Gründe:
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt die Anordnung bzw. Feststellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage
gegen einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Antrags- und Beschwerdegegners und Vollzugsfolgenbeseitigung.
Der Antragsteller bezog vom Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II). Dieser hob mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 3. Juni 2010 die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom
1. April 2007 bis zum 31. März 2010 insgesamt auf und forderte den Antragsteller zur Rückzahlung von Regelleistungen iHv 6.556,00
EUR und von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) iHv von 6.874,96 EUR auf.
Unter dem 3. Juni 2010 versandte die Abteilung Forderungsmanagement der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur
für Arbeit (BA) eine Zahlungsaufforderung an den Antragsteller, mit der u.a. die vorgenannten Rückzahlungsbeträge zum 20.
Juli 2010 fällig gestellt wurden. Mit mehreren Schreiben vom 16. Juni 2010 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller Änderungen
zum "Nachweis über beitragspflichtige Einnahmen zur gesetzlichen Rentenversicherung" mit. Diese seien beispielsweise für die
Zeiträume vom 1. Januar 2008 bis zum 29. Februar 2008 und vom 1. Mai bis zum 31. August 2008 der Deutschen Rentenversicherung
Bund nunmehr mit "0,00 EUR" gemeldet worden. Zuvor erteilte Leistungsnachweise würden dadurch nachträglich geändert.
Den gegen den Bescheid mit Schreiben vom 5. Juni 2010 eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid
vom 5. Juli 2010 zurück. Der Antragsteller hat am 15. Juli 2010 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 3 AS 2265/10 anhängig ist.
Am 3. Dezember 2010 hat der Antragsteller beim SG um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt, "im Wege der Einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Antragsgegnerin
verpflichtet ist, die aufschiebende Wirkung der Klage zu beachten und dem zuwider handelt". Zur Begründung hat er ausgeführt,
der Antragsgegner missachte die aufschiebende Wirkung der Klage, indem er für den Zeitraum der Aufhebung der Bewilligung schon
geleistete Krankensicherungsbeiträge zurückgebucht und damit gegenüber dem Krankenversicherungsträger den Eindruck vermittelt
habe, er habe keine SGB II-Leistungen bezogen. Mit beigefügtem Schreiben hat die AOK Sachsen-Anhalt den Antragsteller unter
dem 2. November 2010 zur beabsichtigten Rückforderung von im April 2010 erbrachten Leistungen iHv 54,64 EUR angehört und ausgeführt,
im Rahmen der Prüfung von Mitgliedschaften seien fehlende Versicherungszeiten des Antragstellers vom 23. März 2007 bis zum
30. April 2010 festgestellt worden.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 hat der Antragsgegner den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 3. Juni 2010 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids geändert und nunmehr eine Erstattung von insgesamt 13.431,36 EUR gefordert. Er hat darauf hingewiesen,
dass der Änderungsbescheid gemäß §
96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Klageverfahrens sei.
Der Antragsgegner hat zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren unter dem 9. Mai 2011 ausgeführt, die Vollstreckung der Rückforderung
iHv 13.430,96 EUR sei bereits seit dem Beginn des Widerspruchsverfahrens (10. Juni 2010) ausgesetzt. Die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs und der Klage sei bislang nicht aufgehoben worden. Die Angaben des Antragstellers zu einer angeblich drohenden
Vollstreckung seien irreführend, denn die vorgelegte Zahlungsaufforderung sei vor Einlegung des Widerspruchs versandt worden.
Unter dem 16. Dezember 2010 hat der Antragsteller den von der AOK am 9. Dezember 2010 erlassen Rückforderungsbescheid über
54,64 EUR vorgelegt. Faktisch vollziehe der Antragsgegner den angegriffenen Bescheid, denn er habe ihm rückwirkend den Krankenversicherungsschutz
und Rentenbeitragszeiten entzogen.
