Tatbestand
Streitig ist die Feststellung eines GdB von 100 sowie Zuerkennung der Merkzeichen aG, RF und Bl.
Bei dem am 00.00.1968 geborenen Kläger stellte die Beklagte mit Bescheid vom 20.09.2011 aufgrund einer Sehbehinderung (Einzel-GdB
30), einer Zuckerkrankheit (Einzel-GdB 20), einer Funktionsstörung des Herzens (Einzel-GdB 20), einer Funktionsstörung der
Wirbelsäule (Einzel-GdB 10) sowie einer seelischen Störung (Einzel-GdB 10) einen Gesamt-GdB von 40 fest. Am 03.05.2012 stellte
der Kläger einen Änderungsantrag und beantragte neben der Feststellung eines höheren GdB die Zuerkennung der Merkzeichen G,
aG, B, RF und Bl. Er teilte mit, er leide unter schweren Herz-, Knochen-, Rücken- und Gehproblemen bei einem Gewicht von 160
kg, Bluthochdruck sowie Diabetes mellitus. Aufgrund einer schweren Sehstörung könne er nicht mehr allein gehen. Überdies bestünden
erhebliche Probleme im neurologischen und urologischen Bereich. In Kürze stehe eine Operation an.
Die Beklagte holte einen Befundbericht der Augenärztin Dr. N ein. Diese stellte einen Visus mit Brille rechts mit 0,05 und
links mit 0,05 fest, die Papille sei gekippt und es fänden sich myopische Dehnungen am Augenhintergrund. Die Gesichtsfeldmessung
habe ein irreguläres Restgesichtsfeld von weniger als 5° links und von bis 5° rechts ergeben. Der Beklagte zog darüber hinaus
ein Pflegegutachten des MDK Nordrhein aus März 2012 bei, das die Voraussetzungen der Pflegestufe I feststellte. In dem Gutachten
wurde ferner ausgeführt, der Kläger könne nicht mehr lesen, fernsehen sei aber möglich. Auch könne sich der Kläger in der
vertrauten Umgebung fortbewegen. Im Folgenden wurde bei dem Kläger die Pflegestufe II nach Maßgabe der bis zum 31.12.2016
geltenden Voraussetzungen anerkannt.
Nach Einholung weiterer Berichte und Auswertung durch den ärztlichen Dienst beauftragte die Beklagte den Facharzt für Augenheilkunde
Prof. Dr. C mit der Erstellung eines Gutachtens. In seinem nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstatten Gutachten vom
02.08.2012 führte Prof. Dr. C u.a. aus, der Kläger gebe zwar eine sehr schlechte Sehschärfe und ein sehr schlechtes Gesichtsfeld
an. Hierfür finde sich aber kein morphologischer Befund, der dies erklären könnte. Die Feststellung eines GdB für die Sehbehinderung
komme damit nicht in Betracht.
Gestützt auf diese Beurteilung lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 22.08.2012). Den hiergegen erhobenen, nicht
näher begründeten Widerspruch wies die Bezirksregierung Münster zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.02.2013).
Mit seiner am 19.03.2013 bei dem SG Aachen erhobenen Klage hat sich der Kläger im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren
gestützt und daran festgehalten, dass ihm aufgrund einer massiven Sehminderung sowie ganz erheblicher Gesichtsfeldeinschränkung
das Merkzeichen Bl zuzuerkennen sei. Darüber hinaus hat er unter Vorlage eines Attestes des ihn behandelnden Hausarztes G
geltend gemacht, dass bei ihm - dem Kläger - ein chronisch degeneratives Wirbelsäulensyndrom, eine multifaktorielle Gangstörung,
ein Intentionstremor beider Hände unklarer Genese, eine affektlabile Persönlichkeitsstörung, ein hyperglykämisch entgleister
Diabetes mellitus Typ II, eine Adipositas per magna, eine Harninkontinenz und ein Visusverlust des linken Auges vorliege.
