Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Schadensregresses. Dieser hat einen Schadensersatzanspruch der Beigeladenen
zu 1) wegen der Verordnung von Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF)-alpha-Inhibitoren durch die Klägerin in den Quartalen I/2007 bis
IV/2008 zum Inhalt.
Die Klägerin ist eine seit dem Quartal I/2007 bestehende überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft zweier Orthopäden. Ihr Mitglied
Dr. Z war von 2002 bis September 2007 im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung für orthopädische Rheumatologie mit der Zusatzbezeichnung
für Osteologie tätig, vor Gründung der Klägerin in einer Einzelpraxis.
Die Beigeladene zu 1) stellte bezüglich einzelner namentlich benannter Versicherter für das Quartal I/2007 am 5.12.2007, für
das Quartal II/2007 am 10.3.2008, für das Quartal III/2007 am 5.6.2008, für das Quartal IV/2007 am 6.9.200711.9.2008, für
das Quartal I/2008 am 12.11.2008, für das Quartal II/2008 am 12.11.2008, für das Quartal III/2008 am 9.3.2009 und für das
Quartal IV/2007 am 10.6.2009 Prüfanträge. Sie stützte die Anträge auf die Verordnung der Medikamente Humira (Wirkstoff Adalimumab),
Remicade (Wirkstoff Infliximab) und Enbrel (Wirkstoff Etanercept) und begründete sie mit Verstößen gegen §
12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) und Ziffer 14 der Arzneimittel-Richtlinien (AMR). Sie führte hierzu aus, mit der Klägerin sei im Mai 2005 eine Pharmakotherapie-Beratung
durchgeführt worden. Hierbei sei ihrem Mitglied Dr. Z empfohlen worden, die Zweitmeinungsverfahren gemäß Anlage 2 der Prüfvereinbarung
(PrüfV) durchzuführen. Dem sei dieser aber nicht nachgekommen. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung (MdK) habe
die Verordnungsfälle überprüft und dabei teilweise die Unwirtschaftlichkeit der Behandlung, teilweise den nicht indikationsgerechten
Einsatz der Arzneimittel festgestellt. Insbesondere sei häufig nicht erkennbar, ob eine Behandlung mit mindestens zwei Basistherapeutika
vorangegangen sei. Die Ergebnisse der Überprüfungen des MdK legte die Beigeladene zu 1) der Prüfungsstelle vor.
Mit Bescheiden vom 12. September 2008, 21. Juli 2009 und 25. August 2010 setzte die Prüfungsstelle der Vertragsärzte und Krankenkassen
in Schleswig Holstein Prüfungsverordnungen (Prüfungsstelle) gegenüber dem Kläger Regresse fest, und zwar für das Quartal I/2007
in Höhe von 59.419,56 EUR, für das Quartal II/2007 in Höhe von 48.777,16 EUR, für das Quartal III/2007 in Höhe von 30.022,24
EUR, für das Quartal IV/2007 in Höhe von 46.969,36 EUR, für das Quartal I/2008 74.753,84 EUR, für das Quartal II/2008 49.311,24
EUR, für das Quartal III/2008 71.058,51 EUR und für das Quartal IV/2008 64.458,53 EUR. Sie stellte die verordneten Medikamente
und deren Anwendungsbereiche dar. Die Regresse begründete sie auf jeden einzelnen Patienten bezogen und stützte sich dabei
auf Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zur Therapie mit TNF-hemmenden Wirkstoffen bei entzündlichrheumatischen
Erkrankungen. Diese seien von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in der Rubrik "Wirkstoff aktuell" (Ausgabe 4/2006)
als eine Information im Rahmen des §
73 Abs.
8 SGB V unter dem Titel "Etanercept bei rheumatoider Arthritis, Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise" veröffentlicht
worden. Die DGRh hatte hierzu folgende Voraussetzungen genannt: 1. gesicherte Diagnose einer rheumatoiden Arthritis (RA),
einer polyartikulären Form der juvenilen chronischen Arthritis, einer ankylosierenden Spondylitis oder Psoriasis-arthropathie.
2. trotz entsprechender Behandlung aktive Erkrankung, d.h. Versagen zumindest zweier konventioneller Basistherapeutika, eines
davon MTX; die Therapie hiermit sollte allein oder in Kombination in adäquater Dosis über einen ausreichend langen Zeitraum
(in der Regel insgesamt 6 Monate) erfolgt sein. 3. bei ankylosierender Spondylitis sollte diese mindestens ein halbes Jahr
bestehen und es sollte ein erhöhter Aktivitätsindex über mindestens 2 Monate sowie erhöhte Entzündungsparameter unter einer
maximal dosierten Therapie mit mindestens 2 konsekutiv verabreichten nicht steroidalen Antiphlogistika dokumentiert sein.
4. kontinuierliche mit Betreuung und Dokumentation unter Verwendung validierter Messinstrumente durch einen internistischen
Rheumatologen oder eine internistisch-rheumatologische Abteilung bzw. einen rheumatologisch qualifizierten Pädiater. Diese
Voraussetzungen sah die Prüfungsstelle in den beanstandeten Verordnungsfällen als nicht erfüllt an.
