jedenfalls würden Kindererziehungszeiten in den Niederlanden nach Kenntnis der Klägerin nicht angerechnet, auch nicht durch
das "Wet werk en inkomen naar arbeitsvermlgen (WIA)". Das Sozialgericht behaupte insofern, dass national "abstrakt" Kindererziehungszeiten
durch einen Altersversorgungsanspruch erfasst sein. Das WIA sei hingegen nach Kenntnis der Klägerin eine Invalidenrente. Die
Klägerin sei jedoch nicht invalide, sodass die WIA überhaupt nicht auf die Klägerin einschlägig sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 8.3.2019 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 15.7.2015
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.1.2016 zu verurteilen, bei ihr Kindererziehungszeiten für die Erziehung der
Töchter M und N anzuerkennen, auch soweit deren Erziehung im Königreich der Niederlande erfolgte, und eine entsprechend höhere
Rente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist die Beklagte auf die Ausführungen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid sowie die Entscheidungsgründe
der erstinstanzlichen Entscheidung.
Nach Vorlage einer Meldebescheinigung der "Gemeente Landgraaf" vom 14.2.1984, wonach die Klägerin erst am 14.2.1984 dort gemeldet
gewesen ist, hat die Beklagte sich mit Schriftsatz vom 4.6.2020 bereit erklärt, Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten
auch für den Monat Februar 1984 vorzumerken. Im Übrigen verbleibe es bei der bisherigen Rechtsauffassung des Beklagten.
Mit Beschluss vom 20.4.2021 ist der Ehemann der Klägerin zum Verfahren gem. §§
75 Abs.
2,
106 Abs.
3 Nr.
6 SGG beigeladen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten
des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
I. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere wurde diese im Fall der hier erfolgten Auslandszustellung fristgerecht innerhalb
von drei Monaten (§
153 Abs.
1, §
87 Abs.
1 Satz 2
SGG) erhoben.
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert im Sinne des §
54 Abs.
3 Satz 1
SGG. Der Bescheid der Beklagten vom 15.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.1.2016 ist (nach Anerkennung der
weiteren Erziehungszeit für den Monat Februar 1984 gemäß Schriftsatz vom 4.6.2020) rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch
auf Vormerkung der hier streitigen und allein geltend gemachten Kindererziehungszeiten für die Zeit ab Wohnortnahme in den
Niederlanden im Februar 1984.
1. Ein Anspruch auf Vormerkung folgt nicht aus §
56 Abs.
1 S. 1 i.V.m. §
249 SGB VI.
Nach §
56 Abs.
1 S.1 i.V.m. §
249 SGB VI sind Kindererziehungszeiten die Zeiten der Erziehung eines Kindes, das vor dem 1. Januar 1992 geboren ist, in dessen ersten
24 Monaten. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr.
2 und
3 Erstes Buch) wird gemäß §
56 Abs.
1 S. 2
SGB VI eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn
1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.
Die Voraussetzungen für eine Anrechnung einer Kinderziehungszeit gemäß §
56 Abs.
1 S. 2 Nr.
2 SGB VI waren ab dem Umzug in die Niederlande im Februar 1984 nicht erfüllt. Die Erziehung ist nicht mehr im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland erfolgt und stand einer solchen nicht gleich.
a. Die Klägerin hat mit ihren Kindern jedenfalls ab Mitte Februar 1984 nicht mehr im Gebiet der Bundesrepublik gewohnt, so dass
die Erziehung der Kinder nicht in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist (§
56 Abs.
1 S. 2 Nr.
2, 1. Fall
SGB VI).
b. Der Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht in Bezug auf die Anrechnung der Kindererziehungszeiten der gewöhnliche
Aufenthalt der Klägerin mit ihren Kindern in den Niederlanden im Sinne von §
56 Abs.
1 S. 2 Nr.
2 Fall 2
SGB VI rechtlich nicht gleich. Eine Gleichstellung der Zeiten folgt weder aus §
56 Abs. 1 S. 2 Nr.
2 Fall 2 i.V.m. Abs.
3 S. 2
SGB VI (dazu aa.) noch aus §
56 Abs.
1 S. 2 Nr.
2 Fall 2 i.V.m. Abs. 3 S. 3
SGB VI (dazu bb.).
aa. Nach §
56 Abs.
3 S. 2
SGB VI steht eine Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind
im Ausland gewöhnlich aufgehalten und während der Erziehung oder unmittelbar vor Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten
Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit Beitragszeiten hat. Eine Gleichstellung der Erziehung war jedoch nicht anzuerkennen,
da die Klägerin keine "Beitragszeiten wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit" gehabt hat.
