Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren; Erstattung von
Kosten für die Unterbringung von zwei Kindern in einem Kinderheim; Keine Berufung auf die Unrichtigkeit von Bescheiden durch
den erstattungsbegehrenden Leistungsträger bei eigener Berechtigung zur Betreibung des Verwaltungsverfahrens
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob und in welchem Umfang Kosten für die Unterbringung von zwei Kindern in einem Kinderheim
zu erstatten sind; streitig sind noch Ansprüche für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 25. August 2007.
M. J., geboren am ... 1991, (im Weiteren: M,) und K. J., geboren am ... 1994, (im Weiteren: K.) lebten zunächst bei ihrer
1965 geborenen Mutter B. in M. mit dem 2001 geborenen Halbbruder M, B. und der 2002 geborenen Halbschwester S. B. Die Mutter
bezog neben dem Kindergeld Hinterbliebenenrente für M. und K Sie stellte am 18. März 2003 beim örtlichen Träger der Sozialhilfe,
dem Sozialamt des Landkreises M.-Q. - dem Rechtsvorgänger des Klägers - (im Weiteren: Sozialamt) für M. J. einen Antrag auf
Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Am 17. April 2003 wurden M. und K. auf Veranlassung des Jugendamtes des Landkreises M.-Q. (im Weiteren: Jugendamt) im Heim
für Behinderte Kinder des A.-S.-Familienwerks Sachsen-Anhalt e.V. Haus "L" (im Weiteren: Kinderheim "L") in Obhut genommen,
da die Kindesmutter die Kinder körperlich misshandelt habe. Unter dem 17. April 2004 gab das Jugendamt gegenüber dem Träger
des Kinderheims "L." ein Kostenanerkenntnis ab dem 17. April 2003 ab. Gleichzeitig stellte das Jugendamt beim Sozialamt den
Antrag auf Feststellung eines Grundanerkenntnisses und "Zuständigkeitswechsel sowie Kostenerstattung" (Eingang 22. April 2003).
Das Jugendamt wurde mit den Beschlüssen des Amtsgerichts M. vom 25. April und 19. Mai 2003 jeweils als Pfleger für M. und
K. - bezogen auf die Wirkungskreise "Aufenthaltsbestimmungsrecht nebst Recht auf Antragstellung zur Heimerziehung und Gesundheitsvorsorge"
- eingesetzt. Der daraufhin vom Jugendamt eingesetzte Amtspfleger stellte beim Sozialamt am 3. Juni 2003 den Antrag auf Bewilligung
von stationärer Eingliederungshilfe gemäß §§ 39, 40 BSHG für K. und genehmigte am 14. Juli 2003 den von der Mutter für M. gestellten Antrag.
Ausweislich der sozialmedizinischen Stellungnahmen des Chefarztes Sch., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie
im C-von-B-Klinikum M., vom 18. August 2003 zu den Voraussetzungen für Eingliederungshilfeleistungen für K. und M. ist in
der "Schilderung der häuslichen Verhältnisse und Gründe für den Hilfebedarf" ausgeführt, es habe nach dem Eindruck des Jugendamtes
eine Kindeswohlgefährdung nach §
1666 Bürgerliches Gesetzbuch vorgelegen. Es hätten Zuwendung, Verlässlichkeit, stabile Lebensbedingungen sowie ein Eingehen auf die emotionalen Bedürfnisse
der Kinder gefehlt. Die Kindesmutter sei nicht in der Lage gewesen, die Kinder entsprechend ihren - der Kinder - geistigen
Möglichkeiten zu erziehen. Sie habe die Kinder körperlich misshandelt, sei psychisch sowie physisch mit den Kindern überfordert
gewesen und habe selber Hilfe für sich bedurft. Als Diagnosen seien für M. und K. jeweils das Vorliegen einer leichten Intelligenzminderung
und einer Anpassungsstörung zu stellen. Es lägen damit mehrere wesentliche Behinderungen vor. Leitsyndrom sei die leichte
Intelligenzminderung, die einer geistigen Behinderung entspreche. Stationäre Maßnahmen seien zu empfehlen, da Erziehungs-/Pflegepersonen
durch die Art der Behinderung überfordert seien.
