Zulässigkeit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die Ermittlung des Werts des Beschwerdegegenstands zum Zeitpunkt der Berufung in einem Rechtsstreit um Ansprüche
aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II und einer Verfahrensverbindung
Unstatthaftigkeit einer späteren Erhöhung
Gründe
I.
Streitig ist die Bewilligung von weiteren Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 31. Januar 2016.
Die Kläger bezogen bis Dezember 2011 Leistungen von dem Beklagten mit KdUH für eine Wohnung, für die zuletzt eine Gesamtmiete
von 415,88 €/Monat zu zahlen war. Am 1. Januar 2012 bezogen sie eine andere Wohnung, für die eine höhere Gesamtmiete zu zahlen
war. Ab August 2014 betrug diese 604 €/Monat (Grundmiete 314 €, Betriebs- und Heizkosten 290 €).
Der Beklagte bewilligte den Klägern für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 31. Januar 2015 mit Bescheid vom 17. Juli 2014
in der Fassung des Änderungsbescheids vom 30. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Juli 2014 für die
KdUH monatlich 514,27 € (Bruttokaltmiete: § 12 Wohngesetz zzgl. 10 % Zuschlag = 442,20 €, Heizkosten: Durchschnittsverbrauch
des Hauses zzgl. 10 % = 72,07 €). Mit Bescheid vom 20. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar
2015 bewilligte der Beklagte den gleichen Betrag für die KdUH auch für die Zeit ab 1. Februar 2015 bis 31. Januar 2016.
Die beiden dagegen erhobenen Klagen sind vom Sozialgericht Magdeburg am 3. August 2016 verbunden worden. In der mündlichen
Verhandlung des Rechtsstreits am 5. Februar 2019 haben die Kläger beantragt, den Beklagten unter Änderung seiner Bescheide
zu verurteilen, ihnen für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 31. Januar 2016 weitere Unterkunftskosten i.H.v. 20,93 € monatlich
zu bewilligen. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom gleichen Tag abgewiesen. Nach der Rechtsmittelbelehrung könne
das Urteil mit der Berufung angefochten werden.
Gegen das ihnen am 6. Juni 2019 zugestellte Urteil haben die Kläger am 12. Juni 2019 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
In der Berufungsbegründung vom 8. Dezember 2020 haben sie unter Hinweis auf ihnen zustehende höhere Heizkosten beantragt,
ihnen „weitere KdU unter Änderung des Bescheides vom 17. Juli 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30. Juli 2014
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2014 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.“
Unter dem 10. Dezember 2020 sind die Kläger darauf hingewiesen worden, dass für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 31. Januar
2015 der streitige Betrag nur 125,58 € betrage, und dass auch bei Einbeziehung des zweiten Zeitraums mit 251,16 € insgesamt
kein Beschwerdewert von 750 € erreicht werde. Es handele sich auch nicht um wiederkehrende Leistungen gemäß §
144 Abs.
1 S. 2
SGG. Die Zulässigkeit der Berufung ergebe sich auch nicht aus der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil.
Die Kläger haben daraufhin am 18. Dezember 2020 ausgeführt, dass die Berufungssumme erreicht sei, weil ihnen für den Zeitraum
vom 1. August 2014 bis 31. Januar 2016 monatlich mehr als 120 € fehlten.
Auf den weiteren Hinweis vom 28. Dezember 2020, wonach mit der Berufung kein höherer Betrag begehrt werden könne als erstinstanzlich
streitbefangen gewesen ist, haben die Kläger nicht reagiert.
Die Kläger beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. Februar 2019 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung seiner Bescheide zu
verurteilen, ihnen für den Zeitraum vom 1. August 2014 bis 31. Januar 2016 weitere KdU in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Beklagte hat keine Ausführungen gemacht.
Die Beteiligten sind unter dem 18. Februar 2021 zur beabsichtigten Verwerfung der Berufung durch Beschluss nach §
158 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese hat vorgelegen und ist Gegenstand
der Entscheidung gewesen.
II.
Der Senat verwirft die Berufung gemäß §
158 Satz 1 und
2 SGG durch Beschluss, weil sie unzulässig ist. Die Beteiligten sind zuvor unter dem 18. Februar 2021 gehört worden.
1.
Die Berufung ist nach §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht erhoben worden.
2.
Die Berufung ist aber nicht statthaft gemäß §
144 Abs.
1 SGG.
a.
Es kann offenbleiben, ob die Kläger hinsichtlich des Zeitraums von Februar 2015 bis Januar 2016 fristgerecht Berufung eingelegt
haben. Erstmals haben sie mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2020 erklärt, dass dieser Zeitraum ebenfalls streitbefangen sei.
Denn der Wert des Beschwerdegegenstands gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Ziff. 1
SGG übersteigt auch für diesen Fall den Betrag von 750 € nicht. Für die Zeit von August 2014 bis Januar 2015 und von Februar
2015 bis Januar 2016 sind erstinstanzlich 20,93 €/Monat geltend gemacht worden. Dies ergibt einen streitigen Gesamtbetrag
von 376,74 €.
Soweit die Kläger unter dem 18. Dezember 2020 geltend gemacht haben, monatlich fehlten ihnen mehr als 120 €, ist dies für
die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung. Maßgeblich ist der Wert des Beschwerdegegenstands zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung.
Eine spätere Erhöhung ist grundsätzlich nicht statthaft (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
Sozialgerichtsgesetz, 13. Aufl., §
144 Rn. 19). Maßgeblich kann höchstens der Betrag sein, der erstinstanzlich im Streit gestanden hat.
b.
Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich auch nicht aus §
144 Abs.
1 S. 2
SGG. Denn die Berufung betrifft hier nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Streitbefangen sind
zwei Bewilligungsabschnitte, die jeweils laufende Leistungen nach dem SGB II für nicht mehr als ein Jahr betrafen (August 2014 bis Januar 2015 sowie Februar 2015 bis Januar 2016).
Da die Bewilligungsabschnitte gemäß § 41 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung in zeitlicher Hinsicht auf die Dauer von sechs bzw. zwölf Monaten begrenzt
werden, liegen keine „wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr“ vor (BSG, Beschluss vom 27. Oktober 2020, B 4 AS 262/20 B).
Nichts Anderes ergibt sich daraus, dass das Sozialgericht beide Verfahren gemäß §
113 Abs.
1 SGG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Denn prozessrechtlich bleibt jedes Verfahren selbstständig und
die Sachentscheidungsvoraussetzungen sind jeweils gesondert zu prüfen (Keller a.a.O., § 113 Rn. 4). Somit bleibt also auch
nach der Verbindung von Verfahren die Zulässigkeit der Berufungen jeweils gesondert zu prüfen (ständige Rechtsprechung des
Senats, vgl. Beschluss vom 13. Mai 2009, L 5 AS 17/09 B; BSG, Beschluss vom 7. Januar 2020, B 14 AS 137/19 B zur objektiven Klagehäufung).
c.
Das Sozialgericht hat die Berufung auch nicht zugelassen gemäß §
144 Abs.
2 SGG. Diese Entscheidung muss ausdrücklich ausgesprochen werden. Eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung genügt nicht (Keller a.a.O.,
§ 144 Rn. 40).
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 Abs.
1 SGG.
4.
Es liegen keine Gründe für eine Zulassung der Revision vor (§
158 Satz 3, §
160 Abs.
2 SGG).
5.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren war mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg
abzulehnen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Der Beschluss ist insoweit unanfechtbar (§
177 SGG).