Vergütung von Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die Erstattung von Kosten für die Elektrophysiologische Untersuchung eines Menschen und Sachkosten nach dem
Normaltarif der Deutschen Krankenhausgesellschaft
Gründe
Über die von der Staatskasse beantragte richterliche Festsetzung der Vergütung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 JVEG entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, weil er der Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 4 Abs. 7 Satz 2 und 3 JVEG).
Die Vergütung des Antragsgegners für sein im Berufungsverfahren erstattetes Sachverständigengutachten vom 18.05.2020 ist,
im Wesentlichen wie von der Staatskasse beantragt,
auf 3.350,20 Euro festzusetzen.
Dies entspricht der vom Antragsgegner mit Rechnung vom 18.05.2020 geltend gemachten und inhaltlich nicht zu beanstandenden
Vergütung nach Zeitaufwand nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 9 JVEG (27,5 Stunden zu je 100,- Euro nach der Vergütungsgruppe M 3 = 2.750,- Euro) zuzüglich Porto in Höhe von 9,49 Euro (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG), Schreibauslagen in Höhe von 55,80 Euro (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG) und Umsatzsteuer (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG) in Höhe von 534,91 Euro. Nicht vergütungsfähig sind demgegenüber die vom Antragsgegner als "Sachleistungen nach dem DKG-NT"
geltend gemachten Kosten in Höhe von insgesamt 99,43 Euro sowie die hierauf entfallende Umsatzsteuer.
1. Die in der Rechnung vom 18.05.2020 im Einzelnen unter Angabe von GOÄ-Ziffern genannten Positionen sind nicht nach § 10 Abs. 1 JVEG i.V.m. Anlage 2 zum JVEG gesondert erstattungsfähig. Die allein in Betracht kommende Ziffer 305 der Anlage 2 zum JVEG ("Elektrophysiologische Untersuchung eines Menschen") ist für keine der genannten Positionen einschlägig (so schon im Ergebnis
der Beschluss des Senats vom 02.10.2019 - L 15 SB 285/19 B -, juris Rn. 7).
Elektrophysiologische Untersuchungen im Sinne der Ziffer 305 der Anlage 2 zum JVEG sind solche Untersuchungen, bei denen elektrische Potentiale unmittelbar und direkt durch Ableitung gemessen werden (so auch
LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.02.2017 - L 2 SF 370/15 E -, juris Rn. 7; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.06.2018 - L 10 KO 1935/18 -, juris Rn. 10; LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 31.01.2020 - L 2 SB 101/19 B -, juris Rn. 18 und in der Sache auch schon der Beschluss des Senats vom 06.09.2013 - L 15 U 589/12 B -, juris Rn. 6). Bei keiner der in Gestalt von Abrechnungspositionen als vergütungsrelevant angegebenen Untersuchungen
handelt es sich um die unmittelbare und direkte Ableitung elektrischer Potentiale.
Bei dem Tonschwellenaudiogramm (GOÄ Nr. 1403), der Tinnitusbestimmung (hier abgerechnet unter GOÄ Nr. 1403a) und dem Sprachaudiogramm (GOÄ Nr. 1404) werden keine elektrischen Signale abgeleitet, sondern die Reaktion des Probanden erfasst (so auch LSG Baden-Württemberg,
Beschl. v. 21.06.2018 - L 10 KO 1935/18 -, juris Rn. 15 f.; LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 31.01.2020 - L 2 SB 101/19 B -, juris Rn. 19).
Bei der kalorischen Prüfung der Gleichgewichtsorgane (GOÄ Nr. 1412) wird zur Provokation und Prüfung eines Nystagmus Wasser unterschiedlicher Temperatur in den äußeren Gehörgang eingebracht
und die Reaktion der Augen visuell analysiert. Elektrische Potentiale werden in diesem Fall somit ebenfalls nicht (unmittelbar)
erfasst (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.06.2018 - L 10 KO 1935/18 -, juris Rn. 19).
