Keine Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 1307 BKVO - Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen - in der gesetzlichen Unfallversicherung bei fehlender beruflicher Einwirkung
bei der Produktion von Kunststoffen für die Automobilindustrie
Tatbestand
Der 1953 geborene Kläger arbeitete in der Zeit vom 15.04.1985 ist zum Jahre 2003 bei der Firma H. P. Q GmbH in X als Chemiearbeiter.
Bis 1996 war er dort in der Produktion von Kunststoffen für die Automobilindustrie, danach in der Qualitätskontrolle tätig.
Das Unternehmen stellte Zubehörteile für die Automobilindustrie her.
Schon vor diesem Verfahren hatte der Kläger die Anerkennung verschiedener BKen und Arbeitsunfälle beantragt, die von der Beklagten,
bzw. deren Rechtsvorgängerin, abgelehnt wurden. Die nachfolgenden Klage- und Berufungsverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund
(SG) und dem Landessozialgericht (LSG) blieben - teilweise auch schon in Überprüfungsverfahren - erfolglos.
Mit Schriftsatz vom 15.02.2017 beantragte der Kläger u.a. die Prüfung einer BK 1307.
Zur Akte gelangten diverse Unterlagen aus den vorangegangenen Verfahren u.a.
- ein ausgefüllter Fragebogen des Klägers vom 01.03.2016 zur BK 1307
- ein ausgefüllter Fragebogen des Klägers vom 12.08.1996
- Berichte des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der BG Chemie, vom 02.10.1996 und
29.01.1999
- Informationen des Klägers über seine Tätigkeit bei der Firma Q vom 26.10.1996
- Berichte über Konzentrationsmessungen am Arbeitsplatz (Gase und Dämpfe in Mischung mit Luft) durch den TAD der BG Chemie
vom 02.05.1988, 13.06.1988, 26.10.1988 über Messungen vom 01.03.1988, 19.04.1988, 31.08.1988 und 01.09.1988- eine Auskunft
der Firma Q vom 02.09.1996 über die Tätigkeiten und die bekannten Gesundheitsbeschwerden des Klägers
Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird verwiesen.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes zur Arbeitsplatzexposition des Klägers bezüglich einer BK
1307 bei der Firma Q ein. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 18.03.2016 aus, nach Aktenlage und einer Auskunft des
Werkleiters, Herrn V, seien während der ganzen Beschäftigungszeit des Klägers keine Phosphorverbindungen eingesetzt worden.
Auch bei mehrfachen Arbeitsplatzmessungen seien keine Phosphorverbindungen detektiert worden.
Mit Bescheid vom 13.05.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 1307 und die Gewährung entsprechender Leistungen
ab. Zur Begründung stützte sie sich auf die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes vom 18.03.2016.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er führte aus, es habe eine Vergiftung durch verschiedenste Substanzen stattgefunden.
Hieran seien schon viele Arbeiter qualvoll gestorben, weil die Firma Q und die Beklagte zusammen arbeiteten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger unter Vorlage der "Arbeitsmedizinischen Leitlinie zu Arbeiten unter Einwirkung von Phosphorverbindungen",
Stand 07/2014, am 31.08.2016 Klage vor dem SG erhoben. Er hat weiterhin behauptet, er sei bei der Tätigkeit für die Firma Q systematisch, auch mit organischen Phosphorverbindungen,
vergiftet worden. Die Präventionsdienste der Firma Q und der Beklagten seien untätig geblieben. Er beantrage deshalb entsprechende
Ermittlungen und eine Beweislastumkehr.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 13.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2016 festzustellen, dass bei
ihm eine BK 1307 (nicht 1317, wie vom SG im sinngemäßen Klageantrag formuliert) vorliegt.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidungen für rechtmäßig gehalten.
Nach Durchführung eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 18.01.2017 hat das SG die Beteiligten mit Schreiben vom 23.01.2017 zu der Absicht, nach §
105 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, gehört. Es sei mit einer Klageabweisung zu rechnen, da der Kläger weder schriftlich
noch im Erörterungstermin eine Exposition gegenüber organischen Phosphorverbindungen habe darlegen können.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch auf Anerkennung einer BK 1307 sei nicht gegeben, da
die erforderliche berufliche Einwirkung durch organische Phosphorverbindungen nicht nachgewiesen sei. Eine Beweislastumkehr
sei gesetzlich nicht geregelt und könne von den Gerichten nicht konstruiert werden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die
Entscheidungsgründe in dem Gerichtsbescheid vom 28.04.2017 verwiesen.
