Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Leistungsausschluss für Auszubildende beim Bezug von Ausbildungsgeld nach
§ 122 SGB III; Übernahme der Unterkunftskosten bei Wohnheimunterbringung und Beibehaltung der bisherigen Unterkunft
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Beschwerdeverfahren darüber, ob die Antragstellerin
Anspruch auf Leistungen für die Kosten der von ihr in B. angemieteten Wohnung hat.
Die am ... 1988 geborene Antragstellerin ist ein behinderter Mensch (wegen der Folgen einer Muskelschwunderkrankung) mit einem
anerkannten Grad der Behinderung von 50 vom Hundert. Sie verfügt noch über keine Berufsausbildung. Die Antragstellerin ist
alleinige Mieterin einer Wohnung in B., Ortsteil K. Nach dem Mietvertrag hat die Antragstellerin als Miete monatlich 208,80
EUR sowie Vorauszahlungen von monatlich 60,00 EUR für Nebenkosten und monatlich 62,40 EUR für Heizkosten zu leisten. Die Antragstellerin
bezieht seit dem Tod ihrer Mutter eine Halbwaisenrente. Der monatliche Zahlbetrag dieser Rente beträgt 138,84 EUR. Zudem erhält
die Antragstellerin Kindergeld in Höhe von 184,00 EUR monatlich. Der Name und der Aufenthalt des Vaters der Antragstellerin
sind unbekannt.
Die Antragstellerin nahm bis zum 28. Juli 2012 an einer behindertenspezifischen Berufsvorbereitungsmaßnahme mit Internatsunterbringung
teil, die vom B. S. GmbH in D. (im Folgenden: BBW) durchgeführt und von der Bundesagentur für Arbeit - der Beigeladenen zu
1. - gefördert wurde. Während dieser Zeit erhielt die Antragstellerin Arbeitslosengeld II (Alg II) als Leistung zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) aufgrund einer Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistungserbringung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Beschluss
des Senats vom 6. Dezember 2011 - L 2 AS 438/11 B ER).
Am 5. Juni 2012 stellte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts für die Zeit nach dem Ende der Berufsvorbereitungsmaßnahme. Sie gab auf Nachfrage an, am 2. September
2012 (Anreisetag) beim BBW eine Ausbildung zur Bürokauffrau zu beginnen. An dem in Kopie vorgelegten "Rehabilitationsvertrag"
vom 1. Juni 2012 sind die Antragstellerin, das BBW und als Rehabilitationsträger die Beigeladene zu 1. beteiligt. Die Ausbildung
soll vom 3. September 2012 bis zum 2. September 2015 dauern. Als Urlaubszeiten sind im Jahre 2012 zehn Tage, in den Jahren
2013 und 2014 jeweils 30 Tage und im Jahre 2015 20 Tage vorgesehen. Der Antragstellerin wird während der festgelegten Ausbildungszeiten
ein Wohnheimplatz zur Verfügung gestellt, wobei die Unterbringung an die Anerkennung der Wohnheimordnung gebunden ist. Die
Kosten für die Unterbringung und die Verpflegung während der Ausbildungszeiten werden von der Beigeladenen zu 1. getragen.
Für die Dauer der Ausbildung bewilligte die Beigeladene zu 1. der Antragsstellerin mit Bescheid vom 25. September 2012 ein
Ausbildungsgeld in Höhe von 104,00 EUR monatlich, welches nach dem Inhalt des Bescheides jeweils monatlich nachträglich gezahlt
wird.
Mit Bescheid vom 23. Juli 2012 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen für die Zeit ab dem 3. September 2012
mit der Begründung ab, die Antragstellerin befinde sich ab diesem Zeitpunkt in einer Ausbildung, die nach dem Sozialgesetzbuch
Drittes Buch - Arbeitsförderung (
SGB III) förderungsfähig sei, so dass ein Leistungsausschluss bestehe. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 31. August
2012 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2012 zurückwies. Hierzu ist ein Klageverfahren
beim Sozialgericht Halle (SG) anhängig.
