Sozialversicherungspflicht als Fremdgeschäftsführer einer GmbH
Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit
Keine selbständige Tätigkeit von Fremdgeschäftsführern allein wegen familiärer Verbundenheit
Vertrauenstatbestand durch gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Betriebsprüfung gemäß § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) über die Rechtmäßigkeit eines Betriebsprüfungsbescheides der Beklagten, mit welchem diese für die Tätigkeit des Beigeladenen
zu 1) als Fremdgeschäftsführer der Klägerin im Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2014 Sozialversicherungsbeiträge in der
gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung in Höhe von insgesamt 69.131,89 EUR nachfordert.
Die mit Gesellschaftsvertrag vom 22.12.1989 gegründete und am 9.2.1990 in das Handelsregister des Amtsgerichtes N (HRB 000) eingetragene Klägerin betreibt ein Unternehmen mit dem Gegenstand "Ausführung von Dachdeckerarbeiten aller Art und alle
damit zusammenhängenden Geschäfte". Das Stammkapital der Klägerin betrug im Streitzeitraum 50.000,00 DM, § 3 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags
in der Fassung vom 19.7.1999 (GesV). Nach § 5 Abs. 1 GesV hatte die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer. In §
5 Abs. 2 GesV hieß es weiter:
"Die Geschäftsführer sind verpflichtet, die Weisungen der Gesellschafter zu befolgen, insbesondere eine von den Gesellschaftern
aufgestellte Geschäftsordnung zu beachten und von den Gesellschaftern als zustimmungspflichtig bezeichnete Geschäfte nur mit
deren Zustimmung vorzunehmen."
Im Übrigen wird auf den GesV der Klägerin Bezug genommen. Der Abschluss einer Geschäftsordnung im Streitzeitraum ist weder
vorgetragen noch ersichtlich.
Der 1973 geborene Beigeladene zu 1) wurde als einzelvertretungsberechtigter und von den Beschränkungen des §
181 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) befreiter Geschäftsführer bestellt und in das Handelsregister eingetragen. Er hielt zunächst 50% des Stammkapitals der Klägerin.
Die weiteren 50% hielt der 1940 geborene Dachdeckermeister B L, der zunächst gleichfalls als Geschäftsführer in das Handelsregister
eingetragen war.
Am 17.12.2007 traten die beiden Gesellschafter der Klägerin sowie die Ehefrau des Beigeladenen zu 1), die Kauffrau V L, vor
dem Notar Dr. I in N zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung zusammen (Nr. 000 der Urkundenrolle für 2007), in
welcher sie den Geschäftsführer B L von seiner Geschäftsführertätigkeit entbanden sowie der Übertragung von Gesellschafteranteilen
beider Gesellschafter auf Frau L zustimmten. Im Anschluss trat der Beigeladene zu 1) im Rahmen derselben notariellen Urkunde
seinen Geschäftsanteil von 25.000,00 DM an seine Ehefrau ab. Mit weiterem notariell beurkundeten Übertragungs- und Abtretungsvertrag
vom 19.12.2007 (Nr. 001 der Urkundenrolle des Notares Dr. I) trat auch der zweite Gesellschafter, Herr B L, seinen Anteil
am Stammkapital in Höhe von 25.000,00 DM an Frau V L ab.
Ebenfalls am 19.12.2007 schloss der Beigeladene zu 1) mit der nunmehrigen Alleingesellschafterin der Klägerin einen notariell
beglaubigten Ehevertrag (Nr. 002 der Urkundenrolle 2007) mit im Wesentlichen nachfolgendem Inhalt:
"[ ...]. Wir vereinbaren jedoch hiermit, dass im Falle unserer Trennung oder Aufhebung oder Scheidung unserer Ehe von der
Berechnung des Zugewinns die im Handelsregister des Amtsgerichtes N eingetragene Firma
"L Bedachung GmbH", Registernummer HRB 000
ausgenommen ist.
Alleinige Gesellschafterin dieser Firma ist die erschienene Ehefrau, nachdem sowohl der erschienene Ehemann seine hälftige
Beteiligung an dieser Firma unentgeltlich an seine Ehefrau übertragen hat, als auch der Vater des Ehemannes, der Dachdeckermeister
B L, [ ...], ebenfalls seine Beteiligung an der Firma komplett auf die erschienene Ehefrau V L, geborene L übertragen hat.
Auch diese Übertragung erfolgte unentgeltlich.
Deshalb ist die erschienene Ehefrau verpflichtet bei Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe diese Firma nach Wahl ihres
Ehemannes ganz oder teilweise unentgeltlich auf ihren Ehemann bzw. auf Dritte, natürliche oder juristische Personen, zu übertragen."
Am 22.12.2007 schloss der Beigeladene zu 1) mit der Klägerin einen Geschäftsführer-Dienstvertrag (DV), in dem im Wesentlichen
folgendes vereinbart worden ist:
"Das Anstellungsverhältnis beginnt am 01.01.2008.
Gemäß Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 19.07.1999 ist Herr L mit sofortiger Wirkung zum alleinvertretungsberechtigten
Geschäftsführer der Firma L Bedachung GmbH bestellt worden.
Er ist von den Beschränkungen des §
181 BGB befreit.
Herr L hat in allen Angelegenheiten der Gesellschaft die Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns in Anwendung
zu bringen.
Zu seinen Aufgaben gehört die eigenverantwortliche Leitung des Unternehmens unter Beachtung der gesetzlichen und gesellschaftsrechtlichen
Bestimmungen. Er übernimmt als Dachdeckermeister die fachliche Verantwortung des Betriebsablaufs.
Er hat insbesondere die Beschränkungen zu beachten, die dem Geschäftsführer durch den Gesellschaftsvertrag auferlegt sind.
Der Geschäftsführer wird seine ganze Arbeitskraft sowie ihre Erfahrung und Kenntnisse der Gesellschaft zur Verfügung stellen.
An eine bestimmte Arbeitszeit ist er nicht gebunden.
Der Geschäftsführer darf Arbeitnehmer einstellen und entlassen.
Für seine Tätigkeit erhält Herr L folgende Vergütung:
1. Ein Jahresbruttogehalt in Höhe von 39.600,00 EUR, zahlbar in 12 gleichen Monatsraten in Höhe von 3.300,00 EUR. 2. Eine
Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehaltes, zahlbar mit dem Novembergehalt. 3. Einem Zuschuss zur Direktversicherung
in Höhe von 146,00 EUR monatlich. 4. Einen Firmenwagen zur freien Verfügung. 5. Wenn der Jahresüberschuss 25.000,00 EUR überschreitet,
eine Tantieme von 30.000,00 EUR des übersteigenden Betrages.
Der Jahresurlaub beläuft sich auf 30 Arbeitstage.
Im Krankheitsfalle wird dem Geschäftsführer das Gehalt zunächst für sechs weitere Wochen ungekürzt weitergezahlt. Bei einer
weiteren Verhinderung der Ausübung der Tätigkeit beschließt die Gesellschafterversammlung, ob und in welcher Höhe eine Weiterzahlung
erfolgt.
Herr L hat das Recht, ab vollendetem 64. Lebensjahr den Vertrag durch die einseitige Erklärung mit einer Frist von einem Jahr
zu Jahresende zu kündigen.
Ein einvernehmliches Ausscheiden bleibt unbenommen.
Im Übrigen gelten für das Angestelltenverhältnis die gesetzlichen Bestimmungen."
Auf den Inhalt der genannten Verträge im Übrigen wird Bezug genommen.
Die Beklagte führte zunächst bei der Klägerin für den Prüfzeitraum vom 1.12.2005 bis zum 31.12.2009 eine "stichprobenweise"
Betriebsprüfung durch, die nach der Prüfmitteilung vom 20.2.2012 ohne Feststellungen blieb. In der Zeit vom 12.5.2014 bis
zum 19.3.2015 führte sie sodann die streitgegenständliche Betriebsprüfung für den anschließenden Prüfzeitraum vom 1.1.2010
bis zum 31.12.2014 durch.
Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt während der Betriebsprüfung schlossen der Beigeladene zu 1) und seine Ehefrau auf
Anraten ihres Steuerberaters gezielt mit Blick auf die Betriebsprüfung folgende Vereinbarung in nicht notarieller Form, die
sie auf den 19.12.2007 rückdatierten, angeblich in Ergänzung zum Notarvertrag (Urkundenrollen-Nr. 002 des Notars Dr. I):
"V L ist aufgrund des heutigen Vertrages bei Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe verpflichtet, die Firma L Bedachung
GmbH, N an J L gemäß den Vereinbarungen zurück zu übertragen.
Aus diesem Grund vereinbaren J und V L eine Stimmrechtsbindung bei Entscheidungen der Gesellschafterversammlungen der L Bedachung
GmbH, N. Die Stimmrechtsbindung beinhaltet eine vorherige Zustimmungseinholung von J L seitens V L hinsichtlich der in der
L Bedachung GmbH zu fassenden Gesellschafterbeschlüsse. V L kann somit keine Beschlüsse gegen den Willen von J L fassen.
Da J L die Geschäfte der GmbH leitet, ist dies zur Sicherstellung der Entscheidungsfindung nach dem Willen der Vertragsparteien
notwendig. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass bei Uneinigkeit oder Verstößen gegen die Stimmrechtsvereinbarung eine
Trennung erfolgen wird, welche zur Rückübertragung der Geschäftsanteile berechtigt."
Diese Stimmbindungsvereinbarung legte die Klägerin im Betriebsprüfungsverfahren vor.
Mit Schreiben vom 22.5.2015 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen
in Höhe von 69.131,89 EUR an. Die Klägerin habe im Prüfzeitraum ihren Geschäftsführer, den Beigeladenen zu 1), nicht zur Sozialversicherung
angemeldet, obgleich es sich bei diesem um einen abhängig Beschäftigten gehandelt habe. Er habe ab dem 17.12.2007 über keinen
Anteil am Stammkapital der Klägerin verfügt und keinen maßgebenden Einfluss auf deren Geschicke ausüben können. Ein solcher
sei auch nicht dadurch entstanden, dass der Beigeladene zu 1) mit seiner Ehefrau am 19.12.2007 einen Ehevertrag geschlossen
habe. Dieser regele zwar, dass die "Firma" im Falle von Trennung, Scheidung und Aufhebung der Ehe auf den Beigeladenen zu
1) zurück übertragen werde. Dieser Vertrag sei jedoch lediglich zivilrechtlicher Natur und erstrecke sich nicht auf das Gesellschaftsrecht.
Zudem erhöhe er nicht das Stimmrecht des Beigeladenen zu 1) im Rahmen des aktiven Gesellschaftsgeschäfts. Auch die notariell
nicht beglaubigte Stimmrechtsvollmacht als Ergänzung zum Notarvertrag vom 19.12.2007 habe keine Wirkung auf die sozialversicherungsrechtliche
Beurteilung seiner Stellung als Geschäftsführer ohne Geschäftsanteile der Klägerin. Ein unternehmerisches Risiko trage der
Geschäftsführer nicht, da er eine monatliche erfolgsunabhängige Vergütung erhalte. Auch die seinerzeitige Gewährung von Darlehen
und Bürgschaften ändere diese Bewertung nicht. Weitere arbeitnehmertypische Indizien seien die Weiterzahlung der Vergütung
für die Dauer von sechs Wochen im Falle einer Arbeitsunfähigkeit sowie ein Urlaubsanspruch von 30 Tagen. Die einschlägige
Branchenkenntnis des Beigeladenen zu 1) sei auch bei bestehenden engen familiären Bindungen nicht geeignet, auf eine selbständige
Tätigkeit schließen zu lassen.
Die Klägerin äußerte sich im Rahmen des Anhörungsverfahrens wie folgt: Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Geschäftsführer
der Klägerin sei nicht als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu qualifizieren. Die Rechtsprechung stelle nicht allein
auf die Frage der Rechtsmacht ab. Das BSG lasse in seiner Entscheidung vom 29.8.2012 gerade offen, ob - entsprechend der Rechtsprechung seines 11. Senats - atypische
Sonderfälle eine andere Bewertung zuließen (BSG, Urteil v. 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R). Die Gesamtschau der Kriterien des Vertragsverhältnisses zwischen dem Beigeladenen zu 1) und der Klägerin ergebe, dass Selbstständigkeit
vorliege. So sei der Beigeladene zu 1) als Geschäftsführer alleinvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des §
181 BGB befreit. Er hafte hinsichtlich betrieblich verwendeter Darlehen in Höhe von 258.202,04 EUR, die über Grundschulden gesichert
seien, einer Bürgschaft über 163.000,00 EUR sowie einer persönlichen Bürgschaft von weiteren 20.451,68 EUR. Zudem führe der
Beigeladene zu 1), der über überlegenes technisches und kaufmännisches Fachwissen verfüge, die Geschäfte in tatsächlicher
Hinsicht alleinbestimmt, entscheide allein hinsichtlich der Erschließung neuer Geschäftsfelder und über Investitionen zur
Anschaffung notwendiger Anlagegüter. Personalführungsaufgaben sowie die Einstellung oder Entlassung von Mitarbeitern und Auszubildenden
oblägen allein ihm. Er unterliege keinem Weisungsrecht, gestalte seine Arbeitszeit und den Zeitpunkt und Umfang seines Urlaubs
frei. Der Ehevertrag vom 19.12.2007, der die Ehefrau V L zu einer Rückübertragung verpflichte, sei nicht in die Bewertung
durch die Beklagte eingeflossen. Es bestehe zudem eine Stimmrechtsbindung dahingehend, dass keine Beschlüsse gegen den Willen
des Geschäftsführers gefasst werden könnten.
Mit Bescheid vom 9.7.2015 forderte die Beklagte von der Klägerin für den Prüfzeitraum vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2014 Sozialversicherungsbeiträge
in Höhe von insgesamt 69.131,89 EUR nach. Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 13.7.2015 Widerspruch. Sie begründete diesen damit, dass die Übertragung der Geschäftsanteile
an die Ehefrau des Beigeladenen zu 1) lediglich aus steuerlichen Motiven erfolgt sei. Die alleinige Verantwortung für die
Klägerin als auch das finanzielle Risiko sollten, wie durch die Stimmrechtsbindungsvereinbarung verdeutlicht, bei dem Beigeladenen
zu 1) als Geschäftsführer liegen. In der vorangegangenen Betriebsprüfung im Jahr 2010 sei es zudem nicht zu Beanstandungen
gekommen.
Ferner beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 30.7.2015 die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 9.7.2015. Dem
Antrag wurde mit Schreiben vom 14.8.2015 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens stattgegeben. Mit Widerspruchsbescheid
vom 7.10.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Am 23.10.2015 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Münster erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, der durch Beschluss des
SG Münster vom 30.6.2016 (S 4 R 761/15) und anschließend im Beschwerdeverfahren durch Beschluss des Senats vom 31.8.2016 (L 8 R 575/16 B ER) zurückgewiesen worden ist.
Die Klägerin hat daraufhin ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und im Klageverfahren
ergänzend vorgetragen, dass die Aufteilung zwischen Betriebs- und Besitzunternehmen nach dem Wiesbadener Modell erfolgt sei.
In dem bestehenden Gesamtunternehmen sei der Beigeladene zu 1) weiterhin selbständig, da im Rahmen eines Zerwürfnisses das
Betriebsunternehmen vom Besitzunternehmen abhängig sei. Zudem seien die Bestimmungen im Anstellungsvertrag kein Indiz für
oder gegen eine versicherungspflichtige Beschäftigung.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Beitragsbescheid vom 9.7.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7.10.2015 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Bescheide verwiesen.
Die mit Beschlüssen vom 24.1.2017 und 9.2.2017 am Verfahren beteiligten Beigeladenen zu 1) bis 4) haben keine Anträge gestellt.
Die Beigeladene zu 3) hat sich dem Vorbringen der Beklagten angeschlossen.
Das SG hat die Gerichtsakte des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens beigezogen und mit Urteil vom 4.10.2017 die Klage abgewiesen.
Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 8.11.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6.12.2017 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.