Zur Begründung der gegen die Bescheide eingelegten Widersprüche führte die Klägerin aus, für das Jahr 2006 sei ein Richtgrößenprüfung
der Arzneimittelverordnungen durchgeführt worden, die keinen Regress zum Ergebnis gehabt hätte. Die Patienten und die Verordnungen
seien in den Quartalen im Wesentlichen identisch. Die Klägerin hat auf fachliche Probleme bei der Durchführung des Zweitmeinungsverfahrens
verwiesen. Schließlich stellte sie die verordneten Arzneimittel, ihre Wirkungsweise und ihre Vorzüge gegenüber anderen Arzneimitteln
dar. Es handele sich um eine hocheffiziente und wirksame Therapie.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2011 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung der Entscheidung führte
er im Wesentlichen aus, die vorgenommene Einzelfallprüfung sei zulässig, sie sei in § 10 der PrüfV vorgesehen. Im Hinblick
auf das Wirtschaftlichkeitsgebot hätten TNF-alpha-Inhibitoren bereits 2006 nur unter bestimmten Voraussetzungen verordnet
werden dürfen, die sich zum Teil aus der Zulassung der Wirkstoffe (z. B. mit der Vorgabe "nur in Kombination mit MTX"), aus
Therapiehinweisen des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) oder aus den Leitlinien der DGRh ergäben. Die Verordnung der Medikamente
setze eine gesicherte Diagnose, einen zulassungskonformen Einsatz des jeweiligen Präparates, den Nachweis einer aktiven Entzündung
(z. B. durch Laborparameter) sowie eine ausreichend lange und hoch genug dosierte Vorbehandlung mit konventionellen Basistherapeutika
voraus. Die verordneten Präparate Enbrel und Humira dürften bei einer rheumatoiden Arthritis, Psoriasis-Arthritis oder einer
Spondylosis ankylosans (Morbus Bechterew) verordnet werden, Enbrel zusätzlich bei einer polyartikulären juvenilen idiopathischen
Arthritis und einer Plaque-Psoriasis, Humirab zusätzlich bei Morbus Crohn und einer Psoriasis. In einigen, namentlich genannten
Behandlungsfällen seien diese Voraussetzungen erfüllt, in den übrigen nicht. Die Klägerin habe im Widerspruchsverfahren weder
schriftlich noch mündlich Erklärungen zu den Behandlungsfällen abgegeben. Die Betrachtung der Einzelfälle sei daraufhin abgebrochen
worden. Da er keinen Sachverhalt für eine andere Bewertung vorgetragen habe, mache sich der Ausschuss die Bewertung der Prüfungsstelle
zu Eigen. Es sei unerheblich, dass in anderem Zusammenhang Zweitmeinungsverfahren nachträglich durchgeführt worden seien.
Zweitmeinungsverfahren seien bei Einzelfallprüfungen unerheblich. Sie dienten im Rahmen der Richtgrößenprüfung der Prüfung
des zulassungskonformen und indikationsgerechten Einsatzes der teuren Substanzklasse, bevor die Kosten entständen. Hierbei
würden lediglich die Mindestanforderungen für eine wirtschaftliche Verordnungsweise geprüft. Einzelfallprüfungen lägen dagegen
weit mehr, andere und detailliertere Patientendokumentationen zu Grunde, die erforderlich und geeignet seien, die Wirtschaftlichkeit
im Einzelfall, die Zweckmäßigkeit und Angemessenheit der Kosten zu prüfen. Ein positiv ausgefallenes Zweitmeinungsverfahren
könne eine Einzelfallprüfung nicht ersetzen.
Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 24. Mai 2011 bei dem Sozialgericht Kiel Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, ihre
Praxis habe wegen der Sonderbedarfszulassung von Dr. Z bis Ende 2006 eine untypische Struktur. Dr. Z sei einer der wenigen
Rheumatologen in Schleswig-Holstein und selbst Zweitmeinungsarzt beziehungsweise Beratungsarzt für rheumatologische Fälle.
Er habe bis Mitte 2011 zusätzlich die Klinik A vorgehalten, die im Bettenplan für Schleswig-Holstein enthalten sei. Die Klägerin
hat ihren umfänglichen Vortrag aus der ebenfalls durchgeführten Richtgrößenprüfung der Verordnungen des Jahres 2006 vorgelegt.
Diese sei mit Bescheid vom 16. Dezember 2008 abgeschlossen worden, der ihr eine wirtschaftliche Verordnungsweise attestiert
habe; die Beigeladene zu 1) habe in jenem Verfahren den Widerspruch gegen den Prüfbescheid zurückgezogen. Hierzu hat die Klägerin
ausgeführt, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise sei nicht je nach Prüfart unterschiedlich interpretierbar. Die Richtgrößenprüfung
sei die regelmäßig durchzuführende Prüfmethode, neben der eine Einzelfallprüfung verdränge. Eine solche habe der Beklagte
tatsächlich auch gar nicht vorgenommen, denn alle Verordnungen von TNF-alpha-Inhibitoren zulasten der Beigeladenen 1) von
I/2006 bis 2011 sein überprüft worden. Es habe sich damit um eine systematische der gesamten Wirkstoffgruppe gehandelt. Darin
liege ein Verstoß gegen das Willkürverbot und der für ihn entstehende mehrfache Prüfaufwand verstoße gegen das Schikaneverbot.
Ziel der Prüfungen sei lediglich die Ausgabensenkung für die Beigeladene zu 1). Deren Anträge seien auf die Einzelfälle nicht
eingegangen. Bezeichnenderweise bezögen sich auch die Prüfgremien auf Ausführungen zu den Vorquartalen und nicht auf die Einzelfälle.