Seit Oktober 2015 sei die Diabetestherapie um eine Insulintherapie erweitert worden. Die insgesamt daraus resultierenden Teilhabeeinschränkungen
rechtfertigten das Klagebegehren.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2013 zu verurteilen,
bei ihm ab Antragstellung einen GdB von 100 festzustellen sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme der Merkzeichen G, aG, B, RF und Bl.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Übermittlung weiterer versorgungsärztlicher Stellungnahmen hat sie sich auf den angefochtenen Bescheid gestützt.
Das SG hat zunächst Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. C1, der Augenärztin Dr. N, des Internisten Dr. S, und des Diabetologen
Dr. E eingeholt. Letzterer hat mitgeteilt, der Kläger habe sich äußerst incomplient verhalten. Eine sachgerechte diabetische
Diagnostik und Therapie sei vor diesem Hintergrund bislang nicht möglich gewesen.
Das SG hat sodann ein augenärztliches Gutachten des Direktors der Klinik für Augenheilkunde B Prof. Dr. X eingeholt. In seinem nach
ambulanten Untersuchungen vom 28.03., 17.07. und 13.08.2014 erstatteten Gutachten hat der Sachverständige Prof. Dr. X eine
hochgradige Visusminderung in der Ferne und der Nähe sowie eine beidseitige konzentrische und hochgradige Gesichtsfeldeinengung
festgestellt. Pathologische Augenbefunde, die den schlechten Visus und das eingeengte Gesichtsfeld erklären könnten, hätten
sich indes nicht gefunden. Es sei aufgefallen, dass sämtliche Untersuchungen, die nicht auf die subjektive Mitarbeit des Klägers
angewiesen gewesen seien, deutlich besser ausgefallen seien als diejenigen, die eine gute Mitarbeit des Klägers verlangt hätten.
Eine Blindheit im Sinne des Gesetzes könne nicht bestätigt werden.
Der Kläger hat daraufhin weitere Berichte seiner behandelnden Ärzte übermittelt. Der Landesarzt Dr. I hat unter dem 01.11.2014
dargelegt, dass nach seiner Einschätzung beim Kläger Blindheit im Sinne des § 1 Abs. 1 GHBG vorliege. In weiteren ergänzenden
Stellungnahmen vom 03.11.2014 und 12.12.2014 hat der Sachverständige Prof. Dr. X an seiner Auffassung festgehalten. Im Rahmen
der Untersuchungen habe sich ein völlig unauffälliger Augenbefund gezeigt; es bestehe der dringende Verdacht der Aggravation.
Nach Einholung weiterer Berichte hat das SG ein internistisches Gutachten von dem Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin/Sozialmedizin Dr. Q, ein neurologisch-psychiatrisches
Gutachten von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie X1 (einschließlich eines testpsychologischen Zusatzgutachtens des
Dipl.-Psych. L) sowie ein orthopädisches Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie Dr. S1 eingeholt.
Der Sachverständige X1 hat in seinem Gutachten vom 01.06.2015 für das Funktionssystem Psyche bei leichten psychovegetativen
und psychischen Störungen mit Vorliegen eines psychogen aggravierten Tremors der rechten Hand, einer leichtgradigen Hirnatrophie
und einer leichten Polyneuropathie einen Einzel-GdB von 20 vorgeschlagen. Im Rahmen der freien Verhaltensbeobachtung habe
er festgestellt, dass der Kläger nach Vorlage einer Buchstabenreihe eines anerkannten Sehtestes die erste Reihe (Größe 1,4
cm) fehlerfrei habe lesen können. Auch die beiden ersten Buchstaben der zweiten Reihe (Größe 1,1 cm) habe der Kläger fehlerfrei
erkannt, um in Anschluss daran zu erklären, er - der Kläger - könne die weiteren Buchstaben dieser Zeile nicht mehr erkennen.
