Kein Anspruch auf Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für eine Liposuktion im Wege der Genehmigungsfiktion
bei Beschaffung der Leistung vor Ablauf der Frist von drei Wochen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Aufwendungen für eine in einer privatärztlichen Gemeinschaftspraxis vorgenommene Liposuktion.
Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Mit Schreiben vom 11. April 2016 (Eingang am 14. April 2016)
bat sie um Prüfung der Kostenübernahme für eine operative Entfernung ihres Lipödems. Einen Kostenvoranschlag der Praxis L.
in Höhe von 13.622,67 EUR fügte sie bei. In diesem werden unter Benennung verschiedener Positionen bei einem Faktor der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zwischen 1,0 und 9,0 Kosten zuzüglich von Anästhesiekosten veranschlagt. Die Behandlung ist jeweils für zwei Tage vorgesehen;
weiter findet sich am ersten Tag stets eine "Versorgungspauschale M.". In einem befürwortenden Schreiben dieser Praxis wird
u.a. ausgeführt, eine ambulante Liposculptur sei die Therapie der Wahl.
Am 27. April 2016 schloss die Klägerin einen Behandlungsvertrag mit der Praxis über die genannte Summe ab. In diesem Vertrag
wird darauf hingewiesen, dass die operative Behandlung nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sei. Sie sei jedoch
gleichwohl aus ärztlicher Sicht sinnvoll und medizinisch indiziert. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass weder gesetzliche
noch private Krankenversicherungsträger verpflichtet seien, einen Anteil von dieser Liquidation für den Eingriff oder mehrere
Eingriffe zu erstatten. Dies entbinde die Klägerin jedoch nicht von ihrer Pflicht zur Zahlung des benannten Gesamtbetrages.
Es sei ebenfalls bekannt, dass die Praxis als Konzessionsprivatklinik nicht auf der Grundlage der GOÄ abrechne. Die Rechnung über den jeweils fälligen Teilbetrag werde von der Klägerin nach dem jeweiligen Eingriff gestellt.
Die Klägerin werde die Vergütung sodann vollständig und ohne Abzüge begleichen. Weiter schloss die Klägerin am gleichen Tag
mit dem Anästhesiologen Dr. D. einen Vertrag, in dem eine Vergütung pro Operation der Beine von 850,00 EUR und pro Operation
der Arme von 650,00 EUR nach der GOÄ vereinbart wurde. Auch hier wurde auf eine möglicherweise fehlende Kostenerstattung durch die Krankenkasse hingewiesen.
Mit Bescheid vom 4. Juli 2016 lehnte die Beklagte ohne weitere Ermittlungen die Übernahme der Kosten ab und führte aus, bei
der ambulanten Entfernung von Lipödemen handele es sich um eine sog. neue Behandlungsmethode, die nicht zu der vertragsärztlichen
Versorgung gehöre. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und betonte die Notwendigkeit der gewünschten Operation. Mit
Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und stützte sich auf ein sozialmedizinisches
Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt vom 15. September 2016.
Hiergegen hat die Klägerin noch im gleichen Monat Klage am Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Sie hat ausgeführt, sie habe
die Behandlung nunmehr im Zeitraum vom 6. Oktober 2016 bis 13. Januar 2017 durchgeführt und hierfür 15.969,09 EUR aufgewandt.
Dies hat sie mit beigefügten Rechnungen vom 8. November 2016, 19. Dezember 2016 und 31. Januar 2017 belegt. Die Differenz
zu dem eingereichten Kostenvoranschlag liegt in den Anästhesiekosten. Im Rahmen der Abrechnung wird ganz weitgehend der GOÄ-Faktor 1,8 bzw. 2,3 zugrunde gelegt. Lediglich bei der Gebühren- Nr. 474a (Überwachung Tumeszenz-Lokalanästhesie) wird GOÄ-Faktor 3,5 zugrunde gelegt. Für die Anästhesie am 20. Oktober 2016 wird einschließlich der Vorbereitung 858,31 EUR, für die
am 30. November 2016 einschließlich vorheriger Beratung 637,51 EUR sowie nochmals ein ähnlicher Betrag in der Rechnung vom
31. Januar 2017 zugrunde gelegt.
Mit Urteil vom 22. November 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Operation sei
hier in einer privaten Praxis erfolgt. Die Kammer entnehme den Ausführungen im Urteil des Bundessozialgerichtes vom 11. Juli
2017 (B 1 KR 1/17 R, Rn. 20 ff.), dass der ursprüngliche Antrag nicht auf eine Privatklinik beschränkt sein dürfe. Auch wenn die in §
13 Abs.
3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) genannte Frist von 3 bzw. 5 Wochen offensichtlich abgelaufen sei, könne dies nicht zu einer Genehmigung von Leistungen privatärztlicher
Praxen führen. Dies müsse jedem gesetzlich Krankenversicherten deutlich sein.