Zur Begründung trägt sie vor, dass es sich um eine Familiengesellschaft nach der steuerrechtlichen Konstruktion des sogenannten
Wiesbadener Models handle. Diese sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) entwickelt worden und nur unter Ehegatten
zulässig. Sie setze voraus, dass absolut gleichgerichtete wirtschaftliche und unternehmerische Interessen zwischen den Eheleuten
bestünden. Der Beigeladene zu 1) sei als Einzelperson Inhaber des Betriebsvermögens, die Ehefrau alleinige Eigentümerin der
Anteile an der GmbH als Betriebsgesellschaft. Die alleinige Führung der Betriebsgesellschaft erfolge durch den Beigeladenen
zu 1) als deren Geschäftsführer. Seine Ehefrau sei nicht zur Geschäftsführung befugt. Dies sei ihr auch bereits mangels eigener
Sachkenntnis nicht möglich. Vor diesem Hintergrund habe sie auch zu keiner Zeit Weisungen an den Beigeladenen zu 1) ausgesprochen.
Die angesprochenen gleichgerichteten Interessen der Eheleute würden ergänzend über die privatschriftliche Stimmbindungsvereinbarung
vom 19.12.2007, so lässt die Klägerin in Kenntnis deren Rückdatierung vortragen, und den Ehevertrag vom selben Tage dokumentiert.
Bis zu den Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 29.8.2012 sei es im Grundsatz so gewesen, dass der minderbeteiligte GmbH-Geschäftsführer in aller Regel abhängig beschäftigt
gewesen sei. Davon habe es eine wesentliche Ausnahme für Familiengesellschaften gegeben. Hier sei der Gesellschafter-Geschäftsführer
als Familienmitglied selbst dann als selbstständig angesehen worden, wenn er über eine Minderheitsbeteiligung oder gar eine
Null-Beteiligung verfügt habe. Dies sei jedenfalls so gewesen, wenn die familiären Beziehungen dazu geführt hätten, dass die
Geschäftsführertätigkeit überwiegend durch familiäre Rücksichtnahme geprägt und ein Direktionsrecht durch die Gesellschaft
nicht ausgeübt worden sei. Mit dieser Prämisse seien vor und nach 2012 Tausende von Familiengesellschaften nach dem Wiesbadener
Modell gegründet worden und zwar unter der Annahme, dass der nicht beteiligte Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft dort
nicht abhängig beschäftigt sei. Dieses Modell funktioniere mit seinen steuerlichen Vorteilen nur dann, wenn der Eigentümer
der Besitzgesellschaft an der Betriebsgesellschaft nicht beteiligt, aber deren Geschäftsführer sei. Die Klägerin sei 2008
gegründet worden. Zum damaligen Zeitpunkt und auch zu Beginn der jetzt in Rede stehenden Betriebsprüfungsperiode habe niemand
erahnen können, dass das BSG Ende August 2012 die gesamte sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Stellung des minderbeteiligten GmbH-Geschäftsführers in
einer Familiengesellschaft aufgeben und alles, was vorher rechtens gewesen sei, als "Schönwetter-Selbstständigkeit" diskreditieren
würde.
Der Klägerin sei insofern Vertrauensschutz zu gewähren. Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger hätten auf die neue
Rechtsprechung des BSG erst durch ein Gemeinsames Rundschreiben am 9.4.2014 reagiert und die Anlage 3 des Gemeinsamen Rundschreibens zur Statusfeststellung
von Erwerbstätigen vom 13.4.2010 angepasst. Dieses Rundschreiben habe sich noch bis weit in das Jahr 2014 hinein auf der Homepage
der Rentenversicherung befunden. Berater, die sich bis dahin an den Vorgaben des Rundschreibens von April 2010 orientiert
hätten, dürften jetzt mit Regressen ihrer Mandanten rechnen.
Soweit die Beklagte auf eine Entscheidung des BSG vom 18.12.2001 rekurriere, gehe es dort um einen nicht beteiligten Fremdgeschäftsführer einer GmbH, mithin nicht um den Geschäftsführer
einer Familiengesellschaft. Es gebe hingegen keine einzige höchstrichterliche Entscheidung vor August 2012, in welcher der
nicht beteiligte bzw. minderbeteiligte, den Gesellschaftern familiär verbundene Geschäftsführer einer Familien-GmbH als deren
abhängig Beschäftigter angesehen worden sei.
Ferner sei die Frage des Vertrauensschutzes bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Auch das BSG gehe davon aus, dass es sich noch nicht ausdrücklich zur Frage des Vertrauensschutzes im Hinblick auf die "geänderte Rechtsprechung
zur Bedeutung familiärer Rücksichtnahmen für die Statusbeteiligung von Minderheitsgesellschaftern eines Familienunternehmens"
geäußert habe (Hinweis auf BSG, Beschluss v. 28.2.2017, B 12 R 21/16 B, Rdnr. 13).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 4.10.2017 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 9.7.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7.10.2015 aufzuheben.
Die Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und verweist auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes.
Der Senat hat von der Klägerin den im Streitzeitraum geltenden Gesellschaftsvertrag sowie das Lohnkonto des Beigeladenen zu
1) für das Jahr 2014 und von der Beklagten die Einleitungsmitteilung der vorangegangenen Betriebsprüfung und das diesbezügliche
Protokoll der Schlussbesprechung angefordert.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Niederschrift der mündlichen
Verhandlung, und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat in Abwesenheit der Beigeladenen zu 2) bis 4) in der Sache verhandeln und entscheiden können, da er sie in ordnungsgemäßen
Terminmitteilungen auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.
Die am 6.12.2017 schriftlich eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihr am 8.11.2017 zugestellte Urteil des Sozialgerichtes
Münster vom 4.10.2017 ist zulässig, insbesondere ohne gerichtliche Zulassung statthaft (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz &61531;SGG&61533;) sowie form- und fristgerecht erhoben worden (§§
151 Abs.
1,
3,
64, 63
SGG).
Die Berufung der Klägerin ist indes nicht begründet. Das SG hat die für das Rechtsschutzbegehren (vgl. §
123 SGG) statthafte (§
54 Abs.
1 Satz 1 Altern. 1
SGG) und im Übrigen zulässige, insbesondere nach Maßgabe der §§
87 Abs.
1 Satz 1, Abs.
2,
90 SGG fristgerecht am 23.10.2015 erhobene Anfechtungsklage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 9.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7.10.2015 beschwert die Klägerin nicht im Sinne des §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG, weil er nicht rechtswidrig ist. Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht auf Nachentrichtung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen
wegen Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2014 herangezogen.
I. Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 28p Abs. 1 Satz 5
SGB IV. Nach dieser Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung die erforderlichen Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht
und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gegenüber den
Arbeitgebern.
II. Der angefochtene Verwaltungsakt ist formell rechtmäßig, insbesondere ist die Klägerin vor Erlass des sie belastenden Bescheides
unter dem 22.5.2015 ordnungsgemäß angehört worden (§ 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]).
III. Der Bescheid ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht auf Nachentrichtung
von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung wegen Beschäftigung des Beigeladenen
zu 1) heranbezogen [hierzu 1.]. Die Nacherhebung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum
31.12.2014 verletzt auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin [hierzu 2.].
1. Der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegen Personen, die gegen
Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI], § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Drittes Buch [SGB III]).
a) Der Beigeladene zu 1) ist in der Zeit vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2014 bei der Klägerin - auf die allein abzustellen ist
- gegen Entgelt (§
14 SGB IV) beschäftigt gewesen. Fehlen - wie im vorliegenden Fall - in Bindungswirkung erwachsene (§
77 SGG) behördliche Feststellungen zum sozialversicherungsrechtlichen Status in einer konkreten Auftragsbeziehung, beurteilt sich
das Vorliegen einer Beschäftigung nach §
7 Abs.
1 SGB IV.
aa) Beschäftigung ist gemäß §
7 Abs.
1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind
eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen
Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung
in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer,
Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich
bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen
Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und
Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild
der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr.; vgl. BSG, Urteil v. 14.3.2018, B 12 KR 13/17 R, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; Urteil v. 16.8.2017, B 12 KR 14/16 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 31; Urteil v. 31.3.2017, B 12 R 7/15 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 30; Urteil v.30.4.2013, B 12 KR 19/11 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 21; jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger
Tätigkeit vgl. BVerfG, Beschluss v. 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder
selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt,
in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar,
d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil v. 23.5.2017, B 12 KR 9/16 R, SozR 4-2400 § 26 Nr. 4).
Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom - wahren und wirksamen - Inhalt der zwischen den
Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Auf dieser Grundlage ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses
zum Typus der abhängigen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen,
ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil v. 24.3.2016, B 12 KR 20/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 29; Urteil v. 18.11.2015, a.a.O.; Urteil v. 29.7.2015, a.a.O.).
Diese Maßstäbe gelten auch für Geschäftsführer einer GmbH (BSG, Urteil v. 14.3.2018, a.a.O.; Urteil v. 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 28; Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 24), und zwar ungeachtet der konkreten Bezeichnung des der Geschäftsführertätigkeit zugrunde liegenden
Vertrags. Eine abhängige Beschäftigung von Geschäftsführern ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung
einer juristischen Person berufen sind, nicht als Arbeitnehmer gelten. Diese Regelung beschränkt sich auf das ArbGG und hat keine Bedeutung für das Sozialversicherungsrecht. Der Zugehörigkeit zu den Beschäftigten der juristischen Person
steht auch nicht entgegen, dass Geschäftsführer im Verhältnis zu sonstigen Arbeitnehmern Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen
(BSG, Urteil v. 14.3.2018, a.a.O.; Urteil v. 18.12.2001, B 12 KR 10/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 20).
Für die Statusbeurteilung eines GmbH-Geschäftsführer ist der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus
für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung
und selbstständiger Tätigkeit. Selbstständig ist nur derjenige Geschäftsführer, der über seine Gesellschafterstellung hinaus
die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu
können. Bei einem nicht am Stammkapital beteiligten Fremdgeschäftsführer scheidet demzufolge eine selbständige Tätigkeit generell
aus (BSG, Urteil v. 14.3.2018, a.a.O.; Urteil v. 18.12.2001, a.a.O.).
Da die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein muss,
sind außerhalb des Gesellschaftsvertrags bestehende Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten, wirtschaftliche Verflechtungen
(z.B. durch Darlehens- oder Bürgschaftsübernahmen) sowie tatsächliche Einflüsse kraft familiärer Verbundenheit oder überlegenen
Wissens ("Kopf und Seele") nicht zu berücksichtigen. Sie vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse
nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben, weil sie nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs-
und beitragsrechtlicher Tatbestände genügen (BSG, Urteil v. 14.3.2018, a.a.O. mit umfangreichen weiteren Nachweisen).
bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Beigeladene zu 1) im Streitzeitraum für die Klägerin im Rahmen eines abhängigen
Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden.
(1) Der Beigeladene zu 1) besaß im Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2014 keine im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht,
die ihn in die Lage versetzte, eine Einflussnahme auf seine Tätigkeit, insbesondere durch ihm unter Umständen unangenehme
Weisungen, jederzeit zu verhindern. Vielmehr unterlag er nach §§ 37 Abs. 1, 46 des Gesetzes über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) dem Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung der Klägerin. Ein maßgebender Einfluss auf diese war ihm verwehrt, da er
im Streitzeitraum über keine Anteile an deren Stammkapital mehr verfügte.
(a) Etwas anderes folgt zunächst nicht aus der angeblich vom 19.12.2007 datierenden Stimmrechtsvereinbarung. Diese hat in
Wahrheit im Streitzeitraum nicht bestanden, sondern ist - wie der Beigeladene zu 1) in der mündlichen Verhandlung eingeräumt
hat - als Ausfluss einer überaus gestaltungsfreudigen Steuerberatung erst im Zuge der streitbefangenen Betriebsprüfung konstruiert
und wahrheitswidrig rückdatiert worden. Die hierin beispielhaft zu Tage tretende Manipulationsanfälligkeit gesellschaftsrechtlicher
Sachverhalte belegt im Übrigen eindrucksvoll die Richtigkeit der Rechtsprechung des BSG, wonach außerhalb des (der notariellen Form bedürfenden) Gesellschaftsvertrages getroffene Stimmbindungsvereinbarungen die
sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung verschieben
können, u.a. weil sie nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände genügen
(vgl. BSG, Urteil v. 14.3.2018, a.a.O. Rdnr. 22 m.w.N.).
(b) Auch die im notariell beglaubigten Ehevertrag vom 19.12.2007 begründete Verpflichtung der Alleingesellschafterin der Klägerin
im Fall der Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe die Gesellschaftsanteile an ihren Ehemann oder einen von ihm bestimmten
Dritten unentgeltlich zu übertragen, ist unerheblich, da es sich einerseits nicht um eine durch Gesellschaftsvertrag zustande
gekommene Vereinbarung handelt und es anderseits nicht auf eine optionale Situation, sondern auf die im Streitzeitraum tatsächlich
verteilte Rechtsmacht ankommt (BSG, Urteil v. 14.3.2018, a.a.O., Rdnr. 23).
(c) Ob der Beigeladene zu 1) das Alltagsgeschäft allein gestalten konnte und die Klägerin aufgrund einer Darlehens- und Bürgschaftsübernahme
wirtschaftlich von ihm abhängig gewesen ist, ist angesichts der vom BSG entwickelten Abgrenzungskriterien nicht relevant. Mangels einer im Gesellschaftsrecht wurzelnden Rechtsmacht rechtfertigen
auch entsprechende wirtschaftliche Verflechtungen keine anderslautende Beurteilung (BSG, Urteil v. 14.3.2018, a.a.O., Rdnr. 22 m.w.N.; Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R, Rdnr. 27), zumal mit diesen weiterreichende statuarisch verankerte Einflussmöglichkeiten des Beigeladenen zu 1) auf die
Willensbildung der Klägerin nicht einhergegangen sind.
(d) Darüber hinaus weist auch der zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) geschlossene, frei vereinbarte DV maßgebliche
Gesichtspunkte einer abhängigen Beschäftigung auf. Zur Begründung nimmt der Senat insofern Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe
der angefochtenen Entscheidung, denen er sich nach eigener Prüfung und Meinungsbildung anschließt (§
153 Abs.
2 SGG). Ergänzend spricht für die Weisungsabhängigkeit des Beigeladenen zu 1) gegenüber der Alleingesellschafterin zudem, dass
er nach dem DV die Beschränkungen zu beachten hatte, die der Gesellschaftsvertrag dem Geschäftsführer auferlegte. Dieser wiederum
regelte ausdrücklich seine Verpflichtung, Weisungen der Gesellschafter zu befolgen (§ 5 Abs. 2 GesV).
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, die vertragliche Ausgestaltung aus steuerrechtlichen Gründen gewählt zu haben, geht
sie unzutreffend davon aus, es unterliege ihrer Disposition, die Wirkungen eines wirksamen Vertrages nach Maßgabe seiner Individualnützlichkeit
auf bestimmte Rechtsgebiete zu beschränken (vgl. dazu bereits: BSG, Urteil v. 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7). Gleich welche Motive der gewählten vertraglichen Ausgestaltung eines Unternehmens oder einer Tätigkeit
zugrunde liegen, haben die Beteiligten die hieran geknüpften zwingenden sozialversicherungs- und beitragsrechtlichen Folgen
hinzunehmen (BSG, Urteil v. 29.5.2015, B 12 R 1/15 R, juris Rdnr. 26). Maßgeblich bleibt zudem - auch unter Berücksichtigung des Vortrags zu dem gewählten Steuermodell - das
Vertragsverhältnis zu der Klägerin.
(2) Auf dieser vertraglichen Grundlage ist der Beigeladene zu 1) in der streitigen Zeit in einem für ihn fremden Betrieb,
nämlich dem der Klägerin tätig geworden. Alleinige Unternehmensträgerin war die als juristische Person des Privatrechts mit
eigener Rechtspersönlichkeit ausgestaltete GmbH selbst (vgl. § 13 Abs. 1 GmbHG). Diese ist von den als Gesellschaftern dahinterstehenden juristischen oder natürlichen Personen unabhängig (vgl. hierzu
nur BSGE 95, 275 = SozR 4-2600 § 2 Nr. 7, Rdnr. 21 m.w.N.) und von den verwandtschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen getrennt zu
betrachten (vgl. BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 17 Rdnr. 18).
(3) Hinzu kommt, dass nach dem Ergebnis der gerichtlichen Feststellungen für eine selbstständige Tätigkeit sprechende Gesichtspunkte
nicht in einem die Gesamtabwägung relevanten Umfang gegeben sind.