Die Antragstellerin hat am 27. September 2012 beim SG einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gestellt und beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihr für die
Zeit ab Antragstellung laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Ihr Hauptwohnsitz bleibe weiterhin die bereits vor Ausbildungsbeginn vorhandene
Wohnung in B. Aufgrund der geltenden Heimordnung sei sie alle vierzehn Tage zur Heimreise während der Schließung des Wohnheims
verpflichtet. Ferner bestehe eine Heimreisepflicht an den Urlaubstagen, an Feiertagen und während der berufsbegleitend durchführten
Praktika. Die Heimordnung schreibe ebenfalls vor, dass sie das Wohnheim im Falle einer Krankheit zu verlassen habe. Weil sei
als behinderter Mensch während ihrer Ausbildung Anspruch auf Ausbildungsgeld und nicht auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB)
habe, greife der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II nicht ein. Sie befinde sich in einer Notlage, weil sie die laufenden Kosten für die Wohnung in B. nicht aufbringen könne.
Die Antragstellerin hat eine Erklärung des BBW vom 12. November 2012 vorgelegt, in der ausgeführt wird: Die Aufenthaltszeiten
der Rehabilitanten seien in der Wohnheimordnung und dem Urlaubs- und Heimreiseplan des BBW geregelt. Demnach schließe das
Wohnheim zweimal im Monat am Wochenende, so dass die Teilnehmer nach Hause fahren müssten. Ebenso bestehe Heimreisepflicht
zu den Urlaubstagen, zu Feiertagen und während der am Heimatort durchgeführten Praktika. Bei Erkrankung der Rehabilitanten
müssten diese spätestens nach dem zweiten Krankheitstag das Wohnheim verlassen.
Das SG hat den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin für den Zeitraum vom September 2012 bis zum 28. Februar 2013 Kosten
der Unterkunft in Höhe von (gemeint ist monatlich) 331,20 EUR vorläufig zu gewähren. In den Gründen hat das SG ausgeführt: Die Kammer folge der Auffassung, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II auch behinderte Menschen als Auszubildende mit Anspruch auf Ausbildungsgeld erfasse. Aus diesem Grund habe die Antragstellerin
keinen Anspruch auf "vollständige Leistungen" nach dem SGB II. Es bestehe aber ein Anspruch auf einen Zuschuss zu den angemessen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 27 Abs. 3 SGB II. Dem könne nicht entgegen gehalten werden, dass die Antragstellerin Ausbildungsgeld erhalte, dessen Bedarf sich nach §
123 Abs.
1 Nr.
2 SGB III bemesse. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die Auszubildenden bei kostenfreier Unterbringung in einem Wohnheim
den Bedarf aus Leistungen der Ausbildungsförderung decken könnten. Dies sei aber bei einem zusätzlichen, nicht ausbildungsspezifischen
Bedarf nicht der Fall. Dann müssten Lücken in der Sicherung des Lebensunterhalts geschlossen werden. Im konkreten Fall trete
eine solche Lücke auf, weil die Antragstellerin zeitweise nicht im Internat wohnen könne. Weil ihr Einkommen noch nicht einmal
die Höhe des Grundsicherungssatzes erreiche, seien die tatsächlich angefallenen und auch nicht unangemessen hohen Kosten für
Unterkunft und Heizung der Wohnung der Klägerin zu übernehmen. Das Gericht habe eine Regelung für den Regelzeitraum von sechs
Monaten getroffen.
Gegen den ihr am 26. November 2012 zugestellten Beschluss hat nur der Antragsgegner Beschwerde eingelegt.
Der Senat hat mit Beschluss vom 31. Januar 2013 die Beigeladene zu 1. und den Beigeladenen zu 2. zum Verfahren beigeladen.
Der Antragsgegner meint: Weil die Antragstellerin Ausbildungsgeld gemäß §
123 Abs.
1 Nr.
2 SGB III erhalte, könne sie keinen Zuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II erhalten. Es liege auch keine für eine analoge Anwendung erforderliche planwidrige Regelungslücke vor. Weil die Antragstellerin
in einem Internat untergebracht sei und die Kosten dafür vom Maßnahmeträger übernommen würden, bestehe keine Notwendigkeit
für einen Zuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II.
