Tatbestand
Streitig ist, in welcher Höhe eine Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute ruht.
Der im März 1943 geborene Kläger hat sein Erwerbsleben größtenteils in Polen verbracht. Von 1961 bis zum 30.6.1990 war er
im polnischen Bergbau beschäftigt und bezog nebenher seit dem 1.7.1986 "Bergmannsruhegeld". Ab dem 1.7.1990 war er in Polen
Rentner. Am 25.5.1991 siedelte er nach Deutschland über und wurde als Vertriebener anerkannt (Vertriebenenausweis A). Ab August
1991 war der Kläger in Deutschland außerhalb des Bergbaus versicherungspflichtig beschäftigt.
Die Bundesknappschaft (Rechtsvorgängerin der Beklagten bis zum 30.9.2005), gewährte dem Kläger ab dem 1.6.1991 Rente für Bergleute,
auf die sie eine ab 1994 (mit Unterbrechungen) vom polnischen Rentenversicherungsträger Zakled Ubezpieczen Spolecznych (ZUS)
gewährte polnische Rente durchweg "anrechnete", indem sie die deutsche Rente insoweit nicht leistete, als die bezogene polnische
Rente auf den gleichen, in Polen zurückgelegten Zeiten beruhte.
Ab dem 1.4.2003 gewährte die Bundesknappschaft dem Kläger Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute in
Höhe von zunächst EUR 1.231,22; dabei berücksichtigte sie alle rentenrechtlichen Zeiten, die auch die ZUS der polnischen Altersrente
zugrunde gelegt hatte (Bescheid vom 21.3.2003). Zugleich stellte sie mit separatem Bescheid (ebenfalls vom 21.3.2003) mit
der Überschrift "Ruhen der deutschen Rente nach § 31 FRG" fest, dass die polnische Altersrente ab dem 1.4.2003 in vollem Umfang auf die deutsche Rente "anzurechnen" sei. Dieser Bescheid
wurde bestandskräftig. Ab dem 1.1.2004 berechnete die Bundesknappschaft die Rente neu (Bruttobetrag EUR 1349,31; Nettozahlbetrag
EUR 1235,29) und stellte fest, dass die Rente wegen Zusammentreffens mit der polnischen Altersrente in Höhe des Betrages dieser
Rente ruhe, und nur der verbleibende Betrag zur Auszahlung komme. Ab dem 1.12.2004 ergab sich ein Zahlbetrag von EUR 750,51
(Bescheid vom 12. April 2005).
Am 1.4.2005 trat rückwirkend zum 1.1.2005 das Abkommen zwischen der Republik Polen und der Bundesrepublik Deutschland über
das Vermeiden der Doppelbesteuerung im Bereich der Einkommen- und Vermögensteuer vom 14. Mai 2003 (fortan: Doppelbesteuerungsabkommen
- DBA) in Kraft. Nach Art 18 Abs 2 DBA erfolgt die Besteuerung von Leistungen aus der gesetzlichen Sozialversicherung aufgrund
der in dem Staat maßgeblichen Rechtsvorschriften, dessen Träger diese Leistung zahlt. Nach den polnischen Rechtsvorschriften
ist der dortige Rentenversicherungsträger verpflichtet, von den Rentenleistungen eine monatliche Vorauszahlung zur Einkommenssteuer
abzuziehen bzw einzubehalten und an den polnischen Fiskus als Steuervorauszahlung abzuführen. Die endgültige Steuerabrechnung
erfolgt im Quartal des Folgejahres über die dortigen Finanzämter. Die in Deutschland lebenden polnischen Rentenbezieher wurden
von der ZUS über dieses ab 2005 geltende Verfahren informiert.