Gegen den ihm am 03.05.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29.05.2017 Berufung eingelegt. Messungen für Phosphorverbindungen/Phosgen
seien bei der Firma Q nicht erfolgt. Bei der Beheizung der Hallen mit Gasbrennern sei aber Phosgen entstanden. Die Giftwerte
seien sogar bei Messungen außerhalb der Hallen überschritten worden. Im Übrigen seien verschiedene Anlagen abgebaut und nach
Tschechien und Belgien verlegt worden, sodass entsprechende Messungen nicht mehr möglich seien. Er beantrage toxikologische,
epidemiologische und biologische forensische Untersuchungen bei der Firma Q durchzuführen. Die Beklagte habe es schuldhaft
versäumt, rechtzeitig entsprechende Beweise zu erheben. Die Pflicht der Arbeitgeber, die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten
sicherzustellen, rechtfertige deshalb eine Beweislastumkehr. Zur Stützung seines Vortrags hat er verschiedene Unterlagen vorgelegt,
u.a.
- Schreiben des K T vom 01.12.2004 und 10.02.2006, des J K, ohne Datum, und des N C vom 15.11.2005, alle (ehemalige) Mitarbeiter
der Firma Q
- eine Betriebsanweisung gemäß § 20 der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) zu Suprasec VM 50 (Schaumkomponente B)
- eine Betriebsanweisung gemäß § 20 GefStoffV und TRGS 555 zu Bakelite-, Farfen- und Klangharzen
- eine Betriebsanweisung gemäß § 20 GefStoffV zu Methylenchlorid (Spülmittel)
- einen Ausdruck vom 04.01.2016 aus dem Emissionskataster des Landesumweltamts NRW- ein arbeitsmedizinisch-wissenschaftliches
Gutachten des Prof. Dr. O vom 26.10.2005 zur BK 1317 (Polyneuropathie oder Enzelopathie durch organische Lösungsmittel oder
deren Gemische) in der Erkrankungssache eines anderen Mitarbeiters der Firma Q
- eine nervenärztliche Stellungnahme des Dr. L vom 05.12.2006 zur BKen 1317 in der Erkrankungssache eines weiteren Mitarbeiters
der Firma Q
Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 28.04.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 13.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2016 zu verurteilen, bei ihm eine BK 1307 bzw. eine BK
wegen einer Belastung durch Phosgen anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig.
Mit Beschluss vom 31.08.2017 wurde die Entscheidung über die Berufung gemäß §
153 Abs.
5 SGG der Berichterstatterin übertragen. Dieser Beschluss wurde dem Kläger am 05.09.2017 und der Beklagten am 07.09.2018 zugestellt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten Bezug genommen. Ihre Inhalte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte in der Sache in der Besetzung mit der Berichterstatterin als Vorsitzender und zwei ehrenamtlichen Richtern
entscheiden, weil die Voraussetzungen hierfür gemäß §
153 Abs.
5 SGG vorliegen. Die Vorschrift lautet: "Der Senat kann in den Fällen des §
105 Abs. 2 S. 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet".
Ein Fall des §
105 Abs.
2 S. 1
SGG liegt vor, weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Das SG hat auch verfahrensfehlerfrei durch Gerichtsbescheid entschieden. Insbesondere sind die Beteiligten vorher gemäß §
105 Abs.
1 S. 2
SGG gehört worden.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet, soweit der Kläger die Anerkennung einer BK 1307 begehrt. Der angefochtene Gerichtsbescheid
ist nicht zu beanstanden. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 13.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2016
nicht beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist (§
54 Abs.
2 Satz 1
SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK 1307.
Unter den Tatbestand der BK 1307 fallen Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen. Zur Anerkennung einer BK muss
zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen
und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung
und die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge
hingegen genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG, Urteile vom 02.11.1999 - B 2 U 47/98 R -, 02.05.2001 - B 2 U 16/00 R -, 15.09.2011 - B 2 U 25/10 -, 02.04.2009 - B 2 U 9/08 - und 31.01.2012 - B 2 U/11 R -). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine 1307 nicht vor (BSG, Urteile vom 30.10.2007, a.a.O., und vom 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R).
Der geltend gemachte Klageanspruch scheitert bereits am Nachweis der schädigenden Einwirkung. Eine Exposition des Klägers
mit organischen Phosphorverbindungen während seiner Tätigkeit bei der Firma Q konnte nicht nachgewiesen werden. Nach der auf
der umfangreichen Aktenlage und einer Auskunft des Werkleiters, Herrn V, beruhenden plausiblen Stellungnahme des Präventionsdienstes
der Beklagten vom 18.03.2016 war der Kläger während seiner ganzen Beschäftigungszeit bei der Firma Q keinen Phosphorverbindungen
ausgesetzt. Auch Konzentrationsmessungen am Arbeitsplatz (Gase und Dämpfe in Mischung mit Luft) durch den TAD der BG Chemie
vom 01.03.1988, 19.04.1988, 31.08.1988 und 01.09.1988 haben keinerlei Phosphorverbindungen detektieren können. Die vom Kläger
im sozialgerichtlichen Verfahren und im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen sind als Beweis für eine Exposition mit
organischen Phosphorverbindungen nicht geeignet. Die "Arbeitsmedizinische Leitlinie Arbeiten unter Einwirkung von organischen
Phosphorverbindungen" enthält lediglich Empfehlungen für den Fall, dass ärztliches Handeln im Zusammenhang mit einer entsprechenden
Exposition erforderlich ist. Über die tatsächliche Exposition des Klägers sagt sie nichts aus. Die Schreiben der (ehemaligen)
Mitarbeiter der Firma Q, K T, J K und N C geben für eine konkrete Belastung mit organischen Phosphorverbindungen nichts her.