Zwar war für die Klägerin, worauf ihr Prozessbevollmächtigter zutreffend hinweist, unmittelbar vor der Geburt der Tochter
M am 3.7.1982 noch eine Beitragszeit wegen einer Erwerbstätigkeit in den Niederlanden bis zum 27.8.1982 vermerkt. Mit Beitragszeiten
i.S.d. §
56 Abs.
3 S. 2
SGB VI sind aber Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung gemeint (BSG, Urteil vom 11.5.2011, B 5 R 22/10 R, Rn. 19), an denen es hier fehlt.
Die differenzierte Regelung in §
56 Abs.
3 S. 2
SGB VI ist die Ausprägung eines einheitlichen Grundgedankens, der die Gleichbehandlung der Erziehenden trotz der unterschiedlicher
Erziehungsorte gewährleistet. Die Erziehenden müssen insofern vor der Geburt oder während der Kindererziehung in einer derart
engen Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben stehen, dass die - typisierende und pauschalierende - Grundwertung
des Gesetzes Platz greift, während dieser Zeit seien nicht wegen der Integration in eine ausländische Arbeitswelt, sondern
im Wesentlichen wegen der Kindererziehung deutsche Rentenanwartschaften entgangen (BSG, Urteil vom 17.11.1992, 4 RA 15/91; Gürnter in KassKomm, 112. EL. Dezember 2020,
SGB VI, §
56 Rn. 62). Infolgedessen knüpft der Gesetzgeber - verfassungsrechtlich zulässig - für den Erwerb von Pflichtbeitragszeiten
wegen Kindererziehung an die Person des Erziehenden und an den Erziehungsort Bundesrepublik Deutschland an, weil grundsätzlich
nur hier für die Zeit der Kindererziehung der Nachteil in der Altersversorgung eintreten könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom
2.7.1998, 1 BvR 810/90). Lediglich dann wird der inländische Erziehungsort einem ausländischen - ausnahmsweise - gleichgestellt, wenn der Erziehende
vor der Geburt oder während der Kindererziehung in enger Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben steht. Denn
auch in diesen Fällen greift die - typisierende und pauschalierende - Grundwertung des Gesetzes ein, nicht wegen der Integration
in eine ausländische Arbeitswelt, sondern im Wesentlichen wegen der Kindererziehung seien dem Erziehenden deutsche Rentenanwartschaften
entgangen (vgl. BSG, Urteil vom 17.11.1992, 4 RA 15/91).
Eine solche enge Beziehung der Klägerin zur inländischen Arbeits- und Erwerbstätigkeit liegt jedoch nicht vor. Vielmehr war
die Klägerin im Zeitpunkt der Geburt ihrer ersten Tochter nicht in den inländischen (deutschen) Arbeitsmarkt integriert, so
dass ihr nach der gesetzlichen Systematik durch die Geburt des Kindes deutsche Rentenanwartschaften nicht entgehen konnte.
Die Klägerin hat bis zur Geburt ihres ersten Kindes in den Niederlanden gearbeitet und dort entsprechende Beitragszeiten erworben,
die jedoch einen direkten Bezug zum inländischen Arbeitsmarkt nicht hergestellt haben. Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung
hatte und hat die Klägerin zu keiner Zeit erworben.
bb. Eine Gleichstellung der Erziehungszeiten in den Niederlanden im Sinne von §
56 Abs.
1 Nr.
2 S. 2 Fall 2
SGB VI ist auch nicht aus §
56 Abs.
3 S. 3
SGB VI herzuleiten. Hiernach ist eine Gleichstellung bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland
anzunehmen, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeiträge hat oder nur deshalb nicht
hat, weil er zu den in § 5 Absatz 1 und genannten Personen gehört oder von der Versicherungspflicht befreit war.