Die Bundesknappschaft entschied nunmehr (für den Zeitraum ab dem 1.10.2005), dass auf die von ihr geleistete Rente die polnische
"Bruttorente" (= Rentenbetrag vor Steuerabzug) anzurechnen sei, da ansonsten die polnischen Steuern von der deutschen Rentenversicherung
bezahlt würden. Der Kläger erhalte daher ab dem 1.10.2005 die polnische Rente, die sie zuvor vereinnahmt habe, in Höhe der
vom polnischen Versicherungsträger erfolgten Überweisung ausgezahlt; die deutsche Rente werde allerdings dem Bruttobetrag
der polnischen Rente entsprechend gemindert. Danach betrage der Zahlbetrag 1349,31 - 622,14 = 727,17 EUR brutto = 662,46 EUR
netto (Bescheid vom 17.8.2005). Mit seinem Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die getrennte Auszahlung der beiden Renten
wegen der dadurch eingetretenen Minderung des Gesamtbetrages. Der Wortlaut des § 31 Abs 1 Fremdrentengesetz (FRG) lege fest, dass nur die tatsächlich ausgezahlte Rente zu berücksichtigen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid
vom 10.1.2006).
Dagegen hat der Kläger noch im Januar 2006 Klage erhoben: Durch die Anrechnung der polnischen Bruttorente bei gleichzeitiger
Auszahlung nur der polnischen Nettorente vermindere sich sein Gesamtrentenanspruch um etwa 90 EUR. Dies sei rechtswidrig,
weil § 31 FRG im Wortlaut ausdrücklich festlege, dass die Rente nur in Höhe des ausgezahlten Betrags ruhe. Außerdem widerspreche es dem
Sinn und Zweck der Ruhensregelung, dass er nicht mehr in den Genuss seiner vollen deutschen Rente komme.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte wegen Veränderungen der Höhe der polnischen Rente den Ruhensbetrag mehrfach neu
festgestellt und jeweils wie zuvor die polnische "Bruttorente" als Ruhensbetrag berücksichtigt (Bescheide vom 17.2.2006, 23.5.2006
und 4.6.2007). Gegen diese Bescheide hat der Kläger jeweils Widerspruch eingelegt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 17.8.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.1.2006
zu verurteilen, ihm Rente unter Anrechnung des tatsächlichen Zahlbetrages der Nettorente aus Polen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ab dem 1.4.2005 werde auf die Altersrente in Polen Einkommenssteuer erhoben. Sie sei daher ab dem 1.7.2007 dazu übergegangen,
die ihr aus Polen überwiesenen Nettorente auszuzahlen und die deutsche Altersrente in Höhe der polnischen Bruttorente zum
Ruhen zu bringen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen: Es hat die Entscheidung der Beklagten für richtig gehalten und im Übrigen darauf hingewiesen,
dass die Rente in Höhe des vom polnischen Rentenversicherungsträger geschuldeten Betrages "ausgezahlt" werde. Dem Abfluss
beim Rentenversicherungsträger entspreche wegen der Minderung seiner Steuerschuld ein entsprechender Zuwachs beim Kläger.
Auch bei einer Pfändung oder Abtretung sei die ausgezahlte Rente der vom Rentenversicherungsträger geschuldete Betrag, der
lediglich im Wege einer vereinfachten Zahlung an Dritte abgeführt werde (Urteil vom 29.5.2007, zugestellt am 26.6.2007).
Mit seiner Berufung vom 25.7.2007 hat der Kläger erneut auf den Wortlaut des § 31 FRG hingewiesen; es sei ein Unterschied, ob von "zahlen" oder "auszahlen" gesprochen werde. Die geschichtliche Entwicklung zeige,
dass ihm jedenfalls der volle deutsche Rentenanspruch erhalten bleiben soll. Überdies liege eine Ungleichbehandlung mit denjenigen
vor, auf die das deutsch-polnische Rentenabkommen von 1975 (DPRA 1975) anwendbar sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 29.5.2007 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17.8.2005
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.1.2006 zu verurteilen, ihm ab dem 1.10.2005 um den Differenzbetrag zwischen
polnischer Brutto- und Netto-Altersrente höhere Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute zu gewähren.