Die geschilderten Sehbeschwerden seien neurologischerseits nicht erklärbar und ließen sich weder durch den neurologischen
Untersuchungsbefund noch durch eine computertomographische Zusatzbegutachtung des Cerebrums verifizieren. Dem Kläger sei es
- trotz geltend gemachter Sehschwäche - durchaus möglich gewesen, sich in fremden Räumen offensichtlich sehend zu orientieren.
Dr. S1 ist in seinem Gutachten vom 29.07.2015 mit Blick auf das von ihm diagnostizierte Syndrom im Bereich der Lendenwirbelsäule
(ohne radikuläre Symptomatik) zu einem - gerade erreichten - Einzel-GdB von 20 gelangt.
Der Sachverständige Dr. Q hat in seinem Gutachten vom 31.08.2015 auf internistischem Fachgebiet aufgrund des Diabetes mellitus,
der Fettstoffwechselstörung und Leberenzymerhöhung bei Adipositas keinen Einzel-GdB festgestellt. Aus einer Herz-Kreislauf-Erkrankung
resultiere ein GdB von 10. Ohne weitere Befunde könne aufgrund einer Harninkontinenz der Einzel-GdB nicht höher als mit einem
Einzel-GdB von 10 bewertet werden. Unter Berücksichtigung der Feststellungen der Sachverständigen Dr. S1 und X1 mit einem
Einzel-GdB von 30 für Wirbelsäule und Polyneuropathie sowie des Einzel-GdB von 20 für die seelische Beeinträchtigung mit Tremor
und Hirnatrophie resultiere ein Gesamt-GdB von 40.
Nach Einholung eines weiteren Befundberichts von dem Allgemeinmediziner G, der u.a. mitgeteilt hat, dass bei dem Kläger seit
Oktober 2015 Insulinpflicht bestehe, hat das SG die Beklagten durch Urteil vom 12.01.2016 unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, bei dem Kläger für die Zeit ab
dem 01.10.2015 einen GdB von 60 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen
G und B festzustellen. Der Kläger leide unter subjektiv geschilderten Sehbeeinträchtigungen, einer leichtgradigen Hirnatrophie,
einem psychogen aggravierten Tremor der Hände, einer Dysthymie, einer Polyneuropathie, einer Funktionsstörung der Wirbelsäule
und der unteren Gliedmaßen, einem Diabetes mellitus Typ II, einer Fettstoffwechselstörung und Verdacht auf Fettleber, einer
Adipositas per magna, funktionellen Herzbeschwerden mit Hypertonie sowie unter einer Harninkontinenz. Für das Funktionssystem
Augen sei gemäß Teil B Nr. 4 VMG ein Einzel-GdB nicht festzustellen. Bereits Prof. Dr. C sei zu der Einschätzung gelangt,
dass sich für den von der Augenärztin Dr. N bescheinigten Visus von beidseits cc 0,05 (mit vorhandener Brille) sowie auch
für eine Gesichtsfeldeinschränkung kein morphologischer Befund finde. Zu dieser Bewertung sei auch der Sachverständige Prof.
Dr. X gelangt, der einen völlig unauffälligen Organbefund bei variierender Kooperation des Klägers festgestellt habe. Es stehe
für die Kammer fest, dass beim Kläger aufgrund der Diskrepanz zwischen den subjektiven und objektiven Ergebnissen bei organisch
regelrechtem Befund davon auszugehen sei, dass die tatsächliche zentrale Sehschärfe und das tatsächliche zentrale Gesichtsfeld
besser seien als die subjektiven Angaben, die der Kläger getätigt habe. Insbesondere die beim Kläger seit Kindheit bestehende
Kurzsichtigkeit sowie der Astigmatismus könnten die sehr schlechten Visus- und Gesichtsfeldergebnisse nicht ausreichend erklären.
Sicher auszuschließen sei, dass eine Visus- und Gesichtsfeldminderung durch einen Diabetes mellitus bedingt sei, da sich keinerlei
diabetische Korrelate am Auge befänden. Prof. Dr. X sei, wie im Folgenden auch der Sachverständige X1 letztlich am ehesten
von einer Aggravation ausgegangen. Damit stehe fest, dass Blindheit nicht zu objektivieren sei.
