Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung für Leistungen, die sie der schwerstbehinderten Frau D (im Folgenden:
Leistungsempfängerin) für die Versorgung ihres Sohnes erbrachte hatte. Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei diesen
Leistungen der "Elternassistenz" um Hilfe für behinderte Menschen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder aber
um Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) handelt.
Die im Januar 1972 geborene, seit Ende 2008 verheiratete Leistungsempfängerin leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen
Lähmung aller vier Gliedmaßen (Tetraplegie) und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie ist in die Pflegestufe II eingeordnet
und bezieht ein monatliches Pflegegeld von 420 Euro; bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt, ferner die
Merkzeichen, B, G, aG, H und RF. Sie kann nur begrenzte Tätigkeiten im Haushalt erledigen und ist in allen Lebensbereichen
auf Unterstützung angewiesen. Deswegen bezieht sie seit Jahren von der Beklagten Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII (im
Rahmen ambulanten betreuten Wohnens). Den übrigen Hilfebedarf (Haushalt, Unterstützung beim Aufstehen, Ankleiden, Frisieren
etc.) deckt ihr Ehemann.
Am 00.00.2009 wurde ihr gemeinsamer, nicht-behinderter Sohn K geboren. Die Leistungsempfängerin gab daraufhin ihre vorherige
Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen auf.
Der Ehemann der Leistungsempfängerin ist als CNC-Fräser in Vollzeit beschäftigt. Er erzielt ein monatliches Netto-Arbeitsentgelt
zwischen 1.600 und 2.000 Euro; wegen der jeweiligen konkreten Höhe wird insbesondere auf Blatt 242 der Verwaltungsakte verwiesen.
Die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann bewohnen ein Einfamilienhaus, dessen Eigentümer der Ehemann der Leistungsempfängerin
ist; er erzielt monatliche Einkünfte aus der Vermietung eines Teils dieser Immobilie von 320 Euro. Für die Finanzierung der
Immobilie zahlen die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann jährlich 6.015 Euro (ab Ende 2009: 6.174,76 Euro) und für öffentliche
Abgaben sowie Versicherungen jährlich 876 Euro (ab Ende 2009: 930,51 Euro); wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf Blatt
435 und 468 der Verwaltungsakte verwiesen.
Bereits mit Schreiben vom 05.03.2009 hatte die Leistungsempfängerin bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten der Elternassistenz
ab dem 15.07.2009 im Umfang von 10 Stunden werktäglich mit der Begründung beantragt, ihr Ehemann werde nach der dreimonatigen
Elternzeit in seinen Beruf zurückkehren, und sie werde dann während seiner arbeitstäglichen zehnstündigen Abwesenheit zur
Erfüllung ihrer Rolle als Mutter und zur Versorgung ihres Sohnes auf Grund ihrer körperlichen Behinderung auf die beantragte
Hilfe angewiesen sein. Da es sich um die Deckung ihres Hilfebedarfs bei der Versorgung ihres Sohnes und nicht eines Hilfebedarfs
des Kindes handele, beantrage sie die Kostenübernahme im Rahmen der Eingliederungshilfe, nicht der Jugendhilfe.
Der Leistungsempfängerin sind in dem Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 Aufwendungen für eine häusliche Hilfe bei
der Versorgung ihres Sohnes Joshua und der damit verbundenen Haushaltsführung im Umfang von insgesamt 12.424,80 Euro entstanden.
Der Beklagte leitete den Antrag der Leistungsempfängerin mit Schreiben vom 13.03.2009 an die Klägerin als örtlichen Träger
der Jugendhilfe weiter. Es gehe um die Versorgung des Kindes, nicht der Mutter. Die Klägerin sandte den Antrag mit Schreiben
vom 19.03.2009 an den Beklagten zurück, weil sie sich für unzuständig hielt. Eine Zuständigkeitsklärung zwischen der Klägerin
und dem Beklagten erfolgte nicht.
Daraufhin beantragten die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann am 26.05.2009 bei der Klägerin Hilfe zur Erziehung nach den
§§ 27 ff. SGB VIII. Die Klägerin hielt aus fachlicher Sicht die beantragte Unterstützung für erforderlich, sah hierfür aber den Beklagten als
Träger nach dem SGB XII in der Pflicht. Der Beklagte wiederum vertrat die Auffassung, der eigene Hilfebedarf der Mutter D
sei bereits durch die ihr gewährte Eingliederungshilfe gedeckt. Die jetzt beantragte Hilfe werde von deren Sohn benötigt,
der Hilfe aber nur vom Jugendamt, also von der Klägerin beanspruchen könne. Mit Bescheid vom 23.06.2009 lehnte die Klägerin
sowohl den an sie weitergeleiteten Antrag vom 13.03.2009 als auch den am 26.05.2009 bei ihr direkt gestellten Antrag auf Kostenübernahme
für eine "Elternassistenz" mit der Begründung ab, sie sei weder nach dem SGB VIII unter dem Aspekt der Jugendhilfe zuständig noch zweitangegangener Rehabilitationsträger.
In einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Verwaltungsgericht (VG) Minden (6 L 382/09) verpflichtete das VG die Klägerin mit Beschluss vom 31.07.2009, der Leistungsempfängerin Leistungen der EIternassistenz
für den Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 zu erbringen. Dieser Beschluss ist rechtskräftig; der Beklagte war zu diesem
Verfahren beigeladen worden. Das VG führte zur Zuständigkeit der Klägerin aus, dass die Klägerin den geltend gemachten Anspruch
vorläufig zu erfüllen habe. Der Beklagte habe den am 06.03.2009 zunächst bei ihm gestellten Hilfeantrag der Antragstellerin
innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des §
14 Abs.
1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) an die Klägerin gemäß §
14 Abs.
1 Satz 2
SGB IX weitergeleitet - wenn auch objektiv zu Unrecht - mit der Folge, dass die Klägerin vorläufig für die Leistungserbringung zwingend
zuständig geworden sei. Aus §
14 Abs.
2 Satz 5
SGB IX folge nichts Gegenteiliges. Danach kläre ein Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, der aber
für die beantragte Leistung nicht Rehabilitationsträger sein kann, unverzüglich mit dem nach seiner Auffassung zuständigen
Rehabilitationsträger, von wem und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der Fristen nach §
14 Abs.
2 Sätze 2 und 4
SGB IX entschieden werde, und unterrichte hierüber den Antragsteller. Zu einer solchen Zuständigkeitsklärung zwischen der Klägerin
und dem Beklagten sei es aber nicht gekommen. §
14 SGB IX diene dem Zweck, vorläufig für eine schnelle und dauerhafte Klärung der Zuständigkeit im Verhältnis zwischen dem betroffenen
behinderten Menschen und den Rehabilitationsträgern, also im sogenannten Außenverhältnis, zu sorgen. Die Norm verbiete daher
eine nochmalige, also zweite Weiterleitung des Leistungsantrags an einen dritten Rehabilitationsträger oder eine Rückgabe
des weitergeleiteten Antrags durch den zweitangegangenen Träger an den erstangegangenen Träger. §
14 Abs.
1 und
2 SGB IX lasse nur die einmalige Weiterleitung eines Antrags auf Leistungen zur Teilhabe zu. Wer endgültig für die Leistung zuständig
sei, spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle. Die endgültige Zuständigkeit müsse erst in einem Erstattungsstreitverfahren
zwischen den Rehabilitationsträgern verbindlich entschieden werden. Die Rechtsposition der Leistungsempfängerin werde dadurch
aber nicht berührt.
Das VG Minden verurteilte im nachfolgenden Hauptsacheverfahren, zu dem der Beklagte beigeladen war, sodann mit rechtskräftigem
Urteil vom 25.06.2010 (6 K 1776/09) die Klägerin, der Leistungsempfängerin die im Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 entstandenen Aufwendungen für häusliche
Hilfe bei der Versorgung ihres Sohnes und der damit verbundenen Haushaltsführung ("Elternassistenz") im Umfang von insgesamt
12.424,80 EUR zu erstatten (abzüglich bereits geleisteter Erstattungszahlungen).
Die Klägerin erbrachte in Umsetzung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen an die Leistungsempfängerin für den Zeitraum
vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 Leistungen der Elternassistenz in Höhe von insgesamt 12.424,80 Euro.
Die Klägerin begehrte von dem Beklagten mit Schreiben vom 26.08.2009 und 10.12.2009 die Erstattung der Kosten dieser Leistungen;
der Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 11.09.2009 und 22.12.2009 ab.
Am 14.04.2010 hat die Klägerin daraufhin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Detmold erhoben. Sie hat als vorläufig in Anspruch genommener Leistungsträger gegenüber dem Beklagten als endgültig verpflichtetem
Leistungsträger nach § 102 Absatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit §
14 Absatz
4 Satz 1
SGB IX die Erstattung der Leistungen der Elternassistenz im Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 in Höhe von 12.424,80 Euro
begehrt.
Der Beklagte hat erwidert, zuständig sei die Klägerin unter dem Aspekt der Jugendhilfe. Er teile die im Verfahren 6 K 1776/09 geäußerte Rechtsansicht der 6. Kammer des VG Minden nicht, wonach er der materiell zuständige Leistungsträger sei. Aus diesem
Grunde und weil die mit dem vorliegenden Verfahren verbundene Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung habe, müsse die Frage höchstrichterlich
geklärt werden. Ein Anspruch behinderter Eltern auf Elternassistenz sei auch Gegenstand einer aktuellen bundespolitischen
Diskussion. Dabei dürfte zwischen den Beteiligten schließlich Einigkeit herrschen, dass der Familie der Leistungsempfängerin
Ansprüche auf Unterstützung zustünden. Fraglich sei lediglich, welchem Hilfesystem diese Ansprüche zuzuordnen seien und welcher
Träger damit letztlich für die Kosten aufkommen müsse. Ein jugendhilferechtlicher Anspruch aus § 20 SGB VIII bestehe zugunsten des Vaters während seiner beruflichen Abwesenheit, weil die Mutter die Betreuung und Versorgung nicht übernehmen
könne.
Mit Urteil vom 07.12.2010 hat das SG Detmold den Beklagten verurteilt, der Klägerin die Aufwendungen für die Elternassistenz
zur Betreuung des Kindes K zu Gunsten der Frau D in der Zeit ab 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 in Höhe von 12.424,80 Euro zu
erstatten. Zur Begründung hat das SG ausgeführt:
Die Klägerin habe für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Erstattungsanspruch sowohl dem Grunde nach als auch in der
geltend gemachten Höhe. Dieser Erstattungsanspruch ergebe sich aus §
14 Absatz
4 SGB IX. Werde nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach §
14 Absatz
1 Satz 2 bis 4
SGB IX festgesteIlt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig sei, erstatte gemäß §