Zwar hatte der beigeladene Ehemann der Klägerin durch die Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich einen
direkten Bezug zum inländischen Arbeitsmarkt. Jedoch hatte der Beigeladene keine "solchen Pflichtbeiträge" im Sinne von §
56 Abs.
3 S. 3
SGB VI. Über die Regelung des §
56 Abs.
3 S. 3
SGB VI erfolgt dann eine Gleichstellung, wenn die Tätigkeiten im Sinne von §
56 Abs.
3 S. 2
SGB VI nicht von dem erziehenden Elternteil, sondern durch den Ehegatten ausgeübt werden. Somit müsste der Ehegatte (hier der Beigeladene)
"während der Erziehung oder unmittelbar vor Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen
Tätigkeit Beitragszeiten gehabt haben", d.h. er müsste eine Beschäftigung in den Niederlanden ausgeübt haben und hierdurch
weiterhin inländische Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung erworben bzw. zurückgelegt haben. Der beigeladene
Ehegatte hat jedoch seine Tätigkeit durchgehend in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt und daher keine inländischen Beitragszeiten
("solche Pflichtbeiträge") wegen einer im Ausland ausgeübten Tätigkeit ("dort ausgeübte Beschäftigung") erzielt. Mithin ist
eine Gleichstellung nach dem Wortlaut des §
56 Abs.
3 S. 3
SGB VI nicht herzuleiten.
Eine über den aufgezeigten Anwendungsbereich hinausgehende erweiternde Auslegung von §
56 Abs.
3 Satz 2 und
3 SGB VI mit dem Ziel der Gleichstellung einer Auslandserziehung mit einer Inlandserziehung in den Fällen, in denen der nicht erziehende
Ehegatte in der Bundesrepublik Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, während der Erziehende und das Kind
im Ausland leben, kommt hingegen nicht in Betracht. Denn die Nichtberücksichtigung von Kindererziehungszeiten im Ausland in
diesen Fällen ist keine planwidrige Regelungslücke. Wie bereits dargelegt, honoriert der Gesetzgeber ausschließlich die Erziehungsleistung
in der Bundesrepublik Deutschland, weil sonst das hier bestehende Alterssicherungssystem zu einer Benachteiligung der Personen
führt, die sich innerhalb der Familie der Kindererziehung widmen. Das Prinzip eines engen Bezugs des Erziehenden zum inländischen
Arbeits- und Erwerbsleben bei der Gleichstellung des inländischen mit dem ausländischen Erziehungsort wird in §
56 Abs.
3 Satz 3
SGB VI lediglich aus verfassungsrechtlichen Gründen - ausnahmsweise - durchbrochen und der Inlandsbezug des Erziehenden mittelbar
über den Ehegatten hergestellt. Denn im Hinblick auf die Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie (Art.
6 Abs.
1 GG) soll es dem Erziehenden und nicht erwerbstätigen Elternteil nicht zum Nachteil gereichen, wenn er das Inland verlässt, um
mit dem vorübergehend im Ausland erwerbstätigen Ehegatten, der - weiterhin - in einem inländischen Arbeitsverhältnis eingebunden
ist, und mit dem Kind zusammenzuleben (vgl. BSG, Urteil vom 17.11.1992, 4 RA 15/91; BSG, Urteil vom 25.1.1994, 4 RA 3/93). Im Übrigen ist jedoch der Ausschluss der Anerkennung der Zeiten der Erziehung der Kinder als Pflichtbeitragszeiten nach
deutschem Verfassungsrecht nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2.7.1998, Az 1 BvR 810/90; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6.3.2017, Az 1 BvR 2740/16; BSG, Urteil vom 16.6.1994, Az 13 RJ 31/93).
Im Falle der Klägerin erfolgte die Übersiedlung in die Niederlande und die Kindererziehung aber nicht wegen einer im Ausland
ausgeübten, mit dem innerstaatlichen System der sozialen Sicherung verbundenen Beschäftigung. Vielmehr war der Beigeladene
durchgängig in der Bundesrepublik Deutschland berufstätig; die Wahl des Wohnorts in den Niederlanden war daher offenkundig
nicht durch die Berufstätigkeit des Beigeladenen veranlasst.
2. Eine Gleichstellung der hier streitigen Kindererziehungszeiten kommt auch nach den europarechtlichen Vorgaben des hier anwendbaren
Art. 44 VO (EG) 987/2009 i.V.m. VO (EG) 883/2004 nicht in Betracht.
