Vertragsarztangelegenheiten
Streit um die Genehmigung einer Zweigpraxis (hier: Fachgebiet Kardiologie)
Prüfung einer quantitativen Versorgungsverbesserung
Bessere Erreichbarkeit der Zweigpraxis für die Versicherten aus dem Einzugsbereich des geplanten Standorts
Ermittlungsdefizit im Hinblick auf den "weiteren Ort" i.S.d. § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Ärzte-ZV
Bestimmung des "weiteren Ortes"
Tatbestand
Streitig ist die Genehmigung einer Zweigpraxis.
Die Klägerin ist ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) der F-Krankenhaus GmbH mit Sitz in F. Dieses Krankenhaus verfügt
über einen weiteren Standort in F1, H-straße 3 (Haus C).
Mit Schreiben vom 06.08.2010 und Formularantrag vom 21.09.2010 beantragte die Klägerin die Genehmigung einer Zweigpraxis in
der H-straße. Die Entfernung zwischen dem Vertragsarztsitz und der beantragten Zweigpraxis betrage 6,4 km, die Erreichbarkeit
sei innerhalb von 15 - 20 Minuten gegeben. In der Zweigpraxis solle der angestellte Arzt Dr. X S, Facharzt für Innere Medizin
mit Schwerpunkt Kardiologie, tätig werden. Das komplette Spektrum der nicht-invasiven Kardiologie (EKG, Echo, Belastungs-EKG,
LZ-RR, LZ-EKG, Schrittmacherkontrollen, Duplex Gefäße, Labor sowie Stress-Echo) solle erbracht werden. Die Sprechstundenzeiten
wären montags und dienstags von 09:00 - 12:00 Uhr sowie donnerstags von 09:00 - 13:00 Uhr. Der Antrag rechtfertige sich aus
den besonderen Verhältnissen im F Norden, der durch ein deutliches Defizit im Leistungsangebot auf dem Fachgebiet der Inneren
Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie geprägt sei. Südlich der Autobahn A 40, die durch das F Zentrum verlaufe, lebten etwa
190.000 Einwohner, auf die rechnerisch insgesamt neun Vertragsarztsitze kämen, während auf etwa 390.000 Einwohner nördlich
der Autobahn rechnerisch kein einziger Vertragsarzt entfiele. Im Bereich des F Nordens, bei dessen Bevölkerung insbesondere
die für die Kardiologie relevanten Erkrankungen aufträten, seien deswegen auch Ermächtigungen von Krankenhausärzten zur Teilnahme
an der kardiologischen Versorgung erteilt worden. Im Patientenkreis wurde zunehmend bemängelt, dass für kardiologische Patienten
in F mit Wartezeiten von ca. vier Monaten gerechnet werden müsse (Notfälle ausgenommen). Weiter werde beanstandet, dass wohnortnah
eine kardiologische Behandlung nicht mehr möglich sei. Bei ihr bestünden derzeit Wartezeiten bei der Terminvergabe im Umfang
von ca. fünf Monaten für elektive Behandlungen. Hierin seien jedoch auch die Patienten des F Nordens enthalten, die dann in
der Zweigpraxis versorgt werden könnten.
Mit Bescheid vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Der
Planungsbereich F sei bei einem Versorgungsgrad von 168,7 % für die weitere Zulassung von fachärztlich tätigen Internisten
gesperrt. Es seien derzeit 11 Fachärzte für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie in F zugelassen. Die kardiologischen
Praxen in F verfügten über freie Kapazitäten und die von der Klägerin beantragten Leistungen würden im Planungsbereich von
den dort niedergelassenen Ärzten sowie einer 6,3 km vom beantragten Zweigpraxisstandort entfernten kardiologischen Zweigpraxis
von Herrn U im F Norden ausreichend sichergestellt. Es bestünden optimale umsteigefreie Anbindungen aus dem F Norden mit den
öffentlichen Verkehrsmitteln der Linien 101, 107 und 111, die einen direkten Zugang zu mehr als fünf Kardiologen böten. Laut
Auskunft des Obmannes seien die Wartezeiten bei den niedergelassenen Kardiologen auf unter einen Monat reduziert worden, im
letzten Quartal habe es noch geringe Wartezeiten gegeben. Notfälle seien umgehend untersucht und behandelt worden. Somit könne
eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten in F durch die Tätigkeit des Angestellten der Klägerin in einer Zweigpraxis
nicht festgestellt werden. Unabhängig von der Frage einer möglichen Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Versorgung der Versicherten
am Ort des Vertragsarztsitzes lägen damit die Voraussetzungen nach § 24 Abs. 3 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) nicht vor.