Die Beklagte wird beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Es gelte das Prinzip der Bruttoanrechnung. Auch in Deutschland unterliege die
Altersrente der Einkommensteuer. Hier seien jedoch die Rentenversicherungsträger nicht in das Verfahren eingebunden.
Auch während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte wegen der Veränderung der Höhe der polnischen Altersrente (z.B. durch
Änderung der Wechselkurse) Bescheide erlassen, mit denen Sie die Höhe des Ruhensbetrages und entsprechend die Höhe des auszuzahlenden
Betrages geändert hat (Bescheide vom 26.5.2009, 4.5.2010 und 28.5.2012). Dabei ist sie wiederum von der Maßgeblichkeit der
polnischen Bruttorente ausgegangen. Auch gegen diese Bescheide hat der Kläger - soweit ersichtlich - jeweils Widerspruch eingelegt.
Der Senat hat eine Auskunft der DRV Berlin-Brandenburg und über die Deutsche Botschaft in Warschau eine Auskunft der ZUS zum
Steuerfall des Klägers eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten
der Beklagten Bezug genommen; sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen. Der Bescheid vom 17.8.2005 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10.6.2006, §
95 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) beschwert den Kläger nicht, weil er nicht rechtswidrig ist, §
54 Abs
2 Satz 1
SGG. Der mit der von der Beklagten darin getroffenen Regelung verbundene Eingriff in die Rechtssphäre des Klägers ist durch eine
(verfassungsgemäße) Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Die Beklagte hat gegen den monatlichen Rentenzahlungsanspruch des Klägers
den Einwand der Doppelzahlung aus § 31 FRG auch insoweit zutreffend erhoben, als sie festgestellt hat, dass der monatliche Rentenzahlbetrag auch in Höhe desjenigen
Betrages ruht, den die ZUS monatlich von der polnischen Altersrente als Vorauszahlung auf die (Jahres-)Steuerschuld des Klägers
an die polnischen Finanzbehörden abführt.
Gegenstand des Verfahrens ist nur der Ausgangsbescheid vom 17.8.2005, durch den erstmals das seit dem 1.4.2005 geltende neue
polnische Steuerrecht dahingehend berücksichtigt wird, dass die Vorauszahlungen auf die dortige Steuerschuld, die die ZUS
von der polnischen Altersrente abzweigt und an die polnischen Finanzbehörden abführt, nicht den im Rahmen des § 31 FRG zu berücksichtigenden Rentenbetrag mindern. Nicht geregelt ist hingegen, dass § 31 FRG überhaupt Anwendung findet. Dies ist bereits in dem bestandskräftigen Bescheid vom 21.3.2003 geregelt und steht damit zwischen
den Beteiligten bindend fest. Es entspricht auch dem seit 1994 zwischen den Beteiligten einvernehmlich praktizierten Verfahren.
Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid den Bescheid vom 21.3.2003 modifiziert, indem sie eine ergänzende Entscheidung
zu der hier streitigen Frage "Brutto- oder Nettoanrechnung" getroffen hat. Diese Regelung hat sie in den späteren Anpassungsbescheiden
(lediglich) wiederholt, nicht jedoch (im Sinne einer erneuten Entscheidung, eines sog Zweitbescheids) erneut getroffen. Diese
späteren Bescheide sind daher nicht Gegenstand des Klage- oder Berufungsverfahrens geworden, §
96 Abs
1 SGG. Sie ändern den Ausgangsbescheid nicht ab und ersetzen ihn auch nicht, sondern treffen für spätere Zeiträume Regelungen allein
zur Höhe des sich aus der Währungsumrechnung in Euro ergebenden Zahlbetrags. Auch der Sachantrag des Klägers belegt durch
die gewählte Terminologie "Brutto-" bzw "Netto-Altersrente", dass es ihm ausschließlich um den Differenzbetrag zwischen polnischer
Altersrente mit und ohne Steuerabzug geht. Streitig ist damit in der Sache nur, in welcher Höhe das Recht des Klägers auf
Altersrente seit dem 1.10.2005 wegen Zahlung einer polnischen Altersrente ruht.