Mit Beschluss vom 27. Mai 2011 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und ausgeführt, es bestehe kein Rechtsschutzinteresse für die
begehrte Feststellung. Denn der Antragsgegner beachte die aufschiebende Wirkung der eingelegten Rechtsbehelfe. Es ergebe sich
insbesondere aus der Erklärung im Schreiben vom 9. Mai 2011, wegen der Erstattungsforderung werde gegenwärtig nicht vollstreckt.
Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 1. Juni 2011 Beschwerde eingelegt. Die Angaben im Schriftsatz vom 9. Mai 2011
träfen nicht zu, denn er sei mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2010 erneut zur Rückzahlung aufgefordert worden. Die Vollstreckungshandlungen
würden fortgesetzt.
Dazu hat der Antragsgegner ausgeführt, er habe den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 3. Juni 2010 mit dem Bescheid vom
15. Dezember 2010 geändert. Dies führe allerdings nicht zu einer "neuen Fälligkeit" auch nicht zum Beginn der ruhend gestellten
Vollstreckungsmaßnahmen. Zum Beleg hat er einen Auszug aus dem Forderungskonto des Antragsstellers beigefügt, das die streitigen,
am 20. Juli 2010 fälligen Forderungen als "nicht mahnbar" ausweist und den Mahnsperrgrund "Widerspruch" nennt.
Auf Hinweis der Berichterstatterin vom 24. Juni 2011, das Betreiben eines Vollstreckungsverfahrens sei nicht ersichtlich,
hat der Antragsteller ausgeführt, der Antragsgegner vollziehe den Erstattungsbescheid vom 3. Juni 2010 faktisch. Bei dem SG seien mehrere Klageverfahren, in denen es um gegen ihn verhängte Sanktionen gehe, entscheidungsreif. Er werde obsiegen, sodass
ihm jeweils Leistungen nachzuzahlen seien. Dies habe auch der Antragsgegner erkannt und wende in den Klageverfahren ein, dass
einer Nachzahlung von Leistungen die streitgegenständliche vollständige Leistungsaufhebung entgegenstehe. Dies sei auch faktische
Vollstreckung.
Mit Schreiben vom 24. August 2011 hat die Berichterstatterin darauf hingewiesen, dass sich aus den Schreiben der AOK einerseits
und des Antragsgegners zu den gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen gegenüber dem Rentenversicherungsträger andererseits
ergebe, dass der Antragsgegner wohl auf der Grundlage der angegriffenen Bescheide Sozialversicherungsbeiträge zurückgebucht
bzw. gefordert habe.
Dazu hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 19. September 2011 ausgeführt, er habe keine Sozialversicherungsbeiträge zurückgefordert.
Er habe jedoch nunmehr vom Kranken- und Rentenversicherungsträger schriftlich "die Aussetzung der Vollziehung gefordert".
Mit einem weiteren Änderungsbescheid zum Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 9. September 2011 hat der Antragsgegner den
Erstattungsbetrag auf 20.462,00 EUR (Regelleistung 10.981,40 EUR, KdU 9.480,60 EUR) erhöht. Zudem hat er wegen der Erstattungsforderung
die sofortige Vollziehung des Bescheids gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) angeordnet. Zur Begründung hat er ausgeführt, es bestehe ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung, weil die
Vollstreckung der Geldforderung aufgrund des Verhaltens des Antragstellers gefährdet erscheine. Es sei nicht zu erwarten,
dass dieser im Fall einer gerichtlichen Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Bescheides den Rückforderungsbetrag erstatte. Außerdem
drohe die Verjährung der Forderung, weil er nach § 43 SGB II monatlich nur iHv 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs aufrechnen
könne.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. Mai 2011 aufzuheben,
die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Änderungsbescheid vom 9. September 2011 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung
seiner Klage gegen den Erstattungsbescheid wiederherzustellen,
festzustellen, dass seine Klage im Verfahren 3 AS 2265/10 gegen den Bescheid vom 3. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2010 und der Änderungsbescheide
vom 15. Dezember 2010 und 9. September 2011 aufschiebende Wirkung haben, und
den Antragsgegner zur Vollzugsfolgenbeseitigung zu verpflichten.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den angegriffenen Beschluss für zutreffend. Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers sei zweifelhaft.