Zur Begründung ihrer hiergegen am 14.06.2011 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, es gehe nicht darum, "mehr" Versorgungsmöglichkeiten
zu generieren, sondern lediglich darum, den Patienten den Zugang zur Versorgung zu erleichtern. Es sei unverständlich, wenn
ganze Regionen ohne kardiologische Versorgung verblieben und nur über öffentliche Verkehrsmittel mit einem Zeitaufwand von
deutlich über einer halben Stunde aufgesucht werden könnten. Die bereits genehmigte Zweigpraxis U - in der jedenfalls keine
spürbaren Leistungen erbracht würden - sei im Übrigen für die Versorgung des Raumes, für den die Klägerin die Filialgenehmigung
begehre, nicht weiter von Bedeutung. Geplant sei, dass die Leistungen am Ort der Zweigpraxis von Herrn Dr. N L und/oder Herrn
Dr. K L erbracht würden.
Die Klägerin hat beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 06.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2011 die Beklagte zu verpflichten,
ihr eine Zweigpraxisgenehmigung für den Standort H-straße 3 in F2 zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es fehle bereits an einer qualitativen Versorgungsverbesserung. In F seien aktuell 11 Kardiologen vertragsärztlich tätig,
die alle, wie die Klägerin, das gesamte Spektrum der nicht-invasiven Kardiologie anböten. Die Zweigpraxis verfüge weder über
eine besondere Ausstattung oder spezielle Ausrichtung, noch solle mit ihr das Sprechstundenangebot etwa im Abendbereich oder
an den Wochenenden erweitert werden. Auch könne durch die projektierte Zweigpraxis nicht dazu beigetragen, etwaige Wartezeiten
zu verkürzen. Nach Angabe der Klägerin bestünden bei ihr selbst für planbare Behandlungen Wartezeiten von ca. fünf Monaten.
Damit sei es ihr offensichtlich nicht möglich, weitere Patienten aufzunehmen. Eine signifikante Verkürzung der Wegezeit für
Patienten aus dem F Norden lasse sich nicht feststellen. Die Zweigpraxis sei nur 8 km vom Sitz der Klägerin entfernt. Sowohl
mit dem Pkw als auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei dieser Weg den Versicherten zumutbar. Mit dem Pkw benötige man 14
Minuten zwischen den Praxen, aus Altenessen acht Minuten zur Zweigpraxis statt 15 Minuten zum MVZ. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln
betrage die Fahrzeit von Altenessen-Mitte ca. 11 - 14 Minuten zu niedergelassenen Kardiologen, aus Borbeck 16 - 23 Minuten
bzw. einmal stündlich sieben Minuten, vom L 00 Minuten, einmal stündlich 11 Minuten. Angesichts der erheblichen Wartezeiten
am MVZ-Sitz sei zu befürchten, das sich bei Einrichtung der Zweigpraxis in Bergeborbeck das Angebot am MVZ-Sitz verschlechtere.
