Diagnose eines nicht operablen metastasierten Pankreasschwanzkarzinoms
Streit über die Finanzierung einer alternativen Behandlungsmethode (hier Hyperthermieverfahren) durch die gesetzliche Krankenversicherung
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Keine Übernahme der Kosten für eine in einem Hyperthermiezentrum durchgeführte ganzheitliche Therapie
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet.
Das Sozialgericht (SG) hat es mit dem Beschluss vom 21.09.2015 zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, vorläufig die gesamten
Kosten der vom Antragsteller bei Dr. X im Hyperthermiezentrum in I durchgeführten ganzheitlichen Therapie zu übernehmen.
Zutreffend hat das Sozialgericht einen Anordnungsanspruch im Sinne des §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 29.11.2007 - 1 BvR 2496/07) verneint.
Das "ganzheitliche Therapiekonzept" des Dr. X unter Einschluss namentlich von Hyperthermie- und Laserbehandlung ist als neue
Behandlungsmethode bisher vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht anerkannt worden. Es liegen auch nicht die Voraussetzungen
für eine Leistungsgewährung gemäß §
2 Abs.
1a Satz 1
SGB V vor. Das hat das Sozialgericht ebenso zutreffend wie eingehend näher dargelegt, so dass der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen
auf die Ausführungen des Sozialgerichts in den Gründen des angefochtenen Beschlusses Bezug nimmt (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG). Auch das Beschwerdevorbingen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Die Frage, ob eine alternative Behandlungsmethode von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren ist, kann nicht
losgelöst davon betrachtet werden, was die anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zu leisten vermag und
was die alternative Behandlung zu leisten vorgibt. Bei der Frage, ob eine Behandlung mit Mitteln der Schulmedizin in Betracht
kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, ist zunächst das konkrete Behandlungsziel zu klären (vgl.
BSGE 97, 190 (201); s.a. Senat, Urteil vom 27.03.2014 - L 16 KR 23/12). Bereits aus §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V ergibt sich, dass hinsichtlich der therapeutischen Ziele der Krankenbehandlung zwischen der Heilung einer Krankheit, der
Verhütung ihrer Verschlimmerung und der Linderung von Krankheitsbeschwerden differenziert wird. Dabei ist nach Möglichkeit
die Heilung der Krankheit als das vorrangige Behandlungsziel anzustreben, während die Verhütung einer Verschlimmerung oder
die Linderung von Krankheitsbeschwerden regelmäßig nachrangige Behandlungsziele sind (vgl. bereits BSGE 78, 70 (85)). Bietet die Schulmedizin nur noch palliative Therapien an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos
erachtet, kommt die Alternativbehandlung nur dann in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die
palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende
Indizien gestützt sind, reichen hierfür nicht. Mit Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Art.
2 Abs.
2 Satz 1
GG ist es in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr jedoch nicht zu vereinbaren, Versicherte auf eine
nurmehr auf die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie zu verweisen, wenn durch eine Alternativbehandlung
eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung besteht oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
im Einzelfall (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.02.2013 - 1 BvR 2045/12 und Beschluss vom 23.03.2007 - 1 BvR 623/07, beide unter [...]).
Bei dem Antragsteller liegt ein nicht operables metastasiertes Pankreasschwanzkarzinom vor. Bei dieser Erkrankung kommt nach
dem Gesamtergebnis der Ermittlungen des Verwaltungsverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens nur eine Behandlung mit palliativer
Zielsetzung in Betracht. Das entspricht nicht nur dem "Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche
Krebshilfe, AWMF): S - 3 - Leitlinie zum exokrinen Pankreaskarzinom" von Oktober 2013, wonach die chirurgische Therapie, die
beim Antragsteller nicht möglich ist, die einzig potentiell kurative Therapie ist (vgl. S. 41 der Kurzfassung (AWMF online)),
sondern auch der Stellungnahme des Prof. Dr. B. Wie dieser in seinem Bericht vom 03.08.2015 überzeugend ausgeführt hat, bedeutet
die Diagnose eines metastasierten Pankreaskarzinoms für den Patienten eine mittlere Restlebenserwartung von etwa sechs Monaten;
eine kurative Therapie gibt es derzeit nicht. Dem entsprechend verfolgt die im Falle des Antragstellers gegebene Standardtherapie
palliative Ziele.