a. Ausgehend von der getroffenen Verwaltungsentscheidung vom 15.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.1.2016
ist die am 1.5.2010 in Kraft getretene Regelung in Art. 44 VO (EG) 987/2009 vorliegend zeitlich anzuwenden.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.7.2012, C-522/10 - Reichelt-Albert) verbietet es der Grundsatz der Rechtssicherheit im Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts
der Union auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen, sofern dies nicht ausnahmsweise aufgrund eines im Allgemeininteresse
liegenden Ziels geboten ist, das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist und aus Wortlaut, Zweck oder
Aufbau der betreffenden Vorschriften eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist. Der Unionsgesetzgeber
hat in Art. 97 der VO (EG) 987/2009 als Zeitpunkt des Inkrafttretens den 1. Mai 2010 festgelegt, ohne dass ein Erwägungsgrund
oder eine andere Vorschrift dieser Verordnung in dem Sinne verstanden werden könnte, dass die Geltung von Art. 44 VO (EG)
987/2009 zu einem früheren Zeitpunkt als dem der Veröffentlichung dieses Rechtsaktes beginnen sollte. Vielmehr ergibt sich
aus Art. 87 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004, der gemäß Art. 93 der Verordnung Nr. 987/2009 für die von dieser geregelten
Sachverhalte gilt, dass diese keinen Anspruch für den Zeitraum vor Beginn ihrer Anwendung, dem 1.5.2010, begründet (EuGH,
Urteil vom 19.7.2012 - C-522/10). Nach Art. 87 VO 883/2004 werden hingegen für die Feststellung des Leistungsanspruchs alle Versicherungszeiten sowie gegebenenfalls
auch alle Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten berücksichtigt, die nach den
Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung in dem betreffenden Mitgliedstaat zurückgelegt
worden sind. Vorbehaltlich des Absatzes 1 begründet diese Verordnung einen Leistungsanspruch auch für Ereignisse vor dem Beginn
der Anwendung dieser Verordnung in dem betreffenden Mitgliedstaat. Leistungen jeder Art, die wegen der Staatsangehörigkeit
oder des Wohnorts der betreffenden Person nicht festgestellt worden sind oder geruht haben, werden auf Antrag dieser Person
ab dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung in dem betreffenden Mitgliedstaat gewährt oder wieder gewährt, vorausgesetzt,
dass Ansprüche, aufgrund deren früher Leistungen gewährt wurden, nicht durch Kapitalabfindung abgegolten wurden.
Da bei der Antragstellung und bei Erlass der hier streitigen Bescheide die Regelungen der o.g. Verordnungen in Kraft getreten
und somit anzuwenden waren, waren diese vorliegend zu berücksichtigen.
b. Die Klägerin unterfällt auch dem persönlichen Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004. Nach Art 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004
gilt diese Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten
gelten oder galten sowie für ihre Familienangehörigen. Unter "Rechtsvorschriften" sind nach Art 1 Buchst I) VO (EG) Nr 883/2004
für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in
Art 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit zu verstehen. Leistungen bei Invalidität und im
Alter werden dabei ausdrücklich in Art 3 Abs. 1 Buchst b) und c) VO (EG) Nr. 883/2004 genannt.
c. Eine Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten kann jedoch zugunsten der Klägerin auch unter Anwendung von Art. 44 VO (EG)
987/2009 nicht erfolgen, wenn es darin heißt:
Artikel 44
Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten
(1) Im Sinne dieses Artikels bezeichnet der Ausdruck "Kindererziehungszeit" jeden Zeitraum, der im Rahmen des Rentenrechts
eines Mitgliedstaats ausdrücklich aus dem Grund angerechnet wird oder Anrecht auf eine Zulage zu einer Rente gibt, dass eine
Person ein Kind aufgezogen hat, unabhängig davon, nach welcher Methode diese Zeiträume berechnet werden und unabhängig
davon, ob sie während der Erziehungszeit anfallen oder rückwirkend anerkannt werden.
(2) Wird nach den Rechtsvorschriften des gemäß Titel II der Grundverordnung zuständigen Mitgliedstaats keine Kindererziehungszeit
berücksichtigt, so bleibt der Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der Grundverordnung auf
die betreffende Person anwendbar waren, weil diese Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit
für das betreffende Kind nach diesen Rechtsvorschriften begann, eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit
ausgeübt hat, zuständig für die Berücksichtigung dieser Zeit als Kindererziehungszeit nach seinen eigenen Rechtsvorschriften,
so als hätte diese Kindererziehung in seinem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden.
(3) Absatz 2 findet keine Anwendung, wenn für die betreffende Person die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats
aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit anwendbar sind oder anwendbar werden.
Diese sachlichen Voraussetzungen von Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 sind vorliegend nicht erfüllt.
aa. "Der nach Titel II der Grundverordnung zuständige Mitgliedsstaat", der ggf. keine Kindererziehungszeiten berücksichtigt,
ist im streitigen Zeitraum die Niederlande.
