Vertragsarztrecht
Herausgabe von Daten
Zweck der Datenübermittlung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang die Beklagte verpflichtet ist, Daten im Sinne des §
295 Abs.
2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) an die klagenden Krankenkassen herauszugeben.
Die Klägerinnen entrichten in Schleswig-Holstein seit 1999 die Gesamtvergütung an die Beklagte gemäß §
85 Abs.
2 Satz 2
SGB V nach Kopfpauschalen.
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen schlossen am 5. Juni 2008 einen Vertrag
über den Datenaustausch auf Datenträgern oder im Wege elektronischer Datenübertragung (DTA - Vertrag). In § 1 Abs. 3 des Vertrages
ist geregelt: "Die kassenzahnärztlichen Vereinigungen übermitteln die nach §
295 Abs.
2 SGB V vorgesehenen Daten an die Krankenkassen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Vertrages". Zu der Regelung erging folgende Protokollnotiz: "Soweit andere Vergütungsregelungen als auf der Basis von Einzelleistungsvergütungen gemäß §
85 Abs.
2 SGB V durch die Gesamtvertragspartner getroffen werden, kann Abweichendes über Art und Umfang der Datenübermittlung vereinbart
werden". Grundlage für die Protokollnotiz ist ein Beschluss des Bundesschiedsamts vom 30. Januar 2008, der zwischen den Vertragspartnern
erging. Zur Begründung dieser Regelung führte das Bundesschiedsamt aus, die Vereinbarungen in dem DTA-Vertrag seien auf die
in der Praxis üblichen Einzelleistungsvergütungen abgestellt. Gemäß §
82 Abs.
1 Satz 2
SGB V werde der Inhalt der Bundesmantelverträge Bestandteil der Gesamtverträge. Wenn Gesamtvertragsparteien von Einzelleistungsvergütungen
abweichende Vereinbarungen träfen, müssten sie daher auch entsprechend angepasste Datenübermittlungen vereinbaren können.
Diesem Zweck dienten die Öffnungsklauseln der Protokollnotiz zu § 1 Abs. 3 DTA-Vertrag.
In der Folgezeit übersandte die Beklagte den Klägerinnen den Entwurf einer Regelung der Datenlieferung zwischen ihr und den
Klägerinnen vom 9. November 2009. Die Klägerinnen, vertreten durch den V___, hielten den Inhalt des Entwurfs für unzureichend.
Sie führten aus, die Verpflichtung zur Datenlieferung ergebe sich aus dem DTA-Vertrag. Ohne die in §
295 Abs.
2 SGB V aufgeführten Daten könnten sie ihre Prüfaufgaben nach §
106 a SGB V nicht erfüllen. §
1 Absatz
3 DTA-Vertrag enthalte keinen Hinweis darauf, dass die Daten nur der Abrechnung der Vergütung dienen sollten. In einem nachfolgenden
Schriftwechsel erzielten die Beteiligten keine Einigung über die Verpflichtung zum Datenaustausch.
Am 29. April 2010 beantragte die Beklagte die Durchführung eines Verfahrens vor dem Landesschiedsamt zur Festsetzung einer
gesamtvertraglichen Regelung zu Art und Umfang des Datenträgeraustauschs zwischen den Beteiligten. Die Klägerinnen sahen keine
Veranlassung für die Durchführung eines solchen Verfahrens und vertraten den Standpunkt, die Protokollnotiz zum DTA-Vertrag
enthalte hierfür keine zwingende Verpflichtung. Das Verfahren vor dem Landesschiedsamt endete mit einem Beschluss vom 24.
August 2010:
1. Das Landesschiedsamt versteht Ziffer 2 des Beschlusses des Bundesschiedsamts vom 10.9.2008 (Az.: BSA - ZÄ 3/2006) als Delegation
der Vereinbarungskompetenz auf die Beteiligten auf Landesebene, wobei davon ausgegangen wird, dass diese Vereinbarung innerhalb
dieses rechtlichen Zusammenhangs schiedsamtsfähig ist.
