Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten ist, die Kosten für die Versorgung des Antragstellers
mit Cannabis der Sorte Bedica zu übernehmen.
Der 1979 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin versichert. Er leidet u.a. unter einer Aufmerksamkeits-/Aktivitätsstörung
(ADHS) mit depressiver Begleitsymptomatik. Unter der Diagnose "medikamentös schwer einstellbares ADHS" verordnete der als
Vertragsarzt zugelassene Facharzt für Innere Medizin Dr. F am 19.04.2017 auf Verordnungsvordruck "Cannabisblüten (Bedica)
Menge 10 g (unbearbeitet)". Der Antragsteller löste die Verordnung nicht ein, legte sie vielmehr ohne Begleitschreiben und
ohne weitere Erläuterungen der Antragsgegnerin am 19.04.2017 vor, die dies als Antrag nach §
31 Abs.
6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) verstand.
Mit Schreiben vom 20.04.2017 unterrichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller unter dem Betreff "Antrag auf Cannabis" davon,
die Unterlagen an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) weitergeleitet zu haben; sie sei verpflichtet, über
einen Antrag auf Kostenübernahme binnen fünf Wochen zu entscheiden. Mit Schreiben desselben Datums bat sie Dr. F, dem MDK
weitere Unterlagen und Informationen zuzuleiten. Unter dem 24.04.2017 übersandte sie ihm das Formblatt "Arztanfrage zu Cannabinoiden
nach §
31 Abs.
6 SGB V". Am 12.05.2017 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, seinen behandelnden Arzt darum gebeten zu haben, weitere
Informationen unmittelbar dem MDK zuzuleiten. Ob und inwieweit Dr. F den Vordruck ausgefüllt dem MDK übersandt hat, ist nicht
aktenkundig.
Im Gutachten des MDK vom 23.05.2017 führte Dr. U aus, anhand der Medikation müsse angenommen werden, dass es sich um ein komplexeres
psychiatrisches Krankheitsbild handele. Die Voraussetzungen für eine Verordnung mit Cannabisarzneimitteln auf der Grundlage
von §
31 Abs.
6 SGB V seien nicht erfüllt. Sodann merkte der Gutachter unter Angabe einer Fundstelle an, dass bezogen auf ADHS im Erwachsenenalter
keinerlei wissenschaftliche Evidenz für einen Nutzen von Cannabisblüten Bedrican existiere. Als andere Maßnahmen empfahl er
"ggf. Exploration und Therapie durch Psychiater". Ausgehend hiervon lehnte die Antragsgegnerin den Antrag "auf Kostenübernahme"
mit Bescheid vom 24.05.2017 ab.
Den Widerspruch vom 26.05.2017 begründete der Antragsteller wie folgt: Er befinde sich in regelmäßiger neurologischer Behandlung.
Es seien verschiedene medikamentöse Therapieversuche unternommen worden. All das habe starke Nebenwirkungen gehabt und seinen
Zustand nicht gebessert. Demgegenüber sei die Therapie mit Cannabisarzneien derart wirksam, dass er ein weitgehend normales
Leben führen und regelmäßig und zuverlässig seinem Beruf nachgehen könne. Nach vielen fehlerhaften psychiatrischen Diagnosen
sei endlich eine ADHS festgestellt worden. Dem Widerspruch fügte der Antragsteller eine seinen Vortrag bestätigende Stellungnahme
von Dr. F vom 16.07.2017 bei, der u.a. ausführte, sämtliche der eingesetzten Medikationen (Mirtazapin, Quetiapin, Citalopram,
Escitalopram und Medicinet adult) hätten zu keiner befriedigenden Symptonkontrolle geführt und seien teilweise sehr nebenwirkungsbehaftet
gewesen. Von allen bisher versuchten Therapien sei die Symptomkontrolle unter regelmäßig moderatem Cannabiskonsum am effektivsten.
Die Antragsgegnerin holte neuerlich ein Gutachten des MDK vom 22.08.2017 ein. Der Gutachter (Dr. U) blieb trotz der Stellungnahme
von Dr. F bei seiner bereits zuvor geäußerten Auffassung. Er führte aus: "Den Ausführungen der Rechtsanwältin und den Äußerungen
von Dr. F (Internist, Notarzt, Intensivmediziner, Hypertensiologe und Arzt für Naturheilverfahren, Ernährungsmedizin und Prüfarzt
für klinische Studien) ist zu entnehmen, dass Wert darauf gelegt wird, festzustellen, dass bei Herrn T. außer einem ADHS im
Erwachsenenalter keinerlei andere psychiatrische Krankheitsentitäten oder Persönlichkeitsbesonderheiten eine Rolle spielen,
sondern der Störung des Sozialverhaltens eindeutig allein das ADHS zugrunde liegt. Wenn das zutreffend sein sollte, so ist
zu hinterfragen, weshalb all die unwirksamen und nebenwirkungsbehafteten Psychopharmaka dann im off-label-Status (außer Medikinet
adult) überhaupt eingesetzt worden sind und weshalb eine allein pharmakotherapeutische Fokussierung erfolgt und der wesentliche
und auf nachhaltigen Effekt abzielende therapeutische Aspekt einer Psychoedukation und Verhaltenstherapie unbeachtet geblieben
ist (siehe hier Stellungnahmen von Fachgesellschaften etc.), und dafür ein 'regelmäßiger moderater Cannabiskonsum' zulasten
der gesetzlichen Krankenversicherung durchgesetzt werden soll. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Voraussetzungen
für eine Verordnung von Cannabinoiden / Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß §
31 Abs.
6 SGB V nicht erfüllt bestätigt werden können. Dies vor allem weil allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Leistungen zur Verfügung stehen, aber auch, weil die Kriterien für eine schwerwiegende Erkrankung bei Herrn T. nicht zutreffen,
da er, wenn auch zeitweise nur mit großen Schwierigkeiten seinen Beruf ausüben kann. Dieses Merkmal einer schwerwiegenden
Erkrankung wird auch in der sich mittlerweise etablierenden Sozialgerichtsrechtsprechung zur Cannabisanwendung zulasten der
GKV herangezogen."
Unter Bezugnahme hierauf wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück (Bescheid vom 25.10.2017). Die Voraussetzungen für
eine Kostenübernahme lägen nicht vor. Die Verordnungen von Cannabinoiden/Cannabis könnten nicht zulasten der gesetzlichen
Krankenversicherung gemäß §
31 Abs.
6 SGB V erfolgen, denn es stünden allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung. Überdies
fehle es an einer "schwerwiegenden Erkrankung", da der Antragsteller seinen Beruf ausüben könne, wenngleich zeitweise nur
mit großen Schwierigkeiten.
Die hiergegen gerichtete Klage ist vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund anhängig. Daneben hat der Antragsteller am 27.11.2017 beim SG unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens
die Kosten für die Versorgung mit Cannabis je nach Verfügbarkeit und nach den Dosierungsvorgaben des behandelnden Arztes,
zunächst 10 g der Sorte Bedica als Erstverordnung, zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Voraussetzungen für Anordnungsgrund und -anspruch seien nicht dargetan.
Das SG hat Beweis erhoben und hierzu Berichte von Dr. F, Dr. M (Facharzt für Allgemeinmedizin) und Frau S (Fachärztin für Neurologie
und Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie) beigezogen und den Antrag sodann mit Beschluss vom 07.03.2018 abgelehnt. Der
Antragsteller habe weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Am Anordnungsanspruch fehle es, da nach
summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Anspruch auf die begehrte Leistung bestehe. Als Anspruchsgrundlage für
die Cannabis-Behandlung als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) komme §
31 Abs.
6 SGB V in Betracht. Cannabis sei dem Antragsteller wegen der diagnostizierten ADHS verordnet worden. Die Diagnostik-Ambulanz der
F-Klinik N habe am 21.09.2016 eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Ausprägung,
eine Cannabis-Abhängigkeit und eine zwanghafte Persönlichkeitsakzentuierung festgestellt. Diese Diagnose habe die behandelnde
Neurologin und Psychiaterin S um eine mittelgradige depressive Episode erweitert. Sie habe darauf hingewiesen, dass es keine
randomisierten Studien über die Anwendung von Medizinal-Cannabisblüten bei ADHS gebe und deswegen vorgeschlagen, die Behandlung
auf Strattera umzustellen. Dr. M habe darüber hinaus berichtet, der Antragsteller sei gegenüber anderen Medikamenten sehr
ablehnend eingestellt; er halte alternative Medikamente für wirkungslos und sei voll auf Cannabis fokussiert. Dr. F halte
den Antragsteller ungeachtet der uneinheitlichen Studienlage für einen Einzelfall, bei dem die Therapie mit Cannabinoiden
eine medizinisch absolut vertretbare und sinnvolle Therapieform sei, um ein normales Leben und insbesondere auch ein normales
Arbeitsleben zu ermöglichen. Wie sich diese Einschätzung mit der diagnostizierten Cannabis-Abhängigkeit vereinbaren lasse,
gebe Dr. F allerdings nicht zu erkennen. Allein die Angaben der behandelnden Ärzte ließen den Schluss zu, so das SG weiter, dass für die ADHS andere geeignete Medikamente zur Verfügung stünden, denen sich der Antragsteller allerdings verschließe.
Das werde durch die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des MDK vom 23.05.2017 und 22.08.2017 bestätigt. Darin werde
auch die Einleitung/Intensivierung psychiatrischer Maßnahmen für sinnvoll gehalten. Angesichts der auf jahrelange private
Beschaffung zurückzuführenden Cannabisabhängigkeit erschließe sich mit Blick auf die nicht ansatzweise ausreichende Studienlage
nicht, warum die Versorgung mit Cannabisblüten hier das Mittel der (letzten) Wahl sein solle, zumal auch Dr. F die Therapie
lediglich für sinnvoll und vertretbar halte. Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a SGB V i. V. m. §
31 Abs.
6 SGB V seien nicht erfüllt. Nach Antragseingang am 19.04.2017 habe die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 20.04.2017
innerhalb der Drei-Wochen-Frist über die Einschaltung des MDK unterrichtet. Damit habe sich die Entscheidungsfrist auf insgesamt
fünf Wochen nach Antragseingang verlängert. Diese Frist sei gewahrt. Der ablehnende Bescheid datiere vom 24.05.2017. Der Antragsteller
habe auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er begründe seinen Antrag insbesondere damit, dass er durch die seiner
Meinung nach positiven Auswirkungen der Cannabistherapie auf die Symptome der ADHS in die Lage versetzt werde, seinen Alltag
adäquat zu meistern und seine Lebensqualität zu verbessern. Insbesondere im Hinblick auf die vom MDK und der Ärztin S aufgezeigten
Therapieoptionen handele es sich nicht um schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen. Letztlich unterfalle
es seiner Verantwortung, wenn er sich einer anderen Medikation verschließe.
