Anordnungsgrund; Arbeitslosengeld; einstweilige Anordnung; Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II
Gründe:
I. Der Antragsteller wendet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Dresden vom 30. November 2011, mit dem sein Antrag
auf vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld abgelehnt worden ist.
Am 4. Oktober 2011 meldete sich der Antragsteller mit Wirkung zum 4. Oktober 2011 bei der Antragsgegnerin arbeitslos und beantragte
die Bewilligung von Arbeitslosengeld.
Mit Bescheid vom 19. Oktober 2011 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld,
da er in den letzten zwei Jahren vor dem 4. Oktober 2011 weniger als 12 Monate versicherungspflichtig gewesen sei und damit
die Anwartschaftszeit gemäß der §§
123 und
124 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) nicht erfüllt habe. Dieser Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung. Einen Widerspruch legte der Antragsteller dagegen
nicht ein.
Dem Antragsteller wurden durch das Jobcenter Sächsische Schweiz-Osterzgebirge für den Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis 31.
März 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende
- (SGB II) bewilligt.
Mit Schriftsatz vom 15. November 2011 hat der Kläger beim Sozialgericht Dresden vorläufigen Rechtsschutz und die Gewährung
von Arbeitslosengeld beantragt. Mit Beschluss vom 30. November 2011 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Es fehle bereits
an einem Anordnungsgrund. Denn eine einstweilige Anordnung auf Zahlung von Arbeitslosengeld komme nur in Betracht, wenn der
Antrag auf Leistungen nach dem SGB II abgelehnt worden und der Anspruch auf Arbeitslosengeld offensichtlich begründet sei.
Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Der Antragsteller beziehe seit dem 1. Oktober 2011 Leistungen nach dem SGB II. Auch
sei der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht offensichtlich begründet, da der Kläger innerhalb der Rahmenfrist nicht mindestens
12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 8. Dezember 2011 Beschwerde eingelegt. Er habe Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Dieser sei am 21. Februar 2011 nicht erloschen. Darüber hinaus sei er innerhalb dieses Zeitraumes von ca. 14 Monaten sozialversicherungspflichtig
beschäftigt gewesen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 30. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2011 aufzuheben
und ihm vorläufig Arbeitslosengeld zu gewähren.
Mit Schreiben vom 13. Februar 2012 und 15. Februar 2012 hat der Antragsteller weiter beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
und Beiordnung von Rechtsanwälten aus der Kanzlei K... Rechtsanwälte, D..., beantragt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen. Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte und
die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.
II. 1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Nach §
86 b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint
(Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund,
das heißt, die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, als auch ein Anordnungsanspruch, das heißt
die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs, glaubhaft gemacht werden
(vgl. §
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung
der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils,
dem Anordnungsgrund, zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres
funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], §
86b Rdnr. 27 und 29). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige
Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden
ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so mindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund.
Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Unter Beachtung dieser Grundsätze war der Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt
hat, wegen des fehlenden Anordnungsgrundes abzulehnen.
Hinsichtlich des Anordnungsgrundes ist geklärt, dass dieser grundsätzlicher nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen
im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zu beurteilen ist, es sei denn aus dem materiellen Recht (ausdrückliche gesetzliche
Reglung, Zweckrichtung bzw. zeitliche Beschränkung des materiellen Anspruchs in der Hauptsache) oder aus Gründen prozessualen
Bestandsschutzes ergibt sich ein anderer Beurteilungszeitpunkt oder Zeitraum (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 4. Februar 2010
- L 3 SO 51/09 B ER - JURIS-Dokument Rdnr. 34, m. w. N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4.Januar 2008 - L 28 B 2130/07 AS ER - JURIS-Dokument Rdnr. 3, m. w. N.; Bay. LSG, Beschluss vom 9. Dezember 2011 - L 17 U 356/11 B ER - JURIS-Dokument Rdnr. 16; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren [3. Aufl., 2012], Rdnr. 387, m. w. N.).
