Anspruch auf Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der gesetzlichen Rentenversicherung; Berücksichtigung
der Mitwirkungsbereitschaft des Versicherten bei der anzustellenden Erfolgsprognose
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger einen Anspruch auf Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme
hat.
Der am ... 1961 geborene Kläger arbeitet als Montagewerker im Drei-Schicht-System am Band im V-werk in W. Er führte vom 01.
Juli 2008 bis zum 22. Juli 2008 in der Knappschaftsklinik W. in W. eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme durch. Nach dem
Entlassungsbericht der Einrichtung vom 29. Juli 2008 lagen bei ihm insbesondere ein chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom
bei degenerativen Veränderungen, eine Gonarthrose links sowie ein Übergewicht (BMI 32,5) vor. Als Montagewerker könne der
Kläger noch vollschichtig (6 Stunden und mehr) tätig sein.
Am 07. Juli 2010 beantragte der Kläger erneut Leistungen zur Teilhabe in der Form stationärer Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation. Die Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Orthopädie/Chirotherapie Dr. W. vom 14. Juni 2010
ein und lehnte den Antrag nach Einholung einer Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes mit Bescheid vom 27. Juli
2010 ab. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation seien nicht erforderlich, eine Krankenbehandlung im Rahmen der Krankenversicherung
würde ausreichen. Dagegen legte der Kläger am 17. August 2010 Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde
er am 04. Oktober 2010 vom Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten untersucht. Nach dessen Bericht vom 05. Oktober 2010 lagen
bei dem Kläger ein chronisch rezidivierendes lumbales Schmerzsyndrom, eine initiale mediale Gonarthrose und Retropatellararthrose
bei Verdacht auf eine degenerative Meniskopathie links, ein Fersensporn rechts, ein metabolisches Syndrom mit Adipositas,
eine arterielle Hypertonie und ein Verdacht auf Diabetes mellitus und Hyperlipoproteinämie vor. Er könne noch leichte bis
mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen und unter Vermeidung von die Wirbelsäule gefährdende Zwangshaltungen,
häufigem Bücken oder Knien für täglich 6 Stunden und mehr verrichten. Seine bisherige Tätigkeit eines Montagewerkers sei mit
diesem Leistungsbild vereinbar. Ein medizinischer Rehabilitationsbedarf für eine entsprechende vorzeitige Maßnahme sei nicht
erkennbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 29. Dezember 2010 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Das Gericht hat Befundberichte eingeholt von der Fachärztin für Orthopädie/Chirotherapie Dr. W. vom 13. Mai 2011,
der Fachärzte für Allgemeinmedizin S. vom 26. Mai 2011 und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. B. vom 07. Juni 2011, die
jeweils weitere medizinische Unterlagen beigefügt haben.
Das Gericht hat den Facharzt für Orthopädie Dr. F. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten
vom 17. Juli 2012 auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt:
Brustwirbelsäulensyndrom bei Rundrückenbildung,
chronisch lumbales Pseudoradikulärsyndrom rechts bei kernspintomographisch bestätigter Degeneration der unteren Lendenwirbelsäule
mit Einengung der Neuroforamina rechtsseitig und beginnender Enge des Spinalkanals,
Epicondylitis humero radiales links,
Morbus Duypuytren 4. Strahl beider Hände,
schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der rechten Hüfte mit Insertionstendinose der rechten Trochanterspitze,
Varusgonarthrose und retropatellare Arthrose links mit anhaltender Beschwerdesymptomatik,
Valgusgonarthrose und retropatellare Arthrose rechts mit anhaltender Beschwerdesymptomatik sowie Innenmeniskus- und Außenmeniskusschaden,
Knick-Senk-Spreizfuß beider Füße,
plantare Fersenperiostose rechts.
Gegenüber dem Sachverständigen hat der Kläger angegeben, täglich 4 Flaschen Bier zu trinken. Sein Körpergewicht betrug 108
kg bei einer Körpergröße von 178 cm. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei durch die degenerativen Veränderungen gemindert,
eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit liege aber nicht vor. Die vorhandenen Beschwerden könnten durch eine stationäre
Rehabilitationsmaßnahme nicht geheilt und einer Verschlimmerung auch nicht vorgebeugt werden. Zur Therapie der festgestellten
Gesundheitsstörungen würde eine regelmäßige ambulante konservative Therapie am Heimatort genügen. Dringend anzuraten sei eine
Gewichtsreduktion sowie eine Minderung des Alkoholkonsums.
Der Kläger hat einen Bericht der Gemeinschaftspraxis der Ärzte für Radiologie Dr. K. u.a. über eine am 24. Juli 2012 durchgeführte
Kernspintomographie des linken Kniegelenkes übersandt.
Mit Urteil vom 08. März 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Gewährung medizinischer Leistungen zur Rehabilitation würden vom Kläger
nicht erfüllt. Aufgrund der orthopädischen Leiden liege zwar eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vor. Eine Maßnahme der medizinischen
Rehabilitation würde auf der Grundlage der Ermittlungen der Kammer aber nicht zur Verbesserung der Erwerbsfähigkeit führen.