In der Zweigpraxis von Herrn U würden kardiologische Leistungen im Umfang von etwa 500 Fällen pro Quartal abgerechnet.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat mit Urteil vom 19.02.2014 die Beklagte verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Genehmigung einer Zweigpraxis
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes erneut zu entscheiden, und die Klage im übrigen abgewiesen. Eine Verbesserung
der Versorgung i. S. v. § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV könne im Einzelfall auch im Falle besserer Erreichbarkeit der Zweigpraxis vorliegen. Es komme darauf an, ob sich an dem "weiteren
Ort" für die dort lebenden Versicherten der Zugang zur vertragsärztlichen Versorgung dadurch verbessere, dass sich die für
das Aufsuchen einer in Frage kommenden Praxis benötigte Zeit durch eine Verkürzung der Wege bzw. eine bessere Verkehrsanbindung
signifikant verringere. Ein solcher Ausnahmefall liege vor. In den nördlichen Stadtbezirken IV (Stadtteile: Schönebeck, Bedingrade,
Frintrop, Dellwig, Gerschede, Borbeck-Mitte, Bochold, Bergeborbeck) und V (Stadtteile: Altenessen, Karnap, Vogelheim) sei
kein einziger Kardiologe niedergelassen. Damit seien fast 95.000 Einwohner ohne kardiologische Versorgung im Nahbereich. Die
Zweigpraxis U berührt diese Stadtbezirke allenfalls am Rande und diene primär der Versorgung der Stadtbezirke VI (Stadtteile:
Schonnebeck, Stoppenberg, Katernberg) und VII (Stadtteile: Steele, Kray, Freisenbruch, Horst, Leithe). Die vertragsärztliche
Versorgung solle grundsätzlich möglichst flächendeckend sichergestellt werden. Es handele sich bei den von der Klägerin in
der geplanten Zweigpraxis angebotenen Leistungen der nicht-invasiven Kardiologie auch nicht um solche hochspezialisierten
Leistungen, die nur vereinzelt nachgefragt würden und bei denen den Versicherten längere Wegstrecken von 25 km oder mehr zugemutet
werden könnten. Demgemäß komme es auf eine scharfe Abgrenzung nach Kilometern (Wegstrecke) oder (Fahrtzeit) für die Beurteilung,
inwieweit den Versicherten Reisen zur Hauptpraxis zumutbar seien oder nicht, nicht entscheidend an. Die Existenz einer kardiologischen
Zweigpraxis in den F Stadtbezirken IV und V bedeute jedenfalls mehr als nur minimale, für die Versicherten kaum spürbare ("kosmetische")
Veränderungen und entspreche auch dem beabsichtigten Zweck einer Förderung der Filialtätigkeit. Daraus folge jedoch kein Anspruch
auf Erteilung der Genehmigung, sondern lediglich auf Neubescheidung. Die Beklagte habe keine Prüfung vorgenommen, ob durch
eine Zweigpraxis der Klägerin die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort ihres Vertragsarztsitzes beeinträchtigt
werde oder nicht.
Gegen das ihr am 31.03.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.04.2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie
im Wesentlichen aus, das SG habe unberücksichtigt gelassen, dass es nach dem Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06.02.2013 - B 6 KA 38/12 B - im Ausnahmefall "ggf." zulässig sein könne, für Vororte von Großstädten Zweigpraxisgenehmigungen unter dem Aspekt "bessere
Erreichbarkeit" zu erteilen. Maßgebend seien die Faktoren "Zeit", "Weg", "Verkehrsanbindung" sowie die "Signifikanz einer
etwaigen Versorgungsverbesserung". Die Auffassung des SG, dass es auf eine scharfe Abgrenzung nach Kilometern oder Minuten nicht ankomme, weil es sich nicht um hochspezialisierte
Leistungen handele, stehe nicht im Einklang mit den Vorgaben des BSG. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Fachgebiet Kardiologie - anders als etwa die hausärztliche Versorgung - nicht auf
eine kontinuierliche Patientenbetreuung angelegt sei. Diese Fachärzte gehörten der sog. spezialisierten fachärztlichen Versorgung
(§ 13 Bedarfsplanungsrichtlinie) an. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe zum 01.01.2013 zur Sicherstellung der flächendeckenden
Versorgung neue regionale Planungsbereiche festgelegt und insbesondere bei der spezialisierten fachärztlichen Versorgung den
erweiterten Planungsbereich "Raumordnungsregion" (hier: Duisburg/F) geschaffen. Insoweit bestätige der GBA, dass den Versicherten
bei spezialisierten Leistungen längere Wege zumutbar seien als etwa bei Basisleistungen hausärztlicher Versorger. Vorliegend
gehe es auch nicht um Entfernungen von 25 km und mehr. Nach der Rechtsprechung anderer Sozialgerichte und Kammern des SG Düsseldorf
trete eine Versorgungsverbesserung nicht ein, wenn sich die beabsichtigte Zweigpraxis - wie vorliegend - in unmittelbarer
Nähe zum Vertragsarztsitz befinde (SG Marburg, Beschluss vom 20.04.2011 - S 12 KA 268/11 ER - und Urteil vom 10.02.2010 - S 12 KA 824/09 -; SG Düsseldorf, Urteil vom 25.08.2010 - S 14 KA 141/09 -). Die zentral gelegenen kardiologischen Praxen auf der S Straße, B-Straße, S1 Straße und N-Straße seien auch nur 5,3 -
8,1 km entfernt. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin nicht um einen Versorger mit freien Kapazitäten
handele, sondern nach eigenen Angaben Wartezeiten für planbare Behandlungen von fünf Monaten bestünden. Die für die Zweigpraxis
geplanten Sprechzeiten überschnitten sich mit den aktuellen kardiologischen Sprechzeiten am MVZ-Sitz. Eine weitere Verschlechterung
des Angebots am MVZ-Sitz könne nicht hingenommen werden. Die F-Krankenhaus GmbH betreibe am projektierten Standort das Geriatrie-Zentrum
Haus C. Nun solle ihr ermöglicht werden, die eigenen geriatrischen Patienten in der Klinik zusätzlich ambulant zu betreuen.
Eine verbesserte Erreichbarkeit für eigene Patienten begründe jedoch keine Versorgungsverbesserung im rechtlichen Sinn.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 19.02.2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie trägt vor, es zeige den erheblichen Leidensdruck im F Norden, wenn in der Zweigpraxis U selbst in den beschränkt genehmigten
Öffnungszeiten inzwischen 500 Fälle pro Quartal abgerechnet würden. Dies sei mit einer etwas unterdurchschnittlichen Praxis
vergleichbar. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Zweigpraxis U im F Nord-Osten liege und erheblich von der geplanten Filiale
der Klägerin im Nord-Westen entfernt liege. Der Nord-Westen sei mit etwa fünf Stadtteilen rund um das Mittelzentrum Borbeck
vollständig unversorgt. In F seien auch nicht nur die Vororte unversorgt sondern auch das Zentrum. Lediglich im Süden stünden
Praxen zur Verfügung. Denn raumplanungsrechtlich werde der Stadtteil S nicht zum F Zentrum gerechnet. Der Beurteilungsspielraum
sei jedenfalls dann verletzt, wenn die Beklagte - wie hier - schlicht die Zahl der Patienten ignoriere, die durch die Zweigpraxis
versorgt werden könnten. Die vom SG zugrunde gelegte Zahl von 100.000 Patienten sei sogar zu niedrig gegriffen, da auch die Stadtbezirke VI und VII betroffen
seien. Soweit die Beklagte erstmalig behaupte, die Klägerin sei ausgelastet und nicht in der Lage, ihr Versorgungsangebot
vor Ort bei Filialeröffnung sicher zu stellen, so sei nicht beabsichtigt, Patienten zusätzlich zu akquirieren, sondern nur
den Patienten, die ohnehin zur Klägerin anreisten, einen verbesserten Zugang zur Versorgung zu gewähren. Im Übrigen sei es
grotesk, wenn die Beklagte die angespannte Lage der Klägerin anführe. Diese sei doch deutlicher Beleg für die Notwendigkeit
der weiteren Versorgung im F Norden, sofern die Hausärzte nicht gezwungen werden sollten, "prästationäre Diagnostik" in stationären
Einrichtungen in Anspruch zu nehmen. Es werde auf den Terminsbericht des BSG zur mündlichen Verhandlung vom 16.12.2015 - B 6 KA 37/14 R - hingewiesen. Ausweislich der Begründung genügten auch geringe Versorgungsverbesserungen. Hier liege die Patientenzahl extrem
viel höher als im vom BSG beurteilten Fall. Die Erteilung der Genehmigung sei zwingend. Ein Beurteilungsspielraum bestehe nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge
der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere gemäß §§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist insofern begründet, als das SG angenommen hat, die projektierte Zweigpraxis führe zu einer Verbesserung der Versorgung i.S.v. § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV und sich die Verweigerung der Genehmigung deswegen als rechtswidrig erweise. Statt dessen hätte das SG den Bescheid aufheben müssen, weil die Beklagten diesen auf einen nicht ausreichend ermittelten Sachverhalt gestützt hat.