Gleiches gilt für die Impedanzmessung (GOÄ Nr. 1407). Mit dieser Untersuchung wird der mechanische Widerstand des Trommelfells durch Druckveränderungen mittels einer
Sonde, die u.a. mit einem Mikrofon ausgestattet ist, gemessen. Es wird also kein elektrisches Potential erfasst, sondern Schall
(so auch LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.06.2018 - L 10 KO 1935/18 -, juris Rn. 18; LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 31.01.2020 - L 2 SB 101/19 B -, juris Rn. 20 gegen LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.02.2017 - L 2 SF 370/15 E -, juris Rn. 10).
Auch die Messung otoakustischer Emissionen (GOÄ Nr. 1409) stellt keine elektrophysiologische Untersuchung dar, denn hier wird ebenfalls nur Schall gemessen. Otoakustische
Emissionen (OAE) sind aktive Schallaussendungen des Ohres, die im Innenohr entstehen und im äußeren Gehörgang über ein Mikrophon
registriert werden. OAE können sowohl spontan, also ohne äußere Reize, als auch nach Stimulation auftreten und werden nach
der Form der Stimulation, wie auch der Antragsgegner in seiner Rechnung geltend gemacht hat, unterschieden in TE-OAE und DP-OAE.
Zwar erfolgt auch hier die Messung mittels eines Mikrofons. Entscheidend ist aber letztlich, dass, wenn auch durch das Mikrofon,
letztlich Schall gemessen wird, aber keine elektrophysiologischen Potentiale abgeleitet werden (so LSG Rheinland-Pfalz, Beschl.
v. 31.01.2020 - L 2 SB 101/19 B -, juris Rn. 20; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.06.2018 - L 10 KO 1935/18 -, juris Rn. 17 gegen LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.02.2017 - L 2 SF 370/15 E-, juris Rn. 11).
Schließlich stellt auch die Ohrmikroskopie (GOÄ Nr. 1415) offensichtlich keine elektrophysiologische Untersuchung dar, weil es hier lediglich um eine visuelle Inspektion
ohne Ableitung elektrischer Potentiale geht.
2. Ein Anspruch auf Vergütung der als "Sachleistungen nach dem DKG-NT" geltend gemachten Kosten folgt auch nicht aus § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG.
Der Senat hat im Beschluss vom 02.10.2019 - L 15 SB 285/19 B -, juris Rn. 11 ff. bereits entschieden, dass nur für "verbrauchte" Stoffe und Werkzeuge eine Erstattung von Auslagen stattfindet,
wohingegen für die bloße Benutzung und fortlaufende Abnutzung von Werkzeugen, Geräten und technischen Einrichtungen keine
Entschädigung nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG zu zahlen ist. Der Senat hat ferner entschieden, dass die einzelnen verbrauchten Werkzeuge und Stoffe und die dadurch entstandenen
Kosten zu spezifizieren und zu konkretisieren sind.
An diesen Grundsätzen hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren
fest. Danach sind die als "Sachleistungen nach dem DKG-NT" geltend gemachten Kosten nicht als Kosten für verbrauchte Stoffe
und Werkzeuge oder Aufwendungen für Hilfskräfte im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG erstattungsfähig. Der Antragsgegner hätte vielmehr im Einzelnen darlegen müssen, welche Stoffe und Werkzeuge bei seinen Untersuchungen
verbraucht wurden und welche Kosten daraus entstanden sind. Ebenfalls hätte er darlegen müssen, welche Hilfskräfte er in Anspruch
genommen hat und welche Aufwendungen ihm dadurch entstanden sind.