Das Recht des Klägers auf (deutsche) Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute ruht in Höhe des vollen
Betrags der polnischen Altersrente, der sich vor Abzug der polnischen Steuern ergibt. Dies folgt aus § 31 Abs 1 Satz 1 FRG. Die Beklagte darf (bzw muss) den - aus dem bestandskräftig auch der Höhe nach festgestellten (Stamm-)Recht auf (Alters-)Rente
sich ergebenden - monatlichen Zahlungsansprüchen des Klägers die Einwendung des Ruhens (wegen Doppelleistung) nach § 31 Abs 1 Satz 1 FRG auch in Höhe der von der ZUS aus der polnischen Altersrente monatlich abgeführten Steuervorauszahlungen entgegenhalten (so
iE auch: LSG BW Urt v 20.3.2007, Aktenzeichen (Az) L 9 R 1021/06; BayLSG Urt v 27.11.2009, Az L 14 R 65/07).
Das Konkurrenzverhältnis der nebeneinander bestehenden Ansprüche auf Altersrente aus Deutschland und Polen bestimmt sich trotz
Mitgliedschaft beider Staaten in der Europäischen Union (EU) nicht nach den Vorschriften der einschlägigen europäischen Verordnungen,
sondern weiter nach Art 19 Abs 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale
Sicherheit vom 8.12.1990 (im Folgenden: Abk Polen SozSich 1990), das durch das (Zustimmungs-)Gesetz vom 18.6.1991 (BGBl II
741, geändert durch Art 2 Nr 10 des Gesetzes zur Umsetzung von Abkommen über Soziale Sicherheit und zur Änderung verschiedener Zustimmungsgesetze vom 27.4.2002, BGBl I 1464) in innerstaatliches Recht transformiert worden
und am 1.10.1991 in Kraft getreten ist (BGBl II 1072). Art 19 Abs 4 Abk Polen SozSich 1990 bestimmt, dass die deutschen Auslandsrentenvorschriften
(hinsichtlich der außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Zeiten) und das Fremdrentengesetz auch in Abkommensfällen (weiter) anzuwenden sind. Diese Regelung des Abk Polen SozSich 1990 gilt nach dem 1.5.2004 (Beitritt
Polens zur EU) weiter. Dies folgt aus der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (fortan: VO (EWG) Nr. 1408/71) Anhang III "Bestimmungen
aus Abkommen über Soziale Sicherheit, die ungeachtet des Art 6 der VO weiter anzuwenden sind [ ]" A. Nr 84 b). In Nr 84 b)
dieses Anhangs ist (u.a.) Art 19 Abs 4 Abk Polen SozSich 1990 aufgeführt als Bestimmung "aus Abkommen über Soziale Sicherheit,
die ungeachtet des Art 6 der Verordnung weiterhin gelten". Die in Art 7 Abs 2 c) VO (EWG) Nr 1408/71geregelten formellen und
materiellen Voraussetzungen für eine Weitergeltung sind erfüllt (vgl BSGE 111, 184 = SozR 4-5075 § 1 Nr 9). Die VO (EWG) Nr 1408/71 ist vorliegend auch nach dem Inkrafttreten der (Folge-)Verordnung (EG) Nr
883/04 vom 29.4.2004 (ABl (EU) Nr L 166 vom 30.4.2004, zuletzt geändert durch EUV 517/2013 vom 13.5.2013, ABl (EU) Nr L 158 vom 10.6.2013) zum 1.5.2010 (fortan: VO (EG) 883/04) weiter maßgeblich, weil die
streitige Altersrente bereits vor Beginn der Anwendung der VO (EG) 883/04 gewährt wurde, Art 87 Abs 5 VO (EG) 883/04. Eine
Neufeststellung auf fristgerechten Antrag des Klägers nach Art 87 Abs 6 VO (EG) 883/04 ist offensichtlich nicht erfolgt. Damit
gilt vorliegend Art 19 Abs 4 Abk Polen SozSich 1990 kraft ausdrücklicher europarechtlicher Anordnung in Anhang III A. Nr 84
b) VO (EWG) Nr 1408/71 als bilaterales Recht anstelle der (eigentlich vorrangigen) europarechtlichen Bestimmungen weiter.