Für das Funktionssystem Nervensystem und Psyche sei der GdB des Klägers insgesamt gemäß Teil B Nr. 3 VMG mit 20 zu bewerten.
Wie der Sachverständige X1 ausgeführt habe, habe die computertomographische Untersuchung des klägerischen Gehirns eine leichtgradige
Hirnatrophie offenbart. Darüber hinaus finde sich ein Tremor insbesondere der rechten Hand sowie eine leichte Polyneuropathie.
Objektiviert sei überdies eine seelische Störung im Sinne eines psychovegetativen Syndroms und einer Dysthymie. Konzentrationsstörungen,
eine affektlabile Persönlichkeitsstörung und ein Intentionstremor beider Hände seien demgegenüber nicht hinreichend objektiviert,
was sich nicht zuletzt aus dem von Dipl.-Psych. L erstatteten neuropsychologischen Zusatzgutachten ergebe. Im Hinblick auf
die leichte Polyneuropathie bei vermindertem Berührungsempfinden seien insoweit die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund motorischer
Ausfälle (mit Muskelatrophien) bzw. sensibler Störungen zu berücksichtigen. Nach den eingeholten Gutachten, insbesondere des
Gutachtens X1, stehe für die Kammer fest, dass sich die Funktionsbeeinträchtigungen durch die Polyneuropathie letztlich maßgeblich
im Bereich der unteren Extremitäten bzw. Wirbelsäule auswirkten, weswegen sie auch in diesem Zusammenhang berücksichtigt würden.
Soweit der Kläger über Kopfschmerzen klage, seien diese nicht im Ansatz objektiviert. Für die Funktionsstörungen der Wirbelsäule
sei gemäß Teil B Nr. 18.9 VMG - unter Einbeziehung auch der unteren Extremitäten nach Teil B Nr. 18.14 VMG - ein GdB von 30
in Ansatz zu bringen. Betrachte man die reinen Bewegungseinschränkungen so sei mit dem Sachverständigen Dr. S1 an sich von
mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt auszugehen. Vor dem Hintergrund, dass die Sachverständigen
X1 und Dr. Q von einer durch die nachgewiesenen Bandscheibenvorfälle und insbesondere das beim Kläger bestehende erhebliche
Übergewicht verursachten Schmerz- und Beschwerdesymptomatik mit (zumindest) pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung in die Beine
ausgingen, könne ein Einzel- GdB von 30 für diesen Bereich in Ansatz gebracht werden. Dabei seien auch die Auswirkungen der
Polyneuropathie einbezogen worden. Hierbei verkenne die Kammer nicht, dass gemäß Teil B Nr. 15.3 VMG die Adipositas allein
keinen GdB bedinge.
Für das Funktionssystem Stoffwechsel, innere Sekretion sei der Einzel-GdB des Klägers bis zur Aufnahme der Insulintherapie
(Oktober 2015) mit 20, ab diesem Zeitpunkt mit 40 zu bewerten. Unter Berücksichtigung des Berichts des Allgemeinmediziners
G aus Oktober 2015 gehe die Kammer davon aus, dass der Kläger ab Oktober 2015 eine Insulintherapie begonnen habe. Hierbei
müsse er zweimal täglich Insulin spritzen und mindestens einmal täglich selbstständig eine Blutzuckerkontrolle durchführen.
Hierfür sei nunmehr ein Einzel-GdB von 40, nach dem Wortlaut von Teil B Nr. 15.1 VMG jedoch kein Einzel-GdB von 50 in Ansatz
zu bringen. Für das Funktionssystem Herz und Kreislauf sei nach Teil B Nr. 9.3 VMG bei fehlenden Organschäden und fehlender
Herzinsuffizienz ein Einzel-GdB von höchstens 20, für das Funktionssystem Harnorgane mit Blick auf die vom Kläger angegebene
Harninkontinenz gemäß Teil B Nr. 12.2.4 ein Einzel-GdB von 10, allenfalls 20, in Ansatz zu bringen.
