Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses für Unionsbürger bei Aufenthalt
zur Arbeitsuche
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens darüber, ob die Antragstellerin Anspruch auf
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende) SGB II - hat.
Die am ... 1996 geborene Antragstellerin ist tschechische Staatsangehörige. Sie stellte am 25. August 2014 bei dem Antragsgegner
einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II. Sie legte eine Anmeldebescheinigung der Stadt H. vor, wonach sie am 19. August 2014 aus S.-B. nach H. verzogen war. Nach
der Anmeldebestätigung der Stadt S.-B. hatte die Antragstellerin bei ihrer Anmeldung dort angegeben, am 6. Mai 2014 aus Tschechien
zugezogen zu sein. Die Antragstellerin gab gegenüber dem Antragsgegner an, über keine Einkünfte und kein Vermögen zu verfügen.
Weiter gab sie an, gesundheitlich in der Lage zu sein, eine Tätigkeit von mindestens drei Stunden täglich auszuüben.
Nach ihren Angaben lebt die Antragstellerin zusammen mit ihrer Schwester K. (die das Parallelverfahren L 2 AS 16/15 B ER geführt hat) derzeit provisorisch mit in der Wohnung einer weiteren Schwester, die in H. Leistungen zu Sicherung des
Lebensunterhalts bezieht.
Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Leistungsgewährung mit Bescheid vom 13. November 2014 mit der Begründung ab, die Antragstellerin
habe ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland alleine zu Zwecke der Arbeitsuche und sei deshalb von Leistungen
zu Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen.
Hiergegen legte die Antragstellerin vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten am 26. November 2014 Widerspruch ein und
führte aus, dass sie sich nicht zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhalte. Deshalb falle sie nicht unter die Ausschlussregelung
im SGB II.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 2014 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin zurück.
Am 24. November 2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Halle (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass der Ausschlusstatbestand
beim Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsuche auf sie keine Anwendung finde.
Mit Beschluss vom 22. Dezember 2014 hat das SG den Antrag abgelehnt: Es greife der gesetzliche Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, ein anderes als dem Zweck der Arbeitsuche dienendes Aufenthaltsrecht zu
haben.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. Dezember 2014 zugestellten Beschluss hat dieser für die Antragstellerin am
30. Dezember 2014 Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt: Mangels von Kenntnissen der deutschen
Sprache habe sie keinerlei Aussicht auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages. Tatsächlicher Grund für die Einreise sei der
Zuzug zu ihrem damaligen Partner gewesen. Sie erziele derzeit kein Einkommen.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 22. Dezember 2014 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr bis zu
einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig für die Monate November und Dezember 2014 Leistungen in Höhe von 391 EUR monatlich
und ab Januar 2015 monatlich 399 EUR als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er meint, Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts sei eine Aufenthaltsberechtigung,
über die die Antragstellerin aber nicht verfüge.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners
Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des SG Halle ist gemäß §
172 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft, form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde ist nicht nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig
wäre. Hier wäre die Berufung der Antragstellerin zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 Euro übersteigt,
§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Der Erlass der von den Antragstellerin begehrten vorläufigen Anordnung beurteilt sich nach §
86b Abs.
2 SGG. Nach dieser Vorschrift ist das Begehren der Antragstellerin als auf den Erlass einer Regelungsanordnung gerichteter Antrag
statthaft, weil in der Hauptsache keine reine Anfechtungsklage zu erheben war. Das Begehren der Antragstellerin ist auf die
Gewährung von Leistungen gerichtet, so dass statthafte Klageart eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne
des §
54 Abs.
1 und 4
SGG ist. Das Gericht der Hauptsache kann in diesem Fall gemäß §
86b Abs.
2 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte oder eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, weil sie
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei gelten nach §
86b Abs.
23 Satz 4
SGG die §§
920,
921,
923,
926,
928 bis
932,
938,
939 und
945 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) entsprechend.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit
der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines
in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden, §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 ZPO.
Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen
Prüfung ist hierfür die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs erforderlich. Ein solcher ist
hier aber mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit zu verneinen. Daher kann die Zubilligung einer vorläufigen Leistung
auch nicht auf eine - bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens - Interessenabwägung gestützt werden.