Eine solche Maßnahme könne die Leiden des Klägers auch nicht lindern oder einer Verschlimmerung vorbeugen. Vielmehr seien
ambulante Therapien ausreichend. Entsprechende Möglichkeiten habe er auch noch nicht umfänglich ausgeschöpft.
Gegen das am 15. April 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
eingelegt. Bei ihm seien zuletzt verstärkt Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet, insbesondere im Rücken und in den Knien,
aufgetreten. Diese seien durch seine berufliche Tätigkeit ausgelöst worden. Er leide unter ständigen Schmerzzuständen, Bewegungseinschränkungen
und Bewegungsblockaden. Die Auffassung des Sachverständigen Dr. F., eine ambulante konservative Therapie sei in seinem Falle
ausreichend, müsse hinterfragt werden. Die Erfahrung zeige, dass konservative Therapien bei ihm nicht anschlagen würden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 08. März 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Antrag auf Gewährung
einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 08. März 2013 zurückzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung und das diese bestätigende Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der
Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und auch in der von §
151 SGG geforderten Form und Frist eingelegte Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Gewährung
einer stationären medizinischen Maßnahme der Rehabilitation zu Recht abgelehnt, so dass dieser nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert ist. Das die Klage abweisende Urteil des SG ist deshalb nicht zu beanstanden.
Gemäß §
9 Abs.
1 Satz 1
Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) erbringt die Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, wenn die persönlichen (§
10 SGB VI) und die versicherungsrechtlichen (§
11 SGB VI) Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe durch den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt sind. Ferner darf
keiner der Ausschlussgründe nach §
12 SGB VI vorliegen. Liegen die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor und fehlen Ausschlussgründe, so steht
es im Ermessen des Trägers der Rentenversicherung, ob und ggf. welche Leistungen er erbringt (§
9 Abs.
2 SGB VI).
Für die Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen verlangt §
10 Abs.
1 SGB VI zum einen, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wegen Krankheit oder Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert
ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 1), und zum anderen, dass entweder bei einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung
der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation voraussichtlich abgewendet werden kann (§ 10 Abs. 1
Nr. 2 Buchstabe a), oder bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation voraussichtlich
wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann (§ 10
Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b).
Wie das SG geht auch der Senat davon aus, dass der Kläger die Voraussetzungen des §
10 Abs.
1 Nr.
1 SGB VI erfüllt. Nach den durchgeführten medizinischen Ermittlungen liegt bei ihm insbesondere aufgrund seiner orthopädischen Leiden
eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift vor. Dem nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten des Sachverständigen
Dr. F. ist nämlich zu entnehmen, dass seine Erwerbsfähigkeit bereits durch die festgestellten degenerativen Veränderungen
gemindert ist.
Jedoch fehlt es am Vorliegen der von §
10 Abs.
1 Nr.
2 Buchstaben a und b
SGB VI kumulativ ("und") geforderten Voraussetzungen. Eine Maßname der medizinischen Rehabilitation kann im Falle des Klägers nach
ärztlichem Urteil voraussichtlich weder zu einer Verbesserung seiner Erwerbsfähigkeit führen noch kann seine verminderte Erwerbsfähigkeit
gerade durch eine stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation voraussichtlich wiederhergestellt werden.
Dabei kommt es nach der im Rahmen der genannten Vorschrift anzustellenden Erfolgsprognose ("voraussichtlich") auf die Umstände
des Einzelfalles an. Dazu zählen auch die persönlichen Verhältnisse des Versicherten und seine Mitwirkungsbereitschaft. Ihm
obliegt dabei auch die Beseitigung von Risikofaktoren wie z.B. Alkoholgenuss und Ernährungsfehler. Dabei muss auch immer geprüft
werden, ob eine "positive Einwirkung auf die Erwerbsfähigkeit nicht auch auf andere, wirtschaftlichere und sparsamere Weise
als durch Leistungen des Rentenversicherungsträgers herbeigeführt werden kann" (vgl. Luthe in: jurisPK-
SGB VI, §
10 Rdnr. 61 bis 63, mit weiteren Nachweisen, auch auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Deshalb hat das SG unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. zutreffend darauf abgestellt, dass regelmäßige konservative
ambulante Therapien am Heimatort, die nicht vom Träger der Rentenversicherung sondern von der Krankenversicherung zu finanzieren
sind, ausreichend sind. Entsprechendes gilt für krankengymnastische Behandlungsmaßnahmen und die Teilnahme am Rehabilitationssport.
Auch ist dem Kläger zuzumuten, die bei ihm vorliegenden Risikofaktoren, wie sein erhebliches Übergewicht und seinen erhöhten
Alkoholgenuss, zu reduzieren.
Liegen damit bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
10 Abs.
1 SGB VI schon nicht vor, so muss der Senat nicht entscheiden, welche Voraussetzungen an eine erst dann mögliche Ermessensentscheidung
der Beklagten (vgl. §
9 Abs.
2 SGB VI) zu stellen sind (vgl. Luthe, aaO., §
9 Rdnr. 86 ff.). Auch mögliche Ausschlussgründe (hier: §
12 Abs.
2 SGB VI) sind nicht zu diskutieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.