Ohne Belang ist, dass die Weitergeltung dieser bilateralen Regelung unter dem Regime der VO (EG) 883/04 für ab dem 1.5.2010
beginnende Renten nicht mehr vorgesehen ist, Art 8 Abs 1 VO (EG) 883/04 i.V.m. mit Anhang II "DEUTSCHLAND - POLEN b)".
Nach § 31 Abs 1 Satz 1 FRG ruht die Rente in Höhe des in Euro umgerechneten Betrags, der als Leistung eines Trägers der Sozialversicherung oder einer
anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgezahlt wird, wenn er für nach Bundesrecht anzurechnende Zeiten
als Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder an Stelle einer solchen Leistung gewährt wird. Der Begriff "ausgezahlt"
stellt auf die tatsächliche Gewährung der ausländischen Rente ab (BSGE 108, 152ff = SozR 4-5050 § 31 Nr 1; Hoernigk/Jahn/Wickenhagen/Aulmann. Kommentar zum FRG. Stand Juli 1988, § 31 Rn 6). Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Sinn und Zweck der Regelung wird dem Kläger der hier streitige
Betrag, der von der ZUS als Einzugsstelle an die polnischen Finanzbehörden abgeführt wird, in diesem Sinne tatsächlich gewährt.
Ausgezahlt (und damit tatsächlich gewährt) wird eine Leistung nicht nur dann, wenn sie in einer Summe auf ein Konto des Berechtigten
oder sonst in seine Verfügungsgewalt gelangt. Es genügt, wenn sie unmittelbar das Vermögen des Berechtigten vermehrt. Dazu
genügt beispielsweise, dass durch eine rechtmäßige (gesetzlich vorgeschrieben oder erlaubte) Zahlung an Dritte deren Forderung
gegen den Kläger erfüllt wird, der Berechtigte also durch die Zahlung von einer Verbindlichkeit befreit wird. Der Kläger bestreitet
- ausweislich der Auskunft der ZUS zum Steuerfall des Klägers zutreffend - nicht, dass die ZUS nach polnischem Recht verpflichtet
ist, die auf die dortige Altersrente (neuerdings) zu entrichtende Steuer als Vorauszahlung auf die Jahresteuer von der Rente
einzubehalten. Dieser Teil der Rente wird damit - bildlich gesprochen - auf das "Steuerkonto des Klägers" eingezahlt und damit
gleichzeitig durchaus an ihn ausgezahlt. Es handelt sich um ein abgekürztes Verfahren, das an der Quelle (vgl Art 29 Abs 1
DBA) die tatsächliche Zahlung der Steuerschuld sicherstellt: Der polnische Gesetzgeber beauftragt die ZUS, für die Finanzämter
die Steuerschuld qua "Verrechnung" (ähnlich §
52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I)) einzutreiben.
Diese Auslegung des Wortlauts wird zunächst durch systematische steuerrechtliche Überlegungen bestätigt: Wenn die Steuervorauszahlung
wie hier vom zustehenden Gesamtbetrag der Rente erhoben wird, zeigt das, dass dem Versicherten (zuvor) die gesamte Rente zufließt,
sonst könnte sie der Steuerbemessung nicht zugrunde gelegt werden: Der ihm zustehende (vollständige) Anspruch auf Rente ist
die Bemessungsgrundlage für seine Steuervorauszahlung.