Unter dem 26. Januar 2004 lehnte das Sozialamt im Namen des damaligen überörtlichen Sozialhilfeträgers den Antrag auf Kostenerstattung
gemäß § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) gegenüber dem Jugendamt ab. Durch das amtsärztliche Gutachten sei die Zuständigkeitsfrage endgültig geklärt worden. Die
Heimunterbringung erfolge aufgrund der desolaten häuslichen Verhältnisse und der daraus resultierenden Verhaltensauffälligkeiten
vorwiegend aus erzieherischen Gründen und nicht ursächlich aufgrund der Behinderung. Insoweit sei die Zuständigkeit des Jugendamtes
gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (Kinder- und Jugendhilfe - SGB VIII) gegeben.
Ebenfalls mit Bescheid vom 26. Januar 2004 lehnte das Sozialamt im Namen des überörtlichen Sozialhilfeträgers den Antrag auf
Bewilligung von stationärer Eingliederungshilfe gemäß §§ 39, 40 BSHG gegenüber dem Amtspfleger für M. und K. ab. Dieser erhob im Namen der Kinder am 20. April 2004 Klage beim Verwaltungsgericht
(VG) H. (Az.: 4 A 152/04 HAL) mit dem Ziel der Erteilung eines Grundanerkenntnisses nach §§ 39, 40 BSHG. Nachdem das VG mit den gerichtlichen Schreiben vom 4. Mai 2005 und 16. Februar 2006 darauf hingewiesen hatte, dass für die
Klage der Kinder kein Rechtsschutzbedürfnis bestehen dürfte, da deren Bedarf bereits durch Jugendhilfeleistungen gedeckt sei,
und die Rücknahme der Klage angeregt hatte, nahm der Amtspfleger die Klage mit Schriftsatz vom 23. Februar 2006 zurück.
Mit Schreiben vom 5. September 2006 (Eingangsdatum ungeklärt) stellte das Jugendamt erneut beim Sozialamt einen Antrag auf
Kostenerstattung. Das Jugendamt habe gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegen den Sozialhilfeträger einen Erstattungsanspruch für die Leistungen, die es seit dem 17. April 2003 für die Kinder K.
und M. erbringe, da es nachrangig verpflichtet sei. Die Kinder- und Jugendhilfe sei von dem Grundsatz der Nachrangigkeit gegenüber
der Selbsthilfe und den Leistungen anderer gekennzeichnet. Lediglich Leistungen der Sozialhilfe gingen Leistungen der Kinder-
und Jugendhilfe nach. Eine Rückausnahme hierzu gelte allerdings dann, wenn wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung
Maßnahmen der Eingliederungshilfe zu gewähren seien (§ 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a.F. bzw. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII n.F.). Richtungsweisend für die Auslegung des Vorrang-Nachrang-Prinzips seien mittlerweile die Vorgaben in einer Grundsatzentscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 23. September 1999. Danach seien im Überschneidungsbereich des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a.F. bzw. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII n.F., also bei Bestehen eines Hilfebedarfs aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung, stets Leistungen nach
dem BSHG bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) vorrangig gegenüber Leistungen nach dem SGB VIII. Wenn Maßnahmen der Eingliederungshilfe gewährt würden oder gewährt werden müssten und zugleich auch Leistungen der Kinder-
und Jugendhilfe, komme es grundsätzlich zum Vorrang der Sozialhilfe. Auf den Schwerpunkt des Hilfebedarfs komme es damit nicht
an. Ferner heißt es im letzten Satz: "Ich bitte ebenfalls zu prüfen, ob die laufende Hilfeleistung vom Sozialhilfeträger übernommen
werden kann".
Das Sozialamt ermittelte zum Hilfebedarf von K. und M ... Es wurden die Befundberichte des C.-von B.-Klinikums M. K. vom 24.
Januar 2007 zu K.und vom 5. Februar 2007 zu M. beigezogen und amtsärztliche Stellungnahmen von der Fachärztin für Kinder-
und Jugendmedizin Dr. M. vom 6. Februar 2007 zu K. und vom 6. März 2007 zu M. eingeholt. Daraus ergibt sich, dass bei beiden
Kindern die Diagnose "Debilität (leichte Intelligenzminderung)" zu stellen sei. Aufgrund der geistigen Behinderung benötigten
die Kinder im Bereich des täglichen Lebens adäquate und permanente Anleitung, Hilfe und Kontrolle. Beide verfügten nicht über
eine altersgerechte lebenspraktische Selbstständigkeit. Die Beschulung in einer Schule für geistig Behinderte und die Betreuung
im Wohnheim für Kinder und Jugendliche mit geistigen und mehrfachen Behinderungen sei nachweisbar gerechtfertigt und werde
weiterhin empfohlen.