Der Antragsgegner beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 22. November 2012 aufzuheben und den Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für in der Sache richtig: Der Gesetzgeber sei offensichtlich bei der Schaffung des § 27 Abs. 3 SGB II von einer Wohnheim- bzw. Internatsunterbringung für das ganze Jahr ausgegangen. Weil dies aber nicht so sei, liege eine planwidrige
Regelungslücke vor. Das BBW habe in einer - in Kopie beigefügten - Stellungsnahme vom 11. März 2013 mitgeteilt, dass der mit
der Beigeladenen zu 1. verhandelte Monatskostensatz alle Kosten beinhalte. Bei der Kalkulation seien die aus Urlaubs- und
Heimfahrwochenenden resultierenden Abwesenheitszeiten reduzierend berücksichtigt worden. Eine Auszahlung von Verpflegungskosten
an die Teilnehmer für diese Zeiten könne daher nicht erfolgen. Ergänzend führt die Antragstellerin aus: Ein Anspruch könne
gegen die Beigeladene zu 1. als dem zuständigen Rehabilitationsträger bestehen. Aus einer - in Kopie beigefügten Stellungnahme
der zuständigen Agentur für Arbeit, Regionaldirektion Sachsen-Anhalt Thüringen vom 6. Dezember 2012 in einem vergleichbaren
Fall ergebe sich, dass Mietkosten für die Wohnung am Hauptwohnsitz nach §
64 Abs.
3 Nr.
2 SGB III als sonstige Kosten übernommen werden könnten, soweit die Berufsausbildung ansonsten gefährdet sei.
Die Beigeladene zu 1. hat ausgeführt: Die Schließungszeiten des Internats änderten nichts daran, dass der Sachverhalt unter
§
123 Abs.
1 Nr.
2 SGB III zu subsumieren sei. Die Heimreisen gehörten zur Gesamtkonzeption des Gesetzgebers bei der Bestimmung des abweichenden Grundbedarfssatzes.
In analoger Anwendung der Vorschriften zur BAB sei grundsätzlich die Erstattung von Heimreisekosten für die Schließungszeiten
vorgesehen. Derzeit würden von der Beigeladenen zu 1. jeweils 538,00 EUR für eine Heimreise an einen beauftragten Taxiunternehmer
gezahlt. Alternativ käme die Erstattung sogenannter "Wochenend-Unterbringungskosten" in Betracht. Diese gelte allerdings nur
für die kurzen Schließungszeiten. Eine Unterbringung der Antragstellerin in B. während der Teilnahme an der Ausbildung sei
nicht nötig. Es wäre zu bedenken, dass die Antragstellerin ihre Wohnung in B. aufgeben könnte. Von einer Wohnung in der Nähe
des BBW könne sie sich ohne Wohnheimunterbringung dorthin begeben, so dass dann kein Fall des §
123 Abs.
1 Nr.
2 SGB III mehr vorliege (und ein Leistungsanspruch nach § 27 Abs. 3 SGB II bestehen könne). Im einstweiligen Rechtschutzverfahren wäre bei Abwägung aller Interessen am ehesten dem Antragsgegner zuzumuten,
die vorübergehenden Leistungen zu erbringen. Wenn die Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einen Anspruch
gegen die Beigeladene zu 1. durchsetzte, vernichte sie "sehenden Auges" einen möglichen Anspruch gegen den Antragsgegner,
weil die derzeitige Hilfebedürftigkeit auch durch vorläufige Leistungen der Beigeladenen zu 1. beseitigt werde. Der Antragsgegner
könne bei seiner Verpflichtung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Falle einer anderen Entscheidung im Hauptsacheverfahren
am ehesten Rückforderungsansprüche durch Aufrechnung gegen die Antragstellerin realisieren. Auch wenn ggf. im Einzelfall anders
entschieden worden sei, gebe es keine zentrale Rechtsauffassung der Beigeladenen zu 1., wonach die Kosten für die Wohnung