Die Antragstellerin erfüllt zwar die Voraussetzungen für die Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. In ihrem Falle greift aber der Ausschluss von den Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Im Einzelnen gilt:
1. Die in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II genannten Voraussetzungen für die Leistungsberechtigung liegen vor.
a) Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, an der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin zu zweifeln.
b) Die Antragstellerin hat auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Begriff des gewöhnlichen
Aufenthalts ist in §
30 Abs.
3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (
SGB I) gesetzlich definiert. Nach dieser Vorschrift hat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält,
die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist, ob der
örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und
solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse
im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung
von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden
soll (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris, Rn. 18). Der Aufenthalt der Antragstellerin ist solange zukunftsoffen, wie nicht bestandskräftig oder durch eine
für sofort vollziehbar erklärte Entscheidung der Ausländerbehörde festgestellt worden ist, dass ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin
auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr besteht oder die Antragstellerin freiwillig ihre Ausreise plant.
Hinweise auf ein solches Verwaltungsverfahren bestehen nicht. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin
in absehbarer Zeit H. bzw. die Bundesrepublik Deutschland wieder verlassen will. Sie möchte sich in Deutschland eine Existenz
aufbauen und besucht deshalb zur Zeit einen Deutschkurs.
c) Die Antragstellerin ist auch erwerbsfähig i. S. des § 7 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 SGB II. Sie ist gesundheitlich in der Lage mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein und erfüllt auch die Voraussetzung
der "rechtlichen Erwerbsfähigkeit" nach § 8 Abs. 2 SGB II. Danach können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden
könnte. Hierbei ist die rechtliche Möglichkeit ausreichend, eine Beschäftigung aufzunehmen. Unabhängig von der Frage, ob die
Antragstellerin freizügigkeitsberechtigte Unionsbürgerin i. S. der §§ 2 bis 4 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgers (FreizügG/EU) ist, ist es ihr jedenfalls erlaubt, eine Beschäftigung aufzunehmen. Sie hält sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland
auf und bedarf keines Aufenthaltstitels nach dem Aufenthaltsgesetz für eine Arbeitserlaubnis. Nach § 2 Abs. 4 FreizügG/EU bedürfen Unionsbürger für den Aufenthalt keines Aufenthaltstitels. Sie sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erst ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht.
Das FreizügG/EU geht damit von einer Vermutung der Freizügigkeit aus. Diese Vermutung vermittelt bis zur Feststellung des Nichtbestehens
der Freizügigkeit durch die Ausländerbehörde einen rechtmäßigen Aufenthalt, nicht aber auch Freizügigkeit (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt,
Ausländerrecht, 10. Aufl., § 7 Rn. 10).
2. Obwohl die Antragstellerin grundsätzlich unter den Anwendungsbereich des Leistungssystems des SGB II fällt und sich auch rechtmäßig in Deutschland aufhält, scheidet ein Leistungsanspruch aber aus. Denn die Antragstellerin
gehört zu dem Kreis der von der Leistungsberechtigung ausgeschlossenen erwerbsfähigen Ausländerinnen und Ausländer nach §
7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Nach dem reinen Wortlaut betrifft der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II die Ausländerinnen und Ausländer, deren bestehendes Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Nach
dem Willen des Gesetzgebers soll dieses Aufenthaltsrecht im Ergebnis nicht dazu führen, dass die steuerfinanzierten Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Anspruch genommen werden können. In der Ausschlussregelung nimmt der Gesetzgeber auf § 2 Abs. 2 Ziffer 1a FreizügG/EU Bezug, wonach in der ab dem 2. Dezember 2012 Fassung Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, bis zu sechs Monate
freizügigkeitsberechtigt sind und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass die weiterhin Arbeit suchen und
begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Aus dem Wort "alleine" im § 7 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ergibt sich, dass der Leistungsausschluss nicht gilt, wenn die oder der Betroffene aufgrund einer anderen Bestimmung des
FreizüG/EU freizügigkeitsberechtigt ist.
a) Im Fall der Antragstellerin kommt nur in Betracht, dass sie sich zur Begründung eines Aufenthaltsrechts auf § 2 Abs. 1 Ziffer 1a FreizügG/EU stützen kann. Es ist nicht ersichtlich, dass sie die Voraussetzungen einer anderen Regelung des FreizügG/EU erfüllen könnte, aus der sich eine Freizügigkeitsberechtigung ableiten ließe.
Aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU ergibt sich kein Aufenthaltsrecht für die Antragstellerin. Nach dieser
Vorschrift sind Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt, die sich als Arbeitnehmer in einem anderen Unionsstaat aufhalten. Jeder
Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen
so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt, fällt unter die Vorschriften über
die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 - C-213/05 "Geven", Rn. 16; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R - Rn. 18 jeweils zitiert nach juris). Die Antragstellerin übt keine Tätigkeit aus. Auch aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. §
4 FreizüG/EU für nicht erwerbstätige Unionsbürger leitet sich kein Aufenthaltsrecht ab, weil die Antragstellerin nicht über
ausreichende Existenzmittel verfügt.
Nach § 2 Nr. 6 FreizügG/EU i. d. Fassung vom 2. Dezember 2014 haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auch Familienangehörige
unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 des Gesetzes. Der Begriff der Familienangehörigen wird näher im § 3 FreizügG/EU definiert. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU sind dies der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen oder ihrer Ehegatten und Lebenspartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind. Die Schwester der Antragstellerin
fällt nicht unter den Begriff der Familienangehörigen.
Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf ein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz berufen. Dieses Gesetz findet nach § 11 Satz 11 FreizügG/EU vorrangig Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt. Hier ist jedoch kein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz ersichtlich.
Es verbleibt somit nur das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche bzw. das Aufenthaltsrecht, welches aus der Freizügigkeitsvermutung
resultiert und das Aufenthaltsrecht bis zur Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeit begründet.
b) Bei einer solchen Konstellation kann nach Auffassung des Senats offenbleiben, ob der oder die Betroffene die Voraussetzungen
des § 2 Abs. 1 Ziffer 1a FreizügG/EU eventuell noch nicht oder nicht mehr erfüllt, weil aus persönlichen Gründen vor der eigentlichen Arbeitsuche etwa zunächst
- wie im Falle der Klägerin - den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichternde Sprachkenntnisse erworben werden müssen oder sollen
oder aber nach Ablauf von sechs Monaten der Arbeitsuche keine begründeten Aussichten nachgewiesen werden können, eingestellt
zu werden. Entscheidend für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist, dass es sich um eine Person handelt, die als Arbeitsuchende oder Arbeitsuchender Leistungen nach dem SGB II beantragt und bei der nicht ersichtlich ist, dass sich die das Aufenthaltsrecht vermittelnde Freizügigkeitsberechtigung aus
anderen Gründen ergeben könnte, als aus § 2 Abs.1 Ziffer 1a FreizügG/EU (im Ergebnis ebenso LSG Hamburg, Beschluss vom 1. Dezember 2014 - L 4 AS 444/14 B ER; Beschluss des 2. Senates des LSG NRW vom 3. Dezember 2014 - L 2 AS 1623/14 B; mit der Annahme einer ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung: LSG Hessen, Beschluss vom 11. Dezember 2014 - L 7 AS 528/14 B ER; a. A. der 19. Senat des LSG NRW, Beschluss vom 5. Mai 2014 - L 19 AS 430/13 jeweils zitiert nach juris). Ein anderes Verständnis des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, wonach das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auch tatsächlich (noch) zustehen muss, würde zu unauflösbaren Wertungswidersprüchen
führen. Es würden dann Ausländer, die über das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügen, von den Leistungen ausgeschlossen.
Demgegenüber würden Ausländer, welche nicht einmal über ein solches Aufenthaltsrecht verfügen, obwohl sie grundsätzlich als
Arbeitsuchende Leistungen nach dem SGB II beantragen, diese Leistungen beanspruchen könnten. Besonders deutlich zeigt sich die Systemwidrigkeit einer solchen Interpretation
an folgendem Beispiel: Ein Ausländer, der zu Arbeitsuche eingereist ist und nach Arbeit sucht, könnte sich während der ersten
sechs Monate seines Aufenthaltes nach der Neufassung des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU auf ein Aufenthaltsrecht berufen, würde aber von Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen sein, ab dem siebten Monat (wenn er nicht eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden) würde er sein
Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU verlieren. Somit würde er dann aber einem streng an den Vorliegen der Vorsetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU gekoppeltem Leistungsausschluss nicht mehr unterliegen und könnte nunmehr SGB II-Leistungen erhalten. Damit würde das erkennbare Ziel der Ausschlussreglung im SGB II, eine "Einwanderung in die Sozialsysteme zu verhindern", konterkariert.