(a) Der Beigeladene zu 1) konnte seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei bestimmen. Hierbei kann der Senat unterstellen,
dass er als Geschäftsführer hinsichtlich der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit in erheblichem Umfang Freiräume nutzen
konnte und insoweit von der Gesellschafterversammlung unbeeinflusst agiert hat. Selbst wenn insoweit eine weitgehende tatsächliche
Lockerung der Weisungsdichte bestanden hat, ist eine solche bei Personen, die - wie Geschäftsführer einer GmbH - Dienste höherer
Art ausüben, weder ungewöhnlich noch für den sozialversicherungsrechtlichen Status beachtlich.
(b) Der Beigeladene zu 1) verfügte als Geschäftsführer über keine eigene Betriebsstätte, auf die er im Rahmen der hier streitigen
Auftragsbeziehung zurückgegriffen hat.
(c) Ein wesentliches unternehmerisches Risiko bestand für den Beigeladenen zu 1) im Rahmen der zu beurteilenden Auftragsbeziehungen
als Geschäftsführer der Klägerin gleichfalls nicht. Maßgebendes Kriterium für ein unternehmerisches Risiko ist nach den von
dem BSG entwickelten Grundsätzen (vgl. etwa BSG, Urteil v. 25.1.2011, B 12 KR 17/00 R, SozR 2001, 329, 331; BSG, Urteil v. 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R, juris, Rdnr. 27; BSG, Urteil v. 28.9.2011, B 12 R 17/09 R, USK 2011-125), der sich der Senat in seiner ständigen Rechtsprechung bereits angeschlossen hat (vgl. nur Senat, Urteil
v. 22.4.2015, L 8 R 680/12), ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlusts eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes
der sächlichen und persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf
eine selbständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim
Einsatz der eigenen Arbeitskraft (vgl. schon BSG SozR 2200 § 1227 Nr. 17 S. 37; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13 S. 36 m.w.N.; BSG Urteil v. 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R, juris Rdnr. 27; BSG, Urteil v. 28.9.2011, B 12 R 17/09 R, USK 2011-125, juris Rdnr. 25 f.) oder größere Verdienstmöglichkeiten gegenüberstehen (etwa BSG, Urteil v. 31.3.2015, B 12 KR 17/13 R, juris, Rdnr. 27).
(aa) Seine Arbeitskraft musste der beigeladene Geschäftsführer angesichts der anstellungsvertraglich vereinbarten Festvergütung
nicht mit der Gefahr des Verlustes einsetzen. Die Ausübung der Tätigkeit hat auch einen substanziell relevanten, mit einem
Verlustrisiko verbundenen Kapitaleinsatz nicht erfordert.
(bb) Die übernommene Bürgschaftsverpflichtung vermittelt ebenfalls kein unternehmerisches Risiko, sondern löste lediglich
ein etwaiges Haftungsrisiko des Beigeladenen zu 1) aus (BSG, Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R, juris; Senat, Urteil v. 20.4.2016, L 8 R 761/15). Demgegenüber gewährte zwar eine Darlehnsübernahme noch einen gewissen Einfluss in wirtschaftlicher Hinsicht, allerdings
schafft sie typischerweise keine unternehmerische Position im eigentlichen Sinne, denn dadurch erhöhen sich nicht die rechtlichen
Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft (BSG, Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R, juris; Senat, Urteil v. 20.4.2016, L 8 R 761/15).
(cc) Soweit (erfolgsabhängige) Tantiemen vereinbart wurden, kommt diesen grundsätzlich schon deshalb kein wesentliches Gewicht
im Rahmen der Gesamtabwägung zu, weil die Gewährung von Tantiemen auch an Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich ist (vgl. BSG, Urteil v. 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R, mwN, juris).
(d) Soweit die Klägerin auf die Befreiung von den Beschränkungen des §
181 BGB verweist, ist dieser Umstand jedenfalls bei Geschäftsführern kleiner Gesellschaften ungeachtet ihres sozialversicherungsrechtlichen
Status nicht untypisch (vgl. BSG, Urteil v. 6.3.2003, B 11 AL 25/02 R; BSG, Urteil v. 4.7.2007, B 11a AL 5/06 R, a.a.O.; Senat, Urteil v. 17.10.2012, a.a.O.; Senat, Urteil v. 18.6.2014, L 8 R 5/13, juris). Vergleichbares gilt für die gewährte Alleinvertretungsbefugnis.
(3) In der gebotenen Gesamtabwägung aller für und gegen die Annahme einer abhängigen Beschäftigung sprechenden Merkmale entsprechend
ihrem Gewicht überwiegen zur Überzeugung des Senats im Gesamtbild die für die Annahme einer Beschäftigung des Beigeladenen
zu 1) sprechenden Indizien deutlich.
cc) Tatbestände, die eine Versicherungsfreiheit in den allein streitigen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung und nach
dem Recht der Arbeitsförderung begründen, sind nicht gegeben.
b) Die Höhe der geltend gemachten Beitragsnachforderung ist nicht zu beanstanden. Dahingehende Einwände hat die Klägerin auch
nicht geltend gemacht. Bemessungsgrundlage für die Höhe der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung ist das beitragspflichtige
Arbeitsentgelt (§
168 SGB VI, §
342 SGB III). Arbeitsentgelt sind nach §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus der Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht,
unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang
mit ihr erzielt werden. Die Beklagte hat bei der Ermittlung des beitragspflichtigen Entgelts die den Lohnkonten der Jahre
2010 bis 2014 zu entnehmenden Entgelte zugrunde gelegt.
c) Die streitige Beitragsforderung ist auch nicht verjährt. Nach §
25 Abs.
1 Satz 1
SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Beiträge,
die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, werden spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des
Monats, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden
ist oder als ausgeübt gilt (§
23 Abs.
1 Satz 2
SGB IV).
aa) Die wegen der Beschäftigung des beigeladenen Geschäftsführers für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2014 nacherhobenen
Pflichtbeiträge sind bereits nach Maßgabe des §
25 Abs.
1 Satz 1
SGB IV nicht verjährt. Die Verjährung der insoweit fällig gewordenen Pflichtbeiträge ist vor dem 31.12.2015, dem Zeitpunkt des Ablaufs
der Regelverjährungsfrist für die im Jahr 2011 entstandenen Beiträge, aufgrund des bekanntgegebenen Bescheides vom 9.7.2015
nach § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X gehemmt worden.
bb) Auch die für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2010 nacherhobenen Beiträge sind nicht verjährt, da der Lauf der
Verjährungsfrist wirksam gehemmt war. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten
die Vorschriften des
BGB entsprechend (§
25 Abs.
2 Satz 1
SGB IV). Die Verjährung ist vorbehaltlich des §
25 Abs.
2 Satz 3
SGB IV für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber gehemmt (§
25 Abs.
2 Satz 2 Halbs. 1
SGB IV).
(1) Die Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Prüfung beim Arbeitgeber oder bei der vom Arbeitgeber mit der Lohn- und
Gehaltsabrechnung beauftragten Stelle. Nach §
25 Abs.
2 Satz 4
SGB IV endet die Hemmung grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheides (§ 28p Abs.
1 Satz 5
SGB IV, § 37 Abs. 2 SGB X), spätestens aber sechs Kalendermonate nach Abschluss der Prüfung. Den Abschluss der Prüfung markiert zwar grundsätzlich
das sog. Schlussgespräch, das die Funktion einer Anhörung i.S.d. § 24 SGB X hat. Erfolgt eine Anhörung allerdings - wie vorliegend auch - auf schriftlichem Wege, endet die Hemmung mit der Beendigung
des Anhörungsverfahrens (vgl. Segebrecht in: jurisPK-
SGB IV, 3. Aufl. 2016, §
25 SGB IV, Rdnr. 57).
Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird entsprechend §
209 BGB in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Die Hemmung beginnt mit dem Tag, an dem sich der Hemmungstatbestand verwirklicht
hat, und endet mit dem Tag, an dem er weggefallen ist bzw. mit dem Tag, der ausdrücklich im Gesetz bezeichnet wird. Dabei
werden der Tag, an dem der Hemmungsgrund entsteht, der Tag, an dem er entfällt, und die Tage dazwischen nicht in die Verjährung
eingerechnet, die um 0 Uhr des folgenden Tages weiterläuft (Oberlandesgericht [OLG] Köln, Urteil v. 10.06.2008, 9 U 144/07, juris, Rn. 47).