Für alle die Behandlungsfälle seien Zweitmeinungsverfahren durchgeführt worden, die die Therapien bestätigt hätten. Lediglich
in einem Fall sei ein anderer TNF-alpha-Blocker empfohlen worden. Wegen der durchgeführten Richtgrößenprüfung sei der entstandene
Schaden unklar. Die Klägerin hat sich auf einen Klageverbrauch bezogen. In der Verhandlung des Beklagten sei die Diskussion
der Einzelfälle abgebrochen worden, da kein Rheumatologe anwesend gewesen sei und die Mitglieder des Ausschusses die Behandlungen
nicht hätten beurteilen können. Die Klägerin hat alle Behandlungsunterlagen für die Behandlungsfälle vorgelegt und ausgeführt,
die Behandlungen seien leitliniengerecht gewesen. Lediglich für den Wirkstoff Adalimumab (Arzneimittel Humira) habe der GBA
erst zum 12. Juli 2007 einen Therapiehinweis erteilt. Bis zu diesem Zeitpunkt sei für die Beurteilung der Anwendungsweise
die Fachinformation des Arzneimittels entscheidend gewesen. Diese habe keine vorherige Basistherapie verlangt. Tatsächlich
seien schon vorher Arzneimitteltherapien durchgeführt worden oder es hätten bei den Patienten Unverträglichkeiten bestanden.
Zu dem Medikament Enbrel habe die KBV erst im Quartal IV/2006 eine Empfehlung veröffentlicht, die allenfalls erst ab diesem
Quartal habe beachtet werden können. Im Übrigen seien Empfehlungen keine verbindlichen Vorgaben. Zu Enbrel gebe es keinen
Beschluss des GBA. Die durchgeführten Zweitmeinungsverfahren hätten bei den einzelnen Patienten eine wirtschaftliche Verordnungsweise
ergeben. Hierzu hat die Klägerin zu mehreren Behandlungsfällen vorgetragen und ausgeführt, dass in der Mehrzahl der Fälle
die Zustimmung im Zweitmeinungsverfahren erteilt worden sei. Hierzu hat sie den Zustimmungsbescheid der Prüfungsstelle vom
3. November 2010 vorgelegt. Im Übrigen hat sie zu den Diagnosen und den jeweiligen Vortherapien Stellung genommen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Bescheide des Beklagten vom 19. Mai 2011 über die Prüfung im Einzelfall der Quartale I/2006 bis IV/2006 sowie I/2007 bis
IV/2008 hinsichtlich der Verordnung von TNF-alpha-Inhibitoren insoweit aufzuheben, als ein Regress festgesetzt worden ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Er hat ausgeführt, eine Richtgrößenprüfung schließe eine Einzelfallprüfung nicht aus, da die Fragestellungen verschieden seien.
Eine doppelte Überprüfung bedeute keinen doppelten Regress; vielmehr würden die Schadenssummen verrechnet. Die Prüfungsstelle
habe die Unwirtschaftlichkeit in jedem einzelnen Behandlungsfall ausführlich begründet. Jeder Fall sei systematisch nach Diagnosen,
Begleit- und Vorerkrankungen, klinischen und Laborbefunden und der Vormedikation geprüft worden. Die Klägerin habe 2010 nachträglich
das Zweitmeinungsverfahren für 2007 beantragt. Im Übrigen sei die Aussagekraft einer Zweitmeinung zur Indikation und Zulassung
eines Medikaments nur sehr begrenzt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit verwertbar. Das Verfahren beziehe sich auf
die Richtgrößenprüfung. Es diene der Prüfung des zulassungskonformen und indikationsgerechten Einsatzes der teuren Substanzklasse
der TNF-alpha-Inhibitoren, bevor die Kosten als Praxisbesonderheit berücksichtigt werden könnten. Geprüft würden in jenem
Verfahren nur die Mindestanforderungen an die Wirtschaftlichkeit. Auch ein positiver Zweitmeinungs-Beschluss könne eine Einzelfallbetrachtung
nicht ersetzen. Die Wirtschaftlichkeit der Verordnung der Medikamente Remicade, Enbrel und Humira beurteile sich nach den
Leitlinien der DGRh "Management der frühen rheumatoiden Arthritis", Fassung 2006. Für Enbrel und Remicade gebe es zusätzlich
die Therapiehinweise vom 1. April 2001 und 22. Juni 2002 gemäß Anlage 4 AMR. Nach diesen Hinweisen könne eine Therapie mit
dem Wirkstoff Infliximab durchgeführt werden, wenn eine Therapie mit allen individuell indizierten Basistherapeutika einschließlich
MTX erfolglos geblieben seien. Diese Therapien müssten hinreichend lange, in der Regel 6 Monate, in einer adäquaten Dosis
durchgeführt worden sein. Ein nahezu identischer Wortlaut betreffe den Wirkstoff Etanercept. Ähnliche Hinweise gebe es für
Humira in den Leitlinien der DGRh für die Vorbehandlung mit bestimmten Medikamenten. Humira sei nach der Fachinformation lediglich
bei mäßiger bis schwerer aktiver rheumatoider Arthritis bei erwachsenen Patienten, die unzureichend auf krankheitsmodifizierende
Antirheumatika einschließlich Methotrexat (MTX) angesprochen hätten, zu verordnen. Diese sämtlichen Voraussetzungen für die
drei Arzneimittel seien für keinen der Patienten dargelegt. Neuere Analysen zeigten keine Überlegenheit der TNF-alpha-Inhibitoren,
die zu Änderungen der Therapiehinweise geführt hätten. Auch die DGRh-Leitlinie 2011, deren Mitautor der Kläger sei, nenne
MTX als vorzugswürdiges Medikament. Im Fall der Unverträglichkeit würden andere klassische Basistherapeutika empfohlen, von
denen viele auf dem Markt vorhanden seien. Eine Unverträglichkeit der Patienten oder mangelnde Wirkung eines anderen Arzneimittels
rechtfertige daher den Einsatz der TNF-alpha-Inhibitoren nicht. Der Therapiehinweis zu Humira sei zwar erst am 12. Juli 2007
ergangen, jedoch sei auch die Leitlinie der DGRh zu beachten. Fachinformationen seien für die Beurteilung des wirtschaftlichen
Einsatzes eines Medikaments regelmäßig unzureichend, da sie über die Wirtschaftlichkeit keine Auskunft gäben. Jedoch auch
die Fachinformation zu Humira schränke dessen Anwendung auf die Fälle ein, in denen die Patienten auf konventionelle Therapeutika
unzureichend ansprächen. Zu Enbrel sei die Empfehlung der KBV aus IV/2006 ergangen. Darauf habe er - der Beklagte - sich jedoch
bei seiner Entscheidung gar nicht gestützt, sondern auf die Aussage des Therapiehinweises des GBA. Ferner hat der Beklagte
zu den Ausführungen des Klägers betreffend die einzelnen Patienten vorgetragen.