nach §
64 Abs.
3 Satz 2
SGB III übernommen werden könnten. Die Kosten seien nicht durch die Begründung des Ausbildungsverhältnisses entstanden, weil die
Wohnung schon vorher und unabhängig von der Ausbildung angemietet worden sei. Zudem habe sich der angefochtene Beschluss des
SG durch Zeitablauf erledigt. Eventuelle Erstattungsansprüche könnten im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Die Beigeladene zu 1. stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Beigeladene zu 2. weist darauf hin, dass Auszubildende nach § 20 Abs. 2 Wohngeldgesetz (WoGG) vom Anspruch auf Wohngeld ausgeschlossen seien. Dies gelte auch beim Anspruch auf Ausbildungsgeld nach §
104 SGB III a.F. Deshalb könne der Antragstellerin kein Wohngeld erbracht werden. Der Beigeladene zu 2. hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen
Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.
II. Die nach §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeausschluss nach §
173 Abs.
2 Nr.
1 SGG greift nicht ein. Der Beschwerdeführer ist insoweit beschwert, dass er in Ausführung des angefochtenen Beschlusses die Leistungen
für den Monat September 2012 bis Februar 2013 in Höhe von monatlich 331,20 EUR erbracht hat. Damit wird der in der Hauptsache
maßgebliche Beschwerdewert von 750,00 EUR gemäß §
144 Abs.
1 Nr.
1 SGG deutlich überschritten.
Die Entscheidung des SG ist zwar nach Auffassung des Senats fehlerhaft, weil im Ergebnis kein Anordnungsanspruch der Antragstellerin gegen den Antragsgegner
und Beschwerdeführer besteht. Dennoch scheidet die Aufhebung der vom SG ausgesprochenen Verpflichtung für den insgesamt in der Vergangenheit liegenden Zeitraum im Beschwerdeverfahren aus. Denn
der Antragsgegner ist vorrangig vor einer mit der Aufhebung seiner vorläufigen Leistungsverpflichtung verbundenen Rückforderung
der von ihm erbrachten Leistungen von der Antragstellerin auf einen Erstattungsanspruch gegen die in der Sache leistungspflichtige
Beigeladene zu 1. zu verweisen.
Das SG hat zutreffend festgestellt, dass sich die Antragstellerin auf einen Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
berufen kann. Denn sie ist nicht in der Lage, aus eigenen Mitteln die Unterkunftskosten für die Wohnung in B. aufzubringen,
so dass ohne eine einstweilige Regelung der Verlust dieser Wohnung zu befürchten war.
Das SG hat auch zutreffend festgestellt, dass die Antragstellerin während der Teilnahme an der Berufsausbildung zur Bürokauffrau
keinen Anspruch auf Alg II hat, weil dieser Anspruch nach § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen ist. Der Senat gibt die gegenteilige Auffassung, wonach dieser Leistungsausschluss nicht für Behinderte Menschen
mit Anspruch auf Ausbildungsgeld nach dem
SGB III gilt (so noch der Senat im Beschluss vom 6. Dezember 2011 - L 2 AS 438/11 B ER - veröffentlicht in Juris) auf. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 5 SGB II - die Voraussetzungen für die Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 6 SGB II liegen hier nicht vor - von dem Anspruch auf Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen ist. Nach § 7 Abs. 5 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§
60 bis
62 SGB III dem Grunde nach förderfähig ist, über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Diese Vorschrift findet für den Fall der Antragstellerin Anwendung, die eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert. Damit
befindet sie sich in einer Ausbildung, die dem Grunde nach im Rahmen der §§
60 bis
62 SGB III förderungsfähig ist. Im §
60 SGB III werden die persönlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf BAB geregelt und die §§
60,
61 SGB III enthalten Regelungen zur Höhe des jeweiligen Bedarfs. § 7 Abs. 5 SGB II stellt mit der Formulierung "dem Grunde nach förderungsfähig" nicht darauf ab, dass im Einzelfall die Voraussetzungen für
eine Förderung mit BAB vorliegen, sondern darauf, dass die Ausbildung an sich mit BAB gefördert werden kann. Dies ist bei
der von der Antragstellerin absolvierten Ausbildung der Fall. Nach §
57 Abs.
1 SGB III (vor dem 1. April 2012: §
60 Abs.
1 SGB III) ist eine Berufsausbildung förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich oder nach dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist. Bei der Ausbildung
zur Bürokauffrau handelt es sich um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf.