14 Absatz
4 SGB IX dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften.
Für die Frage der sachlichen Zuständigkeit zwischen der Klägerin und dem Beklagten sei §
14 SGB IX einschließlich des dort speziell geregelten Erstattungsanspruchs anwendbar. Denn nach §
6 Absatz
1 SGB IX seien auch die Träger der Jugendhilfe (dort Nr.
6) und die Träger der Sozialhilfe (dort Nr. 7) grundsätzlich Rehabilitationsträger. Würden Leistungen zur Teilhabe beantragt,
stelle der Rehabilitationsträger gemäß §
14 Absatz
1 Satz 1
SGB IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die
Leistung zuständig sei. Stelle er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig sei, leite er gemäß §
14 Absatz
1 Satz 2
SGB IX den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Werde der Antrag nicht weitergeleitet,
stelle gemäß §
14 Absatz
2 Satz 1
SGB IX der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Werde der Antrag weitergeleitet, seien gemäß §
14 Absatz
2 Satz 3
SGB IX die Sätze 1 und 2 für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden sei, entsprechend anwendbar.
Nach §
14 SGB IX sei die Klägerin als zweitangegangener Träger durch die Weiterleitung des Reha-Antrags seitens des Beklagten zuständig geworden,
wie auch das Verwaltungsgericht Minden bereits festgestellt habe. Deshalb müsse sie die Kosten der Leistung jedoch nicht endgültig
tragen, sondern könne vielmehr nach Maßgabe des §
14 Absatz
4 SGB IX Erstattung verlangen. Die Zuständigkeitsfiktion schütze also den betroffenen Bürger, der sich mehreren möglichen Rehabilitationsträgern
gegenüber sehe, und nicht den tatsächlich zuständigen, seine Zuständigkeit jedoch verneinenden Rehabilitationsträger.
Anderer Leistungsträger im Sinne des §
14 Absatz
4 SGB IX im Sinne des eigentlich verpflichteten Leistungsträgers bei von Anfang an richtiger Rechtsanwendung sei der Beklagte. Dies
ergebe sich zwischen den Beteiligten bereits aus der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden im Verfahren
6 K 1776/09. Jenes Verfahren habe zwar die Leistungsempfängerin D als dortige Klägerin gegen die Stadt Bünde als dortige Beklagte angestrengt
und die Rechtskraft eines Urteils wirkte grundsätzlich nur zwischen den Beteiligten. Der LWL als hiesiger Beklagter sei im
dortigen Verfahren jedoch ebenfalls Beteiligter gewesen. Denn zu dem dortigen Verfahren sei der hiesige Beklagte gemäß §
65 VwGO beigeladen worden. Der Sinn und Zweck der Beiladung bestehe gerade darin, die Rechtskraft auf den Beigeladenen zu erstrecken,
indem der betroffene Dritte im Wege der Beiladung in die Position eines Verfahrensbeteiligten gesetzt werde. Rechtskräftige
Urteile würden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden sei, gemäß §
121 VwGO die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger binden. Beteiligter im Sinne des §
121 VwGO sei auch der Beigeladene. Das Verwaltungsgericht habe im dortigen Verfahren auch materiell über den Streitgegenstand entschieden;
anders wäre es nur, wenn das Urteil unvollständig wäre oder aber die Klage bereits an Zulässigkeitsvoraussetzungen gescheitert
wäre, so dass eine Entscheidung in der Sache nicht möglich gewesen wäre. Beides sei nicht der Fall.
Zur materiellen Anspruchsgrundlage der Leistungsempfängerin habe das Verwaltungsgericht Minden im Urteil in dem Verfahren
6 K 1776/09 vielmehr ausgeführt, die Zuständigkeit der hiesigen Klägerin für die vorläufige Leistungspflicht ergebe sich unter dem Aspekt
des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers. Der Anspruch der Leistungsempfängerin (als dortiger Klägerin) ergebe sich jedoch
aus §§ 53 ff. SGB XII, also den Normen der Eingliederungshilfe und nicht etwa aus den Bestimmungen des SGB VIII über die Jugendhilfe. Somit sei bereits im Verfahren 6 K 1776/09 rechtskräftig entschieden worden, dass der Anspruch der Leistungsempfängerin ein solcher der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe
sei und es nicht etwa um einen Anspruch des Sohns K. auf jugendhilferechtliche Leistungen gehe.
Die Höhe der im streitgegenständlichen Zeitraum erbrachten Leistungen von 12.424,80 Euro sei zwischen den Beteiligten unstreitig.
Das Gericht habe keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass Leistungen in anderer Höhe oder gar nicht erbracht worden wären. Vielmehr
entspreche der Betrag von 12.424,80 Euro genau dem Betrag, zu dessen Leistung die hiesige Klägerin im dortigen Verfahren vor
dem VG Minden gegenüber der Leistungsempfängerin verpflichtet worden sei, wie sich bereits aus dem Tenor des VG-Urteils ergebe.
Gegen dieses ihm am 07.01.2011 zugestellte Urteil des SG Detmold hat der Beklagte am 14.01.2011 Berufung erhoben.
Er ist weiterhin der Auffassung, der Klägerin stehe ein Erstattungsanspruch nicht zu. Ein solcher folge entgegen der Rechtsauffassung
des SG nicht aus der Bindungswirkung des rechtskräftigen VG-Urteils vom 25.06.2010. Die Bindungswirkung beziehe sich bei stattgebenden
(anders als bei ablehnenden) Entscheidungen nur auf die Urteilsformel, nicht dagegen auf die Entscheidungsgründe. Das VG habe
nur darüber entschieden, ob die Klägerin gegenüber der Leistungsempfängerin im Außenverhältnis zur Leistung verpflichtet sei.