Eine Auslegung des Kreises der von der Leistungsberechtigung ausgeschlossenen Ausländerinnen und Ausländer im oben bezeichneten
Sinne entspricht auch der Intention der Ausschlussvorschrift und erfasst vergleichbare Personengruppen. In beiden Fällen geht
es um erwerbsfähige und damit dem System des SGB II unterfallende EU-Ausländer, die sich als Unionsbürger auf ihr Freizügigkeitsrecht als Marktbürger berufen. Auch der EU-Ausländer,
bei dem die Ausländerbehörde das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechtes nicht festgestellt hat, verfügt über ein Aufenthaltsrecht
und wird damit dem Schutzbereich der Freizügigkeit zugeordnet und hält sich formal erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland
auf. Ausreisepflichtig wird er erst, wenn die Ausländerbehörde tätig wird. Solange die Ausländerbehörde nicht tätig wird,
muss also für ihn genauso wie bei denjenigen, die sich auf die Freizügigkeitsberechtigung beim Aufenthalt zur Arbeitsuche
berufen können, entschieden werden, ob er einen Anspruch aus dem Sozialsystem erlangen soll oder nicht. Ebenso wie bei dem
Unionsbürger, dessen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche besteht, ist sein Aufenthaltsrecht Ausfluss der Regeln des Binnenmarktes
für Unionsbürger ist und beruht auf der Privilegierung durch die Freizügigkeitsvermutung bei Unionsbürgern.
Diese vom Senat für richtig gehaltene Auslegung entspricht auch dem aus dem Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung deutlich
gewordenen mit der Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfolgten Zweck. Danach greift der betreffende Ausschluss der Leistungsberechtigung nicht, wenn ein anderer Grund nach §
2 FreizügG/EU vorliegt (BT Drs. 16/688 S. 13). In Ziffer B der Einleitung in der Gesetzesbegründung heißt es "Ausschluss von Leistungen
für EU-Bürger und ihre Familienangehörigen, die zuvor nicht in Deutschland gearbeitet haben, sondern zur Arbeitsuche nach
Deutschland einreisen". Es soll damit eine Regelung getroffen werden für alle Ausländerinnen und Ausländer, die von ihrem
Recht nach der Unionsbürgerschaft Gebrauch machen, nach Deutschland einzureisen, ohne einen anderen anerkannten Aufenthaltsgrund
nach dem FreizügG/EU zu haben, als die Arbeitsuche.
3. Der Leistungsausschluss im SGB II für Unionsbürger, die kein anderes Aufenthaltsrecht besitzen als das aus der Freizügigkeitsvermutung abgeleitete, welches
bis zur Feststellung des Nichtbestehens eines speziellen Freizügigkeitsrechts nach dem FreizügG/EU greift, ist auch nicht europarechtswidrig. Er führt zwar dazu, dass Ausländerinnen und Ausländer anders behandelt werden,
als die deutschen Staatsangehörigen, weil sie anders als diese keine SGB II-Leistungen beanspruchen können. Insoweit hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 11. November 2014
- C 333/13 in der Sache Dano - zitiert nach juris) entschieden, dass Unionsbürger, die kein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmestaat nach
der Richtlinie 2004/38 geltend machen können, sich schon nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie
berufen können (so dass die Ausnahme nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie schon gar nicht geprüft werden muss). Eine Gleichbehandlung
mit den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaates hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen könne nur verlangt werden,
wenn ein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie 2004/38 bestehe. Art. 7 der Richtlinie 2004/38, wonach nicht erwerbstätige Unionsbürger
ein Aufenthaltsrecht nur haben, wenn sie sich selbst unterhalten können, solle nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern,
das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaates zur Bestreitung des Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen.
So ist als Ziel der Richtlinie im zehnten Erwägungsgrund genannt, eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen
des Aufnahmestaates durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, zu verhindern.