Soweit Dr. X im Bericht vom 18.08.2015 für die vom Antragsteller zunächst durchgeführte, nach der Beschwerde aus Kostengründen
beendete bzw. unterbrochene alternative Therapie mit dem Anspruch antritt, es handele sich um einen kurativen Behandlungsansatz,
geht dies nicht über eine bloße zweckgerichtete Behauptung hinaus. Es fehlt hier jeder Ansatz einer Begründung dafür, dass
der streitigen Therapie - entgegen der evident anderslautenden wissenschaftlichen Lehrmeinung - potentiell kurative Wirkung
zukommt. Die vom Sozialgericht von Dr. X angeforderte Darlegung, aus welchen Gründen seine Behandlungsmethode eine indiziengestützte
Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausgehenden kurativen Erfolg biete, ist Dr. X schuldig geblieben,
wenn er unter dem 01.09.2015 ausführt, er habe den Antragsteller "aufgrund des Alters und unserer Möglichkeiten kurativ behandelt".
Solche Indizien sind auch sonst nicht ersichtlich. Wie Prof. Dr. I im Gutachten vom 30.03.2015 zudem ausgeführt hat, gibt
es seit dem Beschluss des GBA zu den - im Behandlungskonzept des Dr. X offenbar im Mittelpunkt stehenden - Hyperthermieverfahren
aus dem Jahr 2005 keine neuen klinischen Studien, die den Einsatz dieses Verfahrens außerhalb klinischer Studien begründen
könnten und es ist beim Pankreasschwanzkarzinom nicht einmal theoretisch nachvollziehbar, welchen Stellenwert der Einsatz
dieser Therapie und eines Blaulicht-Lasers haben soll. Die streitige Behandlung bietet damit auch nicht die nicht ganz entfernte
Aussicht einer kurative Wirkung.
Für die somit allein in Betracht kommende palliative Behandlung existieren aber zugelassene und beim Antragsteller mögliche
Therapiealternativen, so dass die Voraussetzungen der sogenannten Nikolausentscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) bzw. des §
2 Abs.
1a SGB V nicht gegeben sind. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die im Einklang mit der o.g. Leitlinie stehenden Ausführungen des
Prof. Dr. B und des Prof. Dr. I. Nach dem Beschwerdevorbingen nimmt der Antragsteller inzwischen auch eine Chemotherapie-Behandlung
in Anspruch. Soweit er auf eine solche zunächst wegen der befürchteten Nebenwirkungen verzichtet hat, beruht dies auf einer
ihm obliegenden Abwägung, durch die aber nicht das Spektrum der zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse zu erbringende Leistungen
erweitert wird. Es fehlen dagegen Indizien, dass die begehrte Versorgung einen über diese palliative Standardtherapie hinausgehenden
Erfolg zeitigen könnte (zu diesem Erfordernis vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.02.2013 - 1 BvR 2045/12, [...] Rn. 15). Allein der Umstand, dass sich gemäß dem Vorbringen des Antragstellers nach Abbruch der Hyperthermie-Behandlung
seine Tumormarker erhöht haben und ein erheblicher Gewichtsverlust eingetreten ist, reichen hierfür nicht aus. Eine solche
Entwicklung ist im Rahmen einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft tödlich verlaufenden Erkrankung
grundsätzlich zu erwarten und gibt keinen Hinweis darauf, dass der zuvor bestehende bessere Gesundheitszustand auf die anderweitige
Behandlung zurückzuführen ist und bei deren Fortsetzung Bestand haben könnte. Sonstige objektive Anhaltspunkte, insbesondere
in Form wissenschaftlicher studiengestützter Erkenntnisse über einen zu erwartenden besonderen positiven Effekt auf den Zustand
des Antragstellers durch weitere Anwendung der Hyperthermie sind nicht ersichtlich und sind auch von den gehörten Ärzten nicht
beschrieben worden.
Die Beschwerde ist daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum BSG anfechtbar (§
177 SGG).