Die Ermittlungen sind nachzuholen. Die Klägerin ist sodann neu zu bescheiden.
I. Durch die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung verstößt der Senat nicht gegen das gemäß §
202 SGG i.V.m. §
536 Zivilprozessordnung (
ZPO) auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Verbot der reformatio in peius. Dieses Verbot besagt, dass der Berufungskläger
nicht schlechter gestellt werden darf, als ihn das mit der Berufung angegriffene Urteil gestellt hat, es sei denn, der Berufungsbeklagte
oder ein anderer Beteiligter hätte ebenfalls Rechtsmittel eingelegt (BSG, Urteil vom 09.03.1994 - 6 RKa 12/92 -). Das Gericht darf daher ungünstigstenfalls die Klage bzw. das Rechtsmittel zurückweisen, nicht aber die angefochtene Entscheidung
zum Nachteil des (Rechtsmittel-) Klägers ändern, sofern nicht diese Entscheidung auch von der Gegenseite oder einem beteiligten
Dritten mit entgegengesetzter Begehrensrichtung angefochten worden ist (BSG, Urteil vom 22.05.1985 - 1 RA 31/84 -). Vorliegend wird dem Begehren der Beklagten durch das Berufungsurteil teilweise stattgegeben und das erstinstanzliche
Urteil zu ihrem Vorteil abgeändert. Das SG hatte die Beklagte durch seine Entscheidung in ihrem Beurteilungsspielraum dahingehend gebunden, dass eine Verbesserung der
Versorgung i.S.v. § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV am geplanten Standort der Zweigpraxis gegeben sei. Damit hätte die Beklagte lediglich noch zu beurteilen, ob durch die Zweigpraxis
die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes beeinträchtigt wird. Durch das Berufungsurteil
wird die partielle Bejahung der Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV aufgehoben. Gemäß dem Untersuchungsgrundsatz aus § 20 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) obliegt es der Beklagten, fehlende Sachverhaltsermittlungen nachzuholen und diese bei der neuerlichen Beurteilung hinsichtlich
eines quantitativen Versorgungsdefizits zu berücksichtigen. Insoweit schränkt die "Zurückverweisung" des Verfahrens auch nicht
ihren Beurteilungsspielraum ein, sondern dient dazu, diesen Spielraum hinsichtlich der Feststellung und Bewertung aller entscheidungserheblichen
Tatsachen zu gewährleisten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 05.11.2008 - B 6 KA 10/08 R -).
II. Die Beklagte hat den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Subsumtion unter den Begriff "Verbesserung der Versorgung"
nicht in gebotener Weise ausgefüllt. Aber auch die Feststellungen des SG hierzu sind unzutreffend.
Rechtsgrundlage für die Genehmigung von Zweigpraxen ist § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 Ärzte-ZV. Nach dieser Regelung, die ihre gesetzliche Grundlage in §
98 Abs.
2 Nr.
13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) hat, sind vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten zulässig, wenn und soweit (1.)
dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und (2.) die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten
am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird; geringfügige Beeinträchtigungen für die Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes
sind unbeachtlich, wenn sie durch die Verbesserung der Versorgung an dem weiteren Ort aufgewogen werden.