Vorliegend begann die Arbeitgeberprüfung - nach dem Inhalt der von der Klägerin nicht bestrittenen Hinweise im angefochtenen
Bescheid - am 12.5.2014 und endete mit dem Ende des Anhörungsverfahrens am 23.6.2015. Der Lauf der restlichen Verjährungsfrist
von mehr als sieben Monaten ist mithin erst wieder am 24.6.2015 in Gang gesetzt worden. Der Betriebsprüfungsbescheid galt
indes bereits drei Tage nach Aufgabe des Bescheides vom 9.7.2015 zur Post als bekanntgegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X).
(2) Anhaltpunkte dafür, dass die Prüfung i.S.d. §
25 Abs.
2 Satz 3
SGB IV unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen worden ist, die die prüfende
Stelle zu vertreten hat, bestehen nicht.
2. Die Nacherhebung von Pflichtbeiträgen für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2014 verletzt auch kein schutzwürdiges
Vertrauen der Klägerin.
a) Ein der Beitragsnacherhebung entgegenstehendes schutzwürdiges Vertrauen hat zunächst weder die Abschlussmitteilung der
vorangegangenen Betriebsprüfung vom 22.10.2010 (Prüfzeitraum 12/2005 bis 12/2009) noch die unvollständig vorgelegte Einleitungsmitteilung
einer Betriebsprüfung (Bl. 34 der Verwaltungsakte) erzeugt.
Nach der gesicherten Rechtsprechung des BSG vermitteln durchgeführte Betriebsprüfungen keine Entlastungswirkung (vgl. z.B. BSG, Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 1/04 R, BSGE 93, 119 = SozR 4-2400 § 22 Nr. 2, Rdnr. 35 ff. und B 12 KR 7/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 1 Rdnr. 37 ff.; eingehend zur Relevanz von Betriebsprüfungen auch in Kleinbetrieben BSG, Urteil v. 30.10.2013, B 12 AL 2/11 R, BSGE 115, 1, SozR 4-2400 § 27 Nr. 5, Rdnr. 24 ff.). Hiernach hat das BSG sich nicht nur in sog. Beitragserstattungsfällen (hierzu BSG, Urteil v. 29.7.2003, B 12 AL 1/02 R, SozR 4-2400 § 27 Nr. 1; BSG, Urteil v. 29.7.2003, B 12 AL 3/03 R, AuB 2003, 341), sondern insbesondere auch in sog. Beitragsnachforderungsfällen (hierzu BSG, Urteil v. 30.11.1978, 12 RK 6/76, BSGE 47, 194, SozR 2200 § 1399 Nr. 11; BSG, Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 10/02 R, SozR 4-5375 § 2 Nr. 1, Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 7/04 R, SozR 4-2400 § 22 Nr. 1) mit den "Rechtsfolgen" von Betriebsprüfungen befasst, bei denen es zunächst keine Beanstandungen
gab, sich später allerdings herausstellte, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht von Mitarbeitern des geprüften Arbeitgebers
schon im Prüfungszeitraum unrichtig beurteilt wurde, dieses aber im Rahmen der Betriebsprüfung nicht aufgefallen war. Nach
den von dem BSG entwickelten Maßstäben können Arbeitgeber (und Arbeitnehmer) aus solchen Betriebsprüfungen keine weitergehenden Rechte herleiten,
weil Betriebsprüfungen unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten nur den
Zweck haben, die Beitragsentrichtung zu einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern (etwa BSG, Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 1/04 R, BSGE 93, 119, SozR 4-2400 § 22 Nr. 2, Rdnr. 36 [Nachforderungsfall]; BSG, Urteil v. 29.7.2003, B 12 AL 1/02 R, SozR 4-2400 § 27 Nr. 1 Rdnr. 20 [Erstattungsfall]). Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt Betriebsprüfungen
nicht zu und kann ihnen auch deshalb nicht zukommen, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend oder erschöpfend zu sein braucht
und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken darf (BSG, Urteil v. 29.7.2003, B 12 AL 1/02 R, SozR 4-2400 § 27 Nr. 1 Rdnr. 19 ff.). Betriebsprüfungen sowie das Ergebnis der Prüfung festhaltende Abschlussmitteilungen
der Versicherungsträger bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm etwa - mit
Außenwirkung - "Entlastung" zu erteilen. Eine materielle Bindungswirkung kann sich lediglich dann und auch nur insoweit ergeben,
als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht (und Beitragshöhe) im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume
durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden (BSG, Urteil v. 29.7.2003, B 12 AL 1/02 R, SozR 4-2400 § 27 Nr. 1 Rdnr. 20; zum Ganzen auch BSG, Beschluss v. 17.3.2017, B 12 R 44/16 B, juris, Rdnr. 20 ff.).
Dass eine diesen Anforderungen genügende personenbezogene Feststellung zur fehlenden Versicherungspflicht des Beigeladenen
zu 1) bekanntgegeben wurde, ist nach dem Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens nicht festzustellen. Vielmehr lässt sich dem
Inhalt der Abschlussmitteilung vom 22.2.2010 aus objektiver Empfängerperspektive (§
133 BGB entsprechend) - im Gegenteil - ohne weiteres entnehmen, dass lediglich das Ergebnis einer auf Stichproben beschränkten Betriebsprüfung
offenbart wurde. Etwas anderes folgt auch nicht aus der nur unvollständig vorgelegten Einleitungsmitteilung zu einer Betriebsprüfung.
Zwar werden dort von der Klägerin Anstellungsverträge für Geschäftsführer und der Gesellschaftsvertrag angefordert. Allerdings
bezieht sich die Mitteilung nicht auf eine Betriebsprüfung vor dem hiesigen Streitzeitraum. Anderenfalls ist nicht erklärlich,
weshalb die Beklagte darin auf eine Gesetzesänderung im Jahr 2015 Bezug nehmen kann ("Seit dem Jahr 2015 verlangt das Gesetz,
dass die Künstlersozialabgabe Gegenstand jeder Betriebsprüfung ist [§ 28p Abs. 1a und 1b SGB IV].").
b) Der Vortrag der Klägerin, sie habe schutzwürdig darauf vertrauen dürfen, dass der Beigeladene zu 1) nach den von der Rechtsprechung
entwickelten Grundsätzen zur Beurteilung der Versicherungspflicht von Geschäftsführern in einer Familiengesellschaft als selbstständig
zu beurteilen gewesen und die Beklagte aus diesem Grund an einer Nacherhebung von Pflichtbeiträgen gehindert sei, greift ebenfalls
nicht durch.
aa) Nach den von dem BSG bereits entwickelten Grundsätzen kann aus Gründen des Vertrauensschutzes eine zum Nachteil eines Arbeitgebers geänderte höchstrichterliche
Rechtsprechung grundsätzlich nicht rückwirkend zu dessen Lasten angewendet werden, wenn dieser aufgrund einer "neuen" Rechtsprechung
nunmehr Beiträge auf bestimmte Arbeitnehmerbezüge abzuführen hat, die noch nach der zuvor maßgebend gewesenen Rechtsprechung
beitragsfrei waren (hierzu im Einzelnen BSG, Urteil v. 18.11.1980, 12 RK 59/79, BSGE 51, 31, 36 ff. und Leitsatz 1, SozR 2200 § 1399 Nr. 13). Allerdings endet der Vertrauensschutz eines Arbeitgebers, wenn er von der
Einzugsstelle über die geänderte Rechtsprechung unterrichtet wird. Bereits vorher endet der Vertrauensschutz, wenn er die
geänderte Rechtsprechung und ihre Folgen für seine Beitragspflicht schon vor der Unterrichtung kannte oder wenn er nach den
Umständen des Falles Anlass hatte, insoweit bestehende Zweifel von sich aus zu klären (BSG, Urteil v. 18.11.1980, a.a.O., Leitsatz 2).
Da höchstrichterliche Rechtsprechung kein Gesetzesrecht ist, erzeugt sie keine vergleichbare Rechtsbindung und kann nicht
ohne weiteres schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage begründen (BVerfG, Beschluss v. 25.4.2015, 1 BvR 2314/12, NJW 2015, 1867). Allerdings kann es im Ausnahmefall der aus Art.