Welcher Träger im Innenverhältnis leisten müsse, habe das VG nicht entschieden und dies auch nicht entscheiden müssen. Der
Streitgegenstand sei daher nicht identisch.
Die Leistungsverpflichtung der Klägerin im Innenverhältnis folge aus § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Der Ehemann der Leistungsempfängerin habe einen entsprechenden Anspruch gemäß § 20 Abs. 1 SGB VIII. Diese Norm sei ggf. verfassungskonform in der Weise auszulegen, dass sie auch einen (von Anfang an) behinderten Menschen
erfasse, der das Kind überwiegend betreue, weil dieser ansonsten verfassungswidrig benachteiligt würde.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 07.12.2010 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist der Auffassung, von der Rechtskraft eines Urteils seien auch die tragenden Gründe erfasst. Hierzu gehöre
auch die Entscheidung des VG Minden über die Zuständigkeit des Beklagten als Leistungsträger. Der materielle Anspruch für
die Elternassistenz sei der Eingliederungshilfe nach § 53 i.V.m. § 55 SGB XII zuzuordnen. Dies habe das VG Minden zutreffend
ausgeführt. Bestätigt werde diese Rechtsauffassung durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 22.10.2009
(5 C 19.08), in dem es ausgeführt habe, dass es Zweck einer sozialhilferechtlichen Eingliederungsmaßnahme auch sein könne, einem behinderten
Elternteil die Pflege und Betreuung seines Kindes zu ermöglichen und ihn dabei zu unterstützen. Ein Anspruch des Ehemannes
der Leistungsempfängerin folge entgegen der Auffassung des Beklagten nicht aus § 20 Abs. 1 SGB VIII, weil dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Leistungsempfängerin sei als betreuender Elternteil nicht nachträglich
"ausgefallen" i.S.d. Regelung, sondern aufgrund ihrer körperlichen Behinderung hierzu bereits von Anfang an nicht in der Lage
gewesen.
Wegen der weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts Minden
zu den Verfahren 6 L 382/09 und 6 K 1776/09 sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG Detmold hat mit Urteil vom 07.12.2010 auf die zulässige und begründete
Leistungsklage der Klägerin im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Beklagte der Klägerin die im Zeitraum vom 18.08.2009
bis zum 14.04.2010 der Leistungsempfängerin erbrachten Aufwendungen für häusliche Hilfe bei der Versorgung ihres Sohnes und
der damit verbundenen Haushaltsführung ("Elternassistenz") im Umfang von insgesamt 12.424,80 Euro zu erstatten hat.
1. Eine Beiladung der Leistungsempfängerin gemäß §
75 SGG war in diesem Rechtsstreit nicht geboten. Ihre Rechtsstellung wird im Erstattungsstreitverfahren - einem Streitverfahren
im Innenverhältnis der Leistungsträger - nicht berührt, wie das VG Minden in seinem Beschluss vom 31.07.2009 bereits zu Recht
ausgeführt hat. Die Leistungsempfängerin darf die ihr gewährten Leistungen im Außenverhältnis aufgrund des rechtskräftigen
Urteils des VG Minden vom 25.06.2010 endgültig behalten.
2. Beteiligt sind die Klägerin und der Beklagte jeweils als Rechtsträger gemäß §
70 Nr. 1
SGG. Das Landesrecht des Landes Nordrhein-Westfalen ordnet seit dem 01.01.2011 die Beteiligungsfähigkeit von Behörden nicht mehr
an; denn zu diesem Zeitpunkt wurde das bisherige nordrhein-westfälische Ausführungsgesetz zum
SGG, das eine Beteiligungsfähigkeit von Behörden vorsah, durch Artikel 2 Ziffer 29 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2010 (JustG;
GV. NRW 2010, S. 29) aufgehoben.
3. Der Erstattungsanspruch der Klägerin folgt aus §
14 Abs.
4 Satz 1
SGB IX.
Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach §
14 Absatz
1 Satz 2 bis 4
SGB IX festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser gemäß §
14 Abs.
4 Satz 1
SGB IX dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften.
Der Beklagte war als anderer Rehabilitationsträger für die streitigen Leistungen zuständig.
a) Gemäß §
6 Absatz
1 SGB IX sind sowohl die Träger der Jugendhilfe (Nr.
6) als auch die Träger der Sozialhilfe (Nr. 7) und damit sowohl die Klägerin als auch der Beklagte Rehabilitationsträger.
b) Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger gemäß §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die
Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag
gemäß §
14 Abs.
1 Satz 2
SGB IX unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu.
Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf gemäß §
14 Abs.
2 Satz 1
SGB IX unverzüglich fest. Muss für diese Feststellung ein Gutachten nicht eingeholt werden, entscheidet der Rehabilitationsträger
gemäß §
14 Abs.
2 Satz 2
SGB IX innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang. Wird der Antrag weitergeleitet, gelten gemäß §
14 Abs.
2 Satz 3
SGB IX die Sätze 1 und 2 für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend; die in Satz 2
genannte Frist beginnt mit dem Eingang bei diesem Rehabilitationsträger.