Die Eintragung des Merkzeichens Bl komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil die hierfür erforderlichen gesundheitlichen
Voraussetzungen nicht objektiviert seien. Gleichermaßen fehlten die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens
aG. Der Sachverständige Dr. S1 habe beschrieben, dass sich der Kläger innerhalb der Untersuchungsräume normal bewegt habe
und nicht orientierungslos oder erkennbar hilflos gewesen sei. Der Kläger sei zwar mit einem Rollator erschienen, habe die
Toilette vom Flur aus aber ohne Rollator aufgesucht. Auch habe er sonstige kürzere Strecken ohne Rollator zurückgelegt. Der
Sachverständige sei zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger insbesondere durch sein erhebliches Übergewicht in der Gehstrecke
limitiert sei, keinesfalls aber in einem Maße, das eine Zuerkennung des Merkzeichens aG rechtfertige. Entsprechendes habe
der Sachverständige X1 berichtet, der überdies darauf verwiesen habe, dass sich der Kläger gerade bei seinen Gehversuchen
demonstrativ und deutlich aggravierend - bis hin zur Simulation - verhalten habe. Die Kammer sei unter Berücksichtigung der
Gutachten und dem Eindruck, den sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnen habe, davon überzeugt, dass der Kläger keinesfalls
mit den Personen vergleichbar sei, bei denen die Zuerkennung des Merkzeichens aG in Betracht komme. Auch die Feststellung
des Merkzeichens RF scheide aus. Aufgrund der eingeholten Gutachten und Befundberichte sowie nicht zuletzt aufgrund des persönlichen
Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger derzeit nicht dauernd
gehindert sei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Die hierfür erforderliche Sehbehinderung sei nicht objektiviert.
Auch sonstige Beeinträchtigungen, die einer Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen entgegenstehen könnten, seien nicht
ersichtlich. Demgegenüber habe der Kläger ab Oktober 2015 Anspruch auf Feststellung der Merkzeichen G und B.
Gegen das ihm am 27.01.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.02.2016 Berufung erhoben.
Er hält an seiner erstinstanzlich vertretenen Auffassung fest und trägt vor: Bei ihm liege nicht nur eine geringgradige Herzinsuffizienz,
sondern eine erhebliche koronare Erkrankung mit Bluthochdruck vor. Dies habe der erstinstanzlich gehörte Sachverständige Dr.
Q nicht entsprechend gewürdigt, ergebe sich jedoch aus den Diagnosen der ihn behandelnden Kardiologen. Auch die gesundheitlichen
Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule seien weitaus stärker als bislang von den Sachverständigen bestätigt. Unter Berücksichtigung
seiner Adipositas sei eine entsprechende Schädigung der Wirbelsäule im Bereich von Lenden- als auch Brustwirbelsäule gegeben,
so dass zumindest Einschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorlägen, die wiederum einen Einzel-GdB von 50 bedingten.
Einschränkend wirkten sich ferner die seelische Störung und die Adipositas aus. Nicht hinreichend berücksichtigt sei überdies
der Schweregrad der Sehbehinderung. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. X bestätige, dass bei einer entsprechenden
Gesichtsfeldeinschränkung ein GdB von 30-70 anzusetzen sei. Der Sachverständige habe indes nicht deutlich dargelegt, welches
Ausmaß die Sehbehinderung habe. Auch die Voraussetzungen für die Feststellung der noch geltend gemachten Merkzeichen Bl, aG
und RF seien ab Antragstellung erfüllt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 12.01.2016 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.08.2012
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2013 zu verurteilen, bei ihm ab Antragstellung einen GdB von 100 festzustellen
sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen aG, RF und Bl.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide und das erstinstanzliche Urteil.
Der Senat hat dem Kläger, seinen Pfleger sowie den Zusatzgutachter Dipl.-Psych. L angehört (Erörterungstermin vom 29.01.2019).