Mit Beschluss vom 19. März 2014 hat das Sozialgericht die Verfahren S 16 KA 228/11 (Quartale I bis IV/2006, Kläger Dr. Z ) und S 14 KA 232/11 (Quartale I/2007 bis IV/2008) unter Führung des Aktenzeichens S 16 KA 228/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidungsfindung zusammengefasst.
Mit Urteil vom 10. September 2014 hat es die Klagen abgewiesen. Es hat die Verlautbarung der KBV in der Rubrik "Wirkstoff
aktuell", Ausgabe IV/2006 als Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise als Information im Rahmen des §
73 Abs.
8 SGB V von TNF-alpha-Inhibitoren am Beispiel von Etanercept als maßgeblich zu Grunde gelegt. Ferner hat es die Leitlinien der DGRh
herangezogen. Die Kriterien dieser Bestimmungen seien nicht erfüllt. Hierzu hat sich das Sozialgericht auf die Prüfergebnisse
der Prüfungsstelle bezogen.
Gegen die ihrem Prozessbevollmächtigten am 12. Februar 2015 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers,
die am 11. März 2015 beim Schleswig Holsteinnischen Landessozialgericht eingegangen ist.
Der Senat hat in der Berufungsverhandlung den Rechtsstreit hinsichtlich der Quartale I/2007 bis IV/2008 abgetrennt, die ehemals
Gegenstand des Verfahrens S 14 KA 223/2011 des Sozialgerichts Kiel waren und gegen die die Berufsausübungsgemeinschaft Dr.
Z und Dr. K unter dem Aktenzeichen L 4 KA 13/15 ebenfalls Berufung eingelegt hatten, unter dem der Rechtsstreit wegen dieser Quartale fortgeführt und am selben Tag entschieden
wurde.
Die Klägerin vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie führt aus, gemäß § 7 in Verbindung mit der Anlage 3 PrüfV seien
die Beschlüsse im Zweitmeinungsverfahren von den Prüfgremien als verbindlich anzuerkennen. Dieser differenziere nicht danach,
ob es sich um eine Entscheidung im Richtgrößenverfahren oder in Einzelprüfungen handele. Insbesondere sei im Zweitmeinungsverfahren
auch zu beantworten, ob die Verordnung indikationsgerecht, zulassungskonform und wirtschaftlich sei. Im Zweitmeinungsverfahren
werde dabei geprüft, ob die Verordnungen wirtschaftlich und daher als Praxisbesonderheit anzuerkennen seien. Hierbei kämen
lediglich solche Umstände in Betracht, die sich auf das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten auswirkten und in den Praxen
der Vergleichsgruppe typischerweise nicht oder nicht in der selben Häufigkeit anzutreffen seien. Die Aussage im Zweitmeinungsverfahren
betreffe die Wirtschaftlichkeit und stelle keine Genehmigung der Arzneimittelverordnungen dar. In seiner Praxis würden chronisch
kranke Patienten behandelt. Auch im Jahr 2015 seien diese wiederum im Zweitmeinungsverfahren positiv beschieden worden. Im
Übrigen macht die Klägerin umfängliche fachliche Ausführungen zu den einzelnen Verordnungen. Sie trägt vor, entgegen der Auffassung
des Beklagten sei dieser Vortrag nicht präkludiert. Denn das Prüfverfahren sei auch durch den Amtsermittlungsgrundsatz geprägt.
Die Verwaltung müsse alle Aspekte aufgreifen, die aus den im Prüfverfahren vorliegenden Unterlagen offenkundig erkennbar seien
bzw. die aus den bei der Beigeladenen zu 2) vorhandenen Unterlagen oder aufgrund der Angaben des Arztes zumindest erkennbar
seien. Der Beklagte habe sich mit dem Vortrag nicht auseinandergesetzt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 und den Bescheid vom 19. Mai 2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er wiederholt und vertieft ebenfalls den erstinstanzlichen Vortrag und führt aus, bereits aus der Zulassung der Medikamente
sei ersichtlich, dass eine vorherige unzureichende oder erfolglose Basistherapie unabdingbare Voraussetzung für ihren Einsatz
sei. Klassische Therapeutika hierfür seien MTX, Sulfasalazin, Leflunomid, Hydroxychloroquin, Ciclosporin und Azathioprin.