Nach §
14 Abs.
1 und
2 SGB IX war die Klägerin durch die Weiterleitung des Reha-Antrags seitens des Beklagten gegenüber der Leistungsempfängerin zuständig
geworden. Dies hat das VG Minden mit rechtskräftigem Urteil festgestellt. Aufgrund des Urteils des VG steht dies zwischen
den Beteiligten für das Außenverhältnis zwischen der Klägerin und der Leistungsempfängerin damit fest.
c) Allerdings muss die Klägerin die Kosten der Leistung im Innenverhältnis nicht endgültig tragen, sondern kann vielmehr nach
Maßgabe des §
14 Abs.
4 SGB IX Erstattung verlangen. Die Zuständigkeitsfiktion schützt den betroffenen Bürger im Außenverhältnis, der sich mehreren möglichen
Rehabilitationsträgern gegenüber sieht, und nicht den tatsächlich zuständigen, seine Zuständigkeit jedoch verneinenden Rehabilitationsträger;
dies hat bereits das SG zutreffend dargelegt. Die Regelung des §
14 SGB IX soll dabei nicht nur im Interesse des behinderten Menschen Zuständigkeitszweifel beseitigen; die Vorschrift soll vielmehr
auch Rechtssicherheit schaffen, indem eine einmal (nur) nach §
14 SGB IX begründete Zuständigkeit als die dann für den Kläger endgültige erhalten bleibt (BSG, Urteil vom 29.09.2009, B 8 SO 19/08
R, SozR 4-3500 § 54 Nr. 6, m.w.N).
Anderer Leistungsträger im Sinne des §
14 Absatz
4 SGB IX im Sinne des eigentlich verpflichteten Leistungsträgers bei von Anfang an richtiger Rechtsanwendung war der Beklagte.
aa) Dies ergibt sich jedoch entgegen der Rechtsauffassung des SG Detmold nicht bereits aus der rechtskräftigen Entscheidung
des VG Minden (6 K 1776/09). Das VG Minden hat eine Entscheidung ausschließlich zu dem Außenverhältnis zwischen der Leistungsempfängerin und der Klägerin
getroffen. Bereits aus diesem Grund erfasst die Rechtskraft dieses Urteils das hier zu beurteilende Innenverhältnis zwischen
der Klägerin und dem Beklagten unmittelbar nicht.
Das VG hat rechtskräftig entschieden, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Leistungsempfängerin Aufwendungen in Höhe von
insgesamt 12.424,80 Euro zu erbringen. Diese Leistungsverpflichtung der Klägerin steht aufgrund dieser rechtskräftigen Entscheidung
folglich fest. Der Beklagte, der im Rechtsstreit vor dem VG beigeladen worden war, kann der Klägerin damit im Erstattungsstreitverfahren
nicht (mehr) mit Erfolg entgegenhalten, die Leistungsempfängerin habe Leistungen (in dieser Höhe) gar nicht beanspruchen können.
Die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erstreckt sich soweit (und mittelbar) auf das vorliegende sozialgerichtliche
Verfahren, als die materielle Anspruchsberechtigung der Leistungsempfängerin dem Streit zwischen den hiesigen Beteiligten
entzogen ist und damit feststeht; diese war vom Senat daher nicht mehr zu prüfen.
bb) Der Beklagte war verpflichtet, der Leistungsempfängerin die hier streitige "Elternassistenz" als Eingliederungshilfe nach
sozialhilferechtlichen Vorschriften zu leisten. Die Leistungsverpflichtung des Beklagten folgt aus § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB
XII.
(1) Das VG Minden hat mit Beschluss vom 31.07.2009 (6 L 382/09, Juris) hierzu ausgeführt:
"Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung i.S.v. §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung
bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach
Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53
Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB XII ist es die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, u.a. die Folgen einer Behinderung zu beseitigen
oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern, wozu insbesondere u.a. gehört, den behinderten
Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Gemäß §
53 Abs.
4 SGB XII gelten für die Leistungen zur Teilhabe die Vorschriften des
SGB IX, während die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für diese Leistungen sich nach dem SGB XII richten. Gemäß §
55 Abs.
1 SGB IX werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und
nach den Kapiteln 4 bis 6 des
SGB IX nicht erbracht werden. §
55 Abs.
2 SGB IX nennt die Leistungen, die "insbesondere" hierzu zählen; die dortige Aufzählung ist also nicht abschließend. Nach den genannten
Normen steht der Antragstellerin ein Anspruch auf "Elternassistenz" im tenorierten Umfang ( ) zu.
Dass die Antragstellerin [= Leistungsempfängerin] - schon seit ihrer Geburt - körperlich behindert i.S.v. §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig; der Beigeladene [= hiesiger Beklagter] erbringt ihr deswegen bereits seit Jahren
Leistungen der Eingliederungshilfe.
Wegen ihrer (erheblichen) körperlichen Behinderung ist die Antragstellerin wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft
teilzuhaben, in der Weise eingeschränkt, dass sie körperlich nicht dazu in der Lage ist, ihr Kind im erforderlichen Umfang
ohne die Hilfe einer dritten Person (während der Zeiten) zu versorgen, in denen ihr Ehemann, der Kindesvater, berufsbedingt
für die Versorgung des Kindes nicht mit zur Verfügung stehen kann. Der Anspruch von Eltern auf die persönliche Betreuung und
Versorgung ihrer Kinder in ihrem eigenen Familienhaushalt ist unmittelbarer Ausdruck des insbesondere durch Art.
6 Abs.
2 und
3 GG grundrechtlich geschützten Elternrechts und daher ein hohes Gut, auf das sich behinderte Eltern oder Elternteile - wie die
körperlich behinderte Antragstellerin - wegen des Gleichstellungsgebots des Art.
3 Abs.
3 Satz 2
GG (niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden) selbstverständlich in gleicher Weise wie nicht behinderte Eltern
oder Elternteile berufen können. Infolge der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art.