Auf die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand
der Beratung des Senats.
II. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere form-
und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§§
173,
172 Abs.
1, Abs.
3 Nr.
1 iVm 144 Abs.
1 Satz 1
SGG). Der Beschwerdewert von 750,00 Euro ist überschritten, weil mit dem angegriffenen Bescheid u.a. Leistungen iHv 20.462,00
Euro zurückgefordert worden sind.
Die vom Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgte Sicherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner
Klage hat insgesamt Erfolg. Sein Rechtsschutzbegehren, das ausweislich der Antragsschrift vom 5. Dezember 2010 zunächst nur
auf eine (aus seiner Sicht klarstellende) gerichtliche Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtet war, ist
wegen der im Änderungsbescheid vom 9. September 2011 behördlich angeordneten sofortigen Vollziehung des Bescheids im Hinblick
auf das Erstattungsbegehren (§
86 a Abs.
2 Nr.
5 SGG) gemäß §
123 SGG auszulegen. Rechtsschutzziel des Antragstellers - wie es sich auch aus seinem Schreiben vom 6. Oktober 2011 ergibt - ist
es, die Vollziehbarkeit des angegriffenen Bescheids insgesamt vorläufig, d.h. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens,
zu beseitigen. Dies ist über einen (einheitlichen) Antrag nach §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG erreichbar (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leiterer:
SGG, 9. Auflage 2008, §
86b RN 5).
Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist statthaft nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist im Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsakt
schon vollzogen, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§
86 b Abs.
1 Satz 2
SGG).
Nach § 39 Nr. 1 SGB II in der hier maßgeblichen, seit dem 1. Januar 2009 gültigen Fassung (Art. 2 Nr. 14 des Gesetzes vom
21. Dezember 2008, BGBl. I S. 2917) haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung. Die Vorschrift greift im Hinblick auf den klageweise
angegriffenen Bescheid, soweit er über die Rücknahme der an den Antragsteller im Zeitraum vom 1. April 2007 bis zum 30. März
2010 erfolgten Leistungsbewilligungen entscheidet. Insoweit hat der Antragsgegner die Leistungen iS der Vorschrift aufgehoben
bzw. zurückgenommen. Widerspruch und Klage gegen die im Bescheid enthaltene Rücknahme haben kraft Gesetzes keine aufschiebende
Wirkung.
Soweit mit dem angefochtenen Bescheid auch die Erstattung der gezahlten Leistungen gemäß § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialdatenschutz und Sozialverwaltungsverfahren (SGB X) gefordert wird, greift indes § 39 SGB II nicht (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 39 RN 12; Beschluss des Senats vom 10. März 2011, L 5 AS 19/11 B ER, juris RN 30). Insoweit hatten ursprünglich nach der gesetzlichen Regelung die eingelegten Rechtsbehelfe (Widerspruch
und Klage) aufschiebende Wirkung. Diese ist jedoch durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Erstattungsforderung
im Änderungsbescheid vom 9. September 2011 entfallen. Ab dessen Zugang ist auch das Erstattungsbegehren sofort vollziehbar.
Auch hiergegen richtet sich der vom Antragsteller begehrte einstweilige Rechtsschutz nach §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG (vgl. LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 27. November 2006, Az.: L 15 B 234/06 SO ER, juris RN 2). Zwar ist in der Vorschrift die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht ausdrücklich aufgeführt,
sie wird aber in §
86b Abs.
1 Satz 3
SGG im Rahmen der Vollzugsfolgenbeseitigung erwähnt und vorausgesetzt. Der Gesetzgeber hat auch bei behördlichen Vollzugsanordnungen
die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (gedanklich) vorgesehen.
Nach §
86a Abs.
2 Nr.
5 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden
Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat,
die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet.
Es kann dahinstehen, ob die im Bescheid von der Antragsgegnerin gegebene Erläuterung den formellen und inhaltlichen Anforderungen
an die Begründung des Sofortvollzugs genügt. Inhaltlich bestehen Zweifel, denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt
eine Ausnahme vom Regelfall des §
86a Abs.