Es entspricht weiter einem allgemeinen rechtssystematischen (auch: europarechtlichen) Grundsatz, dass im Falle der Anrechnung
von Sozialleistungen die Anrechnung des "Bruttobetrages" erfolgt. Dies ergibt sich beispielsweise europarechtlich aus den
- hier ausnahmsweise nicht anwendbaren, s.o. - Regelungen in Art 46a Abs 2 b) der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 und Art 53 Abs
3 b) der Verordnung (EG) Nr 883/04. In beiden Vorschriften ist ausdrücklich geregelt, dass von einem anderen Mitgliedsstaat
zu zahlende Leistungen "vor Abzug von Steuern" zu berücksichtigen sind. Auch im deutschen Recht gibt es zahlreiche Vorschriften,
die (meist zur Vermeidung von Doppelleistungen) das Ruhen von Sozialleistungen regeln, zB §§ 142ff Drittes Buch Sozialgesetzbuch
(
SGB III), §
49 SGB V, §
53 SGB VII und §
34 SGB XI. Soweit darin (zB in §
49 Abs
1 Nr
1 SGB V) die "Anrechnung" von steuerpflichtigen Leistungen wie Arbeitsentgelt geregelt ist, ist immer das Bruttoentgelt gemeint (vgl
§
14 Abs
1 und
2 SGB IV).
Die Entstehungsgeschichte der Norm besagt nichts Abweichendes. Nach der Vorgängerregelung des § 31 Abs 1 Satz 1 FRG, § 1 Abs 5 Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz vom 7.8.1953 (BGBl I, S 848ff), erlosch der Anspruch nicht nur, wenn eine ausländische
Leistung gewährt wurde, sondern bereits dann, wenn sie auf "Antrag gewährt würde", also auch, wenn sie faktisch gar nicht
geltend gemacht wird. Dass diese Regelung nicht in § 31 Abs 1 Satz 1 FRG übernommen wurde, spricht dafür, dass der Begriff "ausgezahlt" nur auf wirklich erbrachte Leistungen abstellt (vgl dazu BSGE
108, 152ff = SozR 4-5050 § 31 Nr 1mwN). Danach grenzt "ausgezahlt" nicht von "gezahlt", sondern von "nicht geltend gemacht"
ab. Damit gemeint sind Leistungen, die noch nicht ausgezahlt werden können, zB Anwartschaften, die noch nicht zum Vollrecht
erstarkt sind, oder auch Leistungen, die nicht exportiert werden können. Eine sinnstiftende Bedeutungsdifferenz zwischen dem
gewählten Begriff "ausgezahlt" und dem vom Kläger ins Spiel gebrachten Begriff "gezahlt" besteht im hier maßgeblichen Kontext
entgegen der Auffassung des Klägers gerade nicht.
Schließlich entspricht das Ergebnis auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Die Vorschrift dient der Vermeidung von Doppelleistungen
(BT-Drucks 3/1109, Begründung zu §§ 11, 31 FRG; BSG. AaO; BSG SozR 5050 § 31 Nr 1; BSGE 43, 274, 277; BSG Breith 1977, 476, 478). Eine solche Doppelleistung liegt immer dann vor, wenn der Empfänger eine Leistung zweimal erhält. Würde, wie der Kläger
meint, auf die deutsche Altersrente nur die polnische "Nettorente" angerechnet, erhielte der Kläger die Altersrente in Höhe
des Differenzbetrags zur polnischen "Bruttorente" tatsächlich (aus den gleichen rentenrechtlichen Zeiten) zweifach, nämlich
einmal von der ZUS (durch Überweisung auf sein "Steuerkonto", s.o.) und erneut vom deutschen Rentenversicherungsträger durch
Überweisung auf sein Girokonto. Genau das soll nach dem Sinn und Zweck der Norm verhindert werden. Der Kläger ist durch die
Rentenleistungen aus zwei Staaten (bei Export der polnischen Rente) zwei verschiedenen Rechtsordnungen und deren jeweiligen
Regelungen unterworfen. Dass die deutsche Versichertengemeinschaft die polnische Steuer des Klägers nicht zu tragen hat, folgt
nicht etwa aus dem Sinn und Zweck der Regelung, sondern ist deren zwangsläufige Folge. Das DBA stellt sicher, dass die jeweiligen
Renten nach dem Steuerrecht des jeweiligen Leistungsstaates gezahlt werden, Art 18 Abs 2 DBA. Wenn der Kläger vor diesem Hintergrund
meint, ihm müsse im Ergebnis mindestens die volle deutsche Rente verbleiben, erläutert er nicht, woraus sich ein solcher Rechtssatz
ergeben soll. Tatsächlich handelt es sich um eine petitio principii, weil ihm nach dem zuvor Gesagten im Ergebnis die volle
deutsche Rente verbleibt. Denn ihm verbleibt wirtschaftlich auch der Teil seiner Altersrente, der von der ZUS an den polnischen
Steuerfiskus abgeführt wird.
