Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an hinreichende Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits über die Ablehnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II aufgrund bestehenden und verwertbaren Vermögens unter Berücksichtigung des am 28.03.2020 in Kraft getretenen vereinfachten
Verfahrens für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie – hier: keine Vermögensberücksichtigung für
die Dauer von sechs Monaten
Anforderungen an das Vorliegen erheblichen Vermögens im Sinne von § 67 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 SGB II
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren,
das auf die Bewilligung von Leistungen gerichtet ist.
Der am 00.00.1975 geborene Kläger, der nach Aktenlage nicht über bedarfsdeckendes Einkommen verfügt, beantragte bei dem Beklagen
im Juni 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Er gab an, Inhaber eines Sparbuchkontos mit einem Guthaben von 4.934,66 € und eines Rentenfonds mit einem Rückkaufswert
zum Juni 2019 iHv 7.345,71 € zu sein. Mit Bescheid vom 11.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2020
lehnte der Beklagte den Antrag ab. Aufgrund des bestehenden und verwertbaren Vermögens sei der Kläger nicht hilfebedürftig.
Hiergegen hat der Kläger am 19.03.2020 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Sein Vermögen sei zur Absicherung eines
Darlehensrückzahlungsanspruchs seiner Eltern iHv knapp 19.719 € an diese abgetreten und daher nicht verwertbar. Für die Durchführung
des Klageverfahrens hat der Kläger Prozesskostenhilfe beantragt. Zwar habe er eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen,
jedoch habe diese fernmündlich den Deckungsschutz abgelehnt.
Mit Beschluss vom 24.11.2020 hat das Sozialgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Klage habe keine Aussicht
auf Erfolg. Der Kläger habe keine Nachweise für ein Darlehen seiner Eltern iHv rund 20.000 € vorgelegt. Der behauptete Darlehensvertrag
halte einem Fremdvergleich nicht stand.
Gegen den ihm am 01.12.2020 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 02.12.2020 Beschwerde eingelegt. Zwar habe seine Rechtsschutzversicherung
zwischenzeitlich Deckungsschutz für das Klageverfahren am 10.12.2021 und für das Widerspruchsverfahren am 19.02.2021 erteilt,
jedoch bestehe eine Selbstbeteiligung von 150 €. In Höhe dieser Selbstbeteiligung sei ihm Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren
zu gewähren.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmächtigten unter Begrenzung auf die Selbstbeteiligung
iHv 150 €. Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 114 Abs. 1 Satz 1
ZPO). In Bezug auf den ungedeckten Eigenanteil von 150 € kann der Kläger die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen.
Ein Rechtsschutzbegehren hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung
einer schwierigen Rechtsfrage abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussichten für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll nicht
dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern
und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen dürfen nicht
im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt
werden können. Prozesskostenhilfe ist auch zu bewilligen, wenn in der Hauptsache eine Beweisaufnahme erforderlich ist und
keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil
des Antragstellers ausgehen wird (BVerfG Beschlüsse vom 04.05.2015 - 1 BvR 2096/13; vom 09.10.2014 - 1 BvR 83/12 und vom 19.02.2008 - 1 BvR 1807/07; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 22.12.2020 - L 7 AS 692/20 B, vom 16.01.2019 - L 7 AS 1085/18 B, vom 20.04.2016 - L 7 AS 1645/15 B und vom 15.02.2016 - L 7 AS 1681/15 B).
Streitgegenstand des Klageverfahrens ist, da der Kläger sich gegen einen Ablehnungsbescheid wendet und nicht ersichtlich ist,
dass er zwischenzeitlich einen weiteren Leistungsantrag gestellt hat, aufgrund dessen der Beklagte einen weiteren Bescheid
erteilt hat, ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zum Zeitpunkt einer gerichtlichen Entscheidung
(BSG Urteile vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R und vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 16/07 R). Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten relevant ist daher auch der am 28.03.2020 in Kraft getretene § 67 SGB II ("Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2"; jetzt: "Vereinfachtes
Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie"). § 67 Abs. 2 SGB II bestimmt seither: "Abweichend von den §§ 9, 12 und 19 Abs. 3 SGB II wird Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Satz 1 gilt nicht, wenn das Vermögen erheblich ist; es
wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag
erklärt."