Diese Entscheidung greift der Antragsteller fristgerecht mit der Beschwerde an. Er trägt vor: Die beigezogenen Befundberichte
stützten sein Begehren. Insbesondere sei er austherapiert. Soweit das SG die behandelnden Ärzte danach befragt habe, ob eine schwerwiegende Erkrankung vorliege, gehe das schon deswegen fehl, weil
dies eine allein dem Gericht obliegende Bewertung sei. Auch die Frage nach den bereits eingesetzten Therapien und deren Erfolg
könne von jedem der befragten Ärzte nur in Bezug auf die von jenem durchführten Behandlungsversuche beantwortet werden. Diese
Einschränkung ergebe sich jedoch nicht aus der Fragestellung. Soweit das SG eine Cannabisabhängigkeit annehme, habe es das ungeprüft aus den Ausführungen der Neurologin S übernommen, die sie wiederum
ungeprüft aus dem Bericht der F-Klinik habe. Frau S habe im Bereich Cannabismedikation keine Expertise. Die Diagnose der F-Klinik
orientiere sich zwar an den Kriterien eines Abhängigkeitssyndroms nach ICD-10. Allerdings beschränke sie sich darauf festzustellen,
dass er - der Antragsteller - seit mehr als drei Jahren Cannabis konsumiere und nach wenigen Tagen Abstinenz erhöhte Impulsivität
und Unruhe verspüre. Dabei verkenne die Klinik, dass dies sein Normalzustand sei, wenn ADHS nicht behandelt werde. Die Cannabisbehandlung
führe daher gerade nicht dazu, dass er sich zurückziehe und das Interesse an anderem und anderen verliere, vielmehr dazu,
dass es ihm möglich sei, mit anderen zu interagieren und Interessen konzentriert zu verfolgen. Weitere der im ICD-10 benannten
Kriterien, von denen drei innerhalb eines Jahres gleichzeitig vorgelegen haben müssten, um eine Abhängigkeitsdiagnose zu stellen,
benenne die F-Klinik nicht. Das bestätige Dr. F, der in seinem Befundbericht mitteile, dass zwischen einer Abhängigkeit und
der therapeutischen Nutzung von Cannabis zu trennen sei und bei ihm - dem Antragsteller - keine Cannabisabhängigkeit bestünde.
Hiermit setze sich das SG nicht auseinander. Dr. F habe sich unter Abwägung der Krankheitsgeschichte, der bereits stattgefundenen Behandlungsversuche
sowie des Nutzens und der Risiken dafür entschieden, Cannabis zu verordnen. Soweit das SG darauf verweise, dass Dr. F die Therapie lediglich für sinnvoll und vertretbar halte, erscheine dies übertrieben formalistisch.
Aus seinem Befundbericht ergebe sich deutlich, dass er die Behandlung mit Cannabis als alternativlos ansehe. Der Befundbericht
der Neurologin S entkräfte das Antragsvorbringen nicht. Ihre Ausführungen seien teils ungeordnet und bezögen sich nur zum
Teil auf die geäußerten Beschwerden. Eine Cannabisabhängigkeit habe sie nicht festgestellt. Allerdings lasse sich ihren Angaben
entnehmen, dass die Symptome der ADHS seine - des Antragstellers - Lebensqualität dauerhaft und stark beeinträchtigten. Als
Behandlungsalternative schlage Frau S ausschließlich Strattera vor, da ein Behandlungsversuch mit Medikinet bereits erfolglos
gewesen sei. Er - der Antragsteller - habe sie dennoch wieder aufgesucht, um diese Möglichkeit auszuprobieren. Angesichts
der zu erwartenden Nebenwirkungen von Strattera habe sie ihm jedoch wieder Medikinet und Doxepin verschrieben. Das bestätige,
dass eine zumutbare Behandlungsalternative zu Cannabis nicht bestehe. Er verschließe sich keiner anderen Medikation und habe
sich bisher keinem Behandlungsversuch verweigert. Das SG stütze sich hierzu auf den Befundbericht des ehemals behandelnden Arztes Dr. M. Soweit dieser darauf verweise, dass er -
der Antragsteller - gegenüber Medikinet ablehnend eingestellt sei, beruhe dies darauf, dass hiermit bereits ein erfolgloser
und mit Nebenwirkungen behafteter Behandlungsversuch stattgefunden habe. Im Bericht vom 24.05.2018 habe Frau S ihre vormalige
Einschätzung präzisiert. Sie sehe eine Kostenübernahme als indiziert und als dauerhaft notwendig an. Er reagiere schnell ungeduldig,
gereizt und könne impulsive Reaktionen nur schwer unterdrücken. Er könne sich nur kurz konzentrieren. Kleinste Ereignisse
lenkten ihn ab. Er neige zu Wutausbrüchen. Freundschaften und Beziehungen seien ihm kaum möglich. Er sei innerlich unruhig
und müsse sich ständig bewegen. Nach mehrere gescheiteren Ausbildungsversuchen habe er sich für den Beruf des Straßenwärters
entschieden. Er sei viel draußen und arbeite körperlich. Er reagiere empfindlich auf äußere Reize. Es komme auch zu Handgreiflichkeiten.
Daher vermeide er volle Orte. Er empfinde sich als "ungebremst". Seine Erwerbstätigkeit habe er am 29.10.2018 im Rahmen einer
Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung (Hamburger Modell) wieder aufgenommen. Die Freigabe nach G 25 habe er vom Betriebsarzt
nur erhalten, weil er in Absprache mit diesem seit einigen Wochen wieder auf Privatrezept verschriebenes Cannabis einnehme.
Das Geld habe er sich in der Familie geliehen. Mit seiner Sparkasse sei abgesprochen, dass er einen Kredit über 5.000,00 EUR
aufnehme, sobald er wieder Arbeitseinkommen erziele. Hiermit wolle er die Cannabismedikation finanzieren, um seine Alltagstauglichkeit
und Arbeitsfähigkeit für einige Zeit aufrechtzuerhalten. Letztlich komme es auf all das nicht an, denn die Genehmigungsfiktion
des §
13 Abs.
3a SGB V greife. Ein Abgabevermerk finde sich in der Akte nicht. Damit sei der Bescheid vom 24.05.2017 frühestens am 27.05.2017 bekannt
gegeben. Zwar habe er - der Antragsteller - am 24.05.2017 mit der für ihn zuständigen Sachbearbeiterin im Gebäude der AOK
Niederlassung T gesprochen. Der Bescheid sei ihm an diesem Tage jedoch nicht ausgehändigt worden, was er eidesstattlich versichere.
Der Antragsteller beantragt nunmehr sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 07.03.2018 abzuändern und die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Kosten für die Versorgung des Antragstellers
mit Cannabis je nach Verfügbarkeit und nach den Dosierungsangaben des behandelnden Vertragsarztes, zunächst 10 Gramm der Sorte
Bedica, als Erstverordnung zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller habe nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf die Versorgung mit der begehrten Cannabisblüte. Vorbehaltlich
der noch im Hauptsacheverfahren zu klärenden Frage, ob die diagnostizierte ADHS eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des
§
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V sei, bestünden Behandlungsalternativen sowohl in medikamentöser als auch in psychotherapeutischer Form. Das Vorbringen des
Antragstellers, er sei austherapiert, sei nicht glaubhaft. Die behandelnden Ärzte bestätigten übereinstimmend, dass er die
Einnahme alternativer Medikamente zum Teil abgelehnt habe, da sie seines Erachtens wirkungslos seien oder er sie nicht vertragen
habe. Der die Cannabisblüte verordnende Arzt Dr. F führe im Bericht vom 12.02.2018 aus, dass der Antragsteller sich in der
Vergangenheit über Jahre selbst mit Cannabinoiden therapiert habe und gegenüber anderen Medikamenten sehr ablehnend eingestellt
sei, er ferner alternative Medikamente für wirkungslos halte und voll auf Cannabis fokussiert sei. Inwieweit der Antragsteller
die vorhandenen alternativen Medikamente tatsächlich nicht vertrage oder diese bei ihm keine Wirkung erzielten, lasse sich
derzeit nicht einschätzen. Überdies fehlten nach derzeitigem Wissensstand Anhaltspunkte dafür, dass die Einnahme von Cannabisblüten
bei ADHS positive Wirkung habe. Den im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen könne ein besonderes
Dringlichkeitsinteresse nicht entnommen werden. Letztlich liege es im Antragsteller begründet, dass er sich einer anderen
Medikation verschließe. Insofern erscheine es zumutbar, ihn zunächst auf den Abschluss des Klageverfahrens zu verweisen. Auch
die Voraussetzungen für die Genehmigungsfiktion lägen nicht vor. Die Sachbearbeiterin, Frau L, habe erklärt, dass sie dem
Antragsteller den ablehnenden Bescheid am 24.05.2017 im Kundencenter übergeben habe. Ein weiterer Mitarbeiter, Herr I, sei
ebenfalls im Kundencenter gewesen und könne dies bestätigen. Beide stünden als Zeugen zur Verfügung.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf die Streitakte und den in Kopie vorgelegten
Verwaltungsvorgang.
II.
Die statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Rechtsgrundlage für den vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch ist §
86b Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Hiernach kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung
nach Maßgabe der in Absatz 2 genannten Voraussetzungen treffen. Danach ist zwischen Sicherungsanordnung (§
86b Abs.
2 Satz 1
SGG) und Regelungsanordnung (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG) zu unterscheiden.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie
die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch)
und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung). Die in tatsächlicher (Glaubhaftmachung) wie in rechtlicher Hinsicht (grundsätzlich summarische Prüfung) herabgesetzten
Anforderungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs korrespondieren mit den glaubhaft zu machenden wesentlichen Nachteilen.
Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung
in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls
unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger
Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13 -; Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -; Senat, Beschluss vom 26.07.2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER -), es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, Beschluss vom
14.09.2016 - 1 BvR 1335/13 -; Beschluss vom 26.05.1995 - 1 BvR 1087/91 -; Beschluss vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -). Die Notwendigkeit einer Vollprüfung ergibt sich aus den aus Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) folgenden Anforderungen an den Eilrechtsschutz dennoch nur ausnahmsweise (hierzu BVerfG, Beschluss vom 06.02.2013 - 1 BvR 2366/12 -). So müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehende Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend
behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (Senat, Beschluss vom
26.07.2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 12.08.2013 - L 11 KA 92/12 B ER -). Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind hierzu umfassend in die Abwägung einzustellen, da sich die
Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte zu stellen haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.06.2018 - 1 BvR 733/18 -; Beschluss vom 29.11.2007 - 1 BvR 2496/07 -; Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -; hierzu auch Senat, Beschluss vom 28.06.2013 - L 11 SF 74/13 ER - (Morbus Pompe); Beschluss vom 19.11.2012 - L 11 KR 473/12 B ER - (Hyperthermie)). Grundsätzlich ist die Sach- und Rechtslage umso eingehender zu prüfen, je gewichtiger die drohende
Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist. Findet eine gemessen am Gewicht der geltend gemachten
Grundrechtsverletzungen genügend intensive Durchdringung der Sach- und Rechtslage statt, kann es unschädlich sein, wenn das
Gericht den Ausgang des Hauptsacheverfahrens gleichwohl als offen einschätzt und die von ihm vorgenommene Prüfung selbst als
summarisch bezeichnet, ohne deswegen allein auf eine Folgenabwägung abzustellen, sofern nur deutlich wird, dass das Gericht
den Ausgang des Hauptsacheverfahrens für weitgehend zuverlässig prognostizierbar hält (so BVerfG, Beschluss vom 26.06.2018
- 1 BvR 733/18 -). Ist sonach eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung
zu entscheiden. Dabei gilt es zu bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
bei späterem Misserfolg des Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes
bei nachfolgendem Obsiegen in der Hauptsache andererseits führen würde (Senat, Beschluss vom 26.07.2016 - L 11 KR 465/16 B ER -; Beschluss vom 14.01.2015 - L 11 KA 44/14 B ER -). Die einstweilige Anordnung darf allerdings grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen.
2. Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Beschwerde nicht begründet. Der Antrag ist auslegungsbedürftig (nachfolgend a)).
Ausgehend hiervon sind die Voraussetzungen für Anordnungsgrund (nachfolgend b)) und Anordnungsanspruch (nachfolgend c)) nicht
glaubhaft gemacht,
a) Der erstinstanzlich gestellte und im Beschwerdeverfahren insoweit wiederholte Antrag ist darauf ausgerichtet, die Antragsgegnerin
zu verpflichten, die Kosten für die Versorgung mit Cannabis der Sorte Bedica als Erstverordnung zu übernehmen. Ein solcher
Antrag entspricht nicht dem Sachleistungssystem des
SGB V (zum Sachleistungssystem s. BSG, Urteil vom 24.04.2018 - B 1 KR 29/17 R -; Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 17/16 R -; hierzu auch Senat, Beschluss vom 05.01.2018 - L 11 KR 405/17 B ER -; ausführlich hierzu auch Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II -
Sozialgesetzbuch V, 19. Auflage, 66. Lfg., 2008, §
13 Rn. 1 ff.). Der in §
31 Abs.
6 SGB V kodifizierte Anspruch ist in dieses System eingegliedert. Das folgt unmittelbar und unmissverständlich aus dem Wortlaut der
Vorschrift. Hiernach haben Versicherte unter den dort genannten Voraussetzungen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis und nicht
auf Kostenübernahme oder Kostenerstattung.
Das Prozedere gestaltet sich daher wie folgt: Jedenfalls im Rahmen der ersten Verordnung bedarf es eines Antrags des Versicherten
(§
16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I)) und einer hierauf bezogenen Entscheidung der Krankenkasse (§
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V). Ob dem Antrag sogleich die ärztliche Verordnung beizufügen ist oder diese nachgereicht werden kann (hierzu Knispel, jurisPR-SozR
6/2018 Anm. 4), kann zunächst dahinstehen. Jedenfalls muss der Versicherte sich eine von einem Vertragsarzt erstellte, inhaltlich
und formal den Anforderungen der §§ 8, 9 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) i.d.F. vom 02.07.2018 (BGBl I 1078) entsprechende Verordnung (Betäubungsmittelrezept) ausstellen lassen. Das Rezept ist
binnen sieben Tagen nach Aushändigung der Apotheke vorzulegen (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 c) BtMVV), die dem Versicherten sodann die verordnete Cannabissorte und -menge aushändigt. Die Kosten trägt die Krankenkasse. Vorliegend
geht es um die von Dr. F ausgestellte Erstverordnung vom 19.04.2017. Nach Auskunft der Antragsgegnerin vom 15.11.2018 hat
der Antragsteller diese Verordnung nicht zu ihren Lasten eingelöst. Da die Verordnung nach sieben Tagen ihre Wirkung verloren
hat, kann sie insoweit nicht mehr Grundlage für die beantragte Genehmigung sein. Es liegt auf der Hand, dass eine Prüfung
und Entscheidung innerhalb dieser Zeitspanne regelhaft nicht möglich sein wird (Knispel, jurisPR-SozR 6/2018 Anm. 4; ders.,
GesR 2018, 273, 277). Infolgedessen setzt der Anspruch auf Genehmigung nicht zwingend voraus, dass bereits eine vertragsärztliche
Verordnung ausgestellt wurde (so LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06.03.2018 - L 5 KR 16/18 B ER - mit zustimmender Anmerkung von Knispel, jurisPR-SozR 6/2018 Anm. 4; i.d.S. auch Senat, Beschluss vom 05.01.2018 -
L 11 KR 405/17 B ER -; a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.09.2017 - L 11 KR 3414/17 ER-B -). Ein Genehmigungsantrag kann daher auch dann wirksam gestellt werden, wenn er das Cannabisprodukt genau bezeichnet,
ohne dem eine Verordnung beizufügen (Knispel, jurisPR-SozR 6/2018 Anm. 4). Losgelöst von der Frage, ob die vom Antragsteller
eingereichte Verordnung vom 19.04.2017 den Vorgaben der §§ 8, 9 BtMVV entsprach, war sie jedenfalls nach sieben Tagen wirkungslos (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 c) BtMVV). Der Anspruch kann sonach grundsätzlich und vorbehaltlich der in §
13 Abs.
2, Abs.
3 und Absatz
3a Satz 7
SGB V geregelten Fallgestaltungen nur auf "Versorgung mit Cannabis", nicht aber auf Kostenerstattung oder Kostenübernahme ausgerichtet
sein. Eine sachleistungsersetzende Kostenerstattung (zum Begriff s. BSG, Urteil vom 11.09.2018 - B 1 KR 7/18 R -) kommt nur in ausdrücklich kodifizierten Fällen in Betracht (z.B. §
13 Abs.
2, Abs.
3 und Abs.
3a Satz 7
SGB V).
Ausweislich des Bescheides vom 24.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2017 hat die Antragsgegnerin
dennoch einen Antrag auf Kostenübernahme angenommen und diesen sachlich-inhaltlich beschieden. Ein so ausgelegter Antrag ist
wegen des Sachleistungsprinzips jedenfalls in vorliegender Fallkonstellation nicht genehmigungsfähig und hätte auch deswegen
abgelehnt werden müssen, weil dem Antragsteller insoweit keine übernahmefähigen Kosten entstanden sind und nach Fristablauf
(§ 12 Abs. 1 Nr. 1 c) BtMVV) auch nicht mehr entstehen konnten.
Diese Rechtslage wirkt auf das gerichtliche Verfahren ein. Der prozessuale Antrag, die Antragsgegnerin zur Kostenübernahme
zu verpflichten, könnte nur dann Erfolg haben, wenn die Voraussetzungen einer der in §
13 Abs.
3 oder Abs.
3a Satz 7
SGB V geregelten Ausnahmetatbestände erfüllt wären und es dem Antragsteller auch um Kostenerstattung ginge. Allerdings betreffen
Kostenübernahme und Kostenerstattung nicht identische Sachverhalte. Die Verpflichtung zur Kostenübernahme hat vorgreifliche,
jene zur Kostenerstattung hingegen kompensatorische Wirkung.
Die vom Antragsteller erstinstanzlich und im Beschwerdeverfahren formulierten Anträge geben diese Rechtslage nur unzulänglich
wieder. Er meint, die der Antragsgegnerin auferlegte Entscheidungsfrist (§
13 Abs.
3a SGB V) sei verstrichen, so dass sie schon deswegen verpflichtet sei, Kosten zu übernehmen. Das trifft so nicht zu. Unterlässt es
die Krankenkasse, dem Antragsteller fristgerecht einen hinreichenden Grund für eine Fristüberschreitung mitzuteilen, greift
als Rechtsfolge, dass die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V). Der Umstand, dass §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V die Fiktionswirkung nur auf die "Leistung" erstreckt und die Genehmigung nach §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V noch nicht die Leistung im engeren Sinne darstellt, spricht nicht gegen den Eintritt der Fiktionswirkung. Denn nach den gesetzlichen
Vorgaben ist die Genehmigung zwingende und wesentliche Voraussetzung für einen Leistungsanspruch des Versicherten nach §
31 Abs.
6 SGB V; auch die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/8965 S. 25) verweist uneingeschränkt auf §
13 Abs.
3a SGB V (Senat, Beschluss vom 05.01. 2018 - L 11 KR 405/17 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.11.2017 - L 5 KR 541/17 B ER -). Rechtsfolge des §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V ist sonach, dass die Leistung "Versorgung mit Cannabis" als genehmigt gilt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers fingiert
das Gesetz hingegen nicht, dass die Antragsgegnerin zur Kostenübernahme verpflichtet wäre. Das wäre zwar sekundäre Folge der
Genehmigungsfiktion, wenn der Versicherte auf dieser Grundlage ein den Vorgaben der §§ 8, 9 BtMVV entsprechendes Rezept in der Apotheke einlöst. Die Krankenkasse trägt dann die Kosten wie in jedem anderen Fall, in dem ein
Versicherter ein ordnungsgemäßes Kassenrezept seiner Apotheke vorlegt. Der Antrag, eine Krankenasse zur Kostenübernahme zu
verpflichten, läuft mithin leer, denn sie ist kraft Gesetzes verpflichtet, der Apotheke den Verkaufspreis nach weiteren Maßgaben
zu zahlen. Hieraus folgt, dass das prozessuale Begehren des Antragstellers darauf ausgerichtet sein muss, die Antragsgegnerin
zu verpflichten, ihn mit Cannabis zu versorgen. Rechtsgrund hierfür wären entweder die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 SGB V oder jene des §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V. Lediglich hilfsweise könnte beantragt werden, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kosten für auf Privatrezept beschafftes
Cannabis zu erstatten. Das wäre §
13 Abs.
3 SGB V oder §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V zuzuordnen. Auf den Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.
3 SGB V bezieht sich das Vorbringen des Antragstellers indessen nicht. Allerdings meint er, dass die Fristen des §
13 Abs.
3a SGB V verstrichen seien und die Antragsgegnerin deswegen zur Kostenübernahme verpflichtet sei.