Ein Verstoß gegen Verfassungsvorschriften, namentlich gegen Art
3 Abs
1 oder Art
14 Abs
1 Satz 1Grundgesetz (
GG), liegt erkennbar nicht vor. Der Kernbereich des Art
14 Abs
1 Satz 1
GG ist bereits deshalb nicht betroffen, weil allein durch das FRG begründete Rentenanwartschaften nicht dem Eigentumsschutz des
GG unterliegen (BVerfGE 116,96ff = SozR 4-5050 § 22 Nr 5; BVerfGE 126, 369ff = SozR 4-5050 § 22b Nr 9). Auch ein Sachverhalt, durch den der allgemeine Gleichheitssatz des Art
3 Abs
1 GG verletzt wird, indem Gleiches willkürlich ungleich behandelt wird (ständige Rspr des BVerfG, vgl zuletzt BVerfG NJW 2013,
847ff, Urt v 19.2.2013, Az 1 BvL 1/11und 1 BvR 3247/09, [...] Rn 72 mwN), liegt nicht vor. Soweit der Kläger meint, er werde im Vergleich zu nach dem DPRA 1975, das durch (Zustimmungs-)Gesetz
vom 12.3.1976 (BGBl II 393) in das innerstaatliche Recht transformiert und am 1.5.1976 in Kraft getreten ist (BGBl II 463),
Rentenberechtigten ungleich behandelt, trifft dies auf alle Vertriebenen/Spätaussiedler zu, die nach dem 31.12.1990 (bzw unter
bestimmten Voraussetzungen nach dem 30.6.1991) nach Deutschland eingereist sind, weil für diesen Personenkreis generell anderes,
neues Recht gilt. Der mit dem Übergang vom DPRA 1975 zum Abk Polen SozSich 1990 erfolgte Paradigmenwechsel vom Eingliederungsprinzip
zum Rentenexportprinzip (das im Übrigen auch dem EU-Recht zugrunde liegt) ist verfassungemäß. Solche sich veränderten Verhältnissen
aus sachlichen Gründen anpassenden Systemveränderungen liegen grundsätzlich im (weiten) Gestaltungsermessen des Gesetzgebers
und erfordern allenfalls eine abfedernde Übergangsregelung (BVerfG. AaO; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.7.2010; Az 1 BvR 1201/10 = SozR 4-5050 § 22 Nr 11; BVerfGE 81, 156, 205). Dem wird durch Art 27 Abs 2 Sätze 1 und 2 Abk Polen SozSich 1990 hinreichend Rechnung getragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 Satz 1,
193 Abs
1 Satz 1
SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, §
160 Abs
2 SGG. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil der Fall keine Rechtsfragen aufwirft, die nicht eindeutig
und klar zu beantworten sind und deshalb einer grundsätzlichen Klärung bedürften.