Gem. Art. 1a VO (EG) 987/2009 bezeichnet der Ausdruck "Grundverordnung" die Verordnung (EG) 883/2004. Im diesbezüglichen Titel
II der VO (EG) 883/2004 heißt es hierzu unter Art. 11 weiter:
Artikel 11
Allgemeine Regelung
(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften
dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit
eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-,
Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei
Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:
a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den
Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats [...]
e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a bis d fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen
dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedsstaaten
zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedsstaates.
(1) Die Klägerin hat in dem hier streitigen Zeitraum in den Niederlanden gewohnt und auch keine Beschäftigung mehr ausgeübt.
Hieraus folgt, dass die Klägerin ab dem hier streitigen Zeitraum gem. Art. 11 Abs. 3 Buchst. e) VO (EG) 883/2004 den Rechtsvorschriften
des Wohnmitgliedstaates, mithin der Niederlande unterlag (vgl. BSG, Urteil vom 11.5.2011, B 5 R 22/10, Rn. 22). Mithin ist auch die Anwendbarkeit des Tatbestands des Art 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 im Falle der Klägerin
nicht nach Art. 44 Abs. 3 VO (EG) 987/2009 ausgeschlossen, weil die Klägerin in dem hier streitigen Zeitraum in den Niederlanden
gerade keine Beschäftigung und keine selbständige Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt hat.
(2) Eine andere Beurteilung folgt vorliegend nicht nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. 3 a) VO (EG) 883/2004 und einer Verklammerung
einer (temporären) Auslands-Kindererziehung mit einer Beschäftigung und Beitragszahlung in Deutschland. Mithin verbleiben
die Niederlande "der nach Titel II der Grundverordnung zuständige Mitgliedsstaat, der ggf. keine Kindererziehungszeiten berücksichtigt".
So besteht nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.7.2012, C-522/10-Reichelt-Albert) zwischen den Kindererziehungszeiten und den Versicherungszeiten, die aufgrund einer Berufstätigkeit in einem
Mitgliedstaat zurückgelegt wurden, eine hinreichende Verbindung, wenn eine Person ausschließlich in ein und demselben Mitgliedstaat
gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, und zwar sowohl vor als auch nach der vorübergehenden Verlegung ihres Wohnsitzes aus
rein familiären Gründen in einen anderen Mitgliedstaat, in dem sie zu keiner Zeit gearbeitet oder Beiträge gezahlt hat (vgl.
ferner Urteile des EuGH vom 1.4.2008, C-212/06 (Elsen) und vom 7.2.2002, C-28/00 (Kauer)). Demnach ist festzustellen, dass die deutschen Rechtsvorschriften in einem solchen Fall anwendbar sind und eine
Person, was die Berücksichtigung und Anrechnung der von ihr zurückgelegten Kindererziehungszeiten im Rahmen der Altersversicherung
angeht, während dieser Zeiten nicht den Rechtsvorschriften des Staates unterlag, in dem sie wohnte (vgl. in diesem Sinne bereits
EuGH, Urteil vom 1.4.2008, C-212/06 (Elsen).
Jedoch hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland eine Beschäftigung ausgeübt. Eine hinreichende
Verbindung zu dem deutschen Rentenversicherungssystem oder Arbeitsmarkt ist somit nicht hergestellt worden, so dass auch die
vorgenannte Verklammerung von vorneherein ausscheidet.
Auch ergibt sich in keine andere rechtliche Beurteilung durch die Tätigkeit des Beigeladenen in den Bundesrepublik Deutschland.
Vielmehr richtet sich die Zuständigkeit nach Titel II der VO (EG 883/2004) immer nach der jeweils "betroffenen" Person, ohne
dass über eine Berufstätigkeit eines Familienangehörigen die Zuständigkeit des Mitgliedsstaats beeinflusst wird.
(3) Ob die weitere Vorgabe in Art. 44 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 987/2009 erfüllt, ist wonach der hier nach Titel II der Grundverordnung
zuständige Mitgliedsstaat, d.h. hier die Niederlande, "keine Kindererziehungszeiten berücksichtigt", kann der Senat dahinstehen
lassen (vgl. zur (hier nicht streitigen) Frage, ob eine Kindererziehungszeit im Sinne des Art 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 ggf.