In einem vom Senat veranlassten Gutachten vom 05.11.2016 hat der Sachverständige Dr. S1 nach erneuter ambulanter Untersuchung
des Klägers ausgeführt, durch die neueren Befunde ergäben sich orthopädischerseits keine Gesundheitsstörungen, die einen GdB
von 100 rechtfertigten. Der Gesundheitszustand des Klägers habe sich seit 2015 orthopädischerseits nicht geändert und bedürfe
keiner Neubewertung. Aus orthopädischer Sicht sei das Merkzeichen aG nicht zu begründen.
Dr. Q hat in einem weiteren nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstatteten Gutachten vom 27.07.2018 einen Diabetes mellitus,
einen Bluthochdruck, eine Harninkontinenz, eine Fettstoffwechselstörung bei Adipositas, einen Unterbauchtumor rechts (gutartig)
sowie einen Tumor im HWS-Bereich festgestellt. Für den Diabetes mellitus hat Dr. Q einen Einzel-GdB von 30 und für den Bluthochdruck
einen Einzel-GdB von 20 in Ansatz gebracht. Die Entwicklung der Tumore bleibe abzuwarten.
Prof. Dr. X hat in weiteren Gutachten vom 19.03.2018 und 20.07.2020 u.a. ausgeführt: In Zusammenschau der erhobenen Untersuchungsbefunde
bestehe weiterhin, wie auch schon in den Vorgutachten beschrieben, eine beidseitige Visusminderung in der subjektiven Prüfung.
Bei größtenteils guter Mitarbeit und Konzentration des Klägers sei davon auszugehen, dass die subjektiv erhobene Sehminderung
als verwertbar anerkannt werden könne und sich am ehesten, neben der vermutlichen Schädigung des Sehzentrums im Gehirn durch
diabetische mikrovaskuläre Veränderungen, durch die beidseitige hohe Myopie mit PapiIlenanie und eine am ehesten rechtsseitige
refraktive Ambylopie - vermutlich aus einer Summation mehrerer, im Einzelnen eher weniger gravierender Patholgien des Auges
- erklären lasse. Entsprechend sei eine bestmögliche Sehschärfe von rechts 0,1 und links 0,1 zuverzeichnen. Bezüglich des
Gesichtsfeldes habe sich erneut eine massive Einschränkung des Gesichtsfeldes auf ca. 5° mit der Goldmann-Perimetrie gezeigt.
In der Konfrontationsperimetrie, die der Kläger ebenfalls gut durchgeführt habe, hätten die Messwerte abermals nicht reproduziert
werden können, so dass er die plausiblen Außengrenzen der Konfrontationsperimetrie für die Bewertung herannehme. Insgesamt
sei wegen der reduzierten Sehschärfe ein Einzel-GdB von 70 festzustellen.
Der von der Beklagten eingeschaltete Augenarzt Prof. Dr. C hat hierzu ausgeführt: Dass die Augenklinik (Prof. Dr. X) einen
Visus von beidseits 0,1 feststelle, bedeute, dass der Visus sicherlich nicht schlechter sei, aber sehr wohl besser sein könne.
Er verweise auf die mehrfachen Äußerungen über mögliche Aggravation nicht nur von ihm, sondern auch z.B. der Augenklinik im
Jahr 2014. Relevant neu sei jetzt der Befund der VEP-Untersuchung, bei der ein Befund erhoben worden sei, der einer minimalen
Sehschärfe von 0,1 bis 0,2 entspreche. Damit ist ein schlechterer Visus weitgehend ausgeschlossen. Eine GdB-relevante Gesichtsfeldminderung
sei durch den normalen Befund in der Konfrontationsperimetrie ausgeschlossen worden. Es bleibe weiter das Problem des fehlenden
morphologischen Korrelates. Ein GdB für eine Gesichtsfeldeinschränkung könne aufgrund des normalen Konfrontationsgesichtsfeldes
nur abgelehnt werden. Ein GdB für eine Visusminderung solle anerkannt werden, wobei dieser aufgrund der bestehenden morphologischen
Befunde nur auf 10 oder 20 festgelegt werden solle, allenfalls könne man auch einen Einzel-GdB von 30 noch vertreten.