6 Abs.
1 bis 4
GG insgesamt darf Eltern oder Elternteilen auch nicht allein auf Grund einer körperlichen Behinderung gegen ihren Willen angesonnen
werden - wie es aber im Schreiben des Beigeladenen [= Beklagten] an die Antragstellerin vom 15.6.2009 zumindest anklingt ("Aufgabe
..., alternative Betreuungsmöglichkeiten zu finden") -, ihr Kind außerhalb des elterlichen Haushalts betreuen und versorgen
zu lassen. Die eigene Pflege und Erziehung eines Kindes ist ein Grundbedürfnis behinderter wie nicht behinderter Eltern. Da
die Eltern-Kind-Beziehung die weitreichendste und existenziellste aller sozialen Bindungen ist, bildet die Verantwortungsübernahme
der Eltern für ihr Kind eine zentrale Frage der Teilhabe der Eltern am Leben in der Gemeinschaft. ( ...)
Um der Antragstellerin dieses Teilhaberecht zu gewährleisten, ist es erforderlich, ihr während der Zeiten, in denen der Kindesvater
hierfür berufsbedingt nicht zur Verfügung steht, in ihrem Haushalt eine Hilfsperson zur Seite zu stellen. Auf diese Weise
besteht die Aussicht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), - nur - auf
diese Weise wird die Eingliederungshilfe ihrer in § 53 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB XII normierten, oben zitierten besonderen
Aufgabe gerecht und auf diese Weise wird der Antragstellerin angesichts ihrer Behinderung in tatsächlich weitestgehend denkbarem,
aber zugleich auch gebotenem Umfang die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als eine ihr Kind im eigenen Haushalt selbst
(mit-)versorgende Mutter ermöglicht (§
55 Abs.
1 SGB IX). Dass eine solche "Elternassistenz" (personelle Hilfe für - insbesondere körperlich - behinderte Eltern) als Art der Leistungen
für behinderte Menschen in den "insbesondere"-Leistungskatalogen der §§
54 Abs.
1 Satz 1 SGB XII, 55 Abs.
2 SGB IX nicht ausdrücklich aufgeführt ist, ist wegen des nicht abschließenden, sondern nur regelbeispielhaften Charakters jener Aufzählungen
rechtlich unerheblich. ( ...)
Der dargestellte sozialhilferechtliche Anspruch der Antragstellerin konkurriert nicht mit einem ganz oder teilweise deckungsgleichen
jugendhilferechtlichen Anspruch; auf Rechtsfragen des Konkurrenzverhältnisses zwischen Ansprüchen nach dem SGB VIII und dem SGB XII (vgl. dazu z.B. § 10 Abs. 4 SGB VIII) kommt es deshalb hier nicht an. Der Hilfebedarf besteht im vorliegenden Fall ausschließlich in der Person der Antragstellerin
und nicht etwa (auch oder gar allein) bei ihrem Kind, worauf die Antragstellerin in ihrem ersten Antragsschreiben vom 5.3.2009
bereits ausdrücklich hingewiesen hatte.
Das Kind bedarf weder der Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII ( ...) noch der Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII ( ...).
Die vom Beigeladenen [= Beklagten] in seiner Stellungnahme vom 29.7.2009 vertretene Auffassung, es bestehe ein jugendhilferechtlicher
Anspruch der Antragstellerin gemäß § 19 SGB VIII (gemeinsame Betreuung mit ihrem Sohn in einer Mutter-Kind-Einrichtung), ist schon deshalb offensichtlich abwegig, weil ein
derartiger Anspruch, wie schon der Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zeigt, nur allein erziehenden Elternteilen zustehen kann ( ...), ganz abgesehen davon, dass § 19 SGB VIII lediglich darauf abzielt, einen pädagogischen Bedarf zu decken ( ...), um den es vorliegend aber weder bei der Antragstellerin
noch bei ihrem Kind geht. Es liegt insofern neben der Sache, dass der Beigeladene vom Vorbeugen eines "Erziehungsdefizits
beim Kind" spricht; von irgendwelchen Erziehungsdefiziten beim Sohn der Antragstellerin, die - als zwar unausgesprochener,
aber indirekter Vorwurf - letztlich auf Defizite im Verhalten der Antragstellerin zurückgeführt würden, kann (völlig ungeachtet
des Säuglingsalters des Kindes) überhaupt keine Rede sein. Im Übrigen befremdet es die Kammer, dass der Beigeladene in diesem
Zusammenhang auf die angestrebte Behebung oder Milderung eines "Persönlichkeitsdefizits" der Mutter verweist; die Antragstellerin
muss diesen Ausdruck, auf ihre Situation übertragen, angesichts ihrer ausschließlich körperlichen Behinderung zumindest als
erhebliche sprachliche Fehlleistung, wenn nicht gar als diskriminierend empfinden.
Der Hinweis des Beigeladenen auf zwei Entscheidungen des OVG NRW bzw. des BSG zur Stützung seiner Auffassung, § 19 SGB VIII sei einschlägig, geht fehl, weil jene Entscheidungen andere Fallkonstellationen betrafen. Das OVG NRW in seinem (nicht rechtskräftigen)
Beschluss vom 14.8.2008 - 12 A 510/08 - (www.nrwe.de = juris) und das BSG in seinem Urteil vom 24.3.2009 - B 8 SO 29/07 R - (a.a.O.) hatten jeweils den Fall einer
allein erziehenden, geistig behinderten Mutter zu beurteilen. Die Antragstellerin ist aber weder allein erziehend noch geistig
behindert.