1 SGG dar. Für sie ist deshalb ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, welches
den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Das besondere öffentliche Interesse muss daher gerade an der sofortigen Vollziehung
bestehen. Zwar können auch fiskalische Interessen ein solches besonderes öffentliches Interesse begründen. Indes dürfte die
generell bestehende Gefahr der Uneinbringlichkeit der Forderung nicht ausreichen, ein besonderes öffentliches Interesse am
Sofortvollzug gerade dieser Erstattung zu begründen.
Im Übrigen gelten materiell sowohl bei einer behördlichen Vollzugsanordnung als auch bei einer gesetzlich angeordneten sofortigen
Vollziehbarkeit eines Bescheides dieselben allgemeinen Anforderungen für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung
von Widerspruch und Klage. Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab sieht §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG nicht vor. Das Gericht entscheidet aufgrund einer Interessenabwägung (vgl. Keller, aaO., § 86b RN 12). Es trifft dabei in
jedem Fall eine eigene Ermessensentscheidung über die Aufhebung der sofortigen Vollziehung. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit
der Hauptsache überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse, umgekehrt bei offensichtlicher Erfolgsaussicht der Hauptsache
das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit des betroffenen Verwaltungsaktes oder fehlende
Erfolgsaussichten von Widerspruch und/oder Klage können allein das besondere Vollzugsinteresse jedoch nicht begründen oder
eine Prüfung ersetzen oder entbehrlich machen. Sie können nur zur Folge haben, dass die vorhandenen, ihrer Art nach dringlichen
Vollzugsinteressen grundsätzlich als schwerwiegender anzusehen sind als das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden
Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei der zu treffenden Abwägung der Interessen sind dabei vor allem die Natur, Schwere und Dringlichkeit
der dem Betroffenen auferlegten Belastungen und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen späteren Rückgängigmachung
der Maßnahmen und ihrer Folgen zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Fall überwiegt deutlich das Interesse des Antragstellers, vorläufig von einem Vollzug des angegriffenen Bescheids
verschont zu bleiben. Denn seine Anfechtungsklage hat gute Aussicht auf Erfolg. Der angegriffene Rücknahme- und Erstattungsbescheid
vom 3. Juni 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids und der nachfolgend erlassenen Änderungsbescheide ist nach summarischer
Prüfung voraussichtlich rechtswidrig.
Der Antragsgegner hat bei Erlass des auf § 45 SGB X gestützten Rücknahmebescheids offensichtlich die ihm obliegende Beweislast für die Rechtswidrigkeit der Bewilligung verkannt.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X kann ein begünstigender Verwaltungsakt nur zurückgenommen werden, wenn er rechtswidrig ist. Den Beweis für die Rechtswidrigkeit
des Bescheids hat grundsätzlich der Leistungsträger zu führen, der sich auf die ursprüngliche Rechtswidrigkeit beruft; damit
geht regelmäßig die Unerweislichkeit von Tatsachen zu Lasten desjenigen, der daraus eine günstige Rechtsfolge für sich ableitet
(vgl. Schütze in von Wulffen: SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 RN 29).
Für den vorliegenden Fall bedeutet diese gesetzliche Wertung, dass der Antragsgegner grundsätzlich nur dann zur Aufhebung
der Bewilligungsbescheide nach § 45 SGB X berechtigt ist, wenn feststeht, dass der Antragsteller im gesamten streitigen Leistungszeitraum (1. April 2007 bis 31. März
2010) über Einkommen oder Vermögen in einer Höhe verfügte, das einen Leistungsanspruch nach dem SGB II vollständig ausschloss.
Für diese Tatsachen sind dem angegriffenen Bescheid indes keine Feststellungen zu entnehmen. Konkrete Angaben zur Höhe eines
Monatseinkommens oder zum Vermögenstand zu bestimmten Zeitpunkten im streitigen Zeitraum fehlen. Es ist nicht dargelegt, wann
und in welcher Höhe dem Antragsteller Geldbeträge aus Einkommen oder Vermögen zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur
Verfügung gestanden haben.