Die Anwendung des § 7 Abs. 5 SGB II ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Antragstellerin keinen Anspruch auf BAB hat, sondern auf Ausbildungsgeld, einer
Leistung der Teilhabe am Arbeitsleben (§§
112 ff
SGB III) für behinderte Menschen. Denn alleine die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach ist Vorraussetzung für die
Rechtsfolge des § 7 Abs. 5 SGB II und damit den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Es kommt auf die sog. abstrakte Förderfähigkeit
an (ständige Rspr. des Bundessozialgerichts (BSG), u.a. Urteil vom 6. September 2007, B 14/7b AS 28/06 R; Urteil vom 22. März 2012 m.w.N., B 4 AS 102/11 R, jeweils zitiert nach juris). Der Senat hält nicht mehr an der auch von anderen Landessozialgerichten vertretenen Rechtsausfassung
(vgl. u.a. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Januar 2012, L 26 AS 2360/11 B ER m. w. Nachweisen; anderer Auffassung u. a.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Juli 2012, L 15 AS 168/12 B, jeweils zitiert nach juris) fest, dass § 7 Abs. 5 SGB II bei einer Förderung mit Ausbildungsgeld keine Anwendung findet. Diese Rechtsauffassung hatte der Senat hauptsächlich damit
begründet, dass es sich bei den für behinderte Menschen mit Ausbildungsgeld geförderten beruflichen Ausbildungen oder berufsvorbereitenden
Bildungsmaßnahmen um ein "aliud'" im Vergleich zu den entsprechenden Ausbildungen und Maßnahmen für nichtbehinderte Menschen
handele (Beschluss des Senats vom 6. Dezember 2011 - L 2 AS 438/11 B ER). Der Senat hält es nach wie vor für offensichtlich, dass behinderte Menschen insbesondere in Berufsförderungswerken
unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Bedürfnisse anders ausgebildet werden als nichtbehinderte Menschen. Dies dürfte
allerdings nichts daran ändern, dass auch die Ausbildung behinderter Menschen dann, wenn sie auf den Abschluss in einem anerkannten
Ausbildungsberuf abzielt, im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II eine grundsätzlich mit Berufsausbildungsbeihilfe förderbare Ausbildung bleibt. Die hiervon abweichende vom Senat vormals
vertretene Auffassung ist auch schwerlich mit der Gesamtsystematik des SGB II vereinbar, wie sie sich nun aktuell aufgrund verschiedener Gesetzesänderungen darstellt. Die nachträglichen - nicht konkret
auf § 7 Abs. 5 SGB II bezogenen - Änderungen des SGB II gebieten zwar nicht zwingend eine bestimmte Auslegung dieser Norm. Denn für die Rechtsanwendung ist die konkrete Norm bis
zu einer Änderung durch den Gesetzgeber unter Heranziehung der anerkannten Auslegungsmethoden ausgehend von dem Rechtszustand
bei ihrem Inkrafttreten auszulegen (siehe dazu die Ausführungen im Beschluss des Senats 6. Dezember 2011 - L 2 AS 438/11 B ER - veröffentlicht in Juris). Gleichwohl können auch nachträgliche Gesetzesänderungen anderer Vorschriften beachtlich
sein. Von einer solchen Beachtlichkeit geht der Senat aus, wenn sich für eine bestimmte Norm noch keine feste, die Rechtsanwendung
durchgängig prägende Rechtsprechung herausgebildet hat und wenn bei mehreren grundsätzlich möglichen Auslegungen dieser Norm
eine bestimmte Auslegung besser gewährleistet, dass im Zusammenhang stehende Regelungen sinnvoll und ohne erkennbare Widersprüche
angewandt werden können. Ein solcher Fall liegt hier vor.