4. Die Antragstellerin kann zur Deckung ihres menschenwürdigen Existenzminimums auch nicht auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch
Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) zurückgreifen, weshalb eine Beiladung des Sozialhilfeträgers unterbleiben konnte. Es kann dahinstehen, ob die Regelung in
§ 21 SGB XII, wonach Personen, die nach dem SGB II dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten, so ausgelegt werden kann, dass
von daher für diese Gruppe Ausländer Leistungen ausscheiden. Hiervon scheint der Gesetzgeber ausgegangen zu sein, wenn er
in der Gesetzesbegründung zur Neuregelung von § 7 Abs. 1 Satz 2 und der Einführung des Ausschlusstatbestandes nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausführt: "(...) können (...) die Leistungen nach diesem Buch durch den neugefassten Satz 2 ausgeschlossen sein. Darüber
hinaus kommen dann für diese Personengruppe auch Leistungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist" (BT Drucks. 16/688 S. 13). Dies gilt selbst dann, wenn die gesonderte Regelung für Ausländer in § 23 SGB XII so verstanden werden sollte, dass hiermit eine eigenständige Regelung zur Eingrenzung von Ansprüchen dieser Personengruppe
geschaffen wurde. Danach zeige der Gesetzgeber durch die gesonderte Regelung in § 23 SGB XII, dass der Lebensunterhalt der von dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II betroffenen Ausländer durchaus den Vorschriften des SGB XII unterfallen könne (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Juli 2012 - L 9 AS 563/12 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 28. Juni 2012 - L 14 AS 933/12 B ER, jeweils zitiert nach juris). Auch eine solche Interpretation ändert an dem Ergebnis nichts. Denn jedenfalls ist nach
§ 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ein Anspruch für die Gruppe gleichermaßen ausgeschlossen, wenn es dort heißt: "Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe
zu erlangen oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen haben
keinen Anspruch auf Sozialhilfe." Der Gesetzgeber hat sich mit der Einfügung des § 23 Abs. 3 Satz 1 XII dafür entschieden,
Versuche, den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch Rückgriff auf § 23 SGB XII zu umgehen, zu unterbinden (vgl. Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, Kommentar, Stand Einzellieferung VII/12; anders vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Oktober 2012 - 19 AS 1393/12 B ER ua - juris, Rn. 71 m.w.N.).
Der Senat brauchte nicht darüber zu entscheiden, ob der Ausschlusstatbestand auch für Unionsbürger auf die Art 1 des Europäischen
Fürsorgeabkommens anzuwenden ist, Anwendung findet (hierzu LSG Hamburg, Beschluss vom 1. Dezember 2014 - L 4 AS 444/14 B - zitiert nach juris). Denn die Tschechische Republik hat dieses Abkommen bislang nicht ratifiziert.
5. Die Antragstellerin kann einen Leistungsanspruch solange sie noch in der Bundesrepublik Deutschland lebt auch nicht aus
dem Grundrecht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art.
1 Grundgesetz (
GG) herleiten (anders noch der Senat im Beschluss vom 1. November 2013 - L 2 AS 841/13 B ER - zitiert nach juris). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die
sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Der objektiven Verpflichtung aus Art
1 Abs.
1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und diese
in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 - juris, Rn. 63). Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass die Unionsbürgerin ihren Existenzsicherungsanspruch auch
in ihrem Herkunftsland geltend machen kann, da in der EU gewisse soziale Mindeststandards bestehen, auf die sich die Mitgliedstaaten
geeinigt haben (Sozialcharta). Nach Art. 13 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 verpflichten sich die Vertragsparteien
sicherzustellen, dass jedem der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen
kann, ausreichende Unterstützung gewährt wird. Die Tschechische Republik hat dieses Abkommen und diesen Artikel am 3. November
1999 ratifiziert. Die Antragstellerin hat damit einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen innerhalb der EU. Einen Anspruch
darauf, ihre existenzsichernden Leistungen in einem bestimmten EU-Mitgliedstaat erhalten zu müssen, besteht nicht. Ggf. müsste
der Antragstellerin ermöglicht werden (Fahrkarte usw.) nach Tschechien zurückkehren zu können, um ihre Rechte dort wahrnehmen
zu können. Anders als bei einem Asylsuchenden, der sich auf das Grundrecht aus Art.
16 GG stützt, gibt es auch keinen rechtlich beachtlichen Hinderungsgrund für eine Rückkehr in dieses Heimatland.
Nach alledem muss die Beschwerde der Antragstellerin erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Antragstellerin ist Prozesskostenhilfe nach §
73a SGG i. V. m. §
114 ff der
Zivilprozessordnung (
ZPO) zu bewilligen. Die Rechtsverfolgung hatte hinreichende Aussicht auf Erfolg, da bei einer so umstrittenen Rechtsfrage, wie
der hier entscheidungsrelevanten, die Sachprüfung nicht auf die Stufe der Prozesskostenhilfe vorverlagert werden darf, um
den Zugang zum Rechtsschutz nicht zu verhindern. Die Antragstellerin kann die Prozesskosten auch nicht von ihrem Einkommen
und Vermögen bestreiten.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum BSG anfechtbar, §
177 SGG.