Bei den dort genannten Schadstoffen handelt es sich nicht um für die Anerkennung einer BK 1307 relevante organische Phosphorverbindungen.
Auch bei Phosgen (COCl2) handelt es sich nicht um eine organische Phosphorverbindung im Sinne der BK 1307, sondern um ein
chemisch-irritativ oder toxisch wirkendes Gas, das bei der thermischen Zersetzung chlorierter Kohlenwasserstoffe entstehen
kann. Akute Vergiftungen durch Phosgen sind als Arbeitsunfälle anzusehen; chronische Schäden im Sinne obstruktiver Atemwegserkrankungen
fallen unter die BK 4302 (siehe Merkblatt zur BK 1109 - Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen
- IV). Im Übrigen ergibt sich aus diesen Schreiben auch nicht, welchen Belastungen konkret der Kläger ausgesetzt war. Die
Betriebsanweisungen zu Suprasec VM 50, Bakelite-, Farfen- und Klangharzen ergeben ebenfalls keine Hinweise auf organische
Phosphorverbindungen. Dem Auszug aus dem Emissionskataster des Landesumweltamts NRW sind ebenfalls keine Hinweise für eine
Exposition des Klägers mit organischen Phosphorverbindungen zu entnehmen. Und schließlich belegen auch weder das Gutachten
des Prof. Dr. O noch die nervenärztliche Stellungnahme des Dr. L eine derartige Exposition des Klägers. Abgesehen davon, dass
diese ärztlichen Unterlagen nicht den Kläger, sondern andere Mitarbeiter der Firma Q betreffen, ging es hier jeweils um die
BK 1317. Für diese BK sind aber nicht organische Phosphorverbindungen, sondern organische Lösungsmittel und deren Gemische
relevant.
Weitere Ermittlungsmöglichkeiten sieht der Senat nicht. Da der Kläger bereits seit 2003 nicht mehr bei der Firma Q beschäftigt
ist, wären aktuelle Ermittlungen in dem Betrieb nicht mehr zielführend. Der Kläger hat selbst eingeräumt, dass entsprechende
Nachweise (wegen Versäumnissen der Beklagten) nicht mehr geführt werden können. So seien keine Messungen auf organische Phosphorverbindungen
vorgenommen worden und auch jetzt nicht mehr möglich, da Produktionsstätten verlagert worden seien. Außerdem hat der Kläger
selbst bisher keine konkrete Einwirkung von organischen Phosphorverbindungen darlegen können, sondern vielmehr wiederholt
eine systematische Vergiftung mit allen möglichen Schadstoffen geltend gemacht. Auch insoweit sieht der Senat keinen Ansatz
für weitere Ermittlungen. Denn für die Anerkennung einer BK 1307 kommt es nicht darauf an, ob der Kläger überhaupt Schadstoffen
ausgesetzt war, sondern ob eine Exposition mit organischen Phosphorverbindungen vorlag. Der Senat sieht sich schließlich auch
nicht durch die Behauptung des Klägers, bei der Beheizung der Hallen mit Gasbrennern sei Phosgen entstanden, zu Ermittlungen
gedrängt, weil Phosgen, wie bereits ausgeführt, nicht zu den organischen Phosphorverbindungen gehört.
Die objektive Beweislast trägt der Kläger (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum
Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage, §
118, Rn. 6). Eine Beweislastumkehr, wie von ihm beantragt, ist im Gesetz nicht vorgesehen.
Soweit der Kläger die Anerkennung einer BK wegen einer Belastung durch Phosgen (COCl2) begehrt, ist die Berufung ist unzulässig.
Nach §
157 Satz 1
SGG prüft das Landessozialgericht (LSG) den Streitfall im gleichen Umfang wie das SG. Das SG hat aber in dem angefochtenen Urteil über die Anerkennung einer BK wegen einer Belastung durch Phosgen nicht entschieden.
Dies war auch nicht erforderlich, da im sozialgerichtlichen Verfahren lediglich die Anerkennung einer BK 1307 streitig war.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Klage diesbezüglich auch unzulässig gewesen wäre, da die Beklagte in dem angefochtenen
Bescheid hierüber keine Entscheidung getroffen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.