Gem. § 67 Abs. 1 SGB II gilt die Sonderregelung nur für Bewilligungszeiträume, die ab dem 01.03.2020 beginnen. Hierauf gestützt wird in der Rechtsprechung
angenommen, dass die Sonderregelungen des § 67 SGB II auf einen zuvor gestellten Antrag auch dann nicht anwendbar sind, wenn der Antrag abgelehnt worden ist und die um Leistungen
nachsuchende Person erst im März 2020 um einstweiligen Rechtsschutz ersucht hat (Sächsisches LSG Beschluss vom 04.06.2020
- L 7 AS 354/20 B ER; zustimmend Groth in JurisPK SGB II § 67 Rn. 14.2). Dies ist aber zweifelhaft. § 67 SGB II ist nicht auf Neuanträge beschränkt und verlangt keinen Kausalzusammenhang zwischen der COVID-19 Pandemie und der Hilfebedürftigkeit
(Harich in BeckOK SGB II § 67 Rn. 1; Knickrehm in Gagel SGB II § 67 Rn. 13). Ein Ablehnungsbescheid ist kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung und legt keinen Zeitraum fest, für den ein Leistungsanspruch
abgelehnt wird. Der Betroffene ist nach Erhalt eines Ablehnungsbescheides nicht gehindert, jederzeit einen neuen Leistungsantrag
zu stellen (auch unter Ausnutzung der coronabedingten Neuregelung des § 67 SGB II) und damit einen neuen, unter den Geltungszeitraum des § 67 Abs. 1 SGB II fallenden Bewilligungszeitraum auszulösen (§§ 37, 41 Abs. 3 SGB II). Die Geltendmachung eines Leistungsanspruchs im gerichtlichen Verfahren nach Erhalt eines Ablehnungsbescheides dürfte daher
meistbegünstigend als dauerhafter Leistungsantrag iSd § 37 SGB II anzusehen sein mit der Folge, dass bei Eintreten der materiell-rechtlichen Bewilligungsvoraussetzungen im Laufe des gerichtlichen
Verfahrens ein neuer Bewilligungszeitraum iSd § 67 Abs. 1 SGB II beginnt. Denkbar ist auch, die im März 2020 eingereichte Klage als neuen (konkludenten) Folgeantrag iSv § 37 SGB II anzusehen (zum fehlenden Formerfordernis des Antrags BSG Urteil vom 11.07.2019 - B 14 AS 51/18 R), der dann die Rechtsfolge von § 67 SGB II in der ab dem 01.03.2020 gF auslöst (vgl. Beschluss des Senats vom 08.05.2019 - L 7 AS 683/19 B ER). Für dieses Ergebnis spricht auch, dass andernfalls Personen, die Leistungen bezogen haben und deren Bewilligungszeitraum
nach Inkrafttreten von § 67 SGB II endet, gegenüber Personen, bei denen - wie vorliegend - Leistungen abgelehnt wurden und Klage erhoben worden ist, bevorzugt
würden, ohne dass hierin ein rechtfertigender Grund erkennbar wäre. Namentlich gilt dies, wenn - wie hier - zum Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung unter Zugrundelegung des maßgeblichen Leistungsantrags bereits ein Bewilligungszeitraum abgelaufen
wäre und der Betroffene einen neuen Leistungsantrag hätte stellen müssen, der dann unstreitig in den Geltungszeitraum des
§ 67 SGB II gefallen wäre.