Schließlich scheidet auch eine Jugendhilfemaßnahme nach § 20 SGB VIII (Betreuung und Versorgung eines Kindes in Notsituationen) offensichtlich aus, denn mit dem "Ausfallen" eines Elternteils
u.a. aus gesundheitlichen Gründen bei der Versorgung des Kindes im elterlichen Haushalt meint diese Norm lediglich ein Ausfallen
für einen vorübergehenden Zeitraum. Ziel der Unterstützung nach § 20 SGB VIII ist es nämlich, dem Kind seinen familiären Erziehungs- und Versorgungsbereich zu erhalten, bis die Eltern wieder in der Lage
sind, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. ( ...)
Zudem erfasst die Norm schon nach ihrem Wortlaut nicht die Fälle, in denen der ausfallende Elternteil zu keinem Zeitpunkt
die Betreuung und Versorgung seines Kindes ohne fremde Hilfe sicherstellen konnte und wird sicherstellen können, weil er seit
der Geburt seines Kindes oder - wie die Antragstellerin - Zeit seines Lebens behindert ist. ( ...)."
Mit Urteil vom 25.06.2010 (6 K 1776/09, Juris) hat das VG Minden ergänzend ausgeführt:
"Da der Beigeladene [= Beklagter] in der mündlichen Verhandlung erstmals die Auffassung hat anklingen lassen, § 20 SGB VIII sei mit Blick auf die zum 18.08.2009 wieder aufgenommene Berufstätigkeit des Ehemannes der Klägerin einschlägig, merkt die
Kammer insoweit ergänzend Folgendes an:
Nach § 20 Abs. 1 SGB VIII (Betreuung und Versorgung eines Kindes in Notsituationen) soll dann, wenn der Elternteil, der die überwiegende Betreuung
des Kindes übernommen hat, für die Wahrnehmung dieser Aufgabe aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen ausfällt,
der andere Elternteil bei der Betreuung und Versorgung des im Haushalt lebenden Kindes unterstützt werden, wenn 1. er (d.h.
der "andere Elternteil") wegen berufsbedingter Abwesenheit nicht in der Lage ist, die Aufgabe wahrzunehmen, 2. die Hilfe erforderlich
ist, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten, 3. Angebote der Förderung des Kindes in Tageseinrichtungen oder in Kindertagespflege
nicht ausreichen. Die in den Ziffern 1. bis 3. aufgeführten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (Hinweis auf Kunkel,
in: LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 20 Rdnr. 6; Struck in: Frankfurter Kommentar SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 20 Rdnr. 7; Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 3. Aufl. 2006, § 20 Rdnrn. 12 bis 14).
Gleich mehrere Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 SGB VIII sind im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfüllt.
Die berufsbedingte Abwesenheit eines Elternteils ist bereits kein "anderer zwingender Grund", d.h. keine Notsituation i.S.d.
§ 20 SGB VIII. Für die berufsbedingte Abwesenheit eines Elternteils sind vielmehr die Leistungen nach §§ 22 bis 26 SGB VIII vorgesehen (vgl. Struck, a.a.O., § 20 Rdnr. 6).
Die Klägerin - als der nach der angedeuteten Auffassung des Beigeladenen "andere Elternteil" - ist zudem nicht wegen Berufstätigkeit
an der Versorgung ihres Kindes gehindert (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII).
Schließlich dient eine Jugendhilfemaßnahme nach § 20 SGB VIII, wie die Kammer schon im Beschluss vom 31.07.2009 dargelegt hat, der Überbrückung lediglich eines vorübergehenden (Not-)Zeitraumes.
Sowohl die Behinderung der Klägerin als auch die Berufstätigkeit ihres Ehemannes sind jedoch dauerhafte Umstände."
(2) Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung des VG Minden nach eigener Prüfung in vollem Umfang an.
Aus dem Vorbringen des Beklagten im sozialgerichtlichen Klage- und Berufungsverfahren folgt nichts anderes.
(a) Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten besteht hier keine Anspruchskonkurrenz zwischen jugendhilfe- und sozialhilferechtlichen
Ansprüchen, die über die Regelung des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII zu lösen wäre. Nach dieser Norm gehen Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII vor.
Zwar steht die Sonderregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII der Anwendung des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII nicht entgegen. Nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gehen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig oder von einer
solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor. Die im Januar 1972 geborene Leistungsempfängerin war im streitigen Zeitraum (18.08.2009 bis zum 14.04.2010) jedoch bereits
27 Jahre alt und damit kein junger Mensch mehr (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII).
Die Leistungsempfängerin hatte aber keinen jugendhilferechtlichen Anspruch nach dem SGB VIII. Dies hat das VG Minden im Einzelnen und zutreffend ausgeführt (siehe oben).
Soweit der Beklagte im Berufungsverfahren erstmals eine - aus Sicht des Senates ersichtlich ergebnisorientierte - "verfassungskonforme
Auslegung" des § 20 SGB VIII für geboten hält, um daraus eine jugendhilferechtliche Anspruchsberechtigung nun des Ehemannes der Leistungsempfängerin zu
konstruieren, überzeugt dies den Senat nicht. Denn für eine solche Auslegung - der Beklagte hat offensichtlich eine wortlautübersteigende,
extensive Auslegung vor Augen - besteht weder Anlass noch Rechtfertigung. Der unstreitig bestehende Unterstützungsbedarf der
Leistungsempfängerin für die Betreuung ihres Kindes wird nämlich, wie zuvor dargelegt, bereits von der sozialhilferechtlichen
Eingliederungshilfe gemäß § 53 SGB XII abgedeckt.