2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsauffassung empfiehlt das Landesschiedsamt den Beteiligten, unverzüglich Verhandlungen
in dieser Angelegenheit aufzunehmen.
3. Es wird die Mindestgebühr im Sinne von § 20 Satz 2 der Verordnung über die Schiedsämter für die vertragsärztliche (vertragszahnärztliche)
Versorgung festgesetzt.
Es folgte eine weitere Protokollnotiz:
1. die Beteiligten nehmen in diesem Verfahren ihre Anträge zurück.
2. die Beteiligten verzichten auf eine Begründung dieser Entscheidung.
3. die Beteiligten verzichten auf Rechtsmittel.
4. die Beteiligten verpflichten sich, spätestens bis Mitte Oktober 2010 Verhandlungen aufzunehmen.
Am 30. Juli 2010 haben die Klägerinnen Klage bei dem Sozialgericht Kiel erhoben mit dem Begehren, die Beklagte zur Übersendung
der vollständigen Daten gemäß §
295 Abs.
2 SGB V zu verurteilen. Zur Begründung haben sie ausgeführt, die Verpflichtung zur Datenübermittlung ergebe sich aus §
295 Abs.
2 SGB V und aus dem DTA-Vertrag vom 5. Juni 2008 bzw. 10. Mai 2010. Trotz entsprechender Aufforderung verweigere die Beklagte die
Datenlieferung. Eine abweichende Vereinbarung hierüber angesichts einer anderen Form der Gesamtvergütung sei in Schleswig-Holstein
nicht getroffen worden. Sie - die Klägerinnen - benötigten die Daten komplett für die Abrechnung der Leistungen der Vertragszahnärzte
in Schleswig-Holstein. Die Abrechnung umfasse nicht nur die Berechnung der Gesamtvergütung, sondern auch die Transparenz über
die Inanspruchnahme der Leistungen durch die Versicherten. Die Vergütung nach einer Kopfpauschale müsse nicht immer gelten.
Im Fall der Änderung auf ein anderes Vergütungssystem hätten sie keine Kenntnis über die Leistungsdaten und seien benachteiligt,
weil sie bei den Vertragsverhandlungen das Leistungsverhalten nicht kennen würden. Die Kenntnis der Daten sei ferner für die
Überwachung der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots erforderlich. §
295 Abs.
2 SGB V beschränke die Verpflichtung zur Datenlieferung nicht auf bestimmten Formen der Gesamtvergütung. Ausweislich eines Schreibens
des Bundesministeriums für Gesundheit vom 25. Mai 2010 seien die Daten ferner für die Angaben gegenüber dem Ministerium zur
Vorbereitung der 21. Risikostrukturausgleichs-Änderungsverordnung erforderlich. Die Ausgaben für die zahnärztliche Behandlung
müssten für die Berechnung des Pflegestrukturausgleichs versichertenbezogen angegeben werden. Das Landesschiedsamt habe im
Beschluss vom 24. August 2010 die Beteiligten aufgefordert, Verhandlungen über die Datenlieferung aufzunehmen. Es sei jedoch
nicht abzusehen, wann ein Ergebnis dieser Verhandlungen vorliege. Bis dahin könnten sie - die Kläger - ihrem gesetzlichen
Auftrag nicht nachkommen. Bis zum Inkrafttreten der Vereinbarung gälten die alten Bestimmungen vorläufig fort. Ein vertragloser
Zustand sei nicht hinnehmbar. Seit dem 1. Quartal 2009 verweigere die Beklagte die Herausgabe der Daten für den Gebührentarif
1 des BEMA. Die Klägerinnen haben Schriftwechsel mit dem Bundesversicherungsamt vorgelegt, demzufolge die Mitteilung von Festbeträgen
für die Berechnungen des Morbiditäts-Risikostrukturausgleichs nicht hinreichend sei.