Weiterer Einzelheiten wegen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
2. Auch unter Zugrundelegung der zweitinstanzlichen Ermittlungen ergibt sich weder der vom Kläger geltend gemachte GdB von
100 noch ein Anspruch auf Feststellung der Merkzeichen Bl, aG und RF.
a) Legt man die während die Berufungsverfahren getätigten Ermittlungen zugrunde, bleibt es im Ergebnis, wie bereits das SG in dem angefochtenen Urteil unter Anwendung der einschlägigen Rechtsnormen, deren erneute Benennung hier unterbleiben kann,
sehr ausführlich dargelegt hat, für die Zeit ab Antragstellung bei einem GdB von 40 und ab dem 01.10.2015 bei einem GdB von
allenfalls 60.
aa) Soweit der Sachverständige Prof. Dr. X im Berufungsverfahren (Gutachten vom 19.03.2018 und 20.07.2020) aufgrund einer
reduzierten Sehschärfe zu einem Einzel-GdB von 70 für das das Funktionssystem Sehorgan gelangt ist, folgt der Senat dem nicht.
Auch der Sachverständige Prof. Dr. X hat letztlich keinen morphologischen Befund erhoben, der die vom Kläger angegebene Visusminderung
mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit erklären könnte. Der Sachverständige ist lediglich davon ausgegangen, dass
sich die Visusminderung bei nunmehr guter Mitarbeit des Klägers neben einer vermutlichen Schädigung des Sehzentrums im Gehirn
am ehesten durch diabetische mikrovaskuläre Veränderungen, durch die beidseitige hohe Myopie mit PapiIlenanie und eine am
ehesten rechtsseitige refraktive Ambylopie erklären lasse. Diese Vermutungen und die erstmals im Berufungsverfahren gute Mitarbeit
des Klägers reichen allerdings für eine hinreichend sichere Feststellung eines Einzel-GdB von 70 nicht aus, zumal Prof. Dr.
X in dem von ihm übersandten Aufsatz "Möglichkeiten der objektiven Bestimmung von Sehfunktionen" zusammenfassend ausgeführt
hat, dass es derzeit im Einzelfall (grundsätzlich) keine sichere Methode gebe, den Visus unabhängig von der Mitarbeit eines
Probanden exakt zu messen. Wörtlich hat Prof. Dr. X in dem vorbezeichneten Aufsatz ausgeführt:
"(...) In der Zusammenfassung muss man feststellen, dass es derzeit im Einzelfall keine sichere Methode gibt, den Visus unabhängig
von der Mitarbeit des Probanden exakt messen. Bei guter Mitarbeit des Patienten gibt eine Reihe von objektiven Methoden, die
also nicht auf einer bewußten Antwort des Probanden basieren, deren Messergebnisse gut mit dem Visus oder dem Gesichtsfeld
korrelieren. Diese Methoden sind vor allem dann zu verwerten, wenn Messergebnisse überhaupt nicht erhoben werden können. Sie
können dann zu einer Schätzung von Sehschärfe und Gesichtsfeld herangezogen werden, wobei diese Schätzung aber auch nur in
groben Stufen erfolgen kann. Leider kann im umgekehrten Fall einer fehlenden Registrierung auf einen Lichtreiz nicht immer
darauf geschlossen werden, dass dieser nicht erkannt wurde. Aufmerksamkeitsvarianz, Artefakte durch Muskelbewegungen, methodische
Variabilität und die Möglichkeit der aktiven Störung der Registrierung durch den Probanden können hier zu falschen Befunden
führen. Vor diesem Hintergrund ist dem Gutachter oft nur eine Schätzung auf solchen Tests in der Gesamtschau aller Befunde
innerhalb gewisser Grenzen möglich."