Hält man die Anwendung von § 67 SGB II in Ermangelung eines neuen Leistungsantrags nicht für möglich, stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Grundsicherungsträger
über die Rechtsänderung in § 67 SGB II und die Notwendigkeit einer Antragstellung hätte beraten müssen und der Kläger aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
so zu stellen wäre, als ob er einen weiteren Leistungsantrag gestellt hätte (hierzu Silbermann, Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 37 Rn. 34).
Noch nicht abschließend geklärt ist, was der Gesetzgeber unter erheblichem Vermögen iSd § 67 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 SGB II versteht. Dieser Begriff ist nicht identisch mit dem zu verwertenden Vermögen iSd § 12 SGB II, weil die Vorschrift andernfalls überflüssig wäre. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff "erhebliches Vermögen" auch in §
21 Nr. 3 WoGG, wonach ein Wohngeldanspruch nicht besteht, soweit die Inanspruchnahme missbräuchlich wäre, insbesondere wegen erheblichen
Vermögens. Dieser Ausschlussgrund ist nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung gegeben, wenn die Inanspruchnahme unangemessen
und sozialwidrig wäre (VG Berlin Urteil vom 14.01.2020 - 21 K 178.19 mwN). Ein derartiger Maßstab wird auch für § 67 Abs. 2 SGB II und damit § 20 Abs. 5
BKGG gelten. Nach der Wohngeld-Verwaltungsvorschrift - WoGVwV - vom 28.06.2017 (BAnz AT 10.07.2017 B5) ist erhebliches Vermögen
iSd § 21 Nr. 3 WoGG in der Regel vorhanden, wenn die Summe des verwertbaren Vermögens der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder 60.000 €
für das erste zu berücksichtigende Haushaltsmitglied und 30.000 € für jedes weitere zu berücksichtigende Haushaltsmitglied
übersteigt. Beträge in dieser Größenordnung sind von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung akzeptiert worden (BVerwG
Urteil vom 18.04.2013 - 5 C 21/12). Da es sich auch beim Wohngeld um eine Transferleistung handelt, die der Sicherung eines existenznotwendigen Bedarfs dient,
spricht nichts dagegen, entsprechende Werte als erheblich iSd § 67 Abs. 2 Satz 2 SGB II anzusehen (in diesem Sinne auch Groth in JurisPK SGB II § 67 Rn. 22.1).
Unabhängig davon ergibt sich im vorliegenden Verfahren eine hinreichende Erfolgsaussicht außerdem daraus, dass die Hauptsache
nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung zu entscheiden ist. Die Nichtvorlage von Kontoauszügen steht den Erfolgsaussichten
nicht entgegen, weil der Kläger von seinen Eltern auch Barzuwendungen erhalten haben kann. Hierfür spricht der Umstand, dass
der Kläger die Darlehensvaluta sukzessive in der Zeit vom 04.11.2009 bis 31.12.2015 erhalten haben will. Zudem muss dem Kläger
die Möglichkeit eingeräumt werden, etwaige Kontobelege nachzureichen. Hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Darlehens hat der
Kläger mit Schriftsatz vom 13.08.2020 ausführlich vorgetragen und Beweis durch Zeugenvernehmung seiner Eltern angetreten.
Diesem Vorbringen ist nachzugehen.
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe sind in Höhe der Selbstbeteiligung von 150
€ glaubhaft gemacht. Dem steht das Schreiben der Rechtsschutzversicherung vom 19.02.2021, wonach auch Deckungsschutz für die
Kosten des Widerspruchsverfahrens erteilt wurde, nicht entgegen. Ausweislich des Schreibens vom 19.02.2021 erfolgte der Deckungsschutz
für die vorgerichtliche Tätigkeit ohne Anrechnung eines Selbstbehalts, sodass mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgegangen
werden muss, dass die Selbstbeteiligung im gerichtlichen Klageverfahren iHv 150 € nicht durch einen vorherigen Verbrauch der
Selbstbeteiligung im vorgerichtlichen Verfahren entfallen ist.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 127 Abs. 4
ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG).