Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt häusliche Krankenpflege in einem Umfang von 24 Stunden täglich.
Die 1925 geborene Antragstellerin leidet u.a. an organisch affektiven Störungen, einem leichten kognitiven Defizit, beginnender
Demenz, Dysphagie, Makuladegeneration, Blindheit beider Augen, Nephropathie, Polyneuropathie, Diabetes mellitus Typ 2, Polymyalgia
rheumatica, Hypertonie, spastischer Hemiparese, Koronararterienerkrankung, Herzinsuffizienz und peripherer arterieller Verschlusskrankheit
(Bericht der LWL-Klinik N vom 16.05.2012). Sie wird mittels perkutaner endoskopischer Gastrostomie (PEG) ernährt; sie erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III.
Die Antragsgegnerin übernahm zunächst für die Zeit vom 01.07.2011 bis 31.12.2011 die Kosten für eine Intensivpflege der Antragstellerin
i.H. einer Monatspauschale von 21.672,00 EUR.
Bei ihrer nachfolgenden Überprüfung gelangte die Antragsgegnerin aufgrund der Gutachten der Ärztin Dr. S vom Medizinischen
Dienst der Krankenkassen (MDK) vom 17.01.2012 und derer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 07.02.2012 zu dem Schluss, dass
die Voraussetzungen für eine medizinische Notwendigkeit der 24-stündigen Intensivpflege nicht mehr vorlägen. Während ihrer
Ermittlungen verlängerte die Beklagte ihre Kostenzusage zunächst bis zum 15.02.20102 und nachfolgend bis zum 31.03.2012; für
die Zeit ab 01.04.2012 erklärte sie sich zur Übernahme von behandlungspflegerischen Einzelleistungen nach Maßgabe der Richtlinie
des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (Häusliche Krankenpflege-Richtlinie) auf
entsprechende ärztliche Verordnung bereit (Bescheid vom 06.02.2012, Schreiben vom 12.03.2012).
Am 09.02.2012 hat die Antragstellerin das Sozialgericht (SG) Münster angerufen und sinngemäß schriftsätzlich beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die 24stündige häusliche Intensivkrankenpflege über
den 15.02.2012 hinaus zu bewilligen.
Die Anlage einer PEG-Sonde sei entgegen den Ausführungen des MDK nicht ausreichend, um einer Aspirationsgefahr zu entgehen; allein eine 24-Stunden-Intensivpflege
gewährleiste im Notfall eine sofortige Intervention.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 14.03.2012 abgelehnt: Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf häusliche Krankenpflege
für die Dauer von täglich 24 Stunden. Sie sei keinem Wachkoma- bzw. Dauerbeatmungspatienten vergleichbar. Auch unter verfassungsrechtlichen
Gesichtspunkten ergebe sich kein Anspruch der Antragstellerin. Zwar bestehe latent stets die Gefahr eines Refluxes der Sondenkost,
der auch zu einem Notarzteinsatz führen könne. Dies begründe aber keine Notwenigkeit einer 24-stündigen Krankenbeobachtung.
Mit ihrer gegen den am 14.03.2012 zugestellten Beschluss am 30.03.2012 eingelegten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin
ihr Begehren weiter.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin
Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend zu Recht
abgelehnt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage gemäß §
153 Abs.
2 i.V.m. §
142 Abs.
2 Satz 2
SGG Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses und führt ergänzend aus:
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist §
86b Abs.
2 SGG (Regelungsanordnung). Danach kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen,
wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts eines Antragstellers
vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§
86b Abs.
2 Satz 1
SGG). Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung
dafür ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz begehrt wird) und
eines Anordnungsgrundes (Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, wenn ein Abwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache
nicht zuzumuten ist). Dabei stehen sich Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert gegenüber, vielmehr besteht
zwischen ihnen eine funktionelle Wechselbeziehung dergestalt, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender
Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Eingriffs (Anordnungsgrund) zu verringern sind oder umgekehrt; dabei dürfen keine
zu hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Eilverfahren gestellt werden, die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel
zu orientieren, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 29.07.2003
- 2 BvR 311/03 - und vom 19.03.2004 - 1 BvR 131/04 -). Ist dagegen dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand
einer Folgenabwägung unter umfassender Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange aller Beteiligter zu entscheiden (BVerfG,
Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -; Senat, Beschluss vom 16.05.2011 - L 11 KA 132/10 B ER - und 23.12.2010 - L 11 KA 54/10 B ER -, Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage, §
86b Rdn. 27 f m.w.N.).