Eine - unterstellte - Anspruchsberechtigung des Ehemannes der Leistungsempfängerin führte zudem nicht zur Anwendung der Vorrangregelung
des § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, wonach Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII vorgehen. Die Norm setzt eine Anspruchskonkurrenz voraus. Eine solche ist von vornherein dann
nicht gegeben, wenn unterschiedliche Anspruchsinhaber (ggf.) berechtigt sind, wie hier die Leistungsempfängerin einerseits
sowie ihr Ehemann andererseits.
(b) Soweit der Beklagte unausgesprochen meinen sollte, ein Eingliederungsbedarf der Leistungsempfängerin bestünde faktisch
nicht bzw. entfiele, sofern und soweit ihr Ehemann einen jugendhilferechtlichen Anspruch gemäß § 20 SGB VIII auf Versorgung ihres Sohnes hätte, überzeugt dies nicht. Abgesehen davon, dass ihr Ehemann einen solchen Anspruch, wie dargelegt,
nicht hat, ließe die unterstellte Anspruchsinhaberschaft des Ehemannes einen Eingliederungsbedarf der Leistungsempfängerin
auch gar nicht entfallen. Nach der Rechtsprechung des BSG können Forderungen nur dann berücksichtigt werden, wenn diese in
angemessener Zeit bzw. rechtzeitig und ohne weiteres durchzusetzen sind (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2008, B 8/9b SO 9/06 R,
BSGE 100, 131; vgl. auch Urteil vom 10.05.2011, B 4 KG 1/10 R, SozR 4-5870 § 6a Nr. 2). Dies war hier nicht der Fall, weil die Klägerin einen jugendhilferechtlichen Anspruch von vornherein
nicht anerkannte, so dass dessen (rechtzeitige) Realisierung ersichtlich unmöglich war.
Dem Einwand des Beklagten, der Anspruch der Leistungsberechtigten sei aufgrund des angeblichen Anspruches ihres Ehemannes
aus § 20 SGB VIII ausgeschlossen, steht zudem die materielle Rechtskraft des Urteils des VG Minden vom 25.06.2010 entgegen. Wie bereits ausgeführt,
steht aufgrund des rechtskräftigen Urteils des VG fest, dass der Leistungsberechtigten im Außenverhältnis ein Anspruch zusteht.
An diese Feststellung ist der im Verfahren vor dem VG beteiligte Beklagte gemäß §
121 VwGO gebunden. Er kann damit nicht mehr mit dem Einwand gehört werden, nicht der Leistungsberechtigten, sondern ihrem Ehemann
stünde ein Leistungsanspruch zu. Diesen Einwand hätte er vielmehr mit einem Rechtsmittel gegen das Urteil des VG vorbringen
müssen.
(c) Die wiederholte Bezugnahme des Beklagten auf das Urteil des BSG vom 24.3.2009 (B 8 SO 29/07 R, BSGE 103, 39) und das anhängige, nach der Zurückverweisung des Rechtstreits an das LSG NRW nachfolgende Revisionsverfahren B 8 SO 27/10
R führt nicht weiter.
Der dortige Sachverhalt unterscheidet sich von dem vorliegenden grundlegend, wie bereits das VG Minden zu Recht betont hat.
Im dortigen Verfahren geht es um Kosten für die Unterbringung eines damals 19jährigen und geistig behinderten alleinstehenden
Mutter mit ihrem Kind in einer Mutter-Kind-Einrichtung gemäß § 19 SGB VIII; die Mutter war, weil sie das 27. Lebensjahr nicht vollendet hatte, ein junger Volljährige und ein junger Mensch im Sinne
des § 7 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB VIII. Hier geht es um die Betreuungskosten einer nicht geistig, sondern körperlich behinderten verheirateten Mutter, die im streitigen
Zeitraum das 27. Lebensjahr bereits vollendet hatte und nicht in einer Mutter-Kind-Einrichtung untergebracht war, sondern
ihr Kind zu Hause betreut hat bzw. hat betreuen lassen. Auch der Beklagte selbst räumt ein, dass sich die Sachverhalte insoweit
unterscheiden.
Soweit das BSG betont hat, dass "die Vorschriften über die Eingliederungshilfe auf die Eingliederung des behinderten Menschen
und damit auf Leistungen an diesen, nicht an dritte Personen zielen, wenn nichts anderes ausdrücklich im Gesetz geregelt ist"
(a.a.O., Rn. 20), steht dies dem hier gewonnenen Ergebnis entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten nicht entgegen. Denn
hier war, wie bereits ausgeführt, ein Teilhabedefizit der Leistungsempfängerin zu kompensieren, dass darin besteht, dass sie
- anders als nicht-behinderte Mütter - aus körperlichen Gründen zur eigenständigen Versorgung ihres Kindes im Säuglingsalter
nicht in der Lage war. Aus diesem Grund hatte der Beklagte der Leistungsempfängerin - und nicht ihrem Sohn - die sozialhilferechtlichen
Leistungen der Eingliederungshilfe als "Elternassistenz" zu gewähren. Im Übrigen war dem BSG erkennbar daran gelegen, dass
die "komplexe, multifunktionale Leistung" (a.a.O., Rn. 19) im Rahmen einer Mutter-Kind-Einrichtung aus einer Hand gewährt
wird; eine Aufteilung auf verschiedene Leistungsträger wäre dort vermutlich auch schon aus praktischen Gründen kaum möglich
gewesen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
154 Abs.
1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
5. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zugelassen.
6. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 3, 62 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) und entspricht der Gesamthöhe der streitigen Aufwendungen von 12.424,80 Euro.