Diese müssten lange genug und in ausreichender Dosierung angewendet worden sei, bevor TNF-alpha-Inhibitoren verordnet werden
dürften. Diese Vorgaben seien wesentlicher Inhalt der Therapiehinweise. Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß §
12 SGB V müssten Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürften das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Der Einsatz der teuren TNF-alpha-Inhibitoren bedürfe einer besonderen Begründung, denn unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit
müsse zunächst eine Behandlung mit den deutlich preiswerteren Basistherapeutika erfolgen. Gemäß § 9 Absatz 2 AMR müsse die
nach Tagestherapiekosten und Gesamtbehandlungsdauer wirtschaftlichste Alternative gewählt werden, wenn zum Erreichen eines
Therapiezieles mehrere gleichwertige Behandlungsstrategien zur Verfügung ständen. Ein positives Votum der Zweitmeinungskommission
sei kein Hinweis für eine wirtschaftliche Verordnungsweise. Es beziehe sich allein auf die Richtgrößenprüfung (§ 1 Abs. 5
in Verbindung mit Anlage 3 Richtgrößenvereinbarung 2006 und § 7 in Verbindung mit Anlage 2 PrüfV 2006. Für den Prüfzeitraum
2006 sei kein Zweitmeinungsverfahren durchgeführt worden. Die Entscheidungen der Kommission ergingen in der Regel für einen
Zeitraum von 6 bis 12 Monaten und seien nicht auf andere Prüfzeiträume übertragbar. Im Prüfverfahren und im Beschwerdeverfahren
seien alle vorliegenden Unterlagen umfassend ausgewertet worden. Neben den umfänglichen Unterlagen sei die Klägerin aufgefordert
worden, sämtliche Praxisdokumentationen in Kopie zu übersenden. Es lagen vielfältige Aussagen von Dr. Z selbst selbst vor.
Teilweise seien Fristverlängerungen gewährt worden, um weitere Unterlagen herbei zu ziehen. Bereits die Prüfungsstelle habe
daher von einer vollständigen Vorlage aller Unterlagen ausgehen können, sodass mit ihren Bescheiden abschließende Entscheidungen
hätten getroffen werden können. Zwar sei im Rahmen des Widerspruchs eine mündliche Anhörung vor dem Ausschuss beantragt worden.
Im Verhandlungstermin habe Dr. Z jedoch ausgeführt, sich zu den Einzelfällen nicht weiter äußern zu können. Bei der Entscheidung
seien auch seine schriftlichen Darlegungen berücksichtigt worden. Die jetzt vorgelegten weiteren Unterlagen im Rahmen des
gerichtlichen Verfahrens seien daher verspätet. Viele der nachgereichten Unterlagen und Arztbriefe beträfen Zeiträume nach
den streitgegenständlichen Verordnungen. Die Klägerin behaupte viele Vortherapien durch die Gabe von Musterabgaben. Dies sei
nicht nachvollziehbar, denn nach § 47 Abs. 4 Arzneimittelgesetz (AMG) dürften zwei Ärztemuster in kleinster Packungsgröße pro Jahr und Arzt verteilt werden. Es sei daher nicht erkennbar, wie
der Kläger bei 9 Patienten eine Vortherapie mit Musterabgaben habe durchführen können. Hierzu trägt der Beklagte zu drei namentlich
genannten Patienten unter Vorlage von Unterlagen vor.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Verfahrensakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 ist zulässig. Insbesondere ist sie
gemäß §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und gemäß §
151 Abs.
1 SGG formung fristgerecht eingegangen.
Sie ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und er verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Nachdem der Senat in der Berufungsverhandlung den Rechtsstreit insoweit abgetrennt hat, wie er den ebenfalls am 19. Mai 2011
ergangenen Regressbescheid gegenüber Dr. Z für die Quartale I bis IV/2006 betrifft, der zuvor Gegenstand des Verfahrens S 14 KA 231/11 des Sozialgerichts Kiel war, welches das Sozialgericht wiederum mit Beschluss vom 19. März 2014 zu diesem Verfahren verbunden
hat, sind allein die Regressforderungen gegenüber der Klägerin für die Quartale I/2007 bis IV/2008 Gegenstand dieses Berufungsverfahrens.
Rechtsgrundlage für die durchgeführten Einzelfallprüfungen ist §
106 Abs.
2 Satz 4
SGB V in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003 (BGBl. I 2190) bzw. ab dem Quartal II/2008 in der Fassung des
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I 378, 404) in Verbindung mit §
10 PrüfV 2006. Spätere Änderungen des §
106 SGB V betreffen nicht die für 2007 und 2008 durchgeführten Überprüfungen. Insbesondere sind die durchgeführten Überprüfungen der
Verordnungen der TNF-alpha-Inhibitoren Einzelfallprüfungen im Sinne des § 10 PrüfV, auch wenn alle entsprechenden Verordnungen
mit den TNF-alpha Inhibitoren als Wirkstoffen einer Betrachtung unterzogen wurden. Die Durchführung von Einzelfallprüfungen
ist gemäß §
106 Abs.
2 Satz 1
SGB V in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht obligatorisch, vielmehr eröffnet §
106 Abs.
2 Satz 4
SGB V den Vertragspartnern auf Landesebene hierfür die Regelungsbefugnis. Einzelfallprüfungen grenzen sich von den in erster Linie
unter einem statistischen Gruppenvergleich zu führenden Auffälligkeits- oder Richtgrößenprüfungen gemäß §
106 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 SGB V oder §
7 PrüfV 2006, Stichprobenprüfungen gemäß §
106 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 SGB V oder §
8 PrüfV 2006 und der Prüfung nach Durchschnittswerten gemäß §
9 PrüfV 2006 ab und haben die Betrachtung einzelner Behandlungsfälle ungeachtet des übrigen Verordnungsverhaltens zum Gegenstand.
