Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die hinreichenden Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits
Unzulässigkeit einer vorläufigen Einstellung von Leistungen nach dem SGB II bei fehlender Mitwirkung
Gründe
I.
In dem zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren wenden sich die Kläger gegen die mit Schreiben vom 23.10.2020 mitgeteilte vorläufige
Einstellung der Zahlung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) durch den Beklagten.
Der Beklagte bewilligte den Klägern mit Bescheid vom 24.03.2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis zum 30.04.2021 in Höhe von insgesamt 2.299,16 Euro monatlich. Bereits mit Schreiben vom
18.05.2020 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass er die Zahlung der Leistungen gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
331 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) vorläufig ganz eingestellt habe. Diese Zahlungseinstellung ist Gegenstand des Parallelverfahrens vor dem Sozialgericht Köln
(SG) zum Az. S 7 AS 2130/20 und des Prozesskostenhilfe (PKH)-Beschwerdeverfahrens vor dem Landessozialgericht zum Az. L 2 AS 1715/20 B.
Mit Änderungsbescheid vom 10.06.2020 hob der Beklagte den Bescheid vom 24.03.2020 auf und bewilligte den Klägern für den Zeitraum
vom 01.06.2020 bis zum 30.04.2021 insgesamt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts "in Höhe von 618,00 Euro weniger
als bisher". Mit Bescheid vom 06.07.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2020 hob der Beklagte die endgültige
Leistungsbewilligung gemäß den Bescheiden vom 24.03.2020 und 10.06.2020 ab dem 01.08.2020 ganz auf, dagegen wenden sich die
Kläger mit einer weiteren Klage vor dem SG (Az. S 7 AS 4268/20), welche am 20.11.2020 erhoben wurde. Mit weiterem Bescheid vom 06.07.2020 sowie Änderungsbescheiden vom 20.08.2020 und 23.09.2020
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2020 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen ab dem 01.08.2020 vorläufig,
auch diesbezüglich ist seit dem 20.11.2020 ein weiteres Klageverfahren vor dem SG anhängig (Az. S 7 AS 4268/20).
Mit Schreiben vom 23.10.2020 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass er die Zahlung der Leistungen gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
331 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) vorläufig ganz eingestellt habe. Trotz mehrfacher Aufforderung zur Mitwirkung und Erinnerungsschreiben hätten sie diverse,
näher bezeichnete Unterlagen nicht eingereicht. Der gegen das Schreiben vom 23.10.2020 am 30.10.2020 erhobene Widerspruch
wurde durch Widerspruchsbescheid vom 03.11.2020 als unzulässig verworfen.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit der am 12.11.2020 vor dem Sozialgericht Köln (SG) erhobenen Klage. Sie vertreten die Auffassung, aus ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren habe sich unschwer ergeben,
dass sie die Auszahlung der mit Bescheid vom 24.03.2020 bewilligten Leistungen verlangen und für den Fall der Nichtauszahlung
gerichtliche Schritte ankündigen. Der Beklagte habe daher hilfsweise die Begründetheit der Einwendungen prüfen müssen.
Die Kläger beantragen,
1.
den Bescheid des Beklagten vom 23.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2020 aufzuheben und ihn zu verpflichten,
über die als Widerspruch der Kläger bezeichneten Einwendungen ermessensfehlerfrei zu entscheiden,
2.
hilfsweise, den Bescheid des Beklagten vom 23.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.11.2020 aufzuheben
und den Beklagten zu verurteilen, die notwendigen Auslagen der Kläger im Verwaltungsverfahren zu tragen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält den Widerspruchsbescheid für zutreffend, da die vorläufige Zahlungseinstellung keinen Verwaltungsakt darstelle.