Dies hat er jedoch nicht getan. Er hat vielmehr vorgetragen, dass er die Gerätschaften des Instituts für Begutachtung und
die dort angestellten Hilfskräfte nutzt und hierfür nach den Vereinbarungen mit dem Institut für medizinische Begutachtung
Kosten in Höhe der im Normaltarif der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG-NT) genannten Sachkosten entrichten muss. Der
DKG-NT und die dort als "Sachkosten" bezeichneten Positionen sind jedoch keine Grundlage für nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG erstattungsfähigen Kosten (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.06.2020 - L 10 KO 1328/20 -, juris Rn. 13). Zum einen handelt es sich um Pauschalen, die von der DKG zur Abrechnung von ambulanten Krankenhausleistungen
gegenüber Selbstzahlern festgelegt wurden. Pauschalen können nach dem JVEG aber nur dann zur Anwendung kommen, wenn sie gemäß § 14 JVEG zwischen dem Sachverständigen und zuständigen Stelle vereinbart wurden. Wie sich im Umkehrschluss aus § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 JVEG ergibt, sind Auslagen nach dem JVEG im Übrigen nicht pauschal zu ersetzen. Zum anderen ist auch nicht ersichtlich, was der DGK-NT als "Sachkosten" auffasst,
so dass eine Abgrenzung zwischen den Auslagen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG und den nicht gesondert zu ersetzenden Kosten für die Ausstattung mit und die Abnutzung von Geräten, Werkzeugen etc. nicht
möglich ist.
Der Senat verkennt nicht, dass ohne Zweifel bei den vom Antragsgegner durchgeführten Untersuchungen Stoffe verbraucht und
vor allem auch Hilfskräfte in Anspruch genommen wurden. Kosten, die dadurch dem Antragsgegner selbst entstehen oder beim Institut
für Begutachtung anfallen und dem Antragsgegner in Rechnung gestellt werden, sind grundsätzlich nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG erstattungsfähig. Sie müssen aber im Einzelnen spezifiziert und beziffert werden, was hier wegen des Ablaufs der Frist nach
§ 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG freilich nicht mehr möglich wäre, weil es sich in der Sache um eine Nachforderung handeln würde. Dies gilt im Übrigen für
eigene Begutachtungen durch den Inhaber des Instituts für Begutachtung ebenso. Ein pauschaler Ersatz von "Sachkosten nach
dem DGK-NT" ist hingegen nach dem JVEG nicht möglich. Soweit dies die vom Antragsgegner genannten Gerichte anders gesehen haben, teilt der Senat diese Auffassung
aus den dargelegten Gründen nicht.
3. Weiterhin ergibt sich ein Anspruch auf Erstattung der als "Sachleistungen nach dem DKG-NT" geltend gemachten Kosten auch
nicht aus § 7 Abs. 1 JVEG (so auch schon der Beschluss des Senats vom 02.10.2019 - L 15 SB 285/19 B -, juris Rn. 16). Ein Ersatz für sonstige Aufwendungen ergibt sich nach dieser Vorschrift nur in Bezug auf die in den §§
5, 6 und 12 JVEG nicht besonders genannten baren Auslagen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 JVEG). Die von dem Sachverständigen als "Sachleistungen nach dem DKG-NT" geltend gemachten Kosten sind jedoch in § 12 Abs. 1 Satz 1 JVEG ausdrücklich genannt. Entweder handelt es sich um von vornherein nicht gesondert erstattungsfähige Gemeinkosten, nämlich
für die Benutzung von Werkzeugen, Geräten und technischen Einrichtungen, die mit der Vergütung nach § 9 JVEG nach dem Zeitaufwand abgegolten sind, oder um Auslagen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG, die der Antragsgegner jedoch nicht, wie es geboten gewesen wäre, spezifiziert und konkretisiert hat.
4. Schließlich kommt auch wegen der als "Sachleistungen nach dem DKG-NT" geltend gemachten Kosten keine Erhöhung des Zeitaufwandes
und dementsprechend eine Erhöhung der Vergütung nach § 9 JVEG in Betracht. Den Zeitaufwand für die als "Sachleistungen nach dem DKG-NT" geltend gemachten Leistungen hat der Sachverständige
bereits als Zeitaufwand für die Untersuchung geltend gemacht. Dieser Aufwand ist ihm auch vergütet worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG, §
177 SGG).