Mit dem Bescheid vom 26. April 2007, der überschrieben ist mit "Ablehnung des Antrages auf Wechsel der Zuständigkeit und Kostenerstattung",
lehnte das Sozialamt den Antrag auf Kostenerstattung erneut im Namen der überörtlichen Trägers der Sozialhilfe ab. Der Bescheid
ist mit der Rechtsbehelfsbelehrung versehen, es könne binnen eines Monats Widerspruch eingelegt werden.
Am 11. August 2008 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und zunächst beantragt, die seit dem 17. April 2003 für M. und K. erbrachten Leistungen abzüglich der
monatlichen Bezüge von Kindergeld und Rente zu erstatten. Es sei völlig unerheblich, ob die Heimunterbringung aufgrund der
Überforderung der Mutter erforderlich gewesen sei. Vielmehr seien beide Kinder geistig behindert und hätten Anspruch auf Eingliederungshilfe
in Form der Heimpflege, da diese aufgrund der geistigen Behinderung erforderlich sei.
Der Beklagte hat nicht bestritten, dass bei den beiden Kindern eine geistig wesentliche Behinderung bestehe und sie dem Personenkreis
gemäß § 53 SGB XII zuzuordnen seien. Diese Tatsache allein rechtfertige aber keine Anerkennung des Hilfefalls durch den Beklagten und keine
Kostenerstattung der Aufwendungen des Klägers. Die Heimaufnahme beider Kinder sei nicht aufgrund deren geistiger Behinderungen,
sondern in Folge der Defizite im Elternhaus bis hin zu Misshandlungen der Kinder durch die Mutter erforderlich gewesen. Im
Zeitpunkt der Heimaufnahme am 17. April 2003 habe das BSHG Anwendung gefunden. Gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG sei der überörtliche Träger der Sozialhilfe für die Hilfe in besonderen Lebenslagen für die in § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG genannten Personen sachlich zuständig, wenn es wegen der Behinderung oder des Leidens erforderlich gewesen sei, die Hilfe
in einem Heim zu gewähren; dies gelte nicht, wenn die Hilfegewährung in der Einrichtung überwiegend aus anderen Gründen erfolgt
sei. Solche überwiegend anderen Gründe lägen hier vor. Am 1. Januar 2005 sei das SGB XII in Kraft getreten; eine vergleichbare Regelung wie im § 100 BSHG gebe es seitdem nicht mehr. Insoweit sei die Zuständigkeit des Beklagten für beide Kinder ab dem 1. Januar 2005 gegeben.
Die Klageschrift vom 7. August 2008, die ihm am 26. August 2008 zugegangen sei, entspreche den Vorgaben eines Kostenerstattungsantrages.
Unter Berücksichtigung der Ausschlussfrist gemäß § 111 Satz 1 SGB X bestehe daher ein Kostenerstattungsanspruch ab dem 26. August 2007. In Bezug auf Kostenerstattungsansprüche aus dem Jahr
2003 werde darauf hingewiesen, dass diese im Zeitpunkt der Klageerhebung verjährt gewesen sein; insoweit werde die Einrede
der Verjährung erhoben.
Daraufhin hat der Kläger bezüglich des Kostenerstattungsanspruchs für das Jahr 2003 die Rücknahme der Klage erklärt und den
Kostenerstattungsanspruch für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis einschließlich 25. August 2007 aufrechterhalten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung beim SG hat der Kläger beantragt,
das beklagte Land zu verpflichten, für die Kinder M. J, geboren am ... 1991, und J., geboren am ... 1994, die seit dem 1.