Vorliegend besteht schon kein Anordnungsanspruch, denn dem Begehren der Antragstellerin ist nach der gebotenen summarischen
Prüfung in der Hauptsache kein Erfolg zuzumessen. Die Antragsgegnerin hat nämlich zu Recht eine weitere Kostenübernahme für
häusliche Krankenpflege in einem Umfang von 24 Stunden täglich abgelehnt.
Streitgegenstand ist allein die Behandlungspflege in Form der Krankenbeobachtung durch Pflegekräfte. Die Kosten der im Rahmen
der häuslichen Krankenpflege zu erbringenden behandlungspflegerischen Einzelleistungen zu übernehmen, hat sich die Beklagte
nämlich bereit erklärt.
Nach §
37 Abs.
2 Satz 1 HS. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung
des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Der krankenversicherungsrechtliche
Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei
häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung. Zur Behandlungssicherungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur
durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und
dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu
lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder
auch von Laien erbracht werden (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 10.11.2005 - B 3 KR 38/04 R - m.w.N.). Die Beobachtung eines Versicherten durch eine medizinische Fachkraft wird grundsätzlich auch von dem Anspruch
auf Behandlungssicherungspflege erfasst, wenn diese wegen der Gefahr von ggf. lebensgefährdenden Komplikationen jederzeit
einsatzbereit sein muss (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10.11.2005 a.a.O.).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist vorliegend die ständige Anwesenheit und Einsatzbereitschaft einer qualifizierten
Pflegeperson nicht erforderlich. Diese Erforderlichkeit kann im Ergebnis nur dann bejaht werden, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit
eine sofortige pflegerische Interventionen bei lebensbedrohlichen Umständen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte
und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können (Nr. 24 der Anlage zur Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie in
der Fassung vom 21.10.2010 (Bundesanzeiger 2011 S. 140), vgl. auch BSG, Urteil vom 10.11.2005 a.a.O.).
Davon ausgehend ist die von der Antragsgegnerin befragte Dr. S in ihren Gutachten und ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme
zu der Beurteilung gelangt, dass allein die von der Antragstellerin vorgetragenen zwei Notfalleinsätze nicht die Notwendigkeit
einer 24-Stunden-Intensivpflege begründen können. Wegen der Schluckstörungen mit resultierender Aspirationsgefahr und gleichzeitig
bestehender dementieller Entwicklung sei die einzig richtige ärztliche Maßnahme ergriffen worden, nämlich die Anlage einer
Ernährungssonde. Dies allein sei zweckmäßig und ausreichend, um der Gefährdung einer Aspiration bei anhaltender Dysphagie
zu begegnen. Zudem verfüge die Antragstellerin über ausreichende Schutzfunktionen, nämlich eine Spontanatmung und einen intakten
Hustenreflex.
Diese Beurteilung wird im Ergebnis durch die Ermittlungen des Senats bestätigt.
Der Chefarzt der Abteilung Gerontopsychiatrie der LWL-Klinik N in der die Klägerin vom 12.04.2012 bis 26.04.2012 stationär
behandelt wurde, hat nämlich ebenfalls keine Erforderlichkeit für eine Behandlungssicherungspflege in Form einer ständigen
Beobachtung der Antragstellerin gesehen. Er hat in seinem Befundbericht vom 18.05.2012 dazu ausgeführt: "Aus psychiatrischer
Sicht besteht keine Notwendigkeit für eine 24h-Patientenbeobachtung. Frau M. konnte während des stationären Aufenthaltes bei
uns durchaus Zeiten alleine im Zimmer verbringen ohne das für uns eine akute lebensbedrohliche Situation oder schwere psychiatrische
Symptome erkennbare Folge geworden wären."
Der Haus- und Pflegedienstleiter C der T GmbH hat gleichermaßen die Notwendigkeit einer Behandlungssicherungspflege in Form
einer ständigen Beobachtung der Antragstellerin verneint. Er hat nämlich angegeben, dass die Antragstellerin, die sich vom
26.04.2012 bis 21.06.2012 in der Einrichtung "Wohnen im Pastors Garten" aufgehalten hat, zwar einen ihrer Pflegestufe entsprechenden
hohen Pflegebedarf habe, eine spezielle Krankenbeobachtung, die über das jedem Bewohner zuteilwerdende Maß des Normalen hinausgehe,
aber nicht erforderlich gewesen sei.
Angesichts dieser im Ergebnis übereinstimmend eindeutigen Aussagen sind weitere Ermittlungen des Senats nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).