Danach besteht vorliegend kein Anordnungsgrund, da dem Antragsteller ausweislich des Bescheides des Jobcenters Sächsische
Schweiz-Osterzgebirge vom 4. November 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes SGB II für die Zeit vom 1. Oktober
2011 bis 31. März 2012 in Höhe von 539,00 EUR monatlich bewilligt worden sind.
Zwar ist die Frage umstritten, ob ein Anordnungsgrund vorliegt, wenn dem Antragsteller die Möglichkeit offen steht, Leistungen
der Grundsicherung in Anspruch zu nehmen (bejahend z. B. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. November
2009 - L 19 B 37/09 AL ER - JURIS-Dokument Rdnr. 12 ff.; verneinend z. B. Bay. LSG, Beschluss vom 9. Dezember 2011, aaO., Rdnr. 24, m. w. N.).
Nach der Kommentarliteratur wird ein Anordnungsgrund für die Zahlung von Arbeitslosengeld nur dann bejaht, wenn ein Antrag
auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch abgelehnt wurde und der Anspruch auf Arbeitslosengeld offensichtlich
unbegründet ist (vgl. Brand, in: Niesel,
SGB III [5. Aufl., 2010], §
118 Rdnrn. 11). Dem hat sich zum Teil die Rechtsprechung angeschlossen (vgl. z. B. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 8. November 2010 - L 19 AL 244/10 B ER - JURIS-Dokument Rdnr. 25). Der erkennende Senat hat im Beschluss vom 19. März 2003 einen Anordnungsgrund verneint,
nachdem die dortige Antragstellerin nach der Ablehnung des Antrages auf einstweilige Gewährung von Arbeitslosenhilfe durch
das Sozialgericht einen Antrag auf Sozialhilfe gestellt hatte (vgl. Sächs. LSG vom 19. März 2003 - L 3 B 120/00 AL-ER - JURIS-Dokument Rdnr. 24 ff.). Im vorliegenden Zusammenhang kann auch eine Passage im Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes
vom 19. Oktober 1977 Beachtung finden. Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem festgestellt, dass "bei den Vornahmesachen,
für die die Sozialgerichte zuständig sind, vor allem wegen des subsidiär eingreifenden Bundessozialhilfegesetzes das Bedürfnis
nach dem Erlaß einstweiliger Anordnungen oftmals nicht oder nicht in dem Maße bestehen mag wie bei der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit"
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977 - 2 BvR 42/76 - BVerfGE 46, 166 [179] = JURIS-Dokument Rdnr. 35).
Der Frage nach einem Anordnungsgrund für einen Anspruch auf einstweilige Gewährung von Arbeitslosengeld bei einem möglichen
Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II muss vorliegend aber nicht weiter erörtert werden.
Denn für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld begehrt wird, fehlt
in der Regel der Anordnungsgrund, wenn dem Antragsteller bereits Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB
II gewährt worden sind. Denn beide Leistungen dienen dazu, dem Betroffenen Mittel zur Verfügung zu stellen, mit denen er seinen
Lebensunterhalt bestreiten kann. Ausnahmsweise kann ein Anordnungsgrund dann vorliegen, wenn die beanspruchte Leistung, hier
das Arbeitslosengeld, erheblich über dem Grundsicherungsniveau liegt und der Antragsteller bei einer Verweisung auf die Leistung
der Grundsicherung schwerwiegende und unzumutbare Nachteile erleiden würde. Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht
gegeben. Es ist weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich, dass die vom Antragsteller begehrten Leistungen auf Arbeitslosengeld
der Höhe nach deutlich über den ihm bewilligten und gezahlten Grundsicherungsleistungen liegen würden. Aus diesen Gründen
fehlt dem Antragsteller der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
3. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen. Denn die für eine Bewilligung erforderlichen
hinreichende Erfolgsaussicht (vgl. §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
114 ZPO) war, wie dargestellt wurde, nicht gegeben. Die hinreichende Erfolgsaussicht fehlte bereits zu dem Zeitpunkt, als der Prozesskostenhilfeantrag
gestellt wurde.
4. Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.