Angesichts des umfangreichen Vorbringens des Antragstellers zur Sache versteht der Senat sein Begehren nach alledem in (noch)
vertretbarer Auslegung dahin, dass es ihm zuvörderst darum geht, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Versorgung mit Cannabis
im Rahmen einer Erstverordnung zu genehmigen und hilfsweise, die ihm entstandenen und entstehenden Kosten zu übernehmen bzw.
zu erstatten.
b) Den Anordnungsgrund definiert §
86b Abs.
2 SGG für die Sicherungsanordnung einerseits und Regelungsanordnung andererseits jeweils eigenständig. Die Sicherungsanordnung
setzt die Gefahr voraus, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers
vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§
86b Abs.
2 Satz 1
SGG). Sicherungsanordnungen dienen der Sicherung eines bestehenden Zustandes; das Gericht trifft demgemäß nur bestandsschützende
Maßnahmen (Frehse in Jansen,
SGG, 4. Auflage, 2012, §
86b Rn. 73). Hingegen verlangt die Regelungsanordnung, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG). Hierunter fallen die praktisch häufigen Fälle eines Verpflichtungs- oder Leistungsbegehrens (vgl. Frehse, a.a.O., § 86b
Rn. 73). Die Abgrenzung der Sicherungs- von der Regelungsanordnung ist unsicher (Senat, Beschluss vom 22.01.2018 - L 11 KA 82/16 B ER -; Beschluss vom 16.11.2015 - L 11 KA 42/15 B ER -; Beschluss vom 28.12.2010 - L 11 KA 60/10 B ER -).
Letztlich kann dies dahinstehen, denn Sicherungs- und Regelungsanordnung unterliegen im Ergebnis derselben Behandlung (Senat,
Beschluss vom 12.04.2017 - L 11 KR 123/17 B ER -; Beschluss vom 16.11.2015 - L 11 KA 42/15 B ER -; Beschluss vom 14.01.2015 - L 11 KA 44/14 B ER -; hierzu auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO, 75. Auflage, 2017, §
940 Rn. 1; Huber in Musielak/Voit,
ZPO, 14. Auflage, 2017, §
935 Rn. 2 und §
940 Rn. 2; Seiler in Thomas/Putzo,
ZPO, 33. Auflage, 2012, §
935 Rn. 3; Vollkommer in Zöller,
ZPO, 32. Auflage, 2018, § 935 Rn. 2; Redeker in Redeker/von Oertzen,
VwGO, 16. Auflage, 2014, §
123 Rn. 11, 12). Der Antragsteller muss lediglich sein Rechtsschutzziel angeben; er braucht sich nicht auf eine Art der einstweiligen
Verfügung festzulegen (Vollkommer, a.a.O.).
Soweit es dem Antragsteller ausweislich des im Schriftsatz vom 09.04.2018 konkretisierten Antrags darum geht, die Antragsgegnerin
zu verpflichten, die Kosten für die Versorgung mit Cannabis vorläufig zu übernehmen, ist dem ein vergangenheits- und ein zukunftsbezogenes
Element immanent. Ziel ist es, die ab Antragstellung aufgewendeten Kosten für die Versorgung mit Cannabis erstattet zu bekommen
und gleichzeitig, die laufende Versorgung finanziell zu sichern.
aa) Für vergangenheitsbezogene Kostenerstattungen fehlt es an dem für einen Anordnungsgrund erforderlichen Regelungsbedürfnis.
Dieses besteht grundsätzlich nur für die Zukunft. In einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren
beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach demjenigen Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet.
Dies bedeutet, dass ein Anordnungsgrund grundsätzlich ausscheidet, soweit Leistungen für die Vergangenheit begehrt werden
(Senat, Beschluss vom 11.10.2016 - L 11 KR 259/16 B ER -; Beschluss vom 15.08.2016 - L 11 KR 513/16 B ER; Beschluss vom 15.08.2016 - L 11 KR 487/16 B ER -; Beschluss vom 09.06.2015 - L 11 KR 202/15 B ER -; LSG Sachsen, Beschluss vom 13.11.2014 - L 1 KR 240/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.01.2011 - L 9 KR 283/10 B ER -; Frehse in Jansen, a.a.O., § 86b Rn. 101 m.w.N.). Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art.
19 Abs.
4 GG) kann zwar in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für die zurückliegenden Zeiträume
gebieten, wenn andernfalls bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden
geschaffen würden, die sich durch eine stattgebende Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht oder nicht hinreichend rückgängig
machen ließen. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Insbesondere gegenüber Dritten bestehende Verbindlichkeiten
zählen dazu nicht (Senat, Beschluss vom 11.10.2016 - L 11 KR 259/16 B ER -; Beschluss vom 09.06.2015 - L 11 KR 202/15 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.01.2011 - L 9 KR 283/10 B ER -; Frehse, a.a.O.).
bb) Im Übrigen fehlt es am Anordnungsgrund auch deswegen, weil der wortgetreu ausgelegte Antrag sich nur auf eine Erstverordnung
bezieht. Dass der Antragsteller deren Kosten nicht zu tragen vermag, ist nicht ansatzweise ersichtlich.
cc) Auch wenn der Antrag dahin ausgelegt wird, mit der Leistung "Cannabis" versorgt zu werden (dazu unter II. 2. a)), ist
ein Anordnungsgrund derzeit nicht glaubhaft gemacht. Die ADHS wurde vor "etwas mehr als zwei Jahren" diagnostiziert, bestand
allerdings schon in der Kindheit (Schriftsatz vom 06.11.2018). Demzufolge ist keinerlei Änderung eingetreten, die es rechtfertigte,
nunmehr eine eilbedürftige einstweilige Anordnung zu erlassen. Hinzugetreten ist allein die Diagnose und eine hierauf aufbauende
(medizinisch umstrittene) Therapie. Ob "wesentliche Nachteile" im Übrigen dargetan sind, kann letztlich dahinstehen. Es fehlt
jedenfalls am Anordnungsanspruch (nachfolgend b)).
b) Im Rahmen des glaubhaft zu machenden Anordnungsanspruchs ist die materielle Rechtslage zu prüfen.
aa) Anspruchsgrundlage für das vom Antragsteller verfolgte Begehren ist zuvörderst §
31 Abs.
6 SGB V (nachfolgend (1)), hilfsweise §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V (nachfolgend (2)).
(1) Die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Sätze 1 und 2
SGB V sind nicht glaubhaft gemacht.
(a) Der Text des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V lautet:
"Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten
oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon,
wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter
Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht
zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende
Symptome besteht."
Ergänzend bestimmt §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V:
"Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen
abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist."
Ein solcher Fall liegt vor. Streitbefangen ist eine erste Verordnung. Die Krankenkasse hat hierüber auf der Grundlage von
§
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V zu entscheiden und darf den Antrag nur in "begründeten Ausnahmefällen" ablehnen. Das allerdings kollidiert mit §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V. Dieser Normteil ist zwar verschachtelt, dennoch aber herkömmlich nach Anspruchsvoraussetzungen (Tatbestand) und Rechtsfolge
(hierzu Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Auflage, 2006, S. 28 ff.) gegliedert. Diese für eine Anspruchsgrundlage
essentiellen Elemente weist §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V nicht auf. Würde angenommen, dass allein §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V für die Prüfung des Leistungsantrags im Rahmen einer ersten Verordnung zuständig wäre, bliebe unklar, nach welchem Maßstäben
zu prüfen wäre. Die Norm wäre unvollständig und infolge ihrer Unbestimmtheit verfassungswidrig. Infolgedessen ist sie so auszulegen,
dass sie verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt. Das führt dazu, dass §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V auch im Rahmen einer ersten Verordnung als Anspruchsvoraussetzung zu prüfen ist. Der Normbefehl des §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V würde sich darauf beschränken, dass die Krankenkasse den Antrag im Rahmen einer ersten Verordnung nur in begründeten Ausnahmefällen
ablehnen darf. Das erscheint sinnwidrig und bedarf weiterer Interpretation.
Konzeptionell begründet §
31 Abs.
6 SGB V einen doppelten Ausnahmetatbestand. Die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln kommt nach den in §
31 Abs.
6 SGB V formulierten engen Anspruchsvoraussetzungen und der dies bestätigenden Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom
28.06.2016 nur in "eng begrenzten Ausnahmefällen" in Betracht (BT-Drucks. 18/8965 S. 14 und 23). Der Anspruch verwirklicht
sich indessen nicht aus sich heraus. Die Gesetzesbegründung formuliert wie folgt (Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucks.
18/8965, S. 25):
"Die Leistungsgewährung erfolgt nur auf Grundlage eines vorherigen Antrags der oder des Versicherten bei der Krankenkasse.
Damit wird dem Ausnahmecharakter der Regelung Rechnung getragen, die die Erstattung von Arzneimitteln auf Cannabisbasis ermöglicht,
obwohl nicht das Evidenzlevel vorliegt, das üblicherweise für die Erstattung der GKV verlangt wird. Das Vorliegen der Voraussetzungen
für eine Erstattungsfähigkeit hat die Krankenkasse in jedem Einzelfall unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
zu prüfen. Um unangemessen Bürokratieaufwand zu ersparen, erfolgt die Prüfung jedoch nur bei Erstverordnung für eine Versicherte
oder einen Versicherten."
Sind die Voraussetzungen des §
36 Abs.
6 Satz 1
SGB V im Einzelfall gegeben, greift die Rechtsfolge: Der Versicherte hat einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis. Das gilt für
die Erst- und für Folgeverordnungen (zur Erst- und Folgeverordnung s. Senat, Beschluss vom 05.01.2018 - L 11 KR 405/13 B ER -). Allerdings macht das Gesetz den Anspruch bei einer Erstverordnung davon abhängig, dass ein Antrag gestellt und genehmigt
wird. Nun greift die zweite Ausnahme, denn die Krankenkasse darf die Genehmigung der Leistung bei der ersten Verordnung nur
in "begründeten Ausnahmefällen" ablehnen. In den Gesetzesmaterialien heißt es hierzu (Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) BT-Drucks. 18/10902 S. 20):
"Die Versorgung von Versicherten mit schwerwiegenden Erkrankungen soll durch den Anspruch auf Versorgung mit Cannabis nach
Satz 1 verbessert werden. Die Genehmigungsanträge bei der Erstverordnung der Leistung sind daher nur in begründeten Ausnahmefällen
von der Krankenkasse abzulehnen. Damit wird auch der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes oder der Vertragsärztin
Rechnung getragen."
Diese Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.