Januar 2004 bis zum 25. August 2007 erbrachten Leistungen, d.h., die monatlichen Unterbringungskosten zuzüglich Taschengeld,
Beihilfen und Bekleidungskosten abzüglich des Kindergeldes und der Rente in Höhe von insgesamt 213.268,73 EUR zu erstatten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 17. September 2012 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger die im Zeitraum vom 5. September 2005 bis zum 25. August 2007 für die Kinder M. und
K. J. erbrachten Leistungen abzüglich des Kindergeldes und der Rente zu erstatten sowie die Klage im Übrigen abgewiesen. Die
zulässige Klage sei teilweise begründet. Der Kläger habe im Zeitraum vom 5. September 2005 bis zum 25. August 2007 Anspruch
auf Erstattung der in diesem Zeitraum für M. und K. J. erbrachten Leistungen, da der Kläger für die Kinder als Hilfeempfänger
Sozialleistungen als nachrangig verpflichteter Leistungsträger erbracht habe. Die Kinder seien geistig wesentlich behindert
gewesen. Dies ergebe sich aus den in den Verwaltungsakten des Beklagten enthaltenen sozialmedizinischen Stellungnahmen und
sei auch nicht streitig. Es habe daher ein Anspruch der Kinder auf Gewährung von Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII bestanden. Der Vorrang der Jugendhilfe gelte für die hier streitigen Leistungen der Eingliederungshilfe für geistig behinderte
Hilfeempfänger gerade nicht. Dies ergebe sich aus § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII a.F. bzw. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII n.F. Die Forderungsanmeldung des Rechtsvorgängers des Klägers vom 5. September 2006 gegenüber dem örtlichen Sozialhilfeträger
sei ausreichend gewesen, da sie den Willen, rechtssichernd tätig zu werden, habe erkennen lassen, den maßgebenden Zeitraum
benannt und auch die Umstände für die Entstehung des Erstattungsanspruchs hinreichend dargelegt habe. Die Bezifferung des
Anspruchs sei bei der bloßen Anmeldung der Forderung noch nicht essentiell. Unschädlich sei, dass die Erstattungsforderung
gegenüber dem Sozialamt als örtlichem Sozialhilfeträger geltend gemacht worden sei, da der örtliche Sozialhilfeträger zur
Durchführung der dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe obliegenden Aufgaben herangezogen werde. Dies umfasse nach Auffassung
der Kammer auch die Entgegennahme der Anmeldung von Erstattungsforderungen. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 4.
September 2005 bestehe kein Anspruch auf Erstattung der geleisteten Aufwendungen. Insoweit scheitere der Erstattungsanspruch
für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 1. Januar 2005 daran, dass das beklagte Land als überörtlicher Träger der Sozialhilfe
nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 Zweiter Halbsatz BSHG nicht zuständig gewesen sei. Da die Heimaufnahme der Kinder nach Auffassung der Kammer allein wegen erzieherischer Defizite
erfolgt sei, sei die konkrete Hilfegewährung vorwiegend aus anderen Gründen als der geistigen Behinderung der Kinder erforderlich
gewesen. Dies folge aus dem Umstand, dass die Kinder nur deshalb am 17. April 2003 in Obhut genommen worden seien, weil eine
Kindeswohlgefährdung durch die Mutter zu befürchten gewesen sei. Hätte die Mutter ihre Kinder nicht körperlich misshandelt,
wäre kein so dringender und dauerhafter Handlungsbedarf gegeben gewesen. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 4. September 2005
bestehe kein Anspruch, da die Kostenerstattungsanmeldung des Rechtsvorgängers des Klägers vom 17. April 2003 nicht bis zu
diesem Zeitpunkt fortgewirkt habe. Über die Anmeldung der Erstattungsforderung sei mit Schreiben des örtlichen Sozialhilfeträgers
vom 26. Januar 2004 abschlägig entschieden worden, so dass dann Klage geboten gewesen wäre. Da sich zudem zum 1. Januar 2005
die Rechtslage geändert habe, sei eine erneute Anmeldung der Erstattungsforderung zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 SGB X erforderlich gewesen, was auch der Rechtsvorgänger des Klägers erkannt und deshalb mit Schreiben vom 5. September 2006 die
Forderung erneut geltend gemacht habe.
Der Kläger hat gegen das ihm am 22. Oktober 2012 zugestellte Urteil am 13. November 2012, der Beklagte hat gegen das ihm am
18. Oktober 2012 zugestellte Urteil am 19. November 2012 (Montag) Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt.
Der Kläger hat zur Begründung seiner Berufung vorgetragen, aus den sozialmedizinischen Stellungnahmen der Kinder- und Jugendpsychiatrie
M. vom 18. August 2003 gehe hervor, dass bei beiden Kindern eine Mehrfachbehinderung und insbesondere nachgewiesene wesentliche
geistige Behinderungen als Leitsyndrom vorgelegen hätten. Diese Behinderungen hätten den Anforderungen des § 53 Abs. 1 SGB XII entsprochen. Insoweit könne für die Beurteilung der Kostenfrage keine Bedeutung haben, dass für die stationäre Maßnahme die
Überforderung der Mutter der Kinder durch die Art der Behinderung ausschlaggebend gewesen sei. Der Auffassung des SG, dass es an der Fortwirkung der Kostenerstattungsanmeldung des Rechtsvorgängers vom 17. April 2003 gefehlt habe, könne nicht
gefolgt werden. Da die Hilfegewährung vorliegend nicht unterbrochen worden und die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen
Trägers der Sozialhilfe nach seiner Auffassung von vornherein gegeben gewesen sei, sei eine erneute Geltendmachung des Erstattungsanspruchs
nicht erforderlich gewesen, woran auch die geänderte Rechtslage zum 1. Januar 2005 nichts habe ändern können. Einer erneuten
Anspruchsanmeldung bedürfe es lediglich bei einer Änderung der Hilfeart oder bei Hinzutreten einer weiteren Sozialhilfeleistung.
