Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Berücksichtigung eines Zuschusses der Eltern des Hilfebedürftigen zur Sicherung
der Unterkunft als Einkommen
Tatbestand:
Streitig ist für mehrere Bewilligungszeiträume, ob eine Zuwendung der Eltern der Klägerin in Höhe von monatlich 200,00 € zur
Deckung des unangemessenen Teils der Kosten der Unterkunft (KdU) von der Beklagten zu Recht in Höhe von 170,00 € als Einkommen
der Klägerin bedarfsmindernd berücksichtigt wird.
Die 1968 geborene alleinstehende erwerbsfähige Klägerin bezieht seit dem 01.01.2005 von der Beklagten fortlaufend Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnt in E eine Drei-Zimmer-Wohnung,
für die die Kaltmiete 440,00 € monatlich beträgt. Zunächst bis zum 30.11.2005 und, nach Durchführung zweier Klageverfahren,
letztlich bis zum 31.01.2008 berücksichtigte die Beklagte die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten als Bedarf. Seit dem
01.02.2008 übernimmt die Beklagte nur noch die als angemessen erachteten Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Klägerin,
die aus persönlichen Gründen in der Wohnung verbleiben möchte, erhält von ihren Eltern zur Deckung des Fehlbetrages eine monatliche
freiwillige Zuwendung in Höhe von 200,00 €.
Mit Bescheid vom 06.05.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.06.2008 bis 30.11.2008
in Höhe von monatlich 474,37 €, nämlich angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 297,37 € zuzüglich der Regelleistung
in Höhe von 347,00 € abzüglich der um den Freibetrag (30,00 €) verminderten als Einkommen gewerteten Zuwendungen der Eltern
in Höhe von 170,00 €. Die berücksichtigten angemessenen Kosten der Unterkunft setzten sich zusammen aus der Kaltmiete in Höhe
von 221,00 € zuzüglich Nebenkosten in Höhe von 49,92 € sowie Heizkosten in Höhe von 46,45 €; tatsächlich beliefen sich die
KdU auf insgesamt 588,36 € (Kaltmiete und Nebenkosten in Höhe von zusammen 501,36 € zuzüglich Heizkosten in Höhe von 87,00
€). Mit Änderungsbescheid vom 18.05.2008 berücksichtigte die Beklagte die Anhebung der Regelleistung von 347,00 € monatlich
auf 351,00 € ab 01.07.2008, mit weiterem Änderungsbescheid vom 28.05.2008 erfolgte die Erhöhung der als angemessen berücksichtigten
KdU auf 312,23 € wegen einer Erhöhung der Heizkosten von 26,45 € auf 41,31 €. Die Widersprüche der Klägerin wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheiden vom 08.07.2008 zurück.
Die hiergegen am 11.08.2008 zum Sozialgericht Koblenz (SG) erhobenen Klagen hat das SG mit Beschluss vom 13.08.2008 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Durch Urteil vom 30.03.2009 hat es die
Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.05.2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 18.05.2008 und 28.05.2008
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2008 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld II im Zeitraum vom 01.06.2008
bis 30.11.2008 ohne Anrechnung von 170,00 € als Einkommen zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt, die Klägerin habe Anspruch
auf Gewährung von Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung der monatlichen Zuwendung der Eltern als sonstiges Einkommen. Sie benötige
zur Sicherung ihres Lebensunterhalts im Monat Juli 2008 insgesamt 659,23 € und im Zeitraum Juli bis November 2008 insgesamt
663,23 € monatlich. Dieser Bedarf setze sich zusammen aus der Regelleistung gemäß § 20 SGB II (347,00 € im Juni 2008 bzw.