Bei der Prüfung beider kumulativer Voraussetzungen steht der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu, so dass die Entscheidung
insoweit nur einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (BSG, Urteile vom 09.02.2011 - B 6 KA 3/10 R - für Nr. 1 und - B 6 KA 7/10 R - für Nr. 2; Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.11.2013 - L 24 KA 63/12 -). Der Senat hat daher nur zu überprüfen, ob die Beklagte die erforderlichen Tatsachenermittlungen angestellt hat und die
gezogenen Schlussfolgerungen vertretbar sind. Denn die zur Entscheidung berufene KV hat eine Vielzahl von Versorgungs- und
regionalstrukturellen Aspekten zu berücksichtigen und in ihrem Zusammenspiel zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Es
handelt sich letztlich um eine wertende Entscheidung unter Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte darüber, welche Vor- und
Nachteile der beabsichtigten Versorgung durch die Zweigpraxis ausschlaggebend sind. Dabei muss die Beklagte ihr Beurteilungsergebnis
jedoch auf ausreichend fundierte Ermittlungen gründen. Bei der Frage, wie weit sie ihre Ermittlungen erstreckt, hat sie keinen
Beurteilungsspielraum. Denn der Umfang ihrer Ermittlungen ist durch § 21 Sozialgesetzbuch SGB X vorgegeben; die Ermittlung des Sachverhalts muss das nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maß ausschöpfen, d.h. so
weit gehen, wie sich weitere Ermittlungen als erforderlich aufdrängen (§ 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X; Senat, Urteil vom 23.12.2015 - L 11 KA 104/14 -).
Was unter einer "Verbesserung der Versorgung" im Sinne von § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Ärzte-ZV zu verstehen ist und welche Gesichtspunkte in den Abwägungsprozess einzubeziehen sind, hat das BSG wiederholt dargelegt: Das bloße Hinzutreten eines weiteren Behandlers - ungeachtet der damit verbundenen Erweiterung der
Möglichkeiten der Arztwahl - stellt noch keine Verbesserung der Versorgung dar (BSG, Urteile vom 09.02.2011 - B 6 KA 3/10 R - und vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R -). Gesichtspunkte der Bedarfsplanung im Sinne der Bedarfsplanungsrichtlinie spielen keine Rolle. Bei der Prüfung einer Versorgungsverbesserung
ist - anders als bei der Bedarfsplanung - nicht auf den Planungsbereich abzustellen, sondern auf den "weiteren Ort", an dem
die Zweigpraxis betrieben werden soll (BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R -). Darauf, dass der Planungsbereich gesperrt und die vorhandenen kardiologischen Praxen in diesem Bereich freie Kapazitäten
haben, darf die Beklagte daher nicht abstellen.
Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass das bestehende Leistungsangebot an dem "weiteren Ort", an dem die Zweigpraxis
betrieben werden soll, zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer - unter bestimmten Umständen aber auch in quantitativer
- Hinsicht erweitert wird (BSG, Urteile vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R - und vom 09.02.2011 - B 6 KA 49/09 R, B 6 KA 3/10 R und B 6 KA 7/10 R -). Eine qualitative Versorgungsverbesserung, die etwa gegeben sein kann, wenn der in der Zweigpraxis tätige Vertragsarzt
im Vergleich zu den bereits vor Ort tätigen Ärzten über andere qualifikationsgebundene Genehmigungen nach §
135 Abs.
2 SGB V verfügt, ein differenzierteres Leistungsspektrum anbietet oder besondere Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden anwenden
kann (vgl. dazu BSG, Urteil vom 09.02.2011 - B 6 KA 3/10 R - m.w.N.), steht hier nicht im Raum.
