Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung des Verfahrensmangels eines Verstoßes
gegen die Amtsermittlungspflicht durch Nichteinholung eines weiteren medizinischen Gutachtens
Gründe:
I.
Streitig ist ein weiterer Vergütungsanspruch für eine stationäre Krankenhausbehandlung in Höhe von 681,17 EUR.
Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus, das in den Krankenhausplan des Landes Sachsen-Anhalt aufgenommen ist. Die am 14. Mai
2007 geborene, bei der Beklagten versicherte C. B. wurde in der Zeit vom 18. bis 25. März 2008 im Klinikum der Klägerin stationär
behandelt. Die Klägerin stellte die DRG E69A in Rechnung und machte eine Gesamtsumme in Höhe von 2.271,16 EUR geltend.
Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDK) mit der Prüfung, ob neben der
Hauptdiagnose einer akuten Bronchitis durch sonstige näher bezeichnete Erreger (J20.8) und der Nebendiagnose Diarrhoe und
Gastroenteritis, vermutlich infektiösen Ursprungs (A09) als weitere Nebendiagnose Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung
(R63.3) kodiert werden dürfe. Sie wies darauf hin, dass nach den Kodierrichtlinien ein Symptom nur dann als Nebendiagnose
verschlüsselt werden könne, wenn es ein eigenständiges, wichtiges Problem für die medizinische Betreuung darstelle.
Der MDK teilte in einer kurzen Stellungnahme mit, eine Ernährungsstörung (R63.3) sei bei einem Kind mit 41,5° Fieber (kurz
zuvor), obstruktiver Bronchitis und gastrointestinalem Infekt (fast) immer, also regelhaft vorhanden und könne daher nach
den Kodierrichtlinien nicht kodiert werden. Es sei daher die DRG E69C abzurechnen. Dies teilte die Beklagte der Klägerin mit
Schreiben vom 15. Mai 2008 mit und bat um eine entsprechende Abrechnung.
Dem widersprach die Klägerin mit Schreiben vom 13. März 2009 und fügte an den MDK eine medizinische Begründung bei, in der
sie ausführte: Eine Ernährungsstörung sei bei kranken Kindern zwar häufig, bedürfe aber zusätzlicher Überwachungs- und Behandlungsmaßnahmen
und gehe daher mit einem zusätzlichen Ressourcenverbrauch einher. Bei der Patientin C. B. sei eine bilanzierte Glukose-Elektrolyt-Infusion
appliziert worden, wozu eine Flexüle gelegt und gewechselt worden sei. Bei Kindern erfordere dies einen zusätzlichen Aufwand
und rechtfertige daher die Kodierung als eigenständiges Symptom.
Der MDK verblieb bei seiner Auffassung mit der Begründung, die Ernährungsstörung sei beim Kind mit fieberhaftem Infekt typisch,
weshalb der damit verbundene Aufwand in der DRG bereits kalkuliert sei und keine gesonderte Kodierung der Ernährungsstörung
erfolge. Dies teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 7. Mai 2009 mit.
Am 14. Januar 2010 hat die Klägerin Zahlungsklage über 681,17 EUR nebst 8 % Zinsen seit dem 11. September 2009 gegen die Beklagte
beim Sozialgericht Stendal erhoben. Sie hat ausgeführt: Die Beklagte habe den zunächst vollständig gezahlten Rechnungsbetrag
am 10. September 2009 wieder verrechnet und am gleichen Tag lediglich einen Betrag in Höhe von 1.589,99 EUR auf die streitgegenständliche
Rechnung bezahlt. Daraus ergebe sich die Klageforderung in Höhe von 681,17 EUR. Nach den Deutschen Kodierrichtlinien 2008
sei die Nebendiagnose definiert als:
"Eine Krankheit oder Beschwerde die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes
entwickelt.
Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise
beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
- therapeutische,
- diagnostische Maßnahmen
- erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand."
Des weiteren sei ein Symptom nach den Deutschen Kodierrichtlinien 2008 nicht zu kodieren, wenn es im Regelfall als eindeutige
und unmittelbare Folge mit der zu Grunde liegenden Krankheit vergesellschaftet sei. Stelle ein Symptom jedoch ein eigenständiges,
wichtiges Problem für die medizinische Betreuung dar, so werde es als Nebendiagnose kodiert. Die Ernährungsstörung der Versicherten
habe ein eigenständiges wichtiges Problem für ihre medizinische Betreuung dargestellt, denn dem Kind sei eine bilanzierte
Glukose-Elektrolyt-Infusion appliziert worden, wofür eine Flexüle habe gelegt und auch gewechselt werden müssen. Bei Kindern
erfordere dies einen zusätzlichen Aufwand, zumal bei Kleinkindern immer die Gefahr nicht ausreichender Flüssigkeitszufuhr
bestehe. Sie hat auf eine entsprechende Kommentierung hingewiesen. Danach sei die Kodierung der Nebendiagnose R63.3 zu Recht
erfolgt.