Da bei dieser Prüfungsart nicht der Vergleich der Verordnungskosten des überprüften Arztes mit denen seiner Fachgruppe herangezogen
wird, verweist der Kläger zu Unrecht darauf, dass seine Arzneimittelverordnungen sich infolge seines Schwerpunkts bei der
Behandlung der Osteoporose, der Arthritiden und der Psoriasis von denen der Fachgruppe der Orthopäden unterscheiden. Mangels
eines Fachgruppenvergleichs im Rahmen dieser Prüfungsart verbietet sich auch die Betrachtung von Praxisbesonderheiten. Es
ist unerheblich, dass für das Jahr 2006 nach dem Vortrag des Klägers eine Richtgrößenprüfung gemäß § 7 PrüfV 2006 durchgeführt
worden war, denn der Kläger trägt selbst vor, dass nach den Maßstäben einer an statistischen durchschnittlichen Vergleichswerten
orientierten Prüfung kein Regress festgesetzt worden sei. Dies hindert den Beklagten jedoch nicht, zusätzlich eine Überprüfung
im Einzelfall vorzunehmen (BSG vom 28. September 2016 - B 6 KA 44/15 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 55, Rn. 24).
Gemäß § 10 Absatz 2 PrüfV 2006 entscheidet der Prüfungsausschuss/die Kammer auf Antrag der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen
Vereinigung im Einzelfall, ob der Vertragsarzt durch Veranlassung von Auftragsleistungen, Verordnung von Arzneimitteln, Heilmitteln,
Sprechstundenbedarf, häuslicher Krankenpflege oder Krankenhausbehandlung, bei der Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit oder
Verordnung von Hilfsmitteln sowie sonstiger veranlasster Leistungen im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen
hat. Gemäß § 10 Absatz 4 PrüfV 2006 entscheidet der Prüfungsausschuss/die Kammer auf Antrag der Krankenkassen oder deren Verbände
im Einzelfall auch über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen unzulässiger Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht
der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind (hierunter fallen auch Verordnungen, die gegen gesetzliche Richtlinien
verstoßen) oder die fehlerhafte Ausstellung von Bescheinigungen. Neben der Wirtschaftlichkeitsprüfung in Abs. 2 ordnet Abs.
4 folglich auch eine Rechtmäßigkeitsprüfung von Verordnungen an.
Die Prüfanträge zu den Verfahren I/2007 bis III/2008 sind rechtzeitig von der Beigeladenen zu 1) gestellt. Die Antragsfrist
beträgt gemäß § 10 Abs. 5 PrüfV 2006 neun Monate nach Ablauf des Quartals. Diese Frist ist in allen Quartalen gewahrt.
Arzneimittelverordnungen unterliegen zwar regelmäßig der Therapiefreiheit des behandelnden Arztes. Dieser ist jedoch durch
das auf §
12 Abs.
1 und §
70 Abs.
1 Satz 2
SGB V beruhende Wirtschaftlichkeitsgebot und das daraus abzuleitende Minimalprinzip eingeschränkt. Wenn für einen bestimmten therapeutischen
Ansatz bzw. eine bestimmte medikamentöse Therapie mehrere Arzneimittel mit entsprechender Indikation zugelassen und verfügbar
sind, diese aber unterschiedliche Preise haben, gebietet es das Wirtschaftlichkeitsgebot, dass der Vertragsarzt sich die unterschiedlichen
Kosten vergegenwärtigt und einzelfallbezogen abwägt, ob der Einsatz des preiswerteren Arzneimittels unter medizinischen Gründen
vertretbar und geboten ist (BSG vom 20. Oktober 2004 - B 6 KA 41/03 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 6, Rn. 44). Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgt die Verpflichtung des Arztes, nach dem Minimalprinzip
den kostengünstigsten Therapieansatz zu verfolgen, zumindest, wenn der teurere Ansatz keine nachhaltigen oder greifbaren medizinischen
Vorzüge hat und die Medikamente eine vergleichbare Wirkung haben (BSG vom 31. Mai 2006 B 6 KA 13/05 R - SozR 4-2500 § 92 Nr. 5, Rn. 44). Mit dem geringsten möglichen Aufwand soll die erforderliche, d.h. ausreichende und zweckmäßige
Leistung erbracht werden. Bezogen auf die Krankenversicherung bestimmt der Begriff des Minimalprinzips als Kernbestandteil
des Wirtschaftlichkeitsgebots im engeren Sinne die Relation zwischen dem Kostenaufwand und dem Nutzen in Form des Heilerfolgs.
Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit im Sinne dieses Prinzips bedingt den Beleg, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger
und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher
sind (BSG vom 17. Februar 2016 - B 6 KA 3/15 R - SozR 4-2500 §
106 Nr. 54). Therapiehinweise im Sinne des §
92 SGB V sind Konkretisierungen dieses Gebots. Sie sind nach §
17 Abs. 1 Satz 3 AMR für die Ärzte verbindlich. Wenn der GBA entsprechende Hinweise nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
6 SGB V erlassen hat, ist der Prüfungsumfang des Gerichts bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise auf die
Einhaltung von Verfahrens- und Formvorschriften beschränkt. In gleicher Weise wie den Prüfgremien im Rahmen des §
106 SGB V oder bei Entscheidungen nach §
135 Abs.
1 SGB V über die neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden steht dem GBA ein Gestaltungsspielraum bei der Abfassung der Therapiehinweise
zu (BSG vom 31. Mai 2006 - aaO, Rn. 68).
