Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Versorgungsleistungen wegen eines Chronical Fatigue Syndroms (CFS) als Folge einer
Influenza-Impfung im Wege einer sog. Kann-Versorgung.
Die 1969 geborene Klägerin unterzog sich am 28.10.1997 einer amtlich empfohlenen Grippeschutzimpfung. Da nach ihren Angaben
am dritten bzw. fünften Tag nach der Impfung Kopf-, Hals-, Glieder- sowie Ohrenschmerzen auftraten und später ein Tubenkatarrh
sowie eine Sinusitis diagnostiziert wurden, beantragte die Klägerin am 13.10.1998 die Anerkennung dieser Gesundheitsstörungen
als Impfschäden. Der Antrag blieb erfolglos (Bescheid vom 12.04.1999, Widerspruchsbescheid vom 03.05.2000).
Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Klage nach Einholung von drei Gutachten, in denen die Sachverständigen übereinstimmend am ehesten bei
der Klägerin ein CFS angenommen hatten, mit Urteil vom 20.10.2006 abgewiesen, weil sich die Ursächlichkeit zwischen der Impfung
und dieser Erkrankung nicht wahrscheinlich machen lasse. Über die Gewährung von Leistungen im Rahmen der sog. Kann-Versorgung,
deren Voraussetzungen der Sachverständige Dr. N bejaht hatte, sei nicht zu entscheiden, weil es insoweit an einer überprüfbaren
Verwaltungsentscheidung fehle.
Der daraufhin am 01.12.2006 gestellte Antrag auf Leistungen wegen des CFS im Wege der Kann-Versorgung blieb ebenfalls erfolglos
(Bescheid vom 09.02.2007, Widerspruchsbescheid vom 05.11.2007).
Das erneut angerufene SG hat die Klage mit seinem ersten Urteil vom 23.11.2009 abgewiesen, weil das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
des beklagten Landes seine Zustimmung zur Kann-Versorgung zu Recht im Hinblick darauf nicht erteilt habe, dass rechtserhebliche
Zweifel über den Zeitpunkt des Leidensbeginns bestünden und es darüber hinaus in der medizinischen Wissenschaft nicht ungewiss
sei, ob eine Grippeschutzimpfung zu einem CFS führen könne, sondern es vergleichsweise gewiss sei, dass dies nicht der Fall
sein könne. Infolgedessen habe der Beklagte in der Form des zuständigen Ministeriums auch nicht zu einer Zustimmung zur Kann-Versorgung
verurteilt werden können.
Mit Urteil vom 17.09.2010 hat der erkennende Senat dieses Urteil, dessen Entscheidungsgründe weniger als eine Seite umfassten,
aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückverwiesen. Hinsichtlich der Begründung wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 17.09.2010 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 04.04.2011 hat das SG die Klage erneut abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne in der Sache seine getroffene Entscheidung nur wiederholen,
weil der Aufhebungsentscheidung eine rechtliche Beurteilung nicht zugrundegelegen habe, die das SG binden könne. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.
Mit ihrer hiergegen am 20.06.2011 eingelegten Berufung rügt die Klägerin u.a., dass sich das SG weder mit dem Akteninhalt noch mit den einschlägigen Gesetzen auseinandergesetzt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Düsseldorf vom 04.04.2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
SG Düsseldorf zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und ist mit dem SG der Auffassung, dass ohne oder gegen die Zustimmung des zuständigen Ministeriums eine Anerkennung von Gesundheitsstörungen
als Impfschaden nicht zulässig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Vorprozessakte - S 36 (36, 18) VJ 196/00 die Gerichtsakte
sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des beklagten Landes Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.
Das angefochtene Urteil des SG leidet unter einem wesentlichen Verfahrensmangel ¡.S.d. §
159 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), weil es seine Entscheidung unter Verstoß gegen die Bestimmung des §
159 Abs.
2 SGG getroffen hat. Nach dieser Vorschrift hat das SG, an das die Sache zurückverwiesen worden ist, die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrundegelegt ist, seiner (neuen)
Entscheidung zugrundezulegen. Das SG ist danach an die Elemente der rechtlichen Würdigung des Berufungsgerichtes gebunden, die für die Aufhebung des ersten Urteils
ursächlich, d.h. entscheidungstragend gewesen sind (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 33 Nr. 33 S. 195; BVerwG, Beschl. v. 11.07.2000 - 8 B 154/00 = juris Rn. 2; BverwG, Beschl. v. 07.12.1997 - 7 B 230/97 = juris Rn. 3; Frehse in Jansen, Kommentar zum
SGG, 3. Aufl., §
159 Rn. 11). Hierzu gehören auch die Gründe, deren Vorhandensein die unmittelbaren Aufhebungsgründe notwendigerweise vorausgesetzt
haben (vgl. BVerwG Beschl. v. 07.12.1997, a.a.O.; Keller,Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 9. Aufl., §
159 Rn. 6a, §
170 Rn. 10a) oder die darin sinngemäß bejaht worden sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.07.2000, a.a.O.).