Nach Übersendung der Patientenakten hat der MDK durch den Facharzt für Kinderheilkunde, Neonatologie und Sozialmedizin Dr.
R. am 5. Mai 2011 ein Gutachten gefertigt. Danach hat die Versicherte vor der stationären Aufnahme anamnestisch unter einer
Enteritis mit durchfälligen Stühlen gelitten und deutliche Zeichen einer obstruktiven Bronchitis aufgewiesen. Sie sei aber
fieberfrei gewesen. Sie habe eine Infusion mit bilanzierter Elektrolyt-Glukoselösung, eine parenterale Glukokortikoidgabe
sowie intensive bronchosekretolytische Maßnahmen (Inhalationen) erhalten und während des gesamten Verlaufs weder Fieber noch
durchfällige Stühle aufgewiesen. Sie habe bereits kurz nach der stationären Aufnahme 150 ml aus der Flasche getrunken. Ernährungs-
bzw. Trinkprobleme seien nicht geschildert. Zeichen einer Gastroenteritis hätten nicht bestanden, sie seien sogar per Stuhldiagnostik
ausgeschlossen worden. Es gebe keine Hinweise für Ernährungsprobleme. Die Versicherte habe zusätzlich zur Infusionsbehandlung
die Milchnahrung getrunken. Die Infusionsbehandlung habe der Ergänzung des Flüssigkeitsbedarfs bei erhöhter Atemarbeit, Sekretolyse
und eingeschränkter Trinkleistung bei Obstruktion gedient. Das bei Aufnahme offenbar bestehende Flüssigkeitsdefizit wäre ggf.
spezifischer durch die Nebendiagnose ICD E86 abzubilden. Daher könne nur die Abrechnung der DRG E69C vorgeschlagen werden.
Das Sozialgericht Magdeburg hat die Klage mit Urteil vom 31. Juli 2012 abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Es hat
ausgeführt: Während des stationären Aufenthaltes hätten keine kodierungsfähigen Ernährungsprobleme bestanden. Nachdem die
Versicherte bis zum Vortrag der stationären Aufnahme unter Durchfall und Fieber gelitten habe, sei es danach zu einer Besserung
ihres Gesundheitszustandes gekommen. In der Patientenakte sei die Nahrungsaufnahme mehrfach dokumentiert. Im Entlassungsbericht
finde sich kein Hinweis auf eine Ernährungsstörung. Eine Nahrungsverweigerung sei auch im Pflegebericht nicht dokumentiert.
Wenn die Gefahr des Austrocknens bestanden haben sollte, käme nur eine Verschlüsselung nach E 68 (Volumenmangel) in Betracht.
Diese sei nicht erlösrelevant. Die Berufung sei nicht statthaft, da die Berufungssumme von 750 EUR nicht erreicht werde. Zulassungsgründe
lägen nicht vor, da nicht eine Rechtsfrage, sondern die rechtliche Bewertung eines Einzelfalls streitig sei.
Gegen das ihr am 21. August 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. September 2012 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.
Zur Begründung trägt sie vor: Das Sozialgericht habe ohne eigenen medizinischen Sachverstand über medizinische Fragestellungen
geurteilt. Es wäre verpflichtet gewesen, den Sachverhalt von Amts wegen durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens
weiter zu erforschen (§
103 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Das Gericht habe übersehen, dass das Kind eine Wasser- und Glukoseinfusion von 40 ml/h zusätzlich zum Trinken aus
der Flasche bekommen und ansonsten keine Nahrung zu sich genommen habe. Ein gesundes Kind in diesem Alter trinke vier- bis
fünfmal am Tag eine Flasche mit 200ml und esse zusätzlich. Die Nahrungsverweigerung sei auch in den Patientenunterlagen dokumentiert.
Im Arztbrief sei festgehalten, die Mutter habe angegeben, dass die Versicherte derzeit weder esse noch trinke. Schon weil
das von der Mutter geführte Trinkprotokoll nicht Inhalt der Patientenakte geworden sei, hätte sich das Gericht veranlasst
sehen müssen, den Sachverhalt ggf. durch Vernehmung der Mutter weiter zu erforschen. Es könne aber nicht davon ausgegangen
werden, dass keine Ernährungsprobleme bestanden hätten.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 31. Juli 2012 zuzulassen.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Die Beklagte hat ausgeführt: Im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde seien nach §
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG Verstöße gegen materielles Recht nicht rügefähig. Dazu zählten auch eventuelle Verstöße bei der Tatsachenfeststellung und
der Beweiswürdigung. Der MDK sei in dem umfangreichen und präzisen Gutachten vom 5. Mai 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass
bei der Versicherten keine Ernährungsprobleme bestanden hätten. Vor diesem Hintergrund habe das Gericht die Klage abweisen
können.
Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Patientenakte haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend
verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Klägerin gegen Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 31. Juli 2012
ist nach §
145 SGG zulässig, jedoch unbegründet.
Die im Grundsatz nach §
143 SGG statthafte Berufung ist hier kraft Gesetzes nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Ziffer 1
SGG ausgeschlossen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt. Gegenstand des Rechtsstreits ist ein
Vergütungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten in Höhe von 681,17 EUR, so dass die Nichtzulassungsbeschwerde das
zutreffende Rechtsmittel ist.
Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung mit Recht verneint und in der Rechtsmittelbelehrung
folgerichtig auf die Nichtzulassungsbeschwerde verwiesen. Nach §
145 Abs.
1 Satz 1
SGG kann die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden. Die Klägerin hat diese
form- und fristgerecht (§
145 Abs.
1 Satz 2
SGG) eingelegt.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, da kein Zulassungsgrund besteht. Nach §
144 Abs.
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung
des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser
Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Das Sozialgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf stützt, dass bei dem versicherten Kind keine Ernährungsprobleme
bestanden hätten und aus diesem Grund die Kodierung von Ernährungsprobleme als Nebendiagnose nicht in Betracht komme. Darin
liegt die Bewertung eines Einzelfalls ohne grundsätzliche Bedeutung und ohne Abweichung von der Entscheidung eines anderen
Gerichts.
Die Klägerin rügt mit der Nichtzulassungsbeschwerde einem Verstoß des Sozialgerichts gegen seine Amtsermittlungspflicht nach
§
103 SGG. Sie macht damit einen Verfahrensmangel geltend.
Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Es geht dabei um
das prozessuale Vorgehen des Gerichts, nicht um den sachlichen Inhalt des Urteils. Der Verfahrensmangel muss geltend gemacht
werden und vorliegen und die Entscheidung muss auf ihm beruhen können. Ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG kann einen solchen Verfahrensmangel darstellen, wenn sich das Gericht zu weiteren Ermittlungen aus seiner rechtlichen Sicht
hätte gedrängt fühlen müssen.
Zur Beurteilung der Frage, ob bei der Versicherten eine kodierfähige Ernährungsstörung vorgelegen hat, konnte sich das Sozialgericht
auf zwei kurze Stellungnahmen des MDK sowie eine medizinische Begründung seitens der Klägerin im außergerichtlichen Verwaltungsverfahren
stützen sowie auf ein durch den Facharzt für Kinderheilkunde, Neonatologie und Sozialmedizin des MDK Dr. R. nach Auswertung
der gesamten Patientenakte während des Klageverfahrens gefertigtes ausführliches Gutachten.
Ein "Zweitgutachten" oder "Obergutachten" ist in der Regel erforderlich, wenn das Erstgutachten nicht überzeugend, lückenhaft,
widersprüchlich oder nicht von ausreichender Sachkunde getragen ist. Nur bei solchen erheblichen Mängeln eines Gutachtens
kann die Nichteinholung eines weiteren Gutachtens durch das Gericht ein Verfahrensmangel sein (BSG SozR Nr. 42 zu §
128 SGG; BSG 6. Juni 86, 5b RJ 86/85; 24. März 2005, B 2 U 368/04 B; vgl. auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
103 Rn. 11b, c mit weiteren Angaben). Solche Mängel sind im Gutachten von Dr. R. vom 5. Mai 2011 weder erkennbar, noch hat die
Klägerin solche Mängel dargelegt. Zwar führt die Klägerin aus, es sei übersehen worden, dass das Kind eine Wasser- und Glukoseinfusion
von 40 ml/h zusätzlich zum Trinken aus der Flasche bekommen und ansonsten keine Nahrung zu sich genommen haben. Ein gesundes
Kind in diesem Alter trinke vier- bis fünfmal am Tag eine Flasche mit 200 ml und esse zusätzlich. Es kann aber nicht davon
ausgegangen werden, dass ein Facharzt für Kinderheilkunde bei der Bewertung von Ernährungsproblemen übersieht, wie viel ein
gesundes Kind im Alter des zu beurteilenden versicherten Kindes durchschnittlich zu sich nimmt. Die Klägerin legt auch nicht
dar, woraus sie diesen Schluss zieht. Die Infusion mit Elektrolyt-Glukoselösung hat der Gutachter ebenso berücksichtigt wie
die sich aus den Patientenunterlagen ergebende Menge der von der Versicherten aufgenommenen Nahrung und Flüssigkeit. Das Gutachten
ist daher weder lückenhaft noch widersprüchlich. Es bestehen auch keine Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit
des Gutachters. Der MDK ist eine von der Beklagten unabhängige Arbeitsgemeinschaft in Form einer rechtsfähigen Körperschaft
des öffentlichen Rechts (§
278 Abs.
1 SGB V). Die Ärzte des MDK sind bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgabe nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen (§
275 Abs.
5 SGB V). Das Sozialgericht durfte daher die Bewertungen des Gutachters für überzeugend halten und seinem Urteil zu Grunde legen,
auch wenn die Klägerin bei gleicher Sachlage zu einer anderen Bewertung gekommen ist und von Ernährungsproblemen der Versicherten
ausgeht.
Der Beschluss ist nach §
177 SGG unanfechtbar und das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg wird mit der Entscheidung nach §
145 Abs.
4 SGG rechtskräftig.