Gegen das ihr am 5. Januar 2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. Februar 2018 Berufung eingelegt und ausgeführt,
ihrer Auffassung nach lägen die Voraussetzungen für eine Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a SGB V vor. Wegen weiterer Angaben zum Ablauf der Behandlung und ihren Planungen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. Februar
2020, Bl. 206 d. A., verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 22. November 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2016 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die im Zeitraum
vom 6. Oktober 2016 bis 13. Januar 2017 im Rahmen der Liposuktion durchgeführten Behandlungen i. H. v. 15.939,09 EUR Zug um
Zug gegen Abtretung der ihr aus diesen Behandlungen zustehenden Erstattungsansprüche gegen die behandelnden Ärzte wegen unrichtiger
Abrechnungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und ergänzt, angesichts des Datums des Vertragsschlusses vor Eintritt
der Genehmigungsfiktion sei der Beschaffungsweg nicht eingehalten.
Nach einem Hinweis des Senats auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (B 1 KR 1/18 R, B 1 KR 7/17 R sowie B 1 KR 13/17 R) hat sie ausgeführt, unabhängig von den bisher aufgeworfenen Fragen entspreche die Rechnungslegung hier in keiner Weise der
Konzeption der GOÄ. Für solche Fälle habe das Bundessozialgericht entschieden, dass einem Versicherten kein Anspruch auf Kostenerstattung gegen
die gesetzliche Krankenkasse zustehe, auch wenn der Versicherte in gutem Glauben an die Rechtmäßigkeit eine solche Rechnung
bezahlt haben sollte. Der Versicherte sei dann keinem fälligen Zahlungsanspruch ausgesetzt gewesen (Hinweis auf BSG, 11. Juli 2017, B 1 KR 1/17 R, Rn. 34).
Die Beklagte weist weiter darauf hin, dass die Gebührenziffer 491 GOÄ 46mal und die Gebührenziffer 2454 und 2453 jeweils zweimal aufgelistet worden seien. Dies sei nach der GOÄ nicht zulässig. Zudem sei die neunfache Steigerung des Satzes nicht nachvollziehbar. Schließlich sei auch nicht nachvollziehbar,
wieso der Operateur eine Infiltrationsanästhesie zusätzlich zur Anästhesie abgerechnet habe. Sie hat diesen Vortrag durch
Vorlage eines Artikels aus dem Ärzteblatt zur Abrechnung der Liposuktion nach der GOÄ untermauert.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung
und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2017 beschwert die Klägerin
nicht im Sinne von §§
157,
54 Abs.
2 S. 1
SGG, soweit er der geltend gemachten Erstattung der Kosten für die durchgeführte Liposuktionsbehandlung entgegensteht. Da der
Bescheid auch im Übrigen durch die Durchführung der vollständigen beantragten und abgelehnten Behandlung keine Rechtsfolgen
mehr zeitigt, liegt auch insoweit keine Beschwer der Klägerin (mehr) vor.
Die Klägerin hat aus der gem. §
13 Abs.
3a S. 6 des
Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB V - i. d. F. d. G. v. 20.2.2013, BGBl. I S. 277) eingetretenen Genehmigungsfiktion nicht den Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Behandlungskosten aus §
13 Abs.
3a S. 7
SGB V, weil sie sich die Leistung mit dem Abschluss des Behandlungsvertrages nicht erst nach Ablauf der Frist beschafft hat.
Der Anspruch scheitert nicht schon daran, dass die der Beklagten zur Genehmigung vorgelegte ärztliche Beschreibung der zu
erbringenden Leistung wörtlich eine ambulante Durchführung zum Inhalt hat und damit von der erbrachten Leistung abweicht.
Zwar ist eine ambulante Operation tatsächlich nicht erbracht worden und nicht Gegenstand der hier geltend gemachten Kosten.
Denn nach den glaubhaften Angaben der Klägerin selbst ist diese nach den erfolgten Eingriffen jeweils in einem Krankenhausgebäude
untergebracht gewesen und dort ärztlich und pflegerisch betreut worden. Darüber hat sie keinen gesonderten Vertrag mit einem
Träger geschlossen; die Behandlungskosten - allein mit Ausnahme der Anästhesie - sind vollständig Gegenstand ihres am 27.
April 2016 mit der C. GmbH abgeschlossenen Vertrages. Der Senat ist von der Glaubwürdigkeit der Klägerin und der Glaubhaftigkeit
ihrer Angaben zum Ablauf der Behandlung überzeugt, weil sie nicht einmal den Anschein erweckt hat, diese mit einer Tendenz
zu ihren Gunsten zu machen. Besonderer Hinweis darauf ist ihre Angabe, die Auswahl der Ärzte der C. GmbH habe auf deren medizinischem
Ruf beruht, und sie sei sich nicht sicher, ob sie im Falle einer Genehmigung durch die Beklagte überhaupt einen Leistungsträger
im Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen hätte.