Gemäß der mit Wirkung zum 1. April 2011 vorgenommenen Neufassung des § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I 2011, 453) findet Absatz 5 keine Anwendung auf Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG, nach § 66 Abs. 1 (jetzt: § 62 Abs. 1) oder §
106 Abs.
1 Nr.
1 (jetzt: §
124 Abs.
1 Nr.
1)
SGB III bemisst. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Neufassung des § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II klarstellen, dass auch behinderte Menschen, die mit Anspruch auf Ausbildungsgeld eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme
besuchen und im Haushalt der Eltern untergebracht sind, Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld (unter Anrechnung
des Ausbildungsgeldes) haben (vgl. BT-Drucks. 17/3404, S. 93). Der Gesetzgeber hat die Fördermöglichkeiten mit Ausbildungsgeld
damit ausdrücklich in Bezug genommen und ausschließlich für den Fall des §
106 Abs.
1 Nr.
1 SGB III (jetzt: §
124 Abs.
1 Nr.
1 SGB III) in Anlehnung an die bereits zuvor in § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II vorgesehenen Fälle des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG und des §
62 Abs.
1 SGB III (jetzt: §
64 Abs.
1 SGB III) eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II vorgesehen. Im Übrigen ist er für die weiteren Fälle eines Bezuges von Ausbildungsgeld von einem Leistungsausschluss nach
§ 7 Abs. 5 SGB II ausgegangen. Zudem setzt die Regelung in § 27 Abs. 3 SGB II (früher: § 22 Abs. 7 SGB II) über die Leistungen für die vom SGB II ausgeschlossenen Auszubildenden erkennbar voraus, dass der Gesetzgeber auch in Fällen einer Förderung mit Ausbildungsgeld
von Anwendungsfällen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II jedenfalls dann ausgeht, wenn - wie hier - die streitige Ausbildung ebenso im Rahmen des BAföG oder der §§
51,
57 und
58 SGB III gefördert werden könnte, sofern nicht die in § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II genannte Konstellation vorliegt. Anders dürfte es sich dagegen beispielsweise dann verhalten, wenn es sich bei der streitigen
Ausbildung um eine Maßnahme handelt, die - aufgrund ihrer behinderungsspezifischen Besonderheiten - schon von vornherein nicht
als "Ausbildung" im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II mit Berufsausbildungsförderung oder Berufsausbildungsbeihilfe gefördert werden kann (vgl. hierzu die Entscheidungen des BSG vom 16. Februar 2012, B 4 AS 94/11 R zur Teilnahme an einem Vorbereitungslehrgang zur Meisterprüfung vom 30. August 2010, B 4 AS 97/09 R, und zur Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung, jeweils zitiert nach Juris).
Anders als vom SG angenommen, ergibt sich ein Anspruch der Antragstellerin gegen den Antragsgegner auch nicht aus § 27 Abs. 3 SGB II. In § 27 SGB II wird bestimmt, welche Leistungen Auszubildende, die vom grundsätzlichen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II erfasst werden, dennoch nach dem SGB II erhalten können. Nach Abs. 3 der Vorschrift erhalten Auszubildende einen Zuschuss zu den angemessenen Aufwendungen für Unterkunft
und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II, soweit ihr Bedarf in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 3 SGB II ungedeckt ist. In der Vorschrift werden dabei abschließend die Auszubildenden angeführt, die den Zuschuss erhalten können.
Bei Auszubildenden, die während der Berufsausbildung als behinderte Menschen Anspruch auf Ausbildungsgeld haben, sind es diejenigen,
bei denen sich der Bedarf nach §
123 Abs.
1 Nummern 1 und 4
SGB III bemisst. Dies sind die Auszubildenden, die während der Ausbildung im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils (Nr. 1) oder
anderweitig ohne Kostenerstattung für Unterbringung und Verpflegung (Nr. 4) untergebracht sind. Die Auszubildenden, bei denen