Eine lediglich quantitative Erweiterung des bestehenden Versorgungsangebots kann sich unter gewissen Umständen ebenfalls als
Verbesserung der Versorgung im Sinne des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV darstellen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn durch das erhöhte Leistungsangebot Wartezeiten verringert werden,
die - etwa wegen einer ungleichmäßigen Verteilung der Leistungserbringer im Planungsbereich - bei den bereits vor Ort niedergelassenen
Ärzten bestehen. Als Versorgungsverbesserung können auch besondere organisatorische Maßnahmen angesehen werden, wie etwa das
Angebot von Abend- und Wochenendsprechstunden. Im Einzelfall - allerdings wohl nur bei größeren "weiteren Orten" im Sinne
des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV - kann dies auch im Falle einer besseren Erreichbarkeit des Filialarztes gelten. (BSG, Urteile vom 09.02.2011 - B 6 KA 3/10 R - und vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R -). Im vorliegenden Fall könnte sich eine Verbesserung allenfalls aus einer besseren Erreichbarkeit der Zweigpraxis für die
Versicherten aus dem Einzugsbereich des geplanten Standorts ergeben.
Räumlicher Bezugspunkt für eine Verbesserung der Versorgung ist dabei der "weitere Ort" im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Ärzte-ZV. Diesen hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden nicht näher bezeichnet. Es bleibt damit völlig offen, im Hinblick
auf welchen örtlichen Bereich sie ihre Prüfung, ob eine Verbesserung der Versorgung eintritt, bezogen hat. Die Bestimmung
des "weiteren Orts" ist aber Voraussetzung, um prüfen zu können, ob sich die Versorgung dort verbessert. Insoweit besteht
ein Ermittlungsdefizit.
Bei der Prüfung einer Versorgungsverbesserung ist auf den "weiteren Ort" abzustellen, an dem die Zweigpraxis betreiben werden
soll. Dieser ist damit einerseits enger als der Planungsbereich im Sinne der Bedarfsplanung (BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R -), andererseits jedoch räumlich weiter als der Sitz der Zweigpraxis. Einem Verständnis als Anschrift der Zweigpraxis steht
schon entgegen, dass es der Feststellung bedarf, dass die Versorgung "an dem Ort" verbessert wird. Auch das BSG hat im Zusammenhang mit einer denkbaren quantitativen Versorgungsverbesserung durch eine bessere Erreichbarkeit der Zweigpraxis
ausgeführt, dass dies "allerdings wohl nur bei größeren 'weiteren Orten' im Sinne des § 24 Abs 3 Ärzte-ZV" in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R -) und damit erkennbar nicht auf den "Sitz" der Zweigpraxis im Sinne der konkreten Betriebsstätte abgestellt.
Der "weitere Ort" bezeichnet also ein größeres Gebiet. Dies ist allerdings nicht ohne weiteres durch Stadtteilgrenzen - wie
vom SG unterstellt - zu bestimmen. Denn der Zugang der Versicherten zur Versorgung wird - insbesondere in einem dicht besiedelten
Raum wie dem Ruhrgebiet, in dem selbst Stadtgrenzen stellenweise in durchgehender Bebauung nur an Ortsschildern zu erkennen
sind - nicht durch politisch festgelegte Gemeindegrenzen bestimmt. Maßgeblich müssen somit die individuellen Verhältnisse
vor Ort sein, weil diese den Zugang der Versicherten zur Versorgung bzw. die Erreichbarkeit der Arztpraxen bestimmen. So hat
auch das BSG in seien Urteil vom 05.06.2013 - B 6 KA 29/12 R - auf den "Einzugsbereich" der geplanten Zweigpraxis abgestellt.
Die Beklagte wird zu ermitteln haben, was der Einzugsbereich der geplanten Zweigpraxis ist. Dieser wird weder durch den Planungsbereich
noch zwangsläufig durch Stadtgrenzen definiert. Eine gute Erreichbarkeit des Orts der geplanten Zweigpraxis aus anderen Gemeinden
- sei es mit dem PKW oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln - kann den Einzugsbereich erweitern und umgekehrt eine schlechte
Erreichbarkeit den Einzugsbereich der Praxis schmälern. Die Beklagte wird daher auch zu ermitteln haben, ob sich der Einzugsbereich
über die Stadtgrenze und das Gebiet ihrer Zuständigkeit hinaus erstreckt, indem sie die Erreichbarkeit aus angrenzenden Stadtgebieten
ermittelt.