Nach Klageerhebung erließ der Beklagte weitere Änderungsbescheide: Mit Bescheid vom 21.11.2020 hat er zunächst den Klägern
zu 3) und 4) für Januar 2021 höhere Leistungen bewilligt und mit Änderungsbescheid vom 30.11.2020 die Bescheide vom 06.07.2020,
20.08.2020, 23.09.2020 und 21.11.2020 ganz aufgehoben. Mit zwei weiteren Bescheiden vom 27.01.2020 wurden den Klägern schließlich
Leistungen vom 01.09. bis 31.10.2020 sowie vom 01.12.2020 bis 31.12.2021 vorläufig bewilligt.
Am 23.11.2020 haben die Kläger einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt.
Mit Beschluss vom 02.02.2021 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH mangels Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens abgelehnt.
Gegen den Beschluss wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde vom 15.02.2021.
II.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der PKH ist zulässig und begründet.
Prozesskostenhilfe wird bei Vorliegen der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen nach §
73a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) nur gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und
nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt
des PKH-Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für
vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG 13. Aufl. 2020, §
73a Rn. 7a). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung
des Gerichts, ausnahmsweise bereits der Zeitpunkt der Entscheidungsreife (B. Schmidt, aaO, Rn. 7d).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet nach summarischer Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig.
Zwar haben weder eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (dazu unter 1.) noch eine Leistungsklage (dazu unter 2.) Aussicht
auf Erfolg, jedoch ist bei der möglichen Auslegung des klägerischen Begehrens als Fortsetzungsfeststellungsklage eine hinreichende
Erfolgsaussicht gegeben (dazu unter 3.).
1.
Eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den das Schreiben vom 23.10.2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 03.11.2020 hat keine Aussicht auf Erfolg, da der Beklagte den Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen hat. Bei dem
Schreiben des Beklagten vom 23.10.2020, in dem er eine vorläufige Zahlungseinstellung mitteilt, handelt es sich nicht um einen
Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X, gegen den ein Widerspruch gem. § 62 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. §
78 SGG zulässig wäre. Nach der Konzeption des Gesetzes erfolgt die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
331 SGB III ohne Erteilung eines Bescheides. Es handelt sich um die Statuierung eines Zurückbehaltungsrechts, das die Fälligkeit des
sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebenden Anspruchs aufhebt und nicht durch Verwaltungsakt geltend gemacht zu werden braucht.
Dieser Realakt dient der Vorbereitung eines Aufhebungsbescheides, der dann der Rechtsgrund für die endgültige Leistungseinstellung
ist (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 07.04.2014 - L 19 AS 389/14 B ER -, juris Rn. 12 m.w.N.). Mit einer vorläufigen Leistungseinstellung soll im Vorfeld einer Aufhebung der Bewilligungsentscheidung
im Fall des Wegfalls der gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen das Auflaufen einer Erstattungsforderung vermieden werden.
2.
Vorliegend besteht auch für eine Leistungsklage zum jetzigen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zwar ist ein
rechtliches Vorgehen des Adressaten gegen eine vorläufige Zahlungseinstellung grundsätzlich im Wege der isolierten Leistungsklage
möglich (vgl. LSG NRW, aaO.), wobei sich sein Anspruch aus dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid ergibt (vgl. Aubel in:
Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 40 (Stand: 01.03.2020), Rn. 105). Die Klageanträge hätten nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz (vgl. dazu nur B. Schmidt in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG 13. Aufl. 2020, §
92 Rn. 12 m.w.N.) auch entsprechend als Leistungsklage ausgelegt werden können, da es den Klägern ersichtlich um die Zahlung
der bewilligten Leistungen ging. Dabei hätten die Kläger allerdings vorliegend nur auf Leistung aus dem zuletzt erlassenen
Bewilligungsbescheid vom 23.09.2020 klagen können. Da der ursprüngliche Verwaltungsakt vom 24.03.2020 mittlerweile durch weitere
Bescheide aufgehoben wurde und der dagegen erhobene Widerspruch gem. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfaltet, steht den Klägern jedenfalls aus dem Bescheid vom 24.03.2020 kein mit der isolierten
Leistungsklage durchsetzbarer Leistungsanspruch mehr zu. Nach Erlass des Aufhebungsbescheides 30.11.2020 ist eine reine Leistungsklage
auf Zahlung aus dem Bescheid vom 23.09.2020 unzulässig geworden, da dieser Bewilligungsbescheid ganz aufgehoben wurde und
Widerspruch und Klage auch diesbezüglich gem. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfalten.