Er hat schließlich eine Auflistung mit den im Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2007 geleisteten Hilfen vorgelegt.
Er hat vorgetragen, die noch zu erstattenden Kosten beliefen sich für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 4. September 2005
auf 96.631,51 EUR. Der Beklagte habe am 28. Februar 2013 für den Zeitraum vom 5. September 2005 bis zum 26. August 2007 in
Höhe von 115.570,20 EUR gezahlt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG H. vom 17. September 2012 zu ändern, soweit es die Klage für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 4. September 2005 abgewiesen
hat, und den Beklagten zu verurteilen, 96.631,51 EUR an ihn zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, das Urteil des SG vom 17. September 2012 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem ersten Rechtszug.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten, die sämtlich
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Eine Beiladung der Hilfeempfänger oder des Trägers des Kinderheims "L" war nicht geboten. Denn die Hilfeleistung ist hier
bereits abschließend erfolgt und gegenüber dem Leistungserbringer von einem Leistungsträger abgegolten worden. Der Rechtsstreit
betrifft hier allein noch Ansprüche der Sozialleistungsträger untereinander. Ein rechtliches Bedürfnis für eine Verfahrensbeteiligung
des Leistungserbringers oder des Hilfeempfängers besteht in solchen Fällen nicht (vgl. auch Roos in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, vor § 102 Rn 11).
Die Berufungen sind zulässig, insbesondere jeweils fristgerecht eingelegt worden. Sie bedurften zudem jeweils nicht der Zulassung
gemäß §
144 Abs.
1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in der hier maßgeblichen, ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung. Es handelt sich um eine Erstattungsstreitigkeit zwischen
juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wobei der Wert des Beschwerdegegenstands 10.000,00 EUR für beide Beteiligte
auch nach dem Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens übersteigt. Der Kläger verfolgt die Erstattung von (weiteren) 96.631,51
EUR, der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Zahlung von 115.570,20 EUR.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet, die des Beklagten ist begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch
auf Erstattung der Kosten, die ihm durch die Unterbringung von M. und K. im Kinderheim "L" in der Zeit vom 1. Januar 2004
bis zum 25. August 2007 entstanden sind.
Die vom Kläger beim SG Halle erhobene Klage auf Erstattung seiner Aufwendungen ist als sog. echte Leistungsklage gem. §
54 Abs.
5 SGG zulässig (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. Februar 2014 - B 4 AS 19/13 R -, juris; Böttiger in Breitkreuz/Fichte,
SGG, §
54 Rn 119; HK-
SGG, §
54 Rn 134). Soweit der Erstattungsbetrag bis zum Ende der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz der Höhe nach
beziffert worden ist, ist dies ausreichend.
Der Kläger ist für die Erhebung der Leistungsklage aktiv legitimiert. Gem. § 85 Abs. 1 SGB VIII ist für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben nach diesem Buch der örtliche Träger sachlich zuständig,
soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Der überörtliche Träger ist sachlich zuständig für die in § 85 Abs. 2 SGB VIII aufgeführten Aufgabenbereiche, in denen die hier streitigen nicht genannt sind.
Ein Anspruch des Klägers ergibt sich insbesondere nicht aus § 104 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch
hat oder hatte, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen
des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen.
Einem Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X stehen hier die mit der Rücknahme der beim VG H. anhängigen Klage am 23. Februar 2006 in dem Rechtsstreit 4 A 152/04 HAL bestandskräftig gewordene Ablehnung der Leistung nach §§ 39, 40 BSHG (Bescheid vom 26. Januar 2004) sowie die mit dem Bescheid vom 26. April 2007 erneut bestandskräftig gewordene Ablehnung der
laufenden Hilfeleistung durch den Beklagten entgegen.