Die Klägerinnen haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Daten gemäß §
295 Abs.
2 SGB V sowie §
8 Abs.
1 des DTA-Vertrages vom 5. Juni 2008 bzw. 10. Mai 2010 ab dem Jahre 2009 an die jeweiligen Klägerinnen zu übermitteln.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ausgeführt, das Landesschiedsamt habe am 24. August 2010 beschlossen, dass Verhandlungen über die Datenübermittlung
aufzunehmen seien. Danach bestehe derzeit keine Verpflichtung gemäß §
295 Abs.
2 SGB V, Daten zu liefern. Das Begehren der Klägerinnen stelle ein venire contra factum proprium dar, da ihre Vertreter dem Beschluss
des Landesschiedsamts zugestimmt hätten. Die entsprechenden Verhandlungen seien im Gange.
Das Sozialgericht Kiel hat mit Urteil vom 28. Juni 2012 die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt, die Klage sei als Leistungsklage in Form einer Auskunftsklage zulässig. Die Klägerinnen seien nicht verpflichtet
gewesen, zunächst das Schiedsamt einzuschalten. Denn sie machten einen gesetzlichen Anspruch geltend und begehrten nicht,
einen bestimmten Vertragsinhalt festzulegen. Die Entscheidung darüber, ob es einen unmittelbaren Anspruch auf Übermittlung
der Daten aus dem Gesetz oder dem DTA-Vertrag gebe, obliege dem Gericht und nicht dem Schiedsamt. Der Anspruch der Klägerinnen
auf Übermittlung der Daten folge aus §
295 Abs.
2 SGB V. Die Verpflichtung, die Daten zu übermitteln, bestehe unabhängig von der Art der Gesamtvergütung. Anderenfalls hätte der
Gesetzgeber darauf abgestellt. Zwar sehe das Gesetz die Übermittlung der Daten "für die Abrechnung" vor, dies meine jedoch
lediglich die Zweckbestimmung, nicht aber eine weitergehende Prüfung der Erforderlichkeit der Daten. Welche Daten zu übermitteln
seien, sei im Gesetz eindeutig geregelt. Es obliege nicht den Beteiligten, deren Erforderlichkeit zu überprüfen. Denn der
Datenaustausch sei ein hochkomplexes standardisiertes technisches Verfahren. Datenschutzrechtliche Gründe ständen dem nicht
entgegen. Zwar berufe sich die Beklagte auf den Grundsatz der Datensparsamkeit. Die allgemeinen Grundsätze des Landesdatenschutzgesetzes
Schleswig-Holstein (LDSG) seien angesichts der spezialgesetzlichen Ermächtigungsnorm nicht einschlägig. Auch vertragliche
Vereinbarungen ständen der Verpflichtung nicht entgegen. Die Datenübermittlung sei in § 1 Abs. 3 DTA-Vertrag ausdrücklich
geregelt. Der Beschluss des Bundesschiedsamtes vom 10. September 2008 regele auch nichts Abweichendes, sondern bestätige lediglich
die Möglichkeit für eine abweichende Vereinbarung. Eine Beschränkung ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss des Landesschiedsamts
vom 24. August 2010. Aus keinem der Beschlüsse ergebe sich, dass die Beklagte zur Datenübermittlung nicht mehr verpflichtet
sei. Sie eröffneten lediglich die Möglichkeit für eine abweichende Regelung. Im Übrigen sei nicht erkennbar, warum in den
anderen drei KZV - Bezirken, in denen ebenfalls die Gesamtvergütung nach Kopfpauschalen gezahlt werde, eine Datenübermittlung
möglich sei, in Schleswig Holstein jedoch nicht.
Gegen das ihr am 29. Oktober 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22. November 2012 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht
Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, die Klage sei rechtsmissbräuchlich und unzulässig, denn die Vereinbarung
vor dem Landesschiedsamt, die einstimmig getroffen worden sei, sehe eine Verpflichtung zur Aufnahme von Verhandlungen vor.