Der Hinweis auf die Therapiehoheit des Arztes geht fehl, weil es eine solche nicht gibt. Der insoweit laienhaft formulierte
Text greift auf ein überholtes infantil-paternalistisches Verhältnis von Arzt und Patient zurück. Der Gesetzgeber sieht dieses
Verhältnis ausweislich der mit dem Patientenrechtegesetz vom 20.02.2013 (BGBl I 277) in das Bürgerliche Gesetzbuch (
BGB) eingefügten Vorschriften über den Behandlungsvertrag (§§ 630a ff.
BGB) deutlich anders (zum Problem, wer den Willen des Gesetzgebers formuliert, s. Zippelius, a.a.O., S. 23 f.). Die Freiheit,
über die Therapie zu entscheiden, hat der Patient, was unmissverständlich aus Art.
1 Abs.
2 GG folgt. Notwendig ist hiermit die Therapiehoheit verbunden. Nicht der Arzt bestimmt die Therapie, er schlägt vielmehr vor
und der Patient entscheidet (so der Grundgedanke der §§ 630a ff.
BGB). Dem Arzt verbleibt die Therapieverantwortung (hierzu u.a. Senat, Beschluss vom 30.01.2019 - L 11 KR 442/18 B ER -; Beschluss vom 05.01.2018 - L 11 KR 405/13 B ER -; Urteil vom 22.10.2014 - L 11 KA 18/13 - m.w.N.; Frehse in Peters, Handbuch der Krankenversicherung - Teil II,
SGB V, 19. Auflage, 79. Lfg., Januar 2013, §
28 Rn. 34 f.; so auch im Ansatz Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28.06.2016, BT-Drucks. 18/8965, S. 23: "ärztliche Verantwortung").
Die Ausführungen des Ausschusses sind aber auch im Übrigen defizitär. Erkennbar soll die Erstverordnung das entscheidende
Scharnier sein. Die Krankenkasse hat zu prüfen, ob die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V erfüllt sind, dies wiederum angereichert durch die in §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V formulierte Eingrenzung, wonach sie den Antrag nur in "begründeten Ausnahmefällen" ablehnen darf. Diese GemFage lässt sich
wie folgt auflösen: Die Anspruchsvoraussetzungen (Tatbestand) des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGG V sind so gefasst, dass Versicherte letztlich nur in "eng begrenzten Ausnahmefällen" mit Cannabis versorgt werden. Sind die
Voraussetzung nicht erfüllt, ist der Anspruch nicht gegeben. Der im Rahmen einer ersten Verordnung gestellte Antrag ist abzulehnen.
Des §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V bedarf es hierzu nicht. Sind die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGG V erfüllt (Tatbestand), hat der Versicherte einen Anspruch auf Versorgung (Rechtsfolge). Jedenfalls im Rahmen einer Erstverordnung
kann die Krankenkasse dann nur genehmigen und darf nicht ablehnen. Anderes würde nur dann gelten, wenn §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V ein Rechtsfolgeermessen einräumen würde, was ersichtlich nicht der Fall ist. Aus logischen Gründen reduziert sich der Anwendungsbereich
der Formel "in begründeten Ausnahmefällen" daher auf die Erkenntnis, dass die Krankenkasse die Leistung "ausnahmsweise" ablehnen
darf, obgleich die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V im Rahmen einer Erstverordnung nach Tatbestand und Rechtsfolge erfüllt sind.
Zu prüfen sind damit zwei Ebenen, nämlich 1. ob ein eng begrenzter Ausnahmefall i.S.v. §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V vorliegt und bejahendenfalls, ob 2. ein begründeter Ausnahmefall es dennoch rechtfertigt, die Leistung zu verweigern. Hieraus
folgt denklogisch, dass die 2. Stufe nicht entscheidungserheblich ist, wenn bereits die Voraussetzungen der 1. Stufe nicht
gegeben sind.
Allerdings ergeben sich Bedenken hinsichtlich dieses Verständnisses mit Blick auf die Gesetzesmaterialien. Die rechtlich kaum
fassbare Formulierung des §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V ist auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vom 18.01.2017 zurückzuführen (BT-Drucks.
18/10902, S. 19, 20). Gründe hierfür und nähere Erläuterungen dazu, warum der Regierungsentwurf vom 28.06.2016 (BT-Drucks.
18/8965) insoweit abgeändert wurde, vermittelt BT-Drucks. 18/10902 nicht. Allerdings kann ihr entnommen werden, dass der Ausschuss
die Cannabismedikation sehr viel weiter "freigeben" wollte als zuvor die Bundesregierung. Da §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V i.d.F. der Beschlussempfehlung des Ausschusses letztlich Gesetz geworden ist, spricht viel dafür, die hierdurch überholte
und nahezu gegenläufige Begründung der Bundesregierung zurückzustellen und die letztlich vom Bundestag übernommene Begründung
des Ausschusses als maßgeblich anzusehen. Das hätte zur Folge, dass die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V wider den Wortlaut jedenfalls im Rahmen einer Erstverordnung weit zu interpretieren wären, da der Antrag ja nur in "begründeten
Ausnahmefällen" abgelehnt werden darf.
Eine solche Vorstellung des Ausschusses für Gesundheit und ggf. des Bundestages ist indessen nicht Gesetz geworden, infolgedessen
für die Auslegung der Vorschrift und des Zusammenspiels von §
31 Abs.
6 Satz 1 und Satz 2
SGB V von nachrangiger Bedeutung (zum Verhältnis von Gesetzeswortlaut und -begründung s. BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -; eingehend auch Senat, Urteil vom 07.07.2017 - L 11 KA 50/16 KL -; Beschluss vom 22.10.2012 - L 11 AS 1240/12 B -; Beschluss vom 24.09.2012 - L 11 U 416/12 B -; Zippelius, a.a.O., S. 21 ff.). Die Grenze jeder Gesetzesauslegung ist der Wortlaut (BVerfG, Beschluss vom 20.10.1992
- 1 BvR 698/89 -; Beschluss vom 23.10.1985 - 1 BvR 1053/82 -; Senat, Urteil vom 31.05.2017 - L 11 KA 15/15 -; Zippelius, a.a.O., S. 47). Wortlaut und Funktion des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V sind für sich genommen eindeutig. Die Norm benennt die Anspruchsgrundlage nach Tatbestand und Rechtsfolge. Irritationen vermittelt
lediglich der auf Veranlassung des Ausschusses eingeführte §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V. Die Kollision ist methodisch dahin aufzulösen, dass die rechtliche Bedeutung der Wortfolge "in begründeten Ausnahmefällen"
in einen Zusammenhang mit Tatbestand und Rechtsfolge des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V gestellt wird. Damit verbleibt es letztlich dabei, dass die Krankenkasse über §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V befugt wird, eine Leistung ausnahmsweise abzulehnen, obgleich die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V erfüllt sind.
(b) Hiernach lässt sich auch die Beweislast bestimmen: Die objektive Beweislast für die in §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V genannten Anspruchsvoraussetzungen trifft den Antragsteller. Hingegen trägt die Krankenklasse die Beweislast dafür, dass
ein "begründeter Ausnahmefall" (§
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V) vorliegt.
(c) Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich:
(aa) Der Anspruch des Versicherten ist grundsätzlich auf eine im System der GKV zu erbringende Leistung gerichtet. Den Anspruch
auf Leistungen bei Krankheit (Fünfter Abschnitt des
SGB V) erfüllt die Krankenkasse indem sie im Zusammenwirken mit Ärzten, Zahnärzten (usw.) die vertragsärztliche Versorgung der
Versicherten sicherstellt (§
72 Abs.
1 Satz 1
SGB V). Die vertragsärztliche Versorgung umfasst (u.a.) die Verordnung von Arzneimitteln (§
73 Abs.
2 Nr.
7 SGB V). Die Krankenkasse erbringt die Leistung nicht selbst. Sie bedient sich hierzu der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden
Ärzte (§
95 Abs.
1 SGB V).
Der zunächst in der Beschwerdeschrift vom 09.04.2018 formulierte Antrag ("Dosierungsvorgaben der behandelnden Ärztin") genügte
diesen Vorgaben nicht. Abzustellen ist auf Dosierungsvorgaben einer Vertragsärztin / eines Vertragsarztes. Das folgt schon
aus §
31 Abs.
6 Satz 3
SGB V und §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1b)
SGB V. Die "begründete Einschätzung" hat ein Vertragsarzt abzugeben (§
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V). Auch §
31 Abs.
6 Satz 3
SGB V verlangt, dass die Verordnung von einer Vertragsärztin bzw. einem Vertragsarzt ausgestellt wird. Das ist auf die Dosierungsvorgaben
zu übertragen. Auf gerichtlichen Hinweis vom 12.11.2018 hat der Antragsteller seinen Antrag (Schriftsatz vom 19.11.2018) insoweit
geändert in "( ...) Dosierungsangaben des behandelnden Vertragsarztes ( ...)" (hierzu auch Senat, Beschluss vom 05.01.2018
- L 11 KR 405/17 B ER -). Vorsorglich ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die umstrittene Frage, ob für die Prüfung der Krankenkasse eine
vertragsärztliche Verordnung vorliegen muss (verneinend: Senat, Beschluss vom 05.01.2018 - L 11 KR 405/17 -; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06.03.2018 - L 5 KR 16/18 B ER -; Knispel, jurisPR-SozR 6/2018 Anm. 4; bejahend: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.10.2018 - L 11 KR 3114/14 ER-B -; Beschluss vom 19.09.2017 - L 11 KR 3414/17 ER-B -), hiermit in keinem Zusammenhang steht. Die als Antrag interpretierte Verordnung von Dr. Fs erfolgte jedenfalls auf
"Kassenrezept", wenngleich zumindest zweifelhaft ist, ob dieses den Anforderungen der §§ 8, 9 BtMVV genügt.
(bb) Ungeachtet dessen sind die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V nicht glaubhaft gemacht.
(aaa) Grundvoraussetzung ist, dass der Versicherte an einer "schwerwiegenden Erkrankung" leidet. Das Gesetz bestimmt den Inhalt
dieses unbestimmten Rechtsbegriffs zwar nicht, indessen ist er dem
SGB V nicht fremd (hierzu §
34 Abs.
1 Satz 2
SGB V, §
35c Abs.