351,00 € ab Juli 2008) sowie den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II in Höhe von 312,23 € (Kaltmiete
in Höhe von 221,00 € zuzüglich Nebenkosten in Höhe von 49,92 € sowie Heizkosten in Höhe von 41,31 €). Diesem Bedarf sei das
Einkommen der Klägerin entgegenzusetzen. Grundsätzlich seien gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert
zu berücksichtigen. Nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II i. V. m. § 1 Arbeitslosengeld
II-/Sozialgeldverordnung (Alg II-V) in der seit 01.01.2008 geltenden Fassung zweckbestimmte Einnahmen, die einem anderen Zweck
als die Leistungen nach dem SGB II dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen
nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Vorliegend solle durch die von den Eltern der Klägerin monatlich geleisteten 200,00
€ die Lücke zwischen den von der Beklagten als angemessen übernommenen Kosten der Unterkunft und Heizung (312,23 €) und den
tatsächlichen KdU (588,36 €) gedeckt werden. Diese Differenz sei nicht Teil des notwendigen Lebensunterhalts. Die Lage der
Klägerin werde durch die monatliche Zuwendung in Höhe von 200,00 € auch nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen
nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.
Gegen dieses ihr am 14.04.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.05.2009 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, die
Leistungen nach dem SGB II dienten insbesondere der Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten
für Unterkunft und Heizung. Auch die Zahlungen der Eltern der Klägerin von monatlich 200,00 € dienten der Sicherung des Lebensunterhaltes,
denn sie seien zur Deckung der Unterkunftskosten bestimmt. Das SGB II unterscheide bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nicht in einen gesetzlichen und einen darüber hinausgehenden disponiblen Teil. Die Zuwendungen der Eltern der Klägerin seien
deshalb zu Recht unter Berücksichtigung des Freibetrages von 30,00 € in Höhe von monatlich 170,00 € auf den Bedarf der Klägerin
angerechnet worden.
Für den Zeitraum vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 24.10.2008 Arbeitslosengeld
II in Höhe von monatlich 493,23 €, wobei sie KdU weiterhin in Höhe von 312,23 € anstelle der tatsächlichen Kosten in Höhe
von 588,36 € und die Regelleistung in Höhe von monatlich 351,00 € abzüglich der um den Freibetrag (30,00 €) verminderten monatlichen
Zuwendung der Eltern der Klägerin in Höhe von 170,00 € berücksichtigte. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2008 zurück. Auf die am 05.12.2008 erhobene Klage hat das SG durch weiteres Urteil vom 30.03.2009 die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.10.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25.11.2008 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld II im Zeitraum vom 01.12.2008 bis 31.05.2009 ohne Anrechnung von
170,00 € zu gewähren und dies gleichlautend zum vorgenannten Urteil begründet. Gegen dieses ihr am 15.04.2009 zugestellte
Urteil hat die Beklagte ebenfalls am 04.05.2009 Berufung eingelegt, mit der sie ihre Rechtsauffassung weiter verfolgt.
Der Senat hat die Berufungsverfahren durch Beschluss vom 30.06.2009 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Koblenz vom 30.03.2009 aufzuheben und die Klagen abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakten, die beigezogene Archivakte SG Koblenz S 13 AS 38/07 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Der Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässigen Berufungen der Beklagten sind nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die angefochtenen Bescheide der
Beklagten geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin in den streitigen Bewilligungszeiträumen Alg II ohne Anrechnung
der von den Eltern der Klägerin als Zuschuss zu den Unterkunfskosten gezahlten monatlichen Zuwendungen zu gewähren.
Die Klägerin hat Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des besagten Zuschusses ihrer Eltern. Die Anspruchsvoraussetzungen
des § 7 SGB II sind sowohl hinsichtlich der Altersgrenzen, der Erwerbsfähigkeit, der Hilfebedürftigkeit als auch des Aufenthalts
grundsätzlich erfüllt. Im Rahmen der Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) ist der von den Eltern der Klägerin gewährte Zuschuss
zu den Unterkunftskosten nicht in Höhe von 170,00 € als Einkommen zu berücksichtigen. Nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB
II sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als
die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen
nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.