§
295 Abs.
2 SGB V erlaube eine Übermittlung der Daten nur "zur Abrechnung", bei einer Kopfpauschale sei die Zweckbestimmung nicht gegeben.
Nach §
295 Absatz
3 Nr.
4 SGB V sei eine Datenübermittlung nur nach Maßgabe der Regelungen des Bundesmantelvertrages zulässig. Dieser regele aber nur eine
Datenübermittlung bei einer Einzelleistungsvergütung. Das Landesschiedsamt habe im Beschluss vom 24. August 2010 mit den Stimmen
der Klägerinnnen festgestellt, dass die Kompetenz zur Feststellung des Umfangs der Datenübermittlung bei den Gesamtvertragspartnern
auf Landesebene liege. Daher sei es widersprüchlich, wenn sich die Klägerinnen auf den DTA-Vertrag als Ermächtigungsnorm bezögen.
Im Übrigen habe das BSG im Urteil vom 2. April 2014 (B 6 KA 19/13 R) festgestellt, dass die Regelungen des DTA-Vertrages rechtswidrig seien. §
285 SGB V zeige die Grenzen der Datenübermittlung auf und beinhalte ein grundsätzliches Übermittlungsverbot, es sei denn, eine Datenübermittlung
sei ausdrücklich erlaubt. Eine derartige Befugnisnorm fehle hier, insbesondere sei §
295 Abs.
2 SGB V wegen dessen Zweckbestimmung keine entsprechende Grundlage. Diese Norm erlaube die Datenübermittlung lediglich für Abrechnungszwecke.
Nach dem Urteil des BSG zähle dazu zwar auch die Überprüfung der Abrechnungen. Diesem Zweck genügten jedoch die von ihr - der Beklagten - den Klägern
übermittelten Daten. Die Klägerinnen begehrten jedoch weitere Daten zur Kenntnis. Hierfür fehle es an einer gesamtvertraglichen
Regelung. Eine solche sei im HVM nicht vorgesehen. Die Überprüfung gemäß §
106a SGB V erfordere bei einer Gesamtvergütung nach Kopfpauschalen nicht die Angaben über die konkreten Ärzte in den individuellen Behandlungsfällen.
Die Klägerinnen wollten die Daten lediglich als Abrechnungsgrundlage für künftige Vergütungsverhandlungen im Falle von Einzelleistungsvergütungen
haben. Ein derartiger Zweck sei in §
285 SGB V aber nicht genannt. Die Datenlieferung für die Zwecke der Wirtschaftlichkeit sei ferner in §§
296,
297 SGB V geregelt. Empfängerin der Daten sei dort die Prüfstelle, nicht aber die Krankenkassen. Im Übrigen hätten die Klägerinnen
niemals geltend gemacht, dass die auch weiterhin von ihr - der Klägerin - übermittelten Daten für die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit
der Behandlungsweise unzureichend seien. Bei allem sei zu berücksichtigen, dass die Daten im Sinne des §
285 Abs.
2 SGB V seit 2005 versichertenbezogen seien. Daher müsse jede KZV prüfen, ob die Datenübermittlung erforderlich sei. Sie - die Beklagte
- fordere seit Jahren von den Klägerinnen die Einführung einer Einzelleistungsvergütung in Schleswig Holstein, die die Klägerinnen
verweigerten. Im Falle der Einzelleistungsvergütung würden die begehrten Daten zur Verfügung gestellt werden. Es sei zu beachten,
dass gemäß § 12 Abs. 3 DTA-Vertrag Daten nur 3 Jahre gespeichert werden dürften, danach seien sie quartalsweise zu löschen.
Daher hätten die Klägerinnen keinen Anspruch auf die Übersendung älterer Daten. Die Beklagte legt eine Stellungnahme des unabhängigen
Landesamtes für Datenschutz (ULD) in Schleswig-Holstein vom 28. 2. 2013 vor, demzufolge eine Datenübermittlung gemäß §
295 Abs.
2 SGB V bei einer Gesamtvergütung nach Kopfpauschalen datenschutzrechtliche Vorschriften verletzen würde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 28. Juni 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führen aus, sie benötigten die Daten für Abrechnungszwecke. Das Landesschiedsamt habe keine Kompetenz für eine abweichende
Regelung; die Protokollnotiz zu § 1 Abs. 3 DTA-Vertrag beinhalte lediglich die Möglichkeit für eine abweichende Regelung.