zu berücksichtigen ist, wenn die Zeit der Kindererziehung in den Niederlanden als reine Wohnzeit eine Rentenanwartschaft begründet:
LSG NRW, Vorlagebeschluss vom 23.4.2021, L 18 R 1114/16). Insbesondere kann vorliegend offenbleiben, ob und ggf. in welcher Weise Kindererziehungszeiten im niederländischen Sozialversicherungssystem
im Sinne von Art. 44 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 987/2009 "nicht" berücksichtigt werden bzw. ob ggf. allein eine etwaige (abstrakte)
Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Invaliditätsabsicherung erfolgt. Denn die weiteren Voraussetzungen für
eine Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten durch die Beklagte nach Art. 44 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 987/2009 sind schon nicht
erfüllt.
bb. Die Beklagte war nicht im Sinne von Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 der "zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften
nach Titel II der Grundverordnung auf die betreffende Person anwendbar waren, weil diese Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die
Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach diesen Rechtsvorschriften begann, eine Beschäftigung
oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, für die Berücksichtigung dieser Zeit als Kindererziehungszeit nach
seinen eigenen Rechtsvorschriften". Insofern begründet Art. 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 grundsätzlich eine - nachrangige
- Zuständigkeit für einen Mitgliedsstaat, der nach den allgemeinen Regeln nicht zuständig wäre, um eine Berücksichtigung von
Kindererziehungszeiten zu ermöglichen.
Eine solche (nachrangige) Zuständigkeit der Beklagten bzw. der Bundesrepublik Deutschland ist aber hier nicht gegeben, da
die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland (= Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der VO (EG) Nr. 883/2004 auf die betreffende Person anwendbar waren) zum Zeitpunkt der Geburt der Kinder (= Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach deutschen Rechtsvorschriften
begann), in der Bundesrepublik keine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat (vgl. BSG, Urteil vom 11.5.2011, B 5 R 22/10 R). Die Regelung in Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 schränkt somit ihrem Wortlaut nach eine etwaig bestehende (grundsätzliche)
Zuständigkeit nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) bis e) VO (EG) 883/2004 auf eine Zuständigkeit wegen der Ausübung einer Beschäftigung
oder einer selbstständigen Tätigkeit, d.h. auf eine Zuständigkeit nach Art. 11 Abs. 3. Buchst. a) VO (EG) Nr. 883/2004, ein.
Eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit hat die Klägerin in der Bundesrepublik aber zu keinem Zeitpunkt ausgeübt.
Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin einer anderweitigen (rentenrechtlich relevanten) Tätigkeit in Deutschland
nachgegangen wäre. Daher hat der Senat vorliegend keinen Anlass für eine Vorlage bei dem EuGH zur Vorabentscheidung gesehen
(vgl. zur Frage, ob § 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 erweiternd dahingehend auszulegen, dass der zuständige Mitgliedsstaat die
Kindererziehungszeit auch dann berücksichtigen muss, wenn die erziehende Person vor und nach der Kindererziehung zwar rentenrechtliche
Zeiten wegen Ausbildung oder Beschäftigung nur im System dieses Staates hat, aber unmittelbar vor oder nach der Kindererziehung
Beiträge in dieses System nicht entrichtet hat: LSG NRW, Vorlagebeschluss vom 23.4.2021, L 18 R 1114/16). Vielmehr waren zum frühesten Zeitpunkt für die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten, d.h. bei Geburt des ersten
Kindes am 3.7.1982 bzw. auch bei der Geburt des zweiten Kindes am 18.11.1984, allein (Pflicht)Versicherungszeiten für eine
Beschäftigung in den Niederlanden (bis zum 27.8.1982) vermerkt. Eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne
von Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) EG (VO) 883/2004 wegen einer Beschäftigung war daher nicht zu begründen.
Unerheblich ist somit auch, dass die Bundesrepublik zum Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes am 3.7.1982 der Wohnortmitgliedstaat
im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchst. e) gewesen ist. Denn eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Art.
44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 hätte - wie dargelegt - nur nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) EG (VO) 883/2004 wegen der Ausübung
einer - hier nicht ausgeübten - Beschäftigung begründet werden können. Die Beklagte war daher ihrerseits als Träger des (hier
nicht zuständigen) Mitgliedstaates der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls nicht zuständig für die Berücksichtigung der
hier geltend gemachten Zeiten als Kindererziehungszeit nach eigenem Recht.
cc. Eine Verpflichtung bzw. eine Zuständigkeit der Beklagten als "Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel
II der Grundverordnung auf die betreffende Person anwendbar waren" ist im Übrigen nicht aus Art. 5 Buchst. b) EG (VO) 883/2004
i.V.m. Art. 11 Abs. 3 Buchst. e) herzuleiten. Nach Art. 5 Buchst. b) EG (VO) 883/2004 gilt unter Berücksichtigung der besonderen
Durchführungsbestimmungen, dass der Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte
oder Ereignisse so berücksichtigt, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären, wenn nach den Rechtsvorschriften
des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen hat und in dieser Verordnung
nicht anderes bestimmt ist. Insofern sind die Regelung in Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 jedoch als besondere Durchführungsbestimmungen
anzusehen, aus denen sich eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland - wie dargelegt - nicht ergibt.