3.
Die Kläger können sich jedoch mit Aussicht auf Erfolg zulässig mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gem. §
131 Abs.
1 Satz 2
SGG - vorliegend in doppelt analoger Anwendung, da das erledigende Ereignis (Bescheid vom 30.11.2020) nach Klageerhebung am 12.11.2020
eingetreten ist und diese Norm direkt nur auf Anfechtungsklagen anwendbar ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG 13. Aufl. 2020, §
131 Rn. 9, 7c m.w.N. zur strittigen Frage, ob der Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage auch bei Erledigung einer allgemeinen
Leistungsklage zulässig ist) - gegen die vorläufige Zahlungseinstellung wenden. Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse
dürfte im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr, welche sich an der bereits zuvor mit Schreiben vom 18.05.2020 erfolgten vorläufigen
Leistungseinstellung zeigt, gegeben sein.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach summarischer Prüfung auch begründet. Die Kläger hatten zum Zeitpunkt der Klageerhebung
einen Anspruch auf Zahlung von Leistungen aus dem Bescheid vom 23.09.2020, da der Beklagte von seinem Recht, die Leistungen
vorläufig nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
331 SGB III einzustellen, in rechtswidriger Weise Gebrauch gemacht hat. Nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II kann die Zahlung von durch Bescheid bewilligten Leistungen nach dem SGB II unter den Voraussetzungen und in den Grenzen von §
331 SGB III vorläufig ganz oder teilweise eingestellt werden. Gem. §
331 Abs.
1 Satz 1
SGB III kann die Zahlung einer laufenden Leistung ohne Erteilung eines Bescheides vorläufig gestellt werden, wenn die Agentur für
Arbeit Kenntnis von Tatsachen erhält, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen und wenn der Bescheid,
aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist. In Fällen fehlender oder nicht
ausreichender Mitwirkung der oder des Leistungsberechtigten bei der Prüfung der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld ist deshalb eine vorläufige Zahlungseinstellung nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
331 SGB III nicht zulässig. Der Grundsicherungsträger kann lediglich unter den Voraussetzungen des §
66 Abs.
1 SGB I die bewilligten Leistungen ganz oder teilweise durch Verwaltungsakt entziehen und erst anschließend die Zahlung einstellen
(Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 40 (Stand: 01.03.2020), Rn. 97 m.w.N.). Liegen die Voraussetzungen nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
331 SGB III vor, hat der Grundsicherungsträger eine Ermessensentscheidung ("kann") darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang er die
Zahlung der Leistungen vorläufig einstellt. Die Zahlungen können jeweils nur insoweit eingestellt werden, als der Leistungsanspruch
weggefallen oder zum Ruhen gekommen ist (vgl. Aubel, aaO, Rn. 102). Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die mit
Schreiben vom 23.10.2020 erfolgte Zahlungseinstellung als rechtswidrig. Unabhängig davon, dass der Beklagte nach dem Vorstehenden
die Zahlungseinstellung schon nicht mit der fehlenden Vorlage von Unterlagen begründen konnte, fehlt es jedenfalls an einer
Ermessensausübung des Beklagten. Dem Schreiben vom 23.10.2020 sind keinerlei Ermessenserwägungen zu entnehmen.
4. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Hilfsantrag der Kläger, ihnen die notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens
zu erstatten, keine hinreichende Erfolgsaussicht hat. Ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Kosten im Vorverfahren besteht
gem.
§ 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, soweit der Widerspruch erfolgreich ist bzw. gem. § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X auch dann, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift
nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn der Beklagte hat den Widerspruch mangels Vorliegens eines
anfechtbaren Verwaltungsakts zu Recht als unzulässig verworfen (s.o.).
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig
(§
73a Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).