Zweckbestimmte Einnahmen können neben Einnahmen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten
Zweck erbracht werden, auch Einnahmen nicht öffentlich-rechtlicher Art, insbesondere von Privatpersonen sein (Söhngen, in
JurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rn. 55; Brühl, in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rn. 54). Zweckbestimmt ist eine Leistung,
wenn der Gesetzgeber oder der Leistungserbringer ihr eine bestimmte Zweckrichtung gegeben hat, die im Falle einer Anrechnung
als Einkommen bei den nach dem SGB II zu gewährenden Leistungen vereitelt würde; dabei ist nicht erforderlich, dass der Empfänger
die Leistung nur zu dem im Gesetz oder vom Leistungserbringer bestimmten Zweck verwenden darf und der Leistende ein Kontrollrecht
oder einen Einfluss auf die bestimmungsgemäße Verwendung hat; es genügt, wenn die Leistung aus einem bestimmten Anlass und
in einer bestimmten Erwartung gegeben wird und der Empfänger sie im Allgemeinen für den bestimmten Zweck verwendet, ohne dass
er jedoch dazu angehalten werden könnte (vgl. Söhngen aaO. Rn. 56; Brühl aaO. m. w. N.).
Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der Zuwendung der Eltern der Klägerin in Höhe von 200,00 € monatlich um eine zweckbestimmte
Leistung i. S. d. § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II. Denn nach der von den Eltern vorgegebenen Zweckbestimmung soll der
Zuschuss dem Ausgleich der Differenz zwischen den von der Beklagten bewilligten und den tatsächlichen Unterkunftskosten dienen
und so der Klägerin ermöglichen, ihre bisherige, nach den gesetzlichen Bestimmungen unangemessene Wohnung beizubehalten.
Der Zuschuss dient auch einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II. Das von der Beklagten bewilligte Alg II dient
der Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 S. 1 SGB II). Nach
der Zweckbestimmung der Eltern soll der Zuschuss gerade nicht der allgemeinen Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin
dienen, sondern ihr ermöglichen, trotz der Beschränkung der Unterkunftskosten durch die Beklagte, die bisherige - nach den
gesetzlichen Bestimmungen unangemessene - Wohnung beizubehalten. Diese Zweckbestimmung würde vereitelt, wenn der Zuschuss
als Einkommen bei der Bedarfsberechnung nach dem SGB II angerechnet würde.
Der Zuschuss beeinflusst die Lage der Klägerin auch nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt
wären. Nach Sinn und Zweck der Regelung ist hierbei eine Abwägung zu treffen unter Berücksichtigung der Situation des Hilfebedürftigen
im Vergleich zu anderen Hilfebedürftigen und fiskalischen Interessen. Bei privatrechtlich zweckbestimmten Leistungen sind
Leistungen nach dem SGB II in der Regel nur dann als nicht mehr gerechtfertigt anzusehen, wenn die Zweckbestimmung einen Missbrauch
verschleiern soll, z. B. eine allgemeine Unterhaltszuwendung für einen besonderen, tatsächlich nicht bestehenden Aufwand deklariert
wird (Brühl aaO. Rn. 55 m. w. N.). Für eine solche Missbrauchsverschleierung gibt es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.
Eine gesetzliche Unterhaltspflicht der Eltern für die 1968 geborene Klägerin besteht nicht; es liegen auch keine Anhaltspunkte
dafür vor, dass eigentlicher Zweck des Zuschusses der Eltern eine Unterstützung für den allgemeinen Lebensunterhalt der Klägerin
wäre und dieser Zweck durch die geltend gemachte Zwecksbestimmung verschleiert werden soll. Hiervon geht auch die Beklagte
wohl nicht aus. Die Eltern der Klägerin würden den Zuschuss nicht zahlen, wenn die Unterkunftskosten der Klägerin in der bisherigen
Wohnung von der Beklagten gedeckt würden. Fiskalische Interessen werden hierdurch nicht beeinträchtigt, denn die Klägerin
erhält von der Beklagten nur die angemessenen Kosten der Unterkunft. Der Zuschuss ist auch nicht so hoch, dass die Klägerin
damit im Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen unangemessen bessergestellt wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.