2 Satz 1
SGB V und §
62 Abs.
1 Satz 8
SGB V). §
34 Abs.
1 Satz 2
SGB V i.V.m. §
12 Abs.
3 Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (i.d.F. vom 18.12.2008/22.01.2009, zuletzt geändert am 11.12.2018
(BAnz AT 18.01.2019 B3)) definiert eine Krankheit als schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund
der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Das entspricht
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sog. Off-Label-Use bei schwerwiegenden Erkrankungen. Ein Off-Label-Use kommt nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung
einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht,
2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden
Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG, Urteil vom 20.03.2018 - B 1 KR 4/17 R -; Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R -; Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R -; zur Übertragbarkeit dieser Definitionen auf §
31 Abs.
6 SGB V: LSG Hessen, Beschluss vom 20.02.2018 - L 8 KR 445/17 B ER -; Beschluss vom 16.10.2017 - L 8 KR 366/17 B ER -; Beschluss vom 04.10.2017- L 8 KR 255/17 B ER -; LSG Thüringen, Beschluss vom 10.11.2017- L 6 KR 1092/17 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.09.2017 - L 11 KR 3414/17 ER B -; Nolte in KassKomm-
SGB V, 98. Ergänzungslieferung, März 2018, §
31 Rn 75d; Bischofs in BeckOK,
SGB V, 49. Edition, Stand 01.03.2018, §
31 Rn 89 f.; Knispel, GesR 2018, 273, 274).
Die ADHS ist keine lebensbedrohliche Erkrankung. Allerdings spricht unter Berücksichtigung des nicht bestrittenen und des
teils eidesstattlich versicherten Vorbringens des Antragstellers einiges dafür, dass die Schwere der durch die ADHS verursachten
Gesundheitsstörungen seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (offFassen von BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 5/09 R -; verneint von LSG Bayern, Urteil vom 18.01.2011 - L 5 KR 214/08 -). Zwar ist der Antragsteller beruflich tätig, indessen steht das jedenfalls hier der Annahme nicht entgegen, seine Lebensqualität
sei auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, denn er versorgt sich nach eigenem Vorbringen über privatärztliche Verordnungen mit
Cannabis, um seinen Beruf ausüben zu können.
Allerdings verhindert der Bescheid des Kreises T vom 17.05.2018 jedenfalls derzeit, dass der Antragsteller glaubhaft machen
kann, seine Lebensqualität sei auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Zufolge dieses Bescheides liegen bei dem Antragsteller
folgende Beeinträchtigungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 vor (§
2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX)):
"1. Hyperkinetische Störung mit Auswirkungen auf die Integrationsfähigkeit in mehreren Lebensbereichen und sekundärer Entwicklung
einer Abhängigkeitserkrankung.
2. Funktionsstörung der Wirbelsäule."
Der Beeinträchtigung zu 1. wurde ein GdB von 30 und jener zu 2. ein GdB von 10 zugewiesen. Ein GdB von 30 dürfte es ausschließen,
dass die ADHS die Lebensqualität auf Dauer schwerwiegend i.S.d. der Rechtsprechung zum Off-Label-Use beeinträchtigt. Nach
§
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (§
2 Abs.
1 Satz 2
SGB IX). Eine "die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung" lässt sich zumindest teilweise dem Kriterium
"Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt" i.S.v. §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX zuordnen. Die Schnittmengen sind "Lebensqualität" und "Teilhabe". Ausgehend hiervon beschreibt ein GdB von 30 angesichts
der bis 100 reichenden Stufenfolge eine tendenziell überschaubare Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.
Das spricht zumindest derzeit dafür, dass die ADHS die Lebensqualität nicht in einer den Anforderungen an einen Off-Label-Use
genügenden Intensität einschränkt. Infolgedessen ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller an einer schwerwiegenden
Erkrankung leidet. Soweit er den Feststellungsbescheid mit Widerspruch angegriffen hat und in der Begründungsschrift vom 23.10.2018
nachdrücklich darlegt, dass und warum ein GdB von 30 den Auswirkungen der Behinderung zu 1. in verschiedenen Lebensbereichen
nicht näherungsweise entspricht, führt das nicht weiter. Der zwar nicht bestandskräftige, dennoch festgesetzte GdB von 30
"indiziert" zumindest derzeit, dass die Lebensqualität nicht auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt ist. Das steht der Glaubhaftmachung
des Gegenteils entgegen.
(bbb) Nicht glaubhaft gemacht sind die Voraussetzungen von §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 a)
SGB V. Der MDK meint, der Antragsteller leide an einem "komplexeren psychiatrischen Krankheitsbild" und daher seien Exploration
und Therapie durch einen Psychiater angezeigt (Gutachten vom 23.05.2017). Unklar bleibe, warum allein eine pharmakotherapeutische
Fokussierung erfolge und der wesentliche auf nachhaltigen Effekt abzielende therapeutische Aspekt einer Psychoedukation und
Verhaltenstherapie unbeachtet bleibe (Gutachten vom 22.08.2017).
Der Bericht der F-Klinik vom 21.09.2016 bestätigt diese Einschätzung des MDK. Hier wird eine Cannabisabhängigkeit diagnostiziert,
eine Entgiftung sowie ein anschließender Medikationsversuch mit einem Stimulans und eine ambulante verhaltenstherapeutische
Psychotherapie empfohlen. Auch der die medizinischen Unterlagen auswertende Feststellungsbescheid nach dem
SGB IX vom 17.05.2018 erfasst eine psychische Störung. Die dort festgestellte "hyperkinetische Störung mit Auswirkungen auf die
Integrationsfähigkeit in mehreren Lebensbereichen" benennt in ihrem zweiten Teil eine Störung des Sozialverhaltens, deren
Symptome in ICD-10 F91 beschrieben sind. Das Vorbringen des Antragstellers zu den von ihm wahrgenommenen Auswirkungen der
ADHS im täglichen Leben liegt auf dieser Linie. Medizinisch zu klären wäre, ob die betreffenden Beeinträchtigungen auf die
medikamentös behandelte ADHS zurückzuführen sind, oder die Störung des Sozialverhaltens (ICD-10 F91) als eine hiervon losgelöste
Komorbidität ursächlich ist. Das leitet über zum Therapiekonzept. Nach Aktenlage wird der Antragsteller lediglich medikamentös
behandelt. Die "Störung des Sozialverhaltens" ist indessen einem multimodalen Therapiekonzept zugänglich (hierzu https://www.adhspedia.de/wiki/Hyperkinetische
Störung des Sozialverhaltens, dort m.w.N.). Das deckt sich mit der Einschätzung des MDK im Gutachten vom 22.08.2017. Darin
heißt es: "Den Ausführungen der Rechtsanwältin und den Äußerungen von Dr. F ( ...) ist zu entnehmen, dass Wert darauf gelegt
wird, festzustellen, dass bei Herrn T. außer einem ADHS im Erwachsenenalter keinerlei andere psychiatrische Krankheitsentitäten
oder Persönlichkeitsbesonderheiten eine Rolle spielen, sondern der Störung des Sozialverhaltens eindeutig allein das ADHS
zugrunde liegt". Der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M führt im Befundbericht vom 28.02.2018 aus, der Patient
sei gegenüber anderen Medikationen sehr ablehnend eingestellt, er halte sie für wirkungslos. Der Feststellungsbescheid nach
dem
SGB IX belegt, dass die "Störung des Sozialverhaltens" zwar im Zusammenhang mit der ADHS steht, indessen einen eigenen Krankheitswert
hat. Auch die in diesem Bescheid festgestellte "sekundäre Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung" korrespondiert mit der
von der F-Klinik diagnostizierten Cannabisabhängigkeit. Eine Abhängigkeitserkrankung geht oft mit einer psychiatrischen Zweiterkrankung
einher (https://www.rhein-jura-klinik.de/blog/storungsformen/was-sind-abhaengigkeitserkrankungen/; hierzu auch https://klinikverbund.lvr.de//de/nav
main/frfachpublikum/psychiatrie und psychotherapie/abhaengigkeitserkrankungen 2/abhaengigkeitserkrankungen 6.html). All dies
deutet darauf hin, dass die "pharmakotherapeutische Fokussierung" des Antragstellers (so MDK im Gutachten vom 22.08.2017)
das Therapiepotential nicht ausschöpft. Der Antragsteller tritt dem entgegen. Er legt im Einzelnen und unter Bezugnahme auf
Äußerungen der behandelnden Ärzte dar, dass und warum alternative Medikationen nicht zum Erfolg geführt haben. Insbesondere
sein Hausarzt habe auch der Antragsgegnerin erläutert, dass diverse Medikationen erfolglos gewesen seien bzw. unzumutbare
Nebenwirkungen gehabt hätten (Schriftsatz vom 28.12.2017). Das allerdings führt schon deswegen nicht weiter, weil es nicht
um alternative Medikationen sondern (z.B.) um verhaltenstherapeutische Psychotherapie als abweichendes Therapiekonzept geht.
Zwar war der Antragsteller in Behandlung bei Frau S (Fachärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie).
Indessen lässt sich ihrem Befundbericht vom 12.02.2018 nur entnehmen, dass eine antidepressive Medikation mit Escitalopram
verordnet wurde. Offen bleibt, ob psychiatrisch bestimmte Therapien gleichermaßen erfolglos wären. Im Bericht vom 24.05.2018
führt sie zwar ergänzend aus, eine psychotherapeutische oder ergotherapeutische Behandlung sei aufgrund des Schwerebildes
der Erkrankung nicht ausreichend, um die Symptomatik relevant zu verbessern. Das könnte darauf hindeuten, dass abweichende
Therapiekonzepte nicht greifen. Allerdings ist diese Behauptung jedenfalls im vorliegenden Fall medizinisch sehr umstritten.
Allein die Äußerung des behandelnden Neurologen genügt vor diesem Hintergrund nicht, um nachvollziehbar darzulegen, dass abweichende
Therapiekonzepte ausscheiden.
Infolgedessen ist nicht glaubhaft gemacht, dass keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
zur Verfügung steht, um die ADHS bzw. deren Auswirkungen zu behandeln.
(ccc) Das allerdings wäre unschädlich, wenn die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V erfüllt wären. Augenscheinlich gehen die Beteiligten davon aus, dass die Vorlage der Verordnung vom 19.04.2017 einen Antrag
auf Genehmigung nach §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V darstellt (hierzu auch Knispel, jurisPR-SozR 6/2018 Anm. 4). Wird dem gefolgt, hätte dem "Antrag" eine "begründete Einschätzung"
des behandelnden Vertragsarztes beigefügt werden müssen. Nach Aktenlage fehlt es daran. Die Verordnung vom 19.04.2017 genügt
ersichtlich nicht den Anforderungen des §
31 Abs.
6 Nr.
1 b)
SGB V. Sie enthält keine Einschätzung des die Verordnung ausstellenden Arztes Dr. F, ist vielmehr auf den Text "Cannabisblüten
(Bedica) Menge 10g (unbearbeitet)" und "D: medikamentös schwer einstellbares ADHS" reduziert. Die "begründete Einschätzung"
ist alternative Anspruchsvoraussetzung. Sie ist der Krankenkasse im Verwaltungsverfahren vorzulegen (hierzu Senat, Beschluss
vom 30.01.2019 - L 11 KR 442/18 B ER -). Fehlt es daran, muss die Krankenkasse den Antrag ablehnen. Sie darf die Versorgung mit Cannabis nicht genehmigen.