Das SG hat in seiner erneuten Entscheidung gemeint, eine solche Bindungswirkung sei nicht eingetreten, weil der Aufhebung keine
rechtliche Beurteilung zugrundegelegen habe und damit nicht zu erkennen gegeben worden sei, was an der aufgehobenen Entscheidung
in der Sache falsch gewesen sein solle. Nur die Ausführungen hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen der Zurückverweisung
seien verständlich, alle übrigen nicht. In seiner Ausgangsentscheidung habe es die Klage abgewiesen, weil die Zustimmung des
zuständigen Ministeriums zu einer entsprechenden Kann-Versorgung nicht vorgelegen habe. Da die Zustimmung nach wie vor fehle
und auch nicht ersetzt werden könne, sei die Klage ohne weitere Ermittlungen wieder abzuweisen. Diese Ausführungen verkennen
zum einen die Reichweite der Aufhebungsentscheidung und zum anderen die Bedeutung des Zustimmungserfordernisses in § 52 Abs. 2 S. 2 Bundesseuchengesetz (BSeuchG), § 61 S. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Die Aufhebungsentscheidung hatte ausgeführt, dass im Hinblick auch auf die vorliegenden Ausführungen der im Vorprozess gehörten
Sachverständigen eine Kann- Versorgung in Betracht komme und im Vordergrund die weitere Prüfung stehen dürfte, ob im Fall
der Klägerin die für einen Anspruch auf eine Kann-Versorgung ausreichende "gute Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen
Grippeschutzimpfung und dem CFS bestehe". Sowohl nach der im Zeitpunkt der ersten Antragstellung, die einen Anspruch auf die
Kann-Versorgung als untrennbaren Bestandteil einer Versorgung wegen eines Impfschadens umfasst hat (vgl. BSG, SozR 3-3100 § 1 Nr.14), noch gültigen Bestimmung des § 52 Abs. 2 S. 1 BSeuchG in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des BSeuchG vom 18.12. 1979 (BGBl. I 2248) als auch
nach der zum 01.01.2001 in Kraft getretenen Regelung des § 61 S. 1 IfSG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Impfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigungsfolge erforderliche Wahrscheinlichkeit jedoch
nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit
besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde die Gesundheitsstörung als
Folge einer Schädigung anerkannt werden; diese Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 52 Abs. 2 S. 2 BSeuchG, § 61 S. 2 IfSG). Aus der vom Senat unter Bezugnahme auf die Norm des § 61 IfSG als möglich angesehenen Kann-Versorgung bei unstreitig fehlender Zustimmung der zuständigen Behörde folgt damit aber zwingend,
dass die Möglichkeit der Ersetzung der Zustimmung auch für den vorliegenden Sachverhalt Rechtsgrundlage der Aufhebungsentscheidung
gewesen ist. Dass Ausführungen hierzu unterblieben sind, begründet sich ohne Weiteres daraus, dass das SG in seinem ersten Urteil selbst ausdrücklich ausgeführt hat, dass, weil es vergleichsweise gewiss sei, dass eine Grippeschutzimpfung
nicht zu einem CFS- Syndrom führen könne, folgerichtig die Beklagte in Gestalt des zuständigen Ministeriums nicht zur Zustimmung
verurteilt werden könne. Damit hatte das SG die Zustimmung aber nicht deshalb als nicht ersetzungsfähig angesehen, weil sie bisher noch nicht allgemein oder im Einzelfall
erteilt worden ist, sondern allein deshalb, weil es - ohne nähere Begründung - einen Meinungsstreit in der medizinischen Wissenschaft
bezüglich des Kausalzusammenhangs zwischen einer Grippeschutzimpfung und einem CFS verneint hat.
Insoweit ist es zutreffend, dass die Kann-Versorgung eine abstrakte theoretische Unsicherheit in der medizinischen Wissenschaft
über einen entsprechenden Ursachenzusammenhang erfordert (BSG, SozR 3-3200, § 81 Nr. 13 = juris Rn. 15). Gerade dies hatten aber die im Vorverfahren gehörten Sachverständigen übereinstimmend angenommen.
Das völlige Übergehen deren Ausführungen durch das SG im aufgehobenen Urteil ist wesentlicher Grund für die Zurückverweisung gewesen. Dieser Fehler haftet auch der erneuten Entscheidung
des SG an, weil es sich mit deren Ausführungen in keiner Weise auseinandergesetzt hat, sondern sich lediglich ohne inhaltliche Wiedergabe
auf ein Bulletin des Robert-Koch-Instituts berufen hat. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass die Ungewissheit solche Krankheiten
betrifft, die bereits zumindest für eine Einzelfallentscheidung durch die zuständige Behörde anerkannt sind. Diese vom SG nunmehr unter Berufung auf Rechtsprechung des BSG ohne entsprechende Nachweise vertretene Auffassung findet in dieser gerade keine Entsprechung (vgl. BSG, SozR 3-3850, § 52 Nr. 1; BSG, SozR 3850, § 52 Nr. 1).