sich der Bedarf für das Ausbildungsgeld nach §
123 Abs.
1 Nr.
2 SGB III bemisst, werden nicht genannt. Der Bedarf nach §
123 Abs.
1 Nr.
2 SGB III in Höhe von 104,00 EUR monatlich wird zugrunde gelegt bei Unterbringung in einem Wohnheim, Internat bei der oder dem Ausbildenden
oder in einer besonderen Einrichtung für behinderte Menschen, wenn die Kosten für Unterbringung und Verpflegung von der Agentur
für Arbeit oder einem anderen Leistungsträger übernommen werden. Bei der Antragstellerin bemisst sich der der Bedarf nach
dieser Vorschrift und sie erhält Ausbildungsgeld in Höhe von 104,00 EUR monatlich. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift
ist die Unterbringung während der Ausbildung gemeint. Insofern ist es nicht schädlich, dass die Antragstellerin während der
ausbildungsfreien Zeiten (Heimfahrtwochenenden, Urlaub, Krankheitszeit) teils nicht im Wohnheim des BBW wohnen bleiben kann.
Dies rechtfertigt nach Auffassung des Senats auch keine analoge Anwendung des §
27 Abs.
3 SGB III. Der Gesetzgeber wollte offensichtlich pauschalierende Regelungen für die bestimmten Formen der Unterbringung treffen. Dass
sich auch behinderte Menschen, die eine Ausbildung absolvieren, an bestimmten Wochenenden und in der Urlaubszeit außerhalb
des Wohnheims aufhalten, dürfte dem Gesetzgeber bekannt gewesen sein. Dass der Gesetzgeber keine Regelung für den Sonderfall
getroffen hat, dass die oder der Auszubildende bei Wohnheim- oder Internatsausbildung daneben noch eine eigene Wohnung unterhält,
rechtfertigt noch keine analoge Anwendung des § 27 Abs. 3 SGB II. Dies gilt jedenfalls dann, wenn kein Bedarf für eine analoge Regelung besteht. Dies ist nach Auffassung des Senats deshalb
anzunehmen, weil Problemfälle wie der der Antragstellerin im Rahmen des §
64 Abs.
3 Satz 2
SGB III bzw. speziell für behinderte Menschen im Rahmen des §
127 Abs.
1 Satz 2
SGB III gelöst werden können. Nach §
64 Abs.
3 Satz 2
SGB III können für Auszubildende sonstige Kosten anerkannt werden, (1.) soweit sie durch die Berufsausbildung oder die Teilnahme
an der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme unmittelbar entstehen, (2.) soweit die Berufsausbildung oder die Teilnahme an
der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme andernfalls gefährdet ist und (3.) wenn die Aufwendungen von der oder dem Auszubildenden
oder ihren oder seinen Erziehungsberechtigten zu tragen sind. Dabei können nach der sprachlichen Formulierung der Norm die
Voraussetzungen nach den Ziffer 1 und 2 alternativ vorliegen, so dass nach Ziffer 2 nicht zwingend erforderlich ist, dass
die Kosten gerade durch die Maßnahmeteilnahme unmittelbar entstehen. Insofern käme auch die Übernahme von Kosten für eine
schon vor der Teilnahme angemietete Wohnung in Betracht.