20 Abs.
3 Grundgesetz (
GG) hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes erfordern, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand
erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen
im Einzelfall Rechnung zu tragen (hierzu im Einzelnen BSG, Urteil v. 16.12.2015, B 12 R 11/14 R, SozR 4-2400 § 28p Nr. 6; BVerfG, Beschluss v. 25.4.2015, a.a.O.; vgl. dazu auch Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil v.
19.6.2012, 9 AZR 652/10, juris Rdnr. 27 m.w.N.; BAG, Urteil v. 13.3.2013, 5 AZR 242/12, USK 2013-119; BAG, Urteil v. 18.4.2007, 4 AZR 652/05, BAGE 122, 74; BAG, Urteil v. 22.10.2008, 4 AZR 793/07, BAGE 128, 185; Senat, Urteil v. 27.6.2018, L 8 R 884/17; Senat, Urteil v. 9.5.2018. L 8 R 400/17).
bb) Der Senat interpretiert die Entscheidungen des BSG vom 29.8.2012 (B 12 KR 25/10 R und B 12 R 14/10 R) nicht als geänderte Rechtsprechung in diesem Sinne, aufgrund derer eine gefestigte Rechtsprechung zur Versicherungspflicht
bzw. -freiheit von Geschäftsführern innerhalb einer Familiengesellschaft maßgeblich geändert worden ist.
(1) Vielmehr hat das BSG in diesen Entscheidungen in Kontinuität mit der bereits zuvor gefestigten Rechtsprechung zunächst bekräftigt, dass bei der
Frage, ob eine "Beschäftigung" vorliegt, an das Vertragsverhältnis der Beteiligten anzuknüpfen sei, so wie es im Rahmen des
rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen werde. Ausgangspunkt sei das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich
aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergebe oder aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lasse. Eine im Widerspruch
zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die
tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehe der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung
rechtlich möglich sei. Umgekehrt gelte, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich sei, solange diese Rechtsposition
nicht wirksam abbedungen sei. In diesem Sinne gelte, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag gäben, wenn sie von
Vereinbarungen abwichen. Maßgeblich sei die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert werde, und die praktizierte Beziehung
so, wie sie rechtlich zulässig sei (BSG, Urteil v. 29.8.2012, B 12 R 14/10 R, juris, Rdnr. 16). Diese Abgrenzungsmaßstäbe waren nicht neu, sondern hatten sich bereits im Sinne einer gesicherten Rechtsprechung
zuvor gebildet (etwa BSG, Urteil v. 11.3.2009, B 12 KR 21/07 R, USK 2009-25; BSG, Urteil v. 29.9.2011, B 12 R 17/09 R, USK 2011, 125 = juris, Rdnr. 17).
(2) Soweit das BSG in den Entscheidungen vom 29.8.2012 präzisierend für den Fall einer GmbH als Familienbetrieb eine sozialversicherungsrechtlich
relevante faktische Weisungsfreiheit wegen einer familiären Verbundenheit verneint hat (BSG, Urteil v. 29.8.2012, B 12 R 14/10 R, juris, Rdnr. 26 ff.), hat es die zuvor im Leistungsrecht der Arbeitslosen- und Unfallversicherung (etwa BSG, Urteil v. 11.2.1993, 7 RAr 48/92, USK 9347; Urteil v. 8.12.1987, 7 RAr 25/86, USK 87170; Urteil v. 14.12.1999, B 2 U 48/98 R, USK 9975) in Einzelfällen erwogene Versicherungsfreiheit von Geschäftsführern, die faktisch die Geschäfte der Gesellschaft
wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken geführt haben und führen konnten, weil sie "Kopf und Seele" des Geschäfts waren
oder ihnen aufgrund familiärer Verbundenheit Weisungen nicht erteilt wurden, für den Bereich des Beitragsrechts für nicht
anwendbar erachtet (noch offen gelassen in: BSG, Urteil v. 18.12.2001, B 12 KR 10/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 20, Rdnr. 20, bereits im Bereich der mitarbeitenden [Allein- und Minderheits-]Gesellschafter auf das
Rechtsmachtargument abstellend: BSG, Urteil v. 17.5.2001, B 12 KR 34/00 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 17; BSG, Urteil v. 23.6.1994, 12 RK 72/92; BSG, Urteil v. 25.1.2006, B 12 KR 30/04 R, USK 2006-8, Rdnr. 23), ohne damit die zitierte Rechtsprechung zu "ändern" oder auch nur in ihrem Kern anzugreifen. Andernfalls
hätte der 12. Senat des BSG im Übrigen mit Sicherheit auch Anfrage bei den genannten anderen Senaten gemäß §
41 Abs.
3 Satz 1
SGG gehalten, auf die im vorliegenden Fall indessen verzichtet worden ist.
(3) Eine höchstrichterliche Rechtsprechung in dem von der Klägerin interpretierten Sinne, wonach Fremdgeschäftsführer generell
und allein wegen einer familiären Verbundenheit mit anderen Gesellschaftern als selbstständig anzusehen waren, hatte sich
zuvor nicht gebildet. Eine - sogar "jahrzehntelange" - Rechtsprechung des BSG in diesem Sinne gab es nicht.
Die Anerkennung einer Selbstständigkeit bei einem Geschäftsführer, sei es mit oder ohne Kapitalbeteiligung, wegen familiärer
Verbundenheit bildete vielmehr bereits im Vorfeld der Entscheidungen des BSG vom 29.8.2012 nicht etwa den Regelfall, sondern beruhte im Sinne eines atypischen Sachverhalts stets auf besonderen Umständen
des jeweiligen Einzelfalles. Die Möglichkeit einer Selbstständigkeit war immer an das Erfordernis einer besonderen Rücksichtnahme
aufgrund familiärer Bindungen geknüpft und stand unter der im Einzelfall zu beweisenden Prämisse, dass das Tätigwerden innerhalb
der Gesellschaft durch eine besondere Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen geprägt war (BSG, Urteil v. 29.8.2012, B 12 R 14/10 R, Rdnr. 27 mit umfangreichen Nachweisen der vorangegangenen Rechtsprechung). So ist (für das Leistungsrecht) auch der 11.
Senat davon ausgegangen, dass für einen Fremdgeschäftsführer einer Familiengesellschaft, der mit den Gesellschaftern familiär
verbunden ist, eine Ausnahme von der Beschäftigtenstellung in Betracht kommen kann, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber
die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter
daran hinderten (BSG, Urteil v. 30.1.1990, 11 RAr 47/88, SozR 3-2400 § 7 Nr. 1 = BSGE 66, 168 unter Hinweis auf BSG, Urteil v. 8.12.1987, 7 RAr 25/86). Auch danach waren für die ausnahmsweise anzuerkennende Selbstständigkeit des Geschäftsführers neben seiner familiären Verbundenheit
weitere strenge Anforderungen erforderlich: So musste der Geschäftsführer die Geschäfte der Gesellschaft tatsächlich wie ein
Alleingesellschafter nach ausschließlich eigenem Ermessen geführt und seitens der Gesellschafter auch tatsächlich völlig freie
Hand gehabt haben. Auch der 7. Senat des BSG hatte in seiner früheren Rechtsprechung betont, dass familiäre Bindungen im Einzelfall dazu führen könnten, dass die Tätigkeit
eines Geschäftsführers überwiegend durch familiäre Rücksichtnahme geprägt werde und es an der Ausübung einer Direktion durch
die Gesellschafter völlig mangele (Urteil v. 8.12.1987, 7 RAr 25/86, USK 87170 = juris, Rdnr. 31). Der Hinweis, wonach "im Einzelfall" familiäre Bindungen eine Selbstständigkeit begründen konnten,
macht deutlich, dass die Annahme der fehlenden Versicherungsfreiheit gerade nicht den Regelfall bildete, sondern eine Ausnahme
beschrieb.
cc) Dass angesichts dessen die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) im Streitzeitraum auf der Grundlage der seinerzeit maßgeblichen
höchstrichterlichen Rechtsprechung mit einem Maß an Sicherheit als selbstständig zu beurteilen war, das geeignet war, schützenswertes
Vertrauen der Klägerin zu begründen, ist nicht anzunehmen.