So liegt es hier. Dem Antrag war keine "begründete Einschätzung" beigefügt. Die schlichte Verordnung genügt den in § §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V genannten Anforderungen ersichtlich nicht. Eine solche Einschätzung ist bis zur Erteilung des ablehnenden Bescheides vom
24.05.2017 auch nicht nachgereicht worden. Nach Aktenlage ist nicht dokumentiert, dass Dr. F die ihm übersandte "Arztanfrage
zu Cannaboiden nach §
31 Abs.
6 SGB V" zurückgegeben oder an den MDK geleitet hat.
Soweit der Antragsteller im Widerspruchsverfahren eine Stellungnahme von Dr. F vom 16.07.2017 vorgelegt hat, führt das nicht
weiter. Dabei handelt es sich nicht um eine "begründete Einschätzung" i.S.d. §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V. Schon diese aus Adjektiv und Substantiv bestehende Wortfolge verdeutlicht zweierlei: Es muss eine Einschätzung sein und
diese ist zu begründen. Behauptungen reichen nicht. Weitere Anforderungen an die inhaltliche Qualität formuliert §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V wie folgt: Die Einschätzung muss die zu erwartenden Nebenwirkungen der allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard
entsprechende Leistung darstellen. Sodann ist der Krankheitszustand des Versicherten zu referieren (zu den Anforderungen s.
auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.10.2018 - L 11 KR 3114/18 ER-B -; Knispel, GesR 2018, 273, 275). Schließlich muss die Einschätzung diese Parameter "abwägen", sich also dazu verhalten,
ob, inwieweit und warum eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Anwendung kommen
kann. Ferner muss die Einschätzung in sich schlüssig und nachvollziehbar sein; sie darf nicht im Widerspruch zum Akteninhalt
im Übrigen stehen (Senat, Beschluss vom 30.01.2019 - L 11 KR 442/18 B ER -).
Diesen Maßstäben genügt die Stellungnahme von Dr. F vom 16.07.2017 nicht. Zwar referiert er den Krankheitszustand unter "Diagnosen".
Nebenwirkungen der medikamentösen Therapieversuche mit Mirtazapin, Quetiapin, Citalopram, Escitalopram und Midicinet adult
werden behauptet, indessen nicht spezifiziert und nachvollziehbar dargelegt. Ein Satz wie "Allesamt führten zu keiner befriedigenden
Symptonkontrolle und waren teilweise sehr nebenwirkungsbehaftet" begründet nicht, behauptet vielmehr nur. Lediglich bezogen
auf Midicinet adult, Mirtazapin und Quetiapin umschreibt Dr. F ansatzweise die zu erwartenden Nebenwirkungen der allgemein
anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechenden Leistung ("Insbesondere beklagte der Patient unter Midicinet adult
eine starke Gewichtsabnahme, sowie unter Mirtazapin und Quetiapin Belastungsdyspnoe."). Auch im Übrigen ist dem Bericht nicht
zu entnehmen, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Anwendung kommen
kann. Bescheinigt wird lediglich, dass unter regelmäßigem moderatem Cannabiskonsum "von allen bisher versuchten Therapien
die Symptomkontrolle am effektivsten" ist. Das wiederum bezieht sich auf medikamentöse Therapien und lässt psychiatrische
Therapien unberücksichtigt. Insbesondere der letztgenannte Aspekt hätte weiterer Darlegungen bedurft. Die mit Bescheid nach
dem
SGB IX festgestellte Behinderung zu 1. enthält physische und psychische Komponenten. Die hyperkinetische Störung mit Störung des
Sozialverhaltens ist gemäß ICD-10 F90.1 ein kombiniertes Störungsbild, bei dem einerseits die Symptomkriterien der ADHS und
andererseits die einer Störung des Sozialverhaltens (F91) erfüllt sind. Die Therapie erfolgt multimodal (https://www.adhspedia.de/wiki/Hyperkinetische
St%C3%B6rung des Sozialverhaltens). Insgesamt ist die Einschätzung von Dr. F nach Maßgabe der normativen Anforderungen unzulänglich.
Auch der mit dezidierter Fragestellung auf Anforderung des SG von Dr. F erstellte Bericht vom 12.02.2018 trägt das Begehren nicht. Der Bericht ist schon deswegen keine "begründete Einschätzung"
i.S.v. §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V, weil er erst im Gerichtsverfahren verfasst und vorgelegt wurde. Aus dem Zusammenhang von §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V und §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V folgt, dass die "begründete Einschätzung" der Krankenkasse zugeleitet werden muss. Diese hat zu prüfen, ob die Einschätzung
begründet ist. Fehlt es daran, ist die Anspruchsvoraussetzung des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V nicht gegeben. Der Antrag ist schon deswegen abzulehnen. Handelt es sich hingegen um eine begründete Einschätzung, dann hat
die Krankenkasse diese hinzunehmen. Ihre Einschätzung des medizinischen Sachverhalts vermag die Einschätzung des behandelnden
Vertragsarztes nicht zu verdrängen. In der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 18.01.2017 wird
dieses Verhältnis deutlich herausgearbeitet, indem dort die "Therapiehoheit" des Vertragsarztes hervorgehoben wird (BT-Drucks.
18/10902. S. 20). Bei dieser Wortwahl handelt es sich zwar um einen Fehlgriff des Ausschusses (s. oben). Entscheidend ist
indessen der hinter der betreffenden Formulierung stehende Gedanke. Dem behandelnden Vertragsarzt wird eine Einschätzungsprärogative
eingeräumt (i.d.S. auch Knispel, GesR 2018, 273, 275), die von der Krankenkasse und im Gerichtsverfahren nur sehr begrenzt
auf inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen ist. Der Vertragsarzt muss kein Gutachten vorlegen. Ausreichend ist es, wenn er
seine Einschätzung abgibt und diese begründet. Genügt die Einschätzung den Vorgaben des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V, ist sie von der Krankenkasse hinzunehmen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28.06.2016 bestätigt dies. Danach soll
die Therapie mit Cannabisarzneimitteln in die ärztliche Verantwortung gegeben werden, indem eine entsprechende Verschreibungspflichtigkeit
hergestellt wird (BT-Drucks. 18/8965, S. 23).
Rechtlich wirksam kann die begründete Einschätzung nur im Verwaltungsverfahren vorgelegt werden. Nicht möglich ist es, Defizite
mittels nachgängiger Ermittlungen eines Gerichts nachzuholen oder gar zu substituieren. Insoweit gilt, dass das Gericht nicht
und insbesondere nicht durch eine aufwändige Beweisaufnahme zu klären hat, ob die begründete Einschätzung des behandelnden
Vertragsarztes zutrifft. Ein solches Vorgehen würde die Konzeption des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V schon nach seinem eindeutigen Wortlaut verkennen. Im Prozess ist allein entscheidungserheblich, ob der behandelnde Vertragsarzt
im Verwaltungsverfahren eine "begründete Einschätzung" abgegeben hat. Fehlt es daran, ist die in §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V genannte Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt. Nachgängige Ermittlungen von Amts wegen können hieran nichts mehr ändern.
Insbesondere etwaige Sachverständigengutachten sind schon begrifflich nicht in der Lage, die fehlende "begründete Einschätzung"
des Vertragsarztes zu substituieren. Sie sollen dies auch nicht, denn auch die Gesetzesbegründung stellt auf den behandelnden
Vertragsarzt und nicht auf etwaige Sachverständige oder Gutachter ab (vgl. BT-Drucks. 18/10902, S. 19). Es geht nicht darum,
uneingeschränkt die Voraussetzungen des Anspruchs zu prüfen (so auch Knispel, GesR 2018, 273, 276). Genau das geschähe, wenn
das Gericht die vom behandelnden Vertragsarzt im Verwaltungsverfahren abzugebende "begründete Einschätzung" durch eigene Ermittlungen
ersetzen würde. Das Gericht prüft nur, ob die in §
31 Abs.
6 Satz 1 und Satz 2
SGB V normierten Voraussetzungen erfüllt sind. Bezogen auf §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V ist die Prüfkompetenz darauf reduziert, ob und inwieweit der behandelnde Vertragsarztes im Verwaltungsverfahren eine begründete
Einschätzung vorgelegt hat. Unerheblich ist, ob die Einschätzung medizinisch "richtig" oder "falsch" ist. Ausgehend hiervon
vermag der im erstinstanzlichen Verfahren vom SG angeforderte Bericht vom 12.02.2018 die insoweit defizitäre Einschätzung von Dr. F aus dem Verwaltungsverfahren nicht zu
kompensieren. Im Übrigen genügt auch der Bericht vom 12.02.2018 nicht den Anforderungen des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1b)
SGB V. Zwar beschreibt Dr. F neuerlich verschiedene medikamentöse Therapieversuche mit von ihm benannten Medikationen, die allesamt
zu keiner befriedigenden Symptomkontrolle geführt hätten und teilweise sehr nebenwirkungsbehaftet seien. Als Fazit hält er
insoweit fest: "Unter regelmäßigem moderatem Cannabiskonsum ist von allen bisher versuchten Therapien die Symptomkontrolle
am effektivsten. Der Patient führt ein weitgehend normales Leben und geht regelmäßig und zuverlässig seinem Beruf nach." Hieraus
und aus seinem Bericht lässt sich wiederum nicht herleiten, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Leistung nicht zur Anwendung kommen kann.
Wird angenommen, dass insoweit nicht das "Effektivitätsprinzip" sondern nach den weiteren Maßgaben des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V jenes der "Alternativlosigkeit" gilt (so wohl LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.12.2017 - L 16 KR 540/17 B ER -, wonach "zu verlangen ist, dass ausschließlich die Behandlung mit Cannabis für den Versicherten eine zumutbare Behandlungsoption
darstellt"), scheitert der Anspruch schon hieran. Wird hingegen angenommen, dass nicht jede theoretisch noch denkbare Behandlungsalternative
ausprobiert werden muss (so LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.10,2018 - L 11 KR 3114/18 ER-B -; Knispel, GesR 2018, 273, 275; hierzu auch BT-Drucks. 18/8965, S. 24 und BT-Drucks, 18/10902, S. 19), ändert das letztlich
nichts. Im Bericht von Dr. F wird allein auf medikamentöse Therapieversuche abgestellt. Es bleibt offen, warum die vom MDK
und der F-Klinik empfohlene Psychotherapie "nicht zur Anwendung kommen kann". Infolgedessen ist derzeit nicht glaubhaft gemacht,
dass die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V erfüllt sind.