Der von der Beklagten eingeschaltete Gutachter Prof. Dr. C hat ebenfalls zutreffend auf das Problem des fehlenden morphologischen
Korrelats sowie darauf hingewiesen, dass das Verhalten des Klägers in zahlreichen Untersuchungssituationen (nicht nur bei
Prof. Dr. X, sondern vor allem bei dem Sachverständigen X1) durch Aggravation, wenn nicht gar Simulation geprägt war. Angesichts
dessen lässt sich für das Funktionssystem Sehorgan allenfalls ein Einzel-GdB von (knapp) 30 in Ansatz bringen. Eine Erhöhung
wegen einer etwaigen Gesichtsfeldeinschränkung kommt, wie Prof. Dr. C und Prof. Dr. X insoweit übereinstimmend ausführen,
aufgrund des normalen Konfrontationsgesichtsfeldes nicht in Betracht. Damit scheidet - um dies vorwegzunehmen - gleichzeitig
die Feststellung des Merkzeichens Bl aus.
bb) Für das Funktionssystem Stoffwechsel, innere Sekretion lässt sich unter Zugrundelegung der Einschätzung des Sachverständigen
Dr. Q aufgrund des Diabetes mellitus (Teil B. Nr. 15.1 VMG) für die Zeit bis zum 30.09.2015 lediglich ein Einzel-GdB von 20
(knapp erreicht) und ab dem 01.10.2015 ein Einzel-GdB von 30 ansetzen. Dr. Q hat in seinem Gutachten vom 27.07.2018 überzeugend
ausgeführt, dass sich aufgrund der zufriedenstellenden Entwicklung der Langzeitblutzuckereinstellung ein höherer Einzel-GdB
als 30 nicht rechtfertigen lasse.
dd) Unverändert sind - wie der im Berufungsverfahren abermals gehörte Sachverständige Dr. S1 in seinem nach erneuter ambulanter
Untersuchung des Klägers erstatteten Gutachten bestätigt - lediglich mittelgradige Funktionseinschränkungen im Bereich der
Lendenwirbelsäule festzustellen. Hierfür ist unter Berücksichtigung der in Teil B Nr. 18.9 VMG geregelten Vorgaben ein Einzel-GdB
von lediglich 20 in Ansatz zu bringen.
ee) Wie bereits erstinstanzlich ausgeführt, kann für den psychogen aggravierten Tremor der rechten Hand ein Einzel-GdB von
20 und für die Polyneuropathie ein solcher von 20 berücksichtigt werden.
ff) Zwar wurden, wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Q vom 27.02.2018 ergibt, im Verlauf des Berufungsverfahrens
gutartige Tumore im Bereich der rechten Halsseite und des Unterbauchs diagnostiziert, wobei Dr. Q ausgeführt hat, dass aktuell
noch keine Bewertung möglich sei. Weder der Kläger noch die ihn behandelnden Ärzte haben im weiteren Verlauf des Rechtsstreits
diesen Krankheitskomplex von sich aus thematisiert. Der Senat zieht daraus die Schlussfolgerung, dass die aus den (gutartigen)
Tumoren resultierenden Teilhabeeinschränkungen letztendlich kein GdB-relevantes Ausmaß erreicht haben.
gg) Aus diesen Einzel-GdB lässt sich für die Zeit ab dem 01.10.2015 allenfalls ein Gesamt-GdB von 60 bilden. Diese Feststellung
stellt sich vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Prof. Dr. C für die Visusminderung einen gerade soeben erreichten
Einzel-GdB von allenfalls 30 veranschlagt, als äußerst wohlwollend dar. Für die Zeit davor bleibt es im Ergebnis, wie auch
das SG überzeugend ausgeführt hat, bei einem Gesamt-GdB von 40.
b) Es besteht kein Anspruch auf Feststellung der Merkzeichen aG, RF und Bl. Die Zuerkennung der Merkzeichen G und B bereits
für die Zeit ab Antragstellung hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr beantragt (und hätte überdies auch im Rahmen
einer Sachentscheidung abgelehnt werden müssen).