Das SG war daher verpflichtet, unter Auswertung aller möglichen Erkenntnisquellen zu prüfen, ob eine entsprechende Ungewissheit
in der medizinischen Wissenschaft i.S.d. §§ 52 Abs. 2 S. 2 BSeuchG, 61 S. 2 IfSG besteht - wofür angesichts der bisher vorliegenden Sachverständigenäußerungen Einiges spricht -, selbst wenn es die Auffassung
hinsichtlich der Ersetzbarkeit der Zustimmung für falsch erachtet hat (vgl. Keller a.a.O., § 159 Rn. 6a m.w.Nachw.).
Die Entscheidung des SG erweist sich jedoch auch nicht deshalb als zutreffend, weil es an der erforderlichen Zustimmung nach §§ 52 Abs. 2 S. 2 BSeuchG, 61 S. 2 IfSG fehlt. Diese Bestimmungen entsprechen der in § 1 Abs. 3 S. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) enthaltenen Regelung und sind daher entsprechend auszulegen (BSG, SozR 3- 3850, § 52 Nr. 1; BSG SozR 3850, § 52 Nr. 1). Dass die auch nach letzterer Norm erforderliche Zustimmung des BMAS kein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal
bzw. ersetzungsfähig ist, ist aber in der Rechtsprechung des BSG anerkannt (vgl. BSG, Urt. v. 22.06.1977 - 10 RV 57/76; Urt. v. 25.11.1976 - 9 RV 230/75; Urt. v. 12.12.1969 - 8 RV 469/67; im Ergebnis ebenso BSG, SozR 3-3850, § 52 Nr. 1; SozR 3850, § 52 Nr. 1; vgl. ferner BSG, Urt. v. 29.08.1990 - 9a/9 RV 15/89; Urt. v. 12.12.1995 - 9 RV 17/94; offengelassen von BSG, Urt.v. 16.03.1994 - 9 RV 11/93, alle unter juris).
Es ist für die gegenteilige Auffassung des SG auch kein rechtfertigender Grund ersichtlich, warum ein Impfgeschädigter allein deshalb von der Kann-Versorgung ausgeschlossen
sein soll, weil die entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht zu einer Zustimmung geführt haben. Bei der Beurteilung
des Kausalzusammenhangs ist auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse abzustellen (BSG, Urt. v. 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R = juris Rn. 42). Es kann aber regelmäßig nicht sichergestellt werden, dass diese Erkenntnisse von den zuständigen Behörden
so unverzüglich umgesetzt werden, dass die Zustimmungsentscheidungen zeitgerecht getroffen werden. Ob die Zustimmung zu Recht
oder zu Unrecht nicht erteilt worden ist, ist daher durch die Gerichte voll überprüfbar. Die Frage ist nicht der Behörde uneingeschränkt
in dem Sinne Vorbehalten, dass ihre Entscheidung keiner gerichtlichen Überprüfung, wie das SG meint, unterliegt, wenn sie sich zu der zu beurteilenden Erkrankung noch nicht oder nur ablehnend geäußert hat. Eine solche
Kompetenz folgt weder aus den Bestimmungen der §§ 52 Abs. 2 S. 2 BSeuchG, 61 S. 2 IfSG noch aus der Bedeutung, die die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit bzw. die Versorgungsmedizin-Verordnung für die Kausalitätsbeurteilung im Versorgungsrecht entfalten.
Da das SG seine neuerliche Entscheidung wiederum ohne Berücksichtigung maßgeblicher Erkenntnistatsachen unter Berufung auf eine nichtexistente
Rechtsprechung des BSG bei gleichzeitiger völliger Missachtung der Aufhebungsentscheidung getroffen hat, sieht es der Senat als geboten an, ihm
die Sache erneut zu einer ordnungsgemäßen Bearbeitung zurückzuverweisen. Dabei wird es nunmehr unter Auswertung aller verfügbaren
Daten, ggf. unter Inanspruchnahme weiterer sachverständiger Hilfe festzustellen haben, wie der Stand der medizinischen Wissenschaft
hinsichtlich des Kausalzusammenhangs zwischen einer Grippeschutzimpfung und einer CFS-Erkrankung ist, ferner wie sich der
Krankheitsverlauf bei der Klägerin gestaltet hat, um sodann zu prüfen, inwieweit die fehlende Zustimmung im Sinne der §§ 52 Abs. 2 S. 2 BSeuchG, 61 S. 2 IfSG zu ersetzen ist.
Das SG wird auch über die Kosten der Berufungsverfahren zu entscheiden haben. Dieses Urteil ist im Hinblick auf den von den Beteiligten
erklärten Rechtsmittelverzicht unanfechtbar.