(ddd) Schließlich sind die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
2 SGB V nicht glaubhaft gemacht. Erforderlich ist eine gewisse Mindestevidenz im Sinne des Vorliegens erster wissenschaftlicher Erkenntnisse,
dass bei dem konkreten Krankheitsbild durch den Einsatz von Cannabinoiden ein therapeutischer Erfolg zu erwarten ist (hierzu
BVerfG, Beschluss vom 26.06.2018 - 1 BvR 733/18 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.10.2018 - L 16 KR 611/18 B ER -; LSG Hessen, Beschluss vom 20.02.2018 - L 8 KR 445/17 13 ER -).
Daran fehlt es derzeit. In den Gutachten des MDK vom 23.05.2017 und 22.08.2017 wird unter Fundstellenangabe jeweils ausgeführt:
"Auch wenn es allein um die Handhabung eines ADHS im Erwachsenenalter gehen sollte, so existiert keinerlei wissenschaftliche
Evidenz für einen Nutzen von Cannabisblüten Bedrican." Das entspricht der Einschätzung der behandelnden Ärztin S, die im Bericht
vom 12.02.2018 ausführt: "Nach meinem Wissensstand gibt es keine randomisierten Studien über die Anwendung von Medizinal-Cannabisblüten
bei ADHS." Auch der Cannabis-Report der Universität Bremen aus April 2018 führt lediglich aus (S. 32): "Mögliche Indikationen
für Cannabis sind demnach ( ...) und ADHS, wenn hier auch kaum Evidenz vorliegt." Sodann heißt es weiter (S. 43 f.): "Es werden
noch weitere Studien benötigt, die eine mögliche Wirkung von Cannabis auf die Symptome der ADHS bei Erwachsenen belegen können".
Eine "gewisse Mindestevidenz" ist hiernach nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller legt nicht dar, inwiefern diese Feststellungen
wissenschaftlich überholt sind. Allerdings führt er dezidiert aus, dass die Versorgung mit Cannabis sich auf den Krankheitsverlauf
positiv auswirkt und schwerwiegende Symptome deutlich gelindert werden. Sein behandelnder Arzt Dr. F bestätigt dies. Ein solcher
Vortrag reicht indessen nicht aus, um eine Mindestevidenz glaubhaft zu machen (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 19.10.2018 - L 16 KR 611/18 B ER - zum Einsatz von Cannaboiden bei Clusterkopfschmerzen). Eine Beweisaufnahme hierzu verbietet sich jedenfalls im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren.
(d) Nach alledem sind die Voraussetzungen des §
31 Abs.
6 Satz 1 und Satz 2
SGB V derzeit nicht glaubhaft gemacht.
(2) Die Voraussetzungen des §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V sind nicht erfüllt.
(aa) Nach §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, bis spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang
oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen
nach Antragseingang zu entscheiden. Hält die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich, hat sie diese
unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Gem. §
13 Abs.
3a Satz 5
SGB V hat die Krankenkasse, sofern sie Fristen nach Satz 1 nicht einhalten kann, dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung
der Gründe rechtzeitig schriftlich mitzuteilen. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach
Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Aus dieser Genehmigungsfiktion folgt ein Sachleistungsanspruch des Versicherten auf
die beantragte Leistung (BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -; Urteil vom 11.07.2017 - B 1 KR 26/16 R -). Der Umstand, dass §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V die Fiktionswirkung nur auf die "Leistung" erstreckt und die Genehmigung nach §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V noch nicht die Leistung im engeren Sinne darstellt, spricht nicht gegen den Eintritt der Fiktionswirkung. Denn nach den gesetzlichen
Vorgaben ist die Genehmigung zwingende und wesentliche Voraussetzung für einen Leistungsanspruch des Versicherten nach §
31 Abs.
6 SGB V. Auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28.06.2016 verweist uneingeschränkt auf §
13 Abs.
3a SGB V (BT-Drucks. 18/8965, S. 25) und schließt somit jedenfalls nicht aus, die Fiktionswirkung auf die Genehmigung nach §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V zu erstrecken (Senat, Beschluss vom 05.01.2018 - L 11 KR 405/17 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.01.2018 - L 5 KR 697/17 B ER -).
(bb) Ungeachtet der Voraussetzungen im Übrigen (hierzu BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -) greift die Fiktion nicht. Die Antragsgegnerin hat die Fristen des §
13 Abs.
3a SGB V eingehalten.
Wann die Drei- und wann die Fünf-Wochen-Frist gilt, ist zwar strittig. Eine Meinung (u.a. Noftz in Hauck/Noftz,
SGB V, Werkstand 8/18, §
13 Rn. 58e; Kingreen in Becker/Kingreen,
SGB V, 5. Auflage, 2017, §
13 Rn. 29; Schifferdecker in KassKomm-
SGB V, 101. EL, September 2018, §
13 Rn. 122a; Rieker, NZS 2015, 294, 296) geht davon aus, dass die Fünf-Wochen-Frist unabhängig von der Mitteilung an den Antragsteller immer greift, wenn der
MDK eingeschaltet wird. Nach anderer Auffassung (BSG, Urteil vom 08.03.2016 - B 1 KR 25/15 R -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.04.2017 - L 16 KR 202/16 -; offen gelassen von LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.01.2018 - L 5 KR 697/17 B ER -) gilt die Fünf-Wochen-Frist trotz Einschaltung des MDK dann nicht, wenn keine ordnungsgemäße Mitteilung an den Antragsteller
erfolgt. Für dieses Ergebnis sprechen die gesetzgeberischen Ziele der Beschleunigung und der Transparenz. Die Gesetzesmaterialien
heben hervor, dass den Leistungsberechtigten durch die Unterrichtung Klarheit darüber verschafft werden soll, ob die Drei-Wochen-Frist
oder die Fünf-Wochen-Frist gilt (BT-Drucks. 17/10488, S. 32).
Die Streitfrage kann offenbleiben. Der Antrag ist am 19.04.2017 eingegangen. Hierauf wäre innerhalb von drei Wochen zu entscheiden
(§ 13a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
SGB V). Allerdings hat die Antragsgegnerin den MDK mit einem Gutachten beauftragt und den Antragsteller hierüber bereits am 20.04.2017
unterrichtet. Mithin wurde nach beiden Auffassungen die Fünf-Wochen-Frist in Gang gesetzt. Die Frist läuft ab Antragseingang.
Sie begann am 20.04.2017 (§ 26 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. §
187 Abs.
1 BGB) und endete am 24.05.2017 (§ 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §
187 Abs.
2 Satz 2
BGB). Unter dem 24.05.2017 wurde der ablehnende Bescheid verfasst. Wann dieser zugegangen ist, lässt sich der Akte nicht entnehmen.
Auch ein Ab-Vermerk ist nicht vorhanden. Allerdings ist der Bescheid dem Antragsteller spätestens am 26.05.2017 zugegangen,
denn unter diesem Datum haben seine damaligen Bevollmächtigten Widerspruch eingelegt. Beweispflichtig dafür, die Frist eingehalten
zu haben, ist die Antragsgegnerin. Sie trägt hierzu vor, ihre Mitarbeiterin L habe den Bescheid dem Antragsteller am 24.05.2017
im Kundencenter übergeben. Herr I, ein weiterer Mitarbeiter, könne dies bestätigen. Beide Mitarbeiter stünden als Zeugen zur
Verfügung. Die Antragsgegnerin hat einen diesen Vortrag bestätigenden Aktenvermerk von Frau L (gefertigt am 24.05.2017) vorgelegt.
Ausweislich des Vermerks von Herrn I (24.05.2017) habe der Antragsteller nochmals angerufen, sich ziemlich ungehalten über
die Ablehnung des Antrags beschwert und mit persönlichen Konsequenzen gedroht. Hiernach wäre der Bescheid dem Antragsteller
am 24.05.2017 und damit fristgerecht ausgehändigt worden. Der Antragsteller tritt dem allerdings entgegen. Mittels eidesstattlicher
Versicherung vom 10.07.2018 bestreitet er, den Bescheid am 24.05.2017 in der AOK Niederlassung in T erhalten zu haben.
Diese Erklärung ist nicht glaubhaft. Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass der Antragsteller den Bescheid nicht
ausgehändigt bekommen hat. Seine Erklärung, er lasse sich das nicht gefallen, am letzten Tag von der AOK per Telefon benachrichtigt
zu werden, er hätte "das ganze dann doch bitte auch schriftlich zugestellt", mag noch zutreffen. Implausibel ist aber seine
Behauptung, Frau L habe ihm nichts aushändigen wollen. Ein solches Verhalten der Mitarbeiterin L am letzten Tag der Frist
macht keinen Sinn. Vielmehr liegt es angesichts des vom Antragsteller geschilderten Geschehensablauf nahe, dass Frau L den
drohenden Fristablauf erkannte und den ihr seit 20 Jahren persönlich bekannten Antragsteller um 9.00 Uhr anrief, um ihn in
das Gebäude der AOK zu dem Zweck zu bitten, ihm den Bescheid auszuhändigen. Das entspricht Satz 1 und Satz 2 1. Halbsatz ihres
Vermerks vom 24.05.2017. Die Behauptung des Antragstellers, Frau L habe "nichts" und damit auch den Bescheid nicht aushändigen
wollen, ist insofern unschlüssig und damit nicht glaubhaft. Es spricht deutlich mehr dafür, dass der Bescheid dem Antragsteller
am 24.05.2017 ausgehändigt wurde. Eine Beweisaufnahme hierzu ist derzeit entbehrlich, denn sie würde das einstweilige Rechtsschutzverfahren
in ein aufwändiges Hauptsacheverfahren transformieren, was mit §
86b Abs.
2 SGG kollidiert und auch von Art.
19 Abs.
4 Satz 1
GG nicht gefordert wird. Ungeachtet der hohen Belastung der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen hat der Senat
derzeit keinen Anhalt dafür, dass es dem Antragsteller im Hauptsacheverfahren verwehrt sein wird, zeitgerechten Rechtsschutz
zu erlangen. Infolgedessen ist die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten. c) Die Voraussetzungen des §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V sind nicht gegeben. Hiernach ist die Krankenkasse zur Erstattung der Kosten verpflichtet, wenn sich der Versicherte die Leistung
nach Ablauf der in §
13 Abs.
3a Satz 1 bis Satz 4
SGB V genannten Fristen selbst beschafft. Daran fehlt es. Die Antragsgegnerin hat die Fristen eingehalten. Zum Kostenerstattungsanspruch
des §
13 Abs.
3 SGB V hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Eine Prüfung erübrigt sich. 3. Nach alledem konnte die Beschwerde keinen Erfolg
haben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
183 Satz 1,
193 Abs.
1 Satz 1
SGG
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§
177 SGG).