Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung; Ruhen wegen eines Anspruchs auf Pflegegeld aus der gesetzlichen
Unfallversicherung
Tatbestand
Umstritten ist, in welchem Umfang der Anspruch der Klägerin auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung wegen eines
Anspruchs auf Pflegegeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung ruht.
Die Beklagte hatte der 1924 geborenen Klägerin ab März 2012 Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe
I gewährt. Am 20.3.2013 erlitt die Klägerin bei einem Sturz eine Oberarmfraktur links. Während des dadurch erforderlichen
stationären Krankenhausaufenthalts stürzte die Klägerin am 26.3.2013 erneut und zog sich eine Luxationsfraktur des linken
oberen Sprunggelenkes mit Syndesmoseverletzung und kleinem knöchernem Ausriss der ventralen Syndesmose zu. Die Beklagte bewilligte
der Klägerin mit Bescheid vom 7.5.2013 aufgrund eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes vom April 2013 Leistungen der
Pflegestufe II.
Die Beigeladene gewährt der Klägerin wegen des Unfalls vom 26.3.2013 im Hinblick auf einen Versicherungsschutz nach §
2 Abs.
1 Nr.
15 Buchstabe a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. In einer von ihr eingeholten Stellungnahme vom August 2013 führte der
Krankenpfleger und Orthopädiemeister H aus: Die Gesamthilfebedarfe der Klägerin seien wesentlich auf die Folgen des Unfalls
vom 26.3.2013 zurückzuführen. Bei der Klägerin bestünden Gesamthilfebedarfe von 214,9 Minuten täglich, wovon durch den Unfall
vom 26.3.2016 ein Mehraufwand von 91,2 Minuten bedingt sei, was einem prozentualen Anteil am gesamten Hilfebedarf von 42,44
% entspreche. Demnach sei eine Leistung zur Pflege in Höhe von 42,44 %, ausgehend von dem Pflegegeldbetrag in Höhe von 50
% des Höchstbetrags, zu Lasten der Beigeladenen zu empfehlen. Daraufhin gewährte die Beigeladene der Klägerin durch Bescheid
vom 26.9.2013 Pflegegeld nach §
44 SGB VII. Zur Begründung legte sie dar: Vor dem Unfall vom 26.3.2013 habe bereits Pflegebedürftigkeit im Sinne der sozialen Pflegeversicherung
nach der Pflegestufe I bestanden. Insoweit könne unfallversicherungsrechtlich nur der unfallbedingte Mehrbedarf entschädigt
werden, der in Analogie zur sozialen Pflegeversicherung der Pflegestufe II entspreche. Die Differenz werde als reine Geldleistung
gewährt. Die Höhe des Pflegegeldes bestimme sich nach Art oder Schwere des Gesundheitsschadens sowie nach dem erforderlichen
und durch die Folgen des Versicherungsfalls der gesetzlichen Unfallversicherung wesentlich (mit)verursachten Umfang der Hilfe.
Das Pflegegeld werde auf 42,44 % von 50 % des Höchstbetrages festgesetzt. Die monatliche Leistung betrage ab dem 17.4.2013
268,86 € und ab dem 1.7.2013 269,53 €.
Durch Bescheid vom 19.12.2013 und Widerspruchsbescheid vom 2.6.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit: Die Leistungen der
sozialen Pflegeversicherung seien nach §
13 Abs.
1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) gegenüber Entschädigungsleistungen nach dem
SGB VII nachrangig; §
34 Abs.
1 Nr.
2 SGB XI konkretisiere dies dahingehend, dass der Leistungsanspruch nach dem
SGB XI in Höhe der Entschädigungsleistungen nach dem
SGB VII ruhe. Daher stehe der Klägerin nur Pflegegeld nach dem
SGB XI in Höhe der Differenz zwischen der Pflegestufe II (monatlich 440,-- €) und der Leistung der Beigeladenen zu.
Am 2.7.2014 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Beklagte hätte ihrer Leistung den ohne den
Unfall vom 26.3.2012 bestehenden Pflegebedarf zugrunde legen müssen und habe ihr deshalb Leistungen nach der Pflegestufe I
(monatlich 235 €) zu erbringen, ohne dass diese zum Ruhen gekommen seien. Die Beigeladene hat sich dieser Auffassung angeschlossen.
Durch Urteil vom 19.6.2015 hat das Sozialgericht (SG) Trier die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Nach §
34 Abs.
1 Nr.
2 Satz 1
SGB XI ruhe der Anspruch auf Pflegeleistungen, soweit Versicherte Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit aus der gesetzlichen
Unfallversicherung erhielten. Diese Regelung lasse nach ihrem Wortlaut keine Ausnahme zu. Dies sei verfassungskonform (Hinweis
auf Bundessozialgericht - BSG - 29.4.1999 - B 3 P 15/98 R).