Speziell für behinderte Menschen wie die Antragstellerin können nach §
127 Abs.
1 Satz 2
SGB III bei Teilnahme an einer geförderten Maßnahme auch weitere Aufwendung, die wegen der Art und Schwere der Behinderung unvermeidbar
entstehen, sowie Kosten für Sonderfälle der Unterkunft und Verpflegung übernommen werden. Es handelt sich bei dieser Vorschrift
um eine Generalklausel, die zusätzliche Leistungen ermöglicht, um den Eingliederungserfolg abzusichern. Es soll verhindert
werden, dass kostspielige Eingliederungsmaßnahmen erfolglos bleiben (oder gar nicht angetreten werden), weil bestimmte Leistungen
nicht gewährt werden können. Es ist zwar ein sachlicher Zusammenhang mit der geförderten Maßnahme erforderlich, aber keine
strenge Kausalität in dem Sinne, dass bestimmte Kosten ohne die Teilnahme denknotwendig nicht entstanden wären (vgl. Karmanski
in Brand, Kommentar zum
SGB III, 6. Auflage, §
127 Rdnr. 33 f.) Im Falle der Antragstellerin hatte diese ihre Hauptwohnung in Bl. bereits vor dem Antritt der Ausbildung. Weil
sie Halbwaise ist und der Aufenthalt des Vaters nicht bekannt ist, kann sie sich in ausbildungsfreien Zeiten nicht in der
Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aufhalten. Die elterliche Familienwohnung "ersetzt" die Antragstellerin dadurch,
dass sie ihre alte Wohnung in B. beibehält. Der Senat hält es ohne Weiteres für nachvollziehbar, dass der Erfolg der Ausbildung
der Antragstellerin gefährdet wäre, wenn sie sich während der ausbildungsfreien Zeiten, in denen sie nicht im Wohnheim wohnen
bleiben kann, nicht in eine feste Unterkunft zurückziehen kann. Solange sie nicht auf die Möglichkeit hingewiesen worden ist,
eine solche Unterkunft in Nähe des BBW zu begründen und damit die Unterbringung im Wohnheim zu ersetzen - sofern dies nach
den Umständen des Einzelfalls möglich ist -, steht ihr nur die Wohnung am Hauptwohnsitz zur Verfügung. Aus diesen Gründen
geht der Senat von einem Anspruch der Antragsstellerin auf Übernahme der Kosten für die Wohnung in B. gegen die Beigeladene
zu 1. als Träger der Maßnahme aus. Es handelt sich zwar grundsätzlich um einen Anspruch, über den die Beigeladene zu 1. im
Rahmen einer Ermessensentscheidung zu befinden hat. Im Hinblick darauf, dass der Beigeladenen zu 1. die Situation der Antragstellerin
bei Aufnahme der Ausbildung bekannt war und eine Beratung im Hinblick auf die Problematik der Beibehaltung der Wohnung am
Hauptwohnsitz unterblieben ist, geht der Senat aber zumindest für den streitigen Zeitraum von einer Ermessensreduzierung dergestalt
aus, dass die Beigeladene zu 1. rechtmäßig nur im Sinne einer Kostenübernahme entscheiden kann. Dass die Antragstellerin noch
keinen entsprechenden Antrag gestellt hat, ist im Hinblick auf § 28 SGB X unschädlich.
Obwohl im Verhältnis der Antragstellerin zum Antragsgegner ein Anspruch auf die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung
nach § 27 Abs. 3 SGB II zu verneinen ist, ist die vom SG ausgesprochene Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Leistungserbringung nicht aufzuheben. Zwar ist insofern infolge
des Ablaufs des Zeitraums, für den Leistungen zu erbringen waren, keine Erledigung in der Hauptsache eingetreten und es besteht
nach wie vor ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners, die vorläufige Verpflichtung aufzuheben. Denn dies ist die Voraussetzung
dafür, die erbrachten Leistungen von der Antragstellerin als Leistungsempfängerin bereits vor einer endgültigen Klärung des
Anspruchs im Hauptsacheverfahren (der anhängigen Klage) zurückfordern zu können. Hier liegt aber der Sonderfall vor, dass
der Antragsgegner auf Grund der vom SG ausgesprochenen Verpflichtung eine Leistung als unzuständiger Leistungsträger erbracht hat. In einem solchen Fall ist der
unzuständige Leistungsträger auf die Realisierung des Erstattungsanspruchs gegen den zuständigen Leistungsträger - hier die
Beigeladene zu 1. - nach § 105 Abs. 1 SGB X zu verweisen. Aus diesem Grund sieht der Senat auch davon ab, die Beigeladene zu 1. für den streitigen Zeitraum zur vorläufigen
Leistungserbringung zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit den §§
183 Abs.
1 Satz 1,
193 Abs.
4 SGG. Der Senat berücksichtigt, dass das SG den Antragsgegner im Ergebnis zu Unrecht zur Leistungserbringung verpflichtet hat und der Rechtsschutzantrag gegen einen
unzuständigen Leistungsträger gerichtet war. Die Kostentragung der Beigeladenen zu 1. bezüglich der außergerichtlichen Kosten
des Beschwerdeverfahrens ist aufgrund der materiellen Leistungsverpflichtung der Beigeladenen zu 1. gerechtfertigt.
Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).