Allein für den Wirkstoff Adalimimab (Arzneimittel Humira) existiert der Therapiehinweis vom 21. November 2006 der am 11. Juli
2007 im BAnz, Seite 6932 veröffentlicht und am 12. Juli 2007 in Kraft getreten ist. Der Beklagte trägt zwar auch einen Therapiehinweis
für Enbrel vom 01.04.2001 und für Remicade vom 22.06.2002 vor. Aus der vom GBA im Internet herausgegebenen Anlage IV zu den
AMR über die Therapiehinweise gemäß §
92 SGB V ergibt sich dies jedoch nicht. Danach ist für Infliximab (Remicade) ein Therapiehinweis am 16. Oktober 2000 über die Anwendung
bei Morbus Crohn beschlossen worden, der inzwischen wieder aufgehoben worden ist. Zu Etanercept (Enbrel) erging ein Therapiehinweis
am 10. Dezember 1999, der inzwischen ebenfalls wieder aufgehoben worden ist. Zu Enbrel gibt es eine Empfehlung der KBV aus
dem Quartal IV/2006, ferner eine Empfehlung der DGRh zu der Verordnung von TNF-alpha-Inhibitoren. Wie oben ausgeführt sind
die Therapieempfehlungen des GBA für die Vertragsärzte verbindlich. Bislang ist höchstrichterlich ungeklärt, ob Empfehlungen
der Fachvereinigungen oder der KBV in gleicher Weise verbindlich sind wie die Therapiehinweise nach §
92 SGB V. Allerdings müssen sie nach Auffassung des Senats zumindest im Rahmen der allgemeinen Bindung der Vertragsärzte an das Wirtschaftlichkeitsgebot
Beachtung finden. Der Senat lässt in diesem Rechtsstreit ausdrücklich offen, ob die Voraussetzungen eines indikationsgerechten
und wirtschaftlichen Einsatzes der TNF-alpha-Inhibitoren in den Quartalen bei den 20 bis 30 Patienten, auf die sich der Regress
bezieht und über deren Behandlungsvoraussetzungen die Beteiligten sich sehr ausführlich ausgetauscht haben, gegeben sind.
Dies wäre gegebenenfalls gutachterlich zu klären, denn hierbei sind medizinisch-fachliche Fragen zu beurteilen (zu dem Erfordernis
und zu den Anforderungen einer Begutachtung im Zusammenhang von Therapiehinweisen des GBA BSG vom 31. Mai 2006 - B 6 KA 13/05 R - SozR 4-2500 § 92 Nr. 5). Der Senat hat von einer derartigen Begutachtung abgesehen, weil es auf die Beantwortung dieser
medizinisch-fachlichen Fragen nicht ankam. Der angefochtene Bescheid ist bereits rechtswidrig, weil der Beklagte den ihm eingeräumten
Beurteilungsspielraum fehlerhaft ausgefüllt hat.
Dem Beklagten steht bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung ein sehr weit gehender Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu (hierzu
unter Darstellung der sehr umfangreichen Rechtsprechung Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V §
106, Stand VIII/2014, Rn. 552 ff). Ein Beurteilungsspielraum liegt vor, wenn eine Norm auf ihrer Tatbestandsseite der zuständigen
Behörde bei der Auslegung der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe einen Spielraum eigenverantwortlicher Entscheidungen
überlässt, die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Auflage, § 40 Rn. 99). Der Begriff der Unwirtschaftlichkeit ist ein derartiger unbestimmter Rechtsbegriff, da er inhaltlich nicht ohne
weiteres zugänglich ist, sondern es zu seiner Inhaltsbestimmung der Auslegung bedarf. Der Beurteilungsspielraum in der Wirtschaftlichkeitsprüfung
erstreckt sich auf die Prüfung, ob der Vertragsarzt unwirtschaftlich gehandelt hat und somit auf die tatbestandlichen Voraussetzungen
für einen Regress wegen unwirtschaftlicher Behandlung oder Verordnungen (BSG vom 19. Oktober 2011 - B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 33, Rn. 16; BSG vom 16. Juli 2008 - B 6 KA 57/07 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 19, Rn. 22). Er betrifft die Wahl der Prüfmethode wie auch die Einschätzung, inwieweit eine Unwirtschaftlichkeit
vorliegt und ein Schaden eingetreten ist (vgl. auch BSG vom 18. Oktober 1995 - 6 RKa 3/93 - SozR 3-5550 § 17 Nr. 2, Rn. 28). Der Ermessensspielraum bezieht sich auf der Rechtsfolgenseite auf die Entscheidung, in welcher Höhe ein Regress
zum Ausgleich des Schadens gegen den Arzt festzusetzen ist (zum Zusammenhang zwischen Ermessensentscheidung und Beurteilungsspielraum
Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage, § 54 Rn. 25, 31; Siewert/Waschull in Diering/Timme, LPK-SGB X, 4. Auflage, § 31 Rn. 73, 75). Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich bei der Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen, denen ein Beurteilungsspielraum
zugrunde liegt, darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung
ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die Grenzen eingehalten hat, die sich
bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Wirtschaftlichkeit" ergeben, und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht
und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zu treffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar
ist (BSG vom 19. Oktober 2011, aaO Rn. 17; BSG vom 21. April 1993 - 14a RKa 11/92 - SozR 3-1300 § 35 Nr. 5, Rn. 15). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.