Die Leistungspflicht des auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträgers ist grundsätzlich durch die gegenüber dem
Leistungsempfänger ergangenen Bescheide begrenzt (vgl. Urteil des BSG, Urteil vom 12. Mai 1999 - B 7 AL 74/98 R -, SozR 3-1300 § 104 Nr 15 = BSGE 84, 80-85 und juris m.w.N.). Rechtsgrund für dieses Akzeptierenmüssen der ablehnenden Leistungsbescheide ist das im geltenden Recht
vorgesehene gegliederte und auf dem Prinzip der Aufgabenteilung beruhende Sozialleistungssystem und letztlich die auf diesem
System beruhende Verpflichtung der Sozialleistungsträger zur engen Zusammenarbeit gemäß § 86 SGB X. Allerdings bedeutet dies nicht, dass in Erstattungsverfahren allgemein jegliche inhaltliche Überprüfung der Entscheidung
des anderen Leistungsträgers ausgeschlossen wäre. Vielmehr entfällt die "Bindungswirkung" eines Leistungsbescheides etwa dann,
wenn die Leistungen nicht aus Gründen des besonderen Leistungsrechts, sondern gerade wegen der Leistungsverpflichtung eines
anderen Sozialleistungsträgers abgelehnt wurden (BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 - B 10 SF 1/14 R -, juris). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Ein weiterer Ausnahmefall ist von der Rechtsprechung dann angenommen worden,
wenn der Leistungsbescheid offensichtlich unrichtig ist. Ein Beharren des möglicherweise erstattungspflichtigen Leistungsträgers
auf einer offensichtlich rechtswidrigen Entscheidung verletzt das in § 86 SGB X ausdrücklich festgelegte Gebot der engen Zusammenarbeit der Leistungsträger (BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 - B 10 SF 1/14 R -, juris). Hier sprechen keine Anhaltspunkte dafür, dass die einen Anspruch ablehnenden Bescheide des Beklagten offensichtlich
unrichtig waren; vielmehr hatten diese eine differenzierte Abgrenzung von Leistungen der Jugendhilfe zu Leistungen der Sozialhilfe
zum Inhalt.
Der ersatzbegehrende Leistungsträger kann sich auf eine Unrichtigkeit der Bescheide jedenfalls dann nicht berufen, wenn er
- wie hier der Kläger - berechtigt war, das Verwaltungsverfahren für die Hilfeempfänger selbst zu betreiben. Soweit der Kläger
die Bewilligung von Eingliederungshilfeleistungen für M. und K. beantragt hätte, hätte er ein fremdes Recht, nämlich das der
Kinder in eigenem Namen geltend machen können (Paul in LPK-SGB VIII 1. Auflage 1998, § 97 Rn 8; Wiesner, SGB VIII Kommentar, 3. Auflage 2006, § 97 Rn 1; Schindler in Münder/Meysen/Trenczek, F.er Kommentar SGB VIII, 6. Auflage 2009 § 97 Rn. 5); insoweit ist er als Jugendhilfeträger antragsberechtigt gemäß § 97 SGB VIII gewesen. Gemäß § 97 SGB Satz 1 VIII kann der erstattungsberechtigte Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Feststellung einer Sozialleistung
betreiben sowie Rechtsmittel einlegen. Mit der Feststellung der Leistungspflicht des Beklagten als vorrangig verpflichtetem
Leistungsträger wäre der Kläger aus seiner Pflicht zur Vorleistung entlassen worden (vgl. Schindler in Münder/Meysen/Trenczek,
aaO., § 97 Rn 1).
Hier hat der Amtspfleger für die Kinder M. und K. die Bewilligung von stationärer Eingliederungshilfe nach §§ 39,40 BSHG beantragt. Da dem Amtspfleger gemäß § 55 Abs. 2 SGB VIII die Ausübung seiner Aufgaben vom Jugendamt übertragen wird, war dem Jugendamt der Ablauf des Klageverfahrens beim VG H. (4 A 152/04 HAL) bekannt und auf den Hinweis des VG, dass es an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung der Klage ausschließlich
im Interesse der Kinder fehle, hätte die Möglichkeit bestanden, das Verfahren als Prozessstandschafter fortzuführen oder ein
eigenes Feststellungsverfahren als Prozessstandschafter zu betreiben. Für dieses Feststellungsverfahren bestand mit Blick
auf die potentielle Erstattungsberechtigung auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger hat jedoch die ihm zur Verfügung stehenden
Rechtsmittel nicht genutzt.
In diesen Fällen kann der Jugendhilfeträger nach dem Gebot der engen Zusammenarbeit gemäß § 86 SGB X eine nochmalige Überprüfung der Sachlage - im Rahmen eines Kostenerstattungsverfahrens - nicht verlangen.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von
einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.