d. Eine erweiternde Auslegung des Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 kommt insbesondere unter Berücksichtigung der (allgemeinen)
Unionsbürgerfreizügigkeit nach Art. 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 11.5.2011, B 5 R 22/10 R). Die Nichtanerkennung der geltend gemachten Zeiten der Auslandskindererziehung verstößt nicht gegen die (allgemeine) Unionsbürgerfreizügigkeit
nach Art. 21 AEUV.
Danach hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und
in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Erscheint zur
Erreichung dieses Ziels ein Tätigwerden der Union erforderlich und sehen die Verträge hierfür keine Befugnisse vor, so können
das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften erlassen, mit denen die Ausübung
der Rechte nach Absatz 1 erleichtert wird. Zu den gleichen wie den in Absatz 1 genannten Zwecken kann der Rat, sofern die
Verträge hierfür keine Befugnisse vorsehen, gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen erlassen, die die soziale
Sicherheit oder den sozialen Schutz betreffen. Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments.
Art. 21 AEUV ist nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.7.2012, C-522/10 - Reichel-Albert) dahin auszulegen, dass er die zuständige Einrichtung eines ersten Mitgliedstaats dazu verpflichtet, im
Hinblick auf die Gewährung einer Altersrente Kindererziehungszeiten, die in einem zweiten Mitgliedstaat von einer Person zurückgelegt
wurden, welche nur in dem ersten Mitgliedstaat eine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat und welche zur Zeit der Geburt ihrer
Kinder ihre Berufstätigkeit vorübergehend eingestellt und ihren Wohnsitz aus rein familiären Gründen im Hoheitsgebiet des
zweiten Mitgliedstaats begründet hatte, so zu berücksichtigen, als seien diese Kindererziehungszeiten im Inland zurückgelegt
worden. Der EuGH hat einen Verstoß unter Heranziehung des Art. 21 AEUV in seiner Ausprägung als Benachteiligungsverbot daher für den Fall bejaht, dass eine Person - wie die dortige Klägerin -
ausschließlich in einem Mitgliedstaat gearbeitet und Beiträge gezahlt hatte, und zwar sowohl vor als auch nach der vorübergehenden
Verlegung ihres Wohnsitzes aus rein familiären Gründen in einen anderen Mitgliedstaat, in dem sie zu keiner Zeit gearbeitet
oder Beiträge gezahlt hatte; in diesem Fall sei davon auszugehen, dass zwischen diesen Kindererziehungszeiten und den Versicherungszeiten,
die aufgrund einer Berufstätigkeit im erstgenannten Mitgliedstaat zurückgelegt worden seien, eine hinreichende Verbindung
bestehe (EuGH, Urteil vom 19.7.2012 - C-522/10 - Reichel-Albert - unter Verweis auf die Urteile Elsen [vom 23. November 2000 C 135/99 ]; vgl. auch Hessisches LSG, Urteil vom 14.7.2015, L 2 R 236/14). Die Mitgliedstaaten seien zwar weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig, müssten
dabei jedoch das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des Vertrags über die nach Art. 21 AEUV gewährleistete Freizügigkeit beachten. Das schließe es aus, dass eine Person, die Kinder erziehe bzw. erzogen habe und während
der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt ihrer Kinder keine Pflichtbeitragszeiten wegen einer ausgeübten Beschäftigung
oder selbständigen Tätigkeit erworben habe, bei der Festsetzung der Höhe ihrer Altersrente allein deshalb, weil sie ihren
Wohnsitz vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat verlegt habe, keinen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Kindererziehungszeiten
besitze, selbst wenn sie in diesem zweiten Mitgliedstaat weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Erwerbstätigkeit
ausgeübt habe. Dadurch werde eine solche Person nämlich in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitze, weniger
günstig behandelt, als wenn sie von den Erleichterungen, die ihr der AEUV in Bezug auf die Freizügigkeit gewährt, nicht Gebrauch gemacht hätte. Eine nationale Regelung, die bestimmte Inländer (und
Gleiches muss wohl für Bürger anderer Staaten der Europäischen Union mit hinreichender Beziehung zur deutschen gesetzlichen
Rentenversicherung gelten) allein deshalb benachteilige, weil sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht hätten, sich in einem anderen
Mitgliedstaat frei zu bewegen und dort aufzuhalten, führe jedoch zu einer Ungleichbehandlung, die den Grundsätzen widerspreche,
auf denen der Status eines Unionsbürgers beruhe, nämlich der Garantie der gleichen rechtlichen Behandlung bei der Ausübung
seiner Freizügigkeit (EuGH, Urteil vom 19.7.2012, C-522/10- Reichel-Albert).