Nach der Feststellung des Einzugsbereichs wird die Beklagte weiter zu ermitteln haben, ob sich durch die Zweigpraxis die Versorgung
an dem so näher definierten "weiteren Ort" verbessert. Dabei kommt es auf die Entfernung zwischen den Praxen als solche nicht
an, sondern auf die Erreichbarkeit der Zweigpraxis und der vorhandenen Praxen aus dem Einzugsgebiet. Zwar hat die Beklagte
die Erreichbarkeit vorhandener, südlich gelegener Praxen und der geplanten Zweigpraxis von verschiedenen Punkten zumindest
grob ermittelt und diese als zumutbar gewertet. Ohne Definition dessen, welcher Einzugsbereich hier überhaupt betroffen ist,
und Einbeziehung von ggf. in anderer Himmelsrichtung gelegenen Praxen reichen diese Ermittlungen jedoch nicht aus.
Den Vortrag der Klägerin, dass nicht beabsichtigt sei, "Patienten zusätzlich zu akquirieren, sondern nur den Patienten, die
ohnehin zur Klägerin anreisten, einen verbesserten Zugang zur Versorgung zu gewähren", versteht der Senat im Zusammenspiel
mit ihrer übrigen Argumentation nicht dahingehend, dass nur eigene Patienten am geplanten Zweigpraxisstandort versorgt werden
sollen, sondern sie insgesamt die Versorgung der Patienten im von ihr angeführten "F Norden" verbessern will. Andernfalls
wäre die Zweigpraxis nicht genehmigungsfähig. Denn die Frage der Versorgungsverbesserung ist nicht für die spezielle Patientenschaft
einer Praxis zu beurteilen, sondern abstrakt bezogen auf die im Einzugsbereich lebenden Versicherten als solche (BSG, Urteil vom 05.06.2013 - B 6 KA 29/12 R -; Beschluss vom 06.02.2013 - B 6 KA 38/12 B -).
Die Beklagte wird u.a. insbesondere die Frage zu beantworten haben, wie sich die Versorgung in angrenzenden Gemeinden (auch
außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs) darstellt. Denn eine auf dem Gebiet einer anderen Gemeinde gelegene, aber aus dem
Einzugsbereich der geplanten Zweigpraxis gut erreichbare kardiologische Praxis könnte die Versorgung der Versicherten am "weiteren
Ort" so beeinflussen, dass hier eine relevante Verbesserung durch die geplante Zweigpraxis nicht mehr eintreten würde.
Welches Ausmaß die Verbesserungen haben müssen, unterfällt letztlich dem Beurteilungsspielraum der Beklagten. Dabei darf sie
die Anforderungen nicht so hoch spannen, dass der beabsichtigte Zweck einer Förderung der Filialtätigkeit verfehlt würde;
dies wäre der Fall, wenn die an eine Zweigpraxisgenehmigung gestellten Anforderungen denen der "Erforderlichkeit" nach altem
Rechtszustand entsprächen. Jedenfalls im Fall der hier fraglichen quantitativen Versorgungsverbesserung reichen auch minimale,
für die Versicherten kaum spürbare ("kosmetische") Veränderungen, nicht aus (BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R -). Nicht jede Verringerung der Wegstrecke ist ausreichend, sondern diese muss "signifikant" sein. Denn die Annahme einer
quantitativen Versorgungsverbesserung muss die Ausnahme sein (BSG, Beschluss vom 06.02.2013 - B 6 KA 38/12 B -).
Ebenso ungeklärt ist die Frage, welche Auswirkungen die Eröffnung der Zweigpraxis auf die Versorgung am MVZ-Sitz hätte. Die
Beklagte wird insbesondere zu ermitteln haben, ob das Angebot an Sprechzeiten am Sitz des MVZ beeinträchtigt würde.
Die Ergebnisse der zuvor beschriebenen Ermittlungen hat die Beklagte umfassend abzuwägen. Sie wird daher unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats erneut über den Antrag der Klägerin zu entscheiden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 SGG).