Gegen dieses ihren Prozessbevollmächtigten am 21.7.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.7.2015 eingelegte Berufung
der Klägerin, die ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Trier vom 19.6.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2.6.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab April 2013 Pflegegeld nach der Pflegestufe I ohne Anrechnung
von Leistungen der Beigeladenen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die Prozessakte verwiesen,
die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Nach §
34 Abs.
1 Nr.
2 SGB XI ruht der Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung, soweit Versicherte Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit
nach § 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) oder nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder Unfallfürsorge erhalten. Diese Vorschrift greift vorliegend zu Lasten
der Klägerin ein. Entgegen ihrer Auffassung ruht ihr Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II nach dem
SGB XI in Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerin gegen die Beigeladene.
Nach den Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts hat die für die Entschädigung des Unfalls vom 26.3.2013 zuständige Beigeladene
der Klägerin Pflegegeld nach §
44 SGB VII nur für die durch diesen Unfall eingetretene Zunahme des Pflegebedarfs zu gewähren. Nimmt bei im Zeitpunkt des Versicherungsfalls
im Sinne des
SGB VII schon bestehender Pflegebedürftigkeit der Pflegebedarf wegen der Folgen dieses Versicherungsfalls zu, ist, wovon die Beigeladene
zu Recht ausgegangen ist, nur diese Verschlimmerung vom Unfallversicherungsträger zu entschädigen (BSG 10.10.2006 - B 2 U 41/05 R, [...]; Ricke in Kasseler Kommentar,
SGB VII, §
44 Rn 5). Unfallversicherungsrechtlich bewirkt dies, dass der Pflegebedarf rechtlich in zwei Teile - einen zu entschädigenden
und einen nicht zu entschädigenden Teil - zerlegt wird (vgl. allgemein zur Verschlimmerung Keller in Hauck/Noftz,
SGB VII, K §
8 Rz 293). Dies führt aber pflegeversicherungsrechtlich nicht dazu, dass das Pflegegeld nur anteilig zum Ruhen käme.
Nach dem Wortlaut des §
34 Abs.
1 Nr.
2 SGB XI ruht der Anspruch auf Pflegegeld, "soweit" der Versicherte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhält. Das
Tatbestandsmerkmal "soweit" führt zur Begrenzung des Ruhenseintritts in Höhe der Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Demgegenüber ist die Ruhenswirkung nach §
34 Abs.
1 Nr.
2 SGB XI entgegen der Auffassung der Klägerin und der Beigeladenen (unzutreffend auch Landessozialgericht - LSG - Hamburg 12.9.2013
- L 1 P 8/12, [...]) nicht insoweit begrenzt, als die Pflegebedürftigkeit auf Unfallfolgen zurückzuführen ist. Einer solchen Beschränkung
der Ruhenswirkung steht der Umstand entgegen, dass das Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung eine einheitliche Leistung
ist, die rechtlich nicht teilbar ist, auch wenn Pflegegeld nach einer höheren Stufe als der Pflegestufe I gewährt wird. Deshalb
kommt eine nur auf den fiktiven Anteil der Pflegebedürftigkeit ohne die Folgen des Unfalls vom 26.3.2013 - hier: Pflegestufe
I - beschränkte Ruhenswirkung nicht in Betracht.
Dem steht die Zweckbestimmung des §
34 Abs.
1 Nr.
2 SGB XI nicht entgegen. Sinn dieser Vorschrift ist die Vermeidung einer Überversorgung durch Doppelleistungen. Dies setzt voraus,
dass die beiden in Betracht kommenden Leistungen im Wesentlichen dem gleichen Zweck dienen - Zweckidentität, Gleichartigkeit
- und zeitgleich bezogen werden - Zeitgleichheit - (BSG 19.4.2007 - B 3 P 6/06 R, [...] Rn 18). Zweckidentität, Gleichartigkeit und Zeitgleichheit in diesem Sinne sind vorliegend gegeben, wobei hinsichtlich
der Zweckidentität die Unteilbarkeit der Pflegeleistung zu berücksichtigen ist. Für diese Auslegung des §
34 Abs.
1 Nr.
2 SGB XI durch den Senat spricht auch, dass die Ruhenswirkung nach dieser Vorschrift nicht auf eine volle Deckungsgleichheit der Leistungen
begrenzt ist (vgl. BSG 29.4.1999 - B 3 P 15/98 R, [...] Rn 15).
In dieser Auslegung verstößt §
34 Abs.
1 Nr
2 SGB XI nicht gegen Normen des
Grundgesetzes (vgl. BSG 29.4.1999 aaO, [...] Rn 24), zumal der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht zur Sicherstellung eines Versicherungsschutzes
in der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Unfällen bei stationärer Krankenhausbehandlung verpflichtet ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).