Anders als im Fall Reichel-Albert des EuGH (aaO.) hatte die Klägerin jedoch in der Bundesrepublik Deutschland als etwaigem
"ersten Mitgliedsstaat" keine Beitragszeiten aufgrund einer Berufstätigkeit zurückgelegt. Mithin kann insofern auch keine
- hier ohnehin nicht streitige - Verpflichtung bestehen, die in den Niederlanden erfolgte Kindererziehung wegen der in Deutschland
(nicht) zurückgelegten Zeit einer Beschäftigung anzuerkennen. Ebenso wenig ist eine Verletzung des Freizügigkeitsrechts daraus
abzuleiten, dass die in der Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgte Zeit einer Kindererziehung nicht im deutschen Rentenversicherungssystem
wegen der in den Niederlanden zurückgelegten Zeit einer Beschäftigung anerkannt wird. Die Erwerbsbiographie der Klägerin ist
vielmehr bislang auf die Niederlande ausgelegt gewesen, da allein in den Niederlanden eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit
ausgeübt worden ist (vgl. zur etwaigen Verletzung von Art. 21 AEUV bei anderweitig ausgerichteter Erwerbsbiographie: LSG NRW, Vorlagebeschluss vom 23.4.2021, L 18 1114/16). Insbesondere sind
- entsprechend den o.g. Vorgaben des EuGH - die Zeiten der Kindererziehung während des Aufenthalts in der Bundesrepublik in
Anwendung der Regelungen in §
56 Abs.
1 SGB VI durch die Beklagte als Kindererziehungszeiten anerkannt worden. Das Freizügigkeitsrecht der Klägerin wurde somit durch die
Anerkennung der Kindererziehungszeiten während des Aufenthalts in der Bundesrepublik in jedem Fall gewahrt, obwohl die Klägerin
nach den ausschließlich in den Niederlanden erworbenen Pflichtbeitragszeiten in erster Linie dem dortigen Sozialversicherungssystem
unterlegen hätte. Durch den erneuten Wechsel des Wohnorts zurück in die Niederlande hat sich das bestehende Freizügigkeitsrecht
der Klägerin jedoch durch die (zeitweise) Anerkennung der Kindererziehungszeiten durch die Beklagte aber nicht in der Weise
"erweitert", dass die Klägerin - unabhängig vom Wohnort in der Europäischen Union - gegenüber der Beklagten weiter einen Anspruch
auf Vormerkung der Kindererziehungszeiten hätte. Vielmehr wird insofern sowohl durch die Rechtsprechung des EuGH als auch
durch die Regelung in Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 auf die erfolgte Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit
im jeweiligen Mitgliedstaat abgestellt (s.o.)
e. Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 GG ist nicht erkennbar. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art
3 Abs.
1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. etwa BVerfG, Beschluss
vom 6.5.2014, 1 BvL 9/12, 1 BvR 1145/13). Der Gleichheitssatz ist jedoch erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich
zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG, a.a.O.). Schon durch die Unterschiede zwischen
den sozialen Systemen in den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland besteht jedoch kein Anspruch auf eine (uneingeschränkte)
Gleichbehandlung in den jeweils nationalstaatlichen eigenständig geregelten Systemen der Alterssicherung. Vor diesem Hintergrund
ist es auch nicht zu beanstanden, dass sich über Eingliederung in das jeweilige Sozialsystem ggf. Unterschiede in der Bewertung
der hier streitigen Kindererziehungszeiten ergeben.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 Satz 1,
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
IV. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§
160 Abs.
2 SGG). Maßgeblich für die Entscheidung sind die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Insbesondere besteht auch keine grundsätzliche
Bedeutung i.S.d. §
160 Abs.
1 Nr.
1 SGG, weil die rechtlichen Vorgaben durch die bereits ergangene und zuvor wiedergegebene Rechtsprechung des BSG sowie des EuGH hinreichend konkretisiert sind.