Nach Überzeugung des Senates wecken aber schon die im Antrag enthaltenen Abrechnungspositionen - etwa eine "Versorgungspauschale
M." - und die Hinweise auf jeweils zweitägige Aufenthalte, die sich aus dem beigefügten Kostenvoranschlag ergeben, Zweifel
an einer ambulanten Behandlung als Gegenstand des Antrages. Insoweit war es Aufgabe der Beklagten, den ihr vorliegenden Antrag
durch gezielte Fragen konkretisieren zu lassen. Dies hätte ihr ebenso wie dem Senat selbst den Beleg vermittelt, dass es in
dem Antrag inhaltlich um eine stationäre Behandlung ging. Jedenfalls ging es nämlich nicht um einen Antrag, der zu ungenau
war, um eine Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a S. 6
SGB V auslösen zu können. Dafür reichte es aus, dass die Vornahme der Liposuktion mit den vorgesehenen Behandlungsstellen und die
vorgesehenen mehrtägigen Behandlungszyklen klar benannt waren. Der Höhe nach sind die im Zusammenhang mit der Fiktion geltend
gemachten Kosten erstattungsfähig, weil sie als Kosten einer ganzheitlich vereinbarten stationären Behandlung nicht der GOÄ unterfallen und der Größenordnung nach Nichtigkeit wegen Wucher nicht in Betracht kommt. Denn die Abrechnung entspricht nach
den Erfahrungen des Senates aus verschiedenen anderen Fällen von Liposuktionen den üblichen dabei abgerechneten Sätzen (vgl.
zur stationären Liposuktion bei Genehmigungsfiktion BSG, Urt. v. 11.7.2017 - B 1 KR 1/17 R). Der im Berufungsverfahren geltend gemachte Betrag ist darüber hinaus um die von der Klägerin zu erbringende Zuzahlung bei
stationärer Behandlung vermindert worden.
Ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihrer Kosten scheitert aber jedenfalls daran, dass sie sich die Leistung nicht im
Sinne von §
13 Abs.
3a S. 7
SGB V erst nach Ablauf der Frist beschafft hat, nach der die Fiktion eingetreten ist. Denn auf den gleichen Ablauf der Frist nimmt
bereits §
13 Abs.
3a S. 6
SGB V Bezug und knüpft daran die Geltung der beantragten Leistung als genehmigt. Die kürzeste insoweit geregelte Frist des §
13 Abs.
3a S. 1
SGB V beträgt schon drei Wochen nach Antragseingang und wurde hier mit dem Vertragsschluss dreizehn Tage nach Antragseingang unterschritten.
Auf den Vertragsschluss ist insoweit abzustellen, weil die Klägerin mit der C. GmbH einen Behandlungsvertrag schloss, in dem
sie diese mit der Durchführung der abgerechneten Operationen beauftragte und sich zugleich zur eigenen und privaten Zahlung
von 13.622,67 EUR nach erbrachter Leistung verpflichtete. Damit hat die Klägerin - jedenfalls für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals
"beschaffen" ausreichend - alle rechtlich maßgeblichen Erklärungen abgegeben und entgegen genommen, durch die das schuldrechtliche
Austauschverhältnis zwischen ihr und der C. GmbH festgelegt wurde. Denn die Grundlage des hier geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs
bildet die in diesem Vertrag begründete Höhe des Vergütungsanspruchs. Auf das konkrete Datum der Ausführung der Operationen
kann es danach nicht mehr ankommen, weil ihm für die Begründung der Rechtspflichten und der Höhe des entstandenen Aufwands
keine maßgebliche Bedeutung mehr zukommt. Ebenso wie die Klägerin gegen eine Innerhalb der Dreiwochenfrist noch erfolgende
rechtswidrige Ablehnung nicht hätte geltend machen können, sie sei durch diese im Sinne von §
13 Abs.
3 S. 1
SGB V zur Wahrnehmung der privatärztlichen Leistung bestimmt worden, steht diese im Sinne von §
13 Abs.
3a S. 7
SGB V in keinem Zusammenhang mit der späteren Verzögerung der Bescheidung. Dagegen spricht im Sinne fehlender Ursächlichkeit zudem
die Haltung der Klägerin, die schon vor Ablauf der Genehmigungsfrist nicht auf eine unbedingte Inanspruchnahme von zugelassenen
Krankenhäusern gerichtet war.
Für den am gleichen Tag geschlossenen Vertrag auf Anästhesieleistungen gelten die gleichen Erwägungen.
Die Kostenentscheidung nach §
193 SGG folgt hier dem Unterliegen der Klägerin.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er die Frage des Anspruchsauschlusses durch verfrühte Beschaffung im Rahmen des
§
13 Abs.
3a S. 7
SGB V für klärungsbedürftig hält.