Dem Bescheid ist lediglich zu entnehmen, dass der Antragsteller in seinen Leistungsanträgen Falschangaben gemacht habe. Er
habe Bankkonten nicht angegeben und Einnahmen verschwiegen, die auf die Feststellung der Hilfebedürftigkeit "erhebliche Auswirkungen
haben können". Auch auf Aufforderung unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten habe er die erforderlichen Angaben nicht
gemacht. Ausweislich der Begründung des angegriffenen Bescheids unterstellt der Antragsgegner daher die fehlende Hilfebedürftigkeit
des Antragstellers im gesamten streitigen Zeitraum.
Der Antragsgegner verfügt nicht über gesicherte Erkenntnisse über Einkommen oder Vermögen des Antragstellers. Er vermutet
lediglich, dass der Antragsteller im streitigen Zeitraum nicht hilfebedürftig iSv § 9 SGB II gewesen ist.
Dies dürfte voraussichtlich für eine auf § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X gestützte Rücknahme der zugrunde liegenden Bewilligungsbescheide nicht ausreichen. Mängel in der Sachverhaltsfeststellung
begründen die Rechtswidrigkeit der Begünstigung nur, soweit der Entscheidung ein dem Adressaten des Bescheids günstiger Sachverhalt
zu Grunde gelegt worden ist, der sich als unzutreffend erweist (vgl. Schütze, aaO., § 45 RN 29).
Das Verschweigen von (regelmäßigen) Einnahmen, von Vermögensgegenständen oder von vorhandenen Konten führt nur dann zur Rechtswidrigkeit
von Bewilligungsbescheiden nach dem SGB II, wenn dem Antragsteller in jedem Monat des gesamten streitigen Zeitraums ein Einkommen
in einer Höhe zufloss, das nach Bereinigung dessen Hilfebedarf überstieg, oder wenn der Wert des verwertbaren Vermögens, ggf.
in Form von Bankguthaben, nach Abzug der Vermögensfreibeträge im streitigen Zeitraum zum Bestreiten des Lebensunterhalts ausreichte.
Dazu hat der Antragsgegner jedoch keine Feststellungen getroffen, sodass die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide nicht
belegt ist.
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die o.g. Beweislastverteilung sich im Ausnahmefall verschieben kann, wenn es
sich um Vorgänge handelt, die in der Sphäre des Leistungsempfängers liegen, sodass im Ausnahmefall das Risiko der Unaufklärbarkeit
ihm zuzurechnen ist (vgl. Schütze, aaO.). Ob und in welchem Umfang der Antragsgegner Beweiserleichterungen für sich in Anspruch
nimmt, ist dem angegriffenen Bescheid nicht zu entnehmen. Insoweit fehlen der Begründung des Bescheids maßgebliche Angaben
zu den rechtlichen und tatsächlichen Gründen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (§ 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Daher dürfte der angefochtene Bescheid auch wegen eines Begründungsmangels rechtswidrig sein.
Soweit der Antragsgegner im Bescheid ausführt, es sei das Vorhandensein eines erheblichen Vermögens bzw. erheblicher Einnahmen
zu unterstellen und Gegenteiliges habe der Antragsteller nicht bewiesen und es lägen keine Indizien für dessen Hilfebedürftigkeit
iSv § 9 SGB II vor, dürften die Ausführungen auf einer Verkennung der dargelegten Beweismaßstäbe beruhen.
Nach summarischer Prüfung lässt sich daher der angegriffene Bescheid voraussichtlich nicht auf die herangezogene Ermächtigungsgrundlage
des § 45 SGB X stützen.
Erweist sich jedoch die im Bescheid enthaltene Rücknahmeentscheidung voraussichtlich als rechtswidrig, geht auch das Erstattungsverlangen
nach § 50 Abs. 1 SGB X ins Leere, denn dieses setzt die (rechtmäßige) Aufhebung des Bescheides voraus. Voraussichtlich ist daher das Erstattungsverlangen
unbegründet.