(1) Der Beigeladene zu 1) hatte als Fremdgeschäftsführer keinerlei Rechtsmacht, Weisungen der Alleingesellschafterin, seiner
Ehefrau, an ihn zu verhindern. Diese Situation hatte er selbst durch Übertragung der Geschäftsanteile auf seine Ehefrau herbeigeführt.
Gesellschaftsvertraglich war in § 5 Abs. 2 GesV seine Verpflichtung geregelt, die Weisungen der Gesellschafter und damit letztlich
der Alleingesellschafterin zu befolgen. Diese sich aus dem GesV ergebende Beschränkung für den Geschäftsführer wurde sodann
- wie oben bereits dargestellt - in den mit der Klägerin geschlossenen Dienstvertrag aufgenommen.
(2) Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die auf diese Weise gesellschafts- und anstellungsvertraglich geregelten Verhältnisse
derart von familiärer Rücksichtnahme seitens der Ehefrau des Beigeladenen zu 1) überlagert wurden, dass aufgrund dessen eine
vollständige Weisungsfreiheit des Beigeladenen zu 1) gewährleistet war. Hiergegen spricht schon, dass die Klägerin es für
erforderlich gehalten hat, die vermeintliche Weisungsfreiheit des Beigeladenen zu 1) im Verwaltungs- und Klageverfahren maßgeblich
auf den Aspekt einer zwischen den Eheleuten in Wahrheit nicht geschlossenen Stimmbindungsvereinbarung sowie den tatsächlich
geschlossenen Ehevertrag zu stützen. Ebenso in der Widerspruchs- wie in der Klagebegründung ist auf dieses sorgsam begründete
vertragliche Konstrukt abgehoben worden, kraft dessen die Ehefrau des Beigeladenen zu 1) angeblich maßgebend aus Rechtsgründen
an der Erteilung ihm nicht genehmer Weisungen in der Gesellschafterversammlung gehindert war. So hat die Klägerin beispielhaft
im Schriftsatz vom 18.11.2015 formulieren lassen, der Beigeladene zu 1) habe die "Rechtsmacht" gehabt, "seine Ehefrau jederzeit
zu entmachten, sollte sie gegen seinen Willen gestalterisch in der GmbH tätig werden". Hätte zwischen den Eheleuten tatsächlich
ein ausschlaggebend durch familiäre Rücksichtnahme geprägtes Vertrauensverhältnis bestanden, hätte es dieses, auf Täuschung
der Beklagten und des SG angelegten Vortrages nicht bedurft.
(3) Angesichts dessen war die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung zugunsten einer selbstständigen Tätigkeit jedenfalls
mit derartigen Unsicherheiten behaftet, dass sich die Klägerin zur Begründung schutzwürdigen Vertrauens hätte veranlasst sehen
müssen, eine konkret-individuell regelnde Statusentscheidung durch einen Sozialversicherungsträger herbeizuführen. Hierzu
hat der Gesetzgeber verschiedene Klärungsmöglichkeiten eröffnet. So kann die Einzugsstelle im Verfahren nach §
28h Abs.
2 SGB IV ebenso verbindlich über den sozialversicherungsrechtlichen Status entscheiden wie ein prüfender Rentenversicherungsträger
in dem Verfahren nach § 28p
SGB IV. Zudem hat der Gesetzgeber ein entsprechendes Anfrageverfahren bei der Clearingstelle nach §
7a Abs.
1 SGB IV ermöglicht.
(4) Die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens zur Begründung schutzwürdigen Vertrauens war auch nicht etwa deshalb
entbehrlich, weil sich bereits aus dem Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes v. 13.4.2010 eine Selbstbindung der Beklagten
für die Klägerin dahingehend ersehen ließ, dass in Vertragsgestaltungen wie der vorliegenden der als Fremdgeschäftsführer
fungierende Ehepartner einer Alleingesellschafterin stets als selbstständig einzustufen wäre. Demgegenüber wird in dem genannten
Rundschreiben in Anlage 3, welche sich zu der versicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern, Fremdgeschäftsführern
und mitarbeitenden Gesellschaftern einer GmbH verhält, gerade betont, dass bei Geschäftsführern, die nicht am Stammkapital
der GmbH beteiligt sind (sog. Fremdgeschäftsführer) nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich ein abhängiges und damit sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Lediglich "ausnahmsweise"
könne in Fällen einer Familien-GmbH oder in Gesellschaften, in denen familienhafte Bindungen zu Mehrheitsgesellschaftern bestehen,
die Verhältnisse dafür sprechen, dass für einen Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis
vorliege. Bei der Mitarbeit in einer Familien-GmbH könne die Geschäftsführertätigkeit mehr durch familienhafte Rücksichtnahmen
und ein gleichberechtigtes Nebeneinander als durch einen für ein Arbeitnehmer-Arbeitgeberverhältnis typischen Interessengegensatz
gekennzeichnet sein. Die familiäre Verbundenheit könne hierbei ein Gefühl erhöhter Verantwortung füreinander schaffen und
einen Einklang der Interessen bewirken. Insoweit könne es an der für eine Beschäftigung unabdingbaren Voraussetzung der persönlichen
Abhängigkeit fehlen, sodass der Geschäftsführer nicht für ein fremdes, sondern im "eigenen" Unternehmen weisungsfrei und somit
selbstständig tätig werde (so Anlage 3 v. 13.4.2010, S. 2). Flankiert wurde die Anlage 3 durch eine sog. Entscheidungshilfe
zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH, Geschäftsführern einer Familien-GmbH,
Fremdgeschäftsführern einer GmbH und mitarbeitenden Gesellschaftern einer GmbH (Anhang 1) und eine umfangreichen Rechtsprechungsübersicht
(Anhang 2), die einen Kurzabriss zu 34 höchstrichterlichen Entscheidungen verschiedener Senate des BSG zu diesen Themenkomplexen mit ihren jeweiligen unterschiedlichen Nuancierungen gab. Sowohl die Bezeichnung als "Entscheidungshilfe"
als auch die Zusammenstellung verschiedener Entscheidungen zeigt nochmals, dass es im Rahmen dieser Thematik auch aus der
Sicht des Spitzenverbandes nicht die eine - richtige und eindeutige - Statusentscheidung geben konnte, sondern es sich stets
um eine Beurteilung im Einzelfall handelte.
Zur Herbeiführung einer regelnden Entscheidung hätte nach Überzeugung des Senats auch deshalb Veranlassung bestanden, weil
der für den Versicherungs- und Beitragsbereich zuständige Senat des BSG in der - vor Dezember 2007 ergangenen - Entscheidung vom 18.12.2001 (B 12 KR 10/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 20), bereits ausdrücklich offen gelassen hat, ob der Rechtsprechung des 7. Senats, wonach Geschäftsführer
dann nicht versicherungspflichtig sind, wenn die Gesellschafter dem Geschäftsführer bei seiner Tätigkeit völlig freie Hand
gelassen haben, für den Beitragsbereich zu folgen ist (a.a.O. Rdnr. 20).
Der Senat geht davon aus, dass ein begründeter Vertrauenstatbestand, den der Beitragsschuldner einer im Wege einer Betriebsprüfung
(§ 28p Abs. 1
SGB IV) geltend gemachten Beitragsnachforderung entgegenhalten kann, regelmäßig nicht in Betracht kommt, wenn die vom Gesetzgeber
eröffneten Möglichkeiten, eine konkret-individuelle Verwaltungsentscheidung zum sozialversicherungsrechtlichen Status des
Auftragnehmers herbeizuführen, nicht in Anspruch genommen werden. Für eine dahingehende Beurteilung spricht zunächst, dass
der Gesetzgeber für die - hier zu beurteilende - Frage der Statusbeurteilung in größerem Umfang Instrumente zur verbindlichen
rechtlichen Klärung statuiert hat, als dieses beispielsweise der Fall ist, wenn über die Beitragspflicht einzelner Entgeltbestandteile
Streit herrscht.
Der Senat hat die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Aspekt des
Vertrauensschutzes auf die höchstrichterliche "Kopf und Seele"-Rechtsprechung im Bereich einer im Wege einer Betriebsprüfung
geltend gemachten Beitragsnacherhebung entgegen gehalten werden kann, bedarf einer revisionsgerichtlichen Klärung.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 3, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz und entspricht der Höhe der streitbefangenen Beitragsforderung.