Der Beklagte hätte die Ergebnisse der durchgeführten Zweitmeinungsverfahren zwar nicht zwingend bei dem Entscheidungsergebnis,
aber jedenfalls im Prozess der Entscheidungsfindung berücksichtigen müssen. Die Klägerin weist darauf hin, dass hinsichtlich
- wie sie behauptet - aller im Streit befindlicher Patienten zwar nicht vor der Behandlung und vor den im Streit befindlichen
Zeiträumen, jedoch nachträglich Zweitmeinungsverfahren durchgeführt worden seien, die alle die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise
zum Ergebnis gehabt hätten; lediglich in einem Fall sei die Umstellung der Medikation auf einen anderen TNF-alpha-Blocker
empfohlen worden. Mit Beschluss vom 3. November 2010 hat die Prüfungsstelle den 2007 getätigten Verordnungen für 23 Patienten
zugestimmt. Der Beklagte stützt sich demgegenüber darauf, dass die Zweitmeinungsverfahren nicht zu allen im Streit befindlichen
Quartalen und zudem nicht vor der Behandlung durchgeführt worden sind und dass sie im Rahmen einer Einzelfallprüfung auch
irrelevant seien, weil sie allein für die Fragestellungen einer Richtgrößenprüfung geschaffen seien. Die Tatsache, dass jenes
Verfahren sich auf die Verordnungen aus 2007 bezog, dieses aber eine Überprüfung auch der Verordnungen aus 2008 zum Gegenstand
hat, dürfte unerheblich sein, weil die Therapien längerfristig angelegt sind und sich viele Überschneidungen der Patienten
ergeben dürften.
Die Durchführung von Zweitmeinungsverfahren ist einerseits angelegt in § 7 Absatz 9 PrüfV. Danach sind die im Rahmen eines
bei der Prüfungseinrichtung eingerichteten Zweitmeinungsverfahrens unter medizinischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten
gefällten Beschlüsse von den Prüfgremien verbindlich anzuerkennen. Anlage 2 der PrüfV regelt dazu das Nähere über den Gegenstand
der Beschlüsse. Es geht dabei um den zulassungskonformen und indikationsgerechten Einsatz bestimmter Wirkstoffe sowie den
Aspekt der Wirtschaftlichkeit. Das Zweitmeinungsverfahren ist darüber hinaus in der Richtgrößenvereinbarung 2006 der Vertragspartner
geregelt. Nach deren § 1 Abs. 5 sind von der Richtgrößenbildung die Kosten für Arzneimittel der Ausnahme von Richtgrößenregelungen
nach Anlage 2, der Impfstoffe zur Prävention, des Sprechstundenbedarfs sowie solcher Therapien, die regelmäßig Praxisbesonderheiten
im Sinne der Anlage 3 begründen, ausgenommen. Anlage 3 beinhaltet Indikationsgebiete zur Berücksichtigung als Praxisbesonderheit
bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Gemäß Nummer 12 der Anlage fallen darunter zur Behandlung von Erkrankungen des rheumatischen
Formenkreises zugelassene TNF-alpha-Inhibitoren enthaltende Arzneimittel unter der Voraussetzung, dass eine bei der jeweiligen
kassenärztlichen Vereinigung eingerichtete Kommission eine positive Bewertung im Rahmen eines Zweitmeinungsverfahren vorgenommen
hat. Bei der Verordnung ist das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten.
§ 7 Absatz 91 Abs. 5 PrüfV trifft keine Regelung darüber, wann ein Zweitmeinungsverfahren durchzuführen ist, sondern sagt
nur etwas über die Beachtlichkeit der Beschlüsse aus. § 1 Abs. 5 Richtgrößenvereinbarung 2006 in Verbindung mit Anlage 3 Nummer
12 geht allerdings von einer vorherigen positiven Zweitmeinungsbewertung aus. Allerdings setzt § 1 Abs. 5 ebenfalls bei den
Richtgrößen an, in die die nach dem durchgeführten Zweitmeinungsverfahren anerkannten Praxisbesonderheiten nicht einfließen.
Zwar weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass das Zweitmeinungsverfahren lediglich im Rahmen der Richtgrößenbildung
und Richtgrößenprüfung entscheidend zu beachten ist. Dieser formal- und verfahrensrechtliche Gesichtspunkt lässt jedoch außer
Acht, dass diese für das Richtgrößenverfahren gewonnenen Erkenntnisse auch in anderen Prüfungsverfahren Aussagen über die
Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Behandlungs- oder Verordnungsweise vermitteln können. Den Einwand des Beklagten,
dass im Zweitmeinungsverfahren andere, allein auf die Richtgrößenprüfung bezogene Faktoren beurteilt werden und dass in der
Einzelfallprüfung sehr viel weitgehendere Faktoren berücksichtigt werden, die ein wesentlich genaueres Bild der Behandlung
ermöglichen, hält der Senat nicht für berechtigt. Denn die Anlage 2 zu § 7 Absatz 9 PrüfV nennt die im Zweitmeinungsverfahren
zu berücksichtigenden Parameter. Danach geht es nicht nur um den zulassungs- und indikationskonformen Einsatz der Wirkstoffe,
sondern auch um den Aspekt ihres wirtschaftlichen Einsatzes. Die Ergebnisse des Zweitmeinungsverfahrens hätten daher zwingend
bei der Entscheidungsfindung auf der Beurteilungsebene berücksichtigt werden müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie
auch das Entscheidungsergebnis und die Regressfestsetzung zwingend beeinflussen. Die Ergebnisse der Zweitmeinungsverfahren
völlig unberücksichtigt zu lassen und ihre Aussagen nicht zur Kenntnis zu nehmen, bedeutet jedoch, der Entscheidung einen
unvollständigen Sachverhalt zugrunde zu legen.
Der Senat kommt nach alledem zu dem Ergebnis, dass der Beklagte den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht vollständig
ausgeschöpft hat. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben.
Gründe für die Zulassung im Sinne des §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §
197 a Abs.
1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Der Streitwert bestimmt sich nach dem mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzten Regressbetrag.