Es bestehen nach alledem erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des klageweise angegriffenen Bescheids. In dieser Situation
überwiegt eindeutig das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Bescheides zu einer Entscheidung des SG über die Klage verschont zu bleiben. Der Aussetzung der Vollziehung entgegenstehende, überzuordnende Interessen des Antragsgegners
lagen nach der Bewertung des Senats nicht vor.
Dem Begehren des Antragstellers auf Vollzugsfolgenbeseitigung war jedoch nicht zu entsprechen. Insoweit hat die Beschwerde
keinen Erfolg.
Nach §
86b Abs.
1 Satz 2
SGG kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen
oder befolgt worden ist. Die Entscheidung über die Aufhebung der Vollziehung folgt grundsätzlich denselben Regeln wie die
über die Aussetzung. Abzuwägen ist das öffentliche Interesse am Fortbestehen des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers
an der Aufhebung der Vollziehung. Dies bedeutet, dass ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch dann nicht in Betracht kommt,
wenn es dem Betroffenen zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (vgl. Beschluss des Senats vom 15. April 2011,
Az.: L 5 AS 364/10 B ER, juris RN 32).
Ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch besteht vorliegend nicht. Ein faktischer Vollzug des angegriffenen Bescheids durch
den Antragsgegner ist für den Senat nicht feststellbar.
Die von ihm veranlassten Zahlungsaufforderungen sind keine Vollzugshandlungen. Sie erfolgen regelmäßig vor Einleitung des
formellen Vollstreckungsverfahrens, um den Schuldner Gelegenheit zu geben, freiwillig die Forderung zu befriedigen, bevor
es zu Vollzugsmaßnahmen kommt. Im Übrigen hat der Antragsgegner nach Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid hinsichtlich
des Forderungseinzugs eine sog. Mahnsperre verhängt, die offensichtlich fortbesteht.
Soweit die AOK Sachsen-Anhalt vom Antragsteller für im Monat April 2010 erbrachte Krankenversicherungsleistungen (Medikamentenbezug
am 15. und 26. April 2010) die Erstattung von 54,64 EUR verlangt (Bescheid vom 9. Dezember 2010), betrifft dies nicht den
hier streitgegenständlichen Zeitraum (1. April 2007 bis 31. März 2010) und ist daher nicht relevant. Im Übrigen weist der
Senat darauf hin, dass gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
2a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) eine rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung nach dem SGB II nicht zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes
führt.
Soweit der Antragsgegner dem Antragsteller Änderungen hinsichtlich der Beitragszeiten an die Deutsche Rentenversicherung Bund
mitgeteilt hat, sind diese ebenfalls keine unzulässigen Vollzugshandlungen. Die Änderung der beitragspflichtigen Einnahmen
ist rechtlich eine unmittelbare Folge der rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung. Wer nicht im Leistungsbezug steht,
hat keinen Anspruch gegen den SGB II-Leistungsträger auf Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen. Dies hat der Antragsgegner
dem Antragsteller mitgeteilt. Darüber hinausgehende Rechtswirkungen haben die Mitteilungen nicht.
Den Änderungsmitteilungen lässt sich insbesondere nicht entnehmen, dass der Antragsgegner die für den streitigen Zeitraum
entrichteten Rentenversicherungsbeiträge vom Rentenversicherungsträger zurückgefordert hätte. Der Antragsgegner hat unter
dem 19. September 2011 bestritten, Vollzugsmaßnahmen gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergriffen zu haben. Er habe
die entrichteten Sozialversicherungsbeiträge weder vom Renten- noch vom Krankenversicherungsträger zurückgefordert. Vielmehr
hat er mit den Schreiben vom 6. September 2011 die AOK Sachsen-Anhalt und die Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland
auf die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragsstellers gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid hingewiesen.
Soweit der Antragsteller rügt, der Antragsgegner wende in anderen Klageverfahren gegen bestehende Zahlungsansprüche die hier
streitige Rücknahme der Leistungsbewilligung ein, ist dies kein Vollzug, sondern Parteivorbringen im sozialgerichtlichen Verfahren,
um eine Verurteilung zu verhindern. Dieses wird das SG im dortigen Verfahren würdigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§
177 SGG).