Die Auffassung des ULD sei unzutreffend, weil es den kassenzahnärztlichen Vereinigungen eine Prüfkompetenz über die Erforderlichkeit
der Daten zuerkenne. In §
285 Abs.
2 SGB V sei die Datenübermittlung nicht eingeschränkt. Abs. 3 der Vorschrift erlaube lediglich detaillierte Regelungen, der Umfang
der Datenüberlieferung sei in Abs. 2 geregelt. Das BSG weise in seiner Rechtsprechung auf die Notwendigkeit der Daten für die Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen hin.
Es habe einer gesetzesergänzenden Auslegung der Norm eine Absage erteilt. §
295 Abs.
2 SGB V sei einheitlich auf alle Vergütungsformen anwendbar und gelte daher auch für eine Gesamtvergütung nach Kopfpauschalen. Aus
berufspolitischen Gründen wolle die Beklagte sie - die Klägerinnen - an der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gemäß §
106a SGB V hindern. Diese Vorschrift gelte auch bei Kopfpauschalen. Danach hätten die Krankenkassen eine Prüfungspflicht. Die Ergebnisse
der Abrechnungsprüfungen seien bei der Bemessung der Kopfpauschalen zu berücksichtigen, zumindest zukunftsorientiert. Dabei
würden die Klardaten der Versicherten nicht übermittelt, sondern es werde eine Pseudonymisierung vorgenommen. Die Datenlage
müsse auch bei der Beurteilung der Morbiditätsentwicklung berücksichtigt werden. Alle Daten seien trotz der Vernichtungsvorschriften
bis zum Ende des Rechtsstreits aufrechtzuerhalten, es bestehe ein Klärungsbedarf über den Umfang der zu übermittelnden Daten
auch zukunftsbezogen.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten und der Verfahrensakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere ist sie gemäß §
151 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingegangen.
Auch die Klage ist zulässig. Die hier erhobene echte Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG setzt voraus, dass ein Rechtsanspruch auf die Leistung geltend gemacht wird und ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen brauchte
(Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
54 Rn. 41). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerinnen begehren keinen Verwaltungsakt und wenden sich nicht gegen einen
solchen. Daher kommen die Verpflichtungs- und Anfechtungsklage gemäß §
54 Abs.
1 Satz 1
SGG nicht in Betracht. Vielmehr begehren die Klägerinnen ein schlichtes Realhandeln, nämlich die Herausgabe der Daten. Der Erlass
eines Verwaltungsaktes kommt im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht in Betracht, denn hinsichtlich der Herausgabe der begehrten
Daten besteht zwischen ihnen kein Subordinations-, sondern ein Gleichordnungsverhältnis.
Die Klägerinnen haben ein Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung des Rechtsstreits. Daran ändert auch die grundsätzliche
Möglichkeit nichts, die Frage, ob und in welchem Umfang die Beklagte verpflichtet ist, Daten an die Klägerinnen herauszugeben,
im Wege des Schiedsverfahrens zu klären. Ein Schiedsverfahren ist zwischen den Beteiligten auf Antrag der Beklagten vom 20.
April 2010 durchgeführt worden. Es endete mit dem Beschluss des Landesschiedsamts vom 24. August 2010. Ausweislich der Protokollnotiz
hierzu verpflichteten sich die Beteiligten, über die Frage der Datenübermittlung Verhandlungen spätestens Mitte Oktober 2010
aufzunehmen. Übereinstimmend haben die Beteiligten in der Berufungsverhandlung erklärt, dass diese Verhandlungen derzeit nicht
fortgeführt werden. Es besteht keine prozessual wirksame Verpflichtung, die Verpflichtung zur Datenübermittlung im Vergleichs-
oder Schiedswege zu klären zu versuchen.
Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Datenübermittlung ist §
295 Abs.
2 Satz 1
SGB V. Danach sind die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, den Krankenkassen für die Abrechnung der Vergütung im Wege
der elektronischen Datenverarbeitung oder maschinell verwertbar auf Datenträgern für jedes Quartal für jeden Behandlungsfall
die dort aufgeführten Daten zu übermitteln. Diese gesetzliche Rechtsgrundlage ist nicht auf Vertragsebene eingeschränkt (unabhängig
von der Frage, ob eine derartige Einschränkung rechtlich zulässig wäre). Vielmehr bestimmt § 1 Abs. 3 des DTA-Vertrages in
gleicher Weise, dass die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen die nach §
295 Abs.
2 SGB V vorgesehenen Daten an die Krankenkassen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Vertrages übermitteln. Der DTA-Vertrag ist als
Bestandteil der Bundesmantelverträge vereinbart worden und gemäß §
82 Abs.
1 Satz 2
SGB V damit Bestandteil der Gesamtverträge und für die Beteiligten verbindlich. Diese rechtliche Grundlage für den Anspruch der
Klägerinnen auf die Herausgabe der Daten besteht fort, unabhängig von der Möglichkeit der Beteiligten, hierüber Regelungen
zu treffen. Zwar bestimmt die Protokollnotiz zu § 1 Abs. 3 des DTA-Vertrages, dass im Falle anderer Vergütungsregelungen als
auf der Basis von Einzelleistungsvergütungen gemäß §
85 Abs.
2 SGB V Abweichendes über Art und Umfang der Datenübermittlung durch die Gesamtvertragspartner vereinbart werden kann. Ferner ist
die Protokollnotiz zu dem Beschluss des Landesschiedsamts vom 24. August 2010 zu berücksichtigen (Ziffer 4), nach der die
Beteiligten sich verpflichten, spätestens bis Mitte Oktober 2010 Verhandlungen aufzunehmen. Die Protokollnotiz zu § 1 Abs.
3 des DTA-Vertrages beinhaltet jedoch lediglich die Möglichkeit, abweichende Vereinbarungen zu treffen, wenn - wie hier -
das Gesamthonorar nicht auf der Basis einer Einzelleistungsvergütung gezahlt werden sollte. Die Protokollnotiz zu dem Beschluss
des Landesschiedsamt beinhaltet lediglich einen Normsetzungs- bzw. Regelungsauftrag. Solange die Verfahrensbeteiligten von
der Möglichkeit einer anderweitigen Vereinbarung (DTA-Vertrag) keinen Gebrauch gemacht haben und dem Regelungsauftrag (Landesschiedsamt)
nicht nachgekommen sind, verbleibt es bei den maßgeblichen Rechtsgrundlagen in §
295 Abs.
2 Satz 1
SGB V und §
1 Abs.
3 DTA-Vertrag. Insbesondere ist bisher zwischen den Beteiligten nicht vereinbart, dass bis zum Abschluss einer derartigen Regelung
der Anspruch aus §
295 Abs.
2 SGB V ausgesetzt sein sollte. Im Übrigen können die Beteiligten angesichts des zwingenden Wortlauts des §
295 Abs.
2 SGB V nicht den Anspruch auf Datenübermittlungen insgesamt durch (untergesetzliche) Vereinbarungen in Abrede stellen, sondern lediglich
in Einzelheiten ausgestalten. Keiner der Verfahrensbeteiligten hat bislang geltend gemacht, dass die Gegenseite das Verfahren
zur Vereinbarung einer abweichenden Regelung verzögern oder sich in anderer Weise rechtsmissbräuchlich verhalten würde. Der
Senat hat daher keinerlei Veranlassung zu der Annahme, dass ein derartiges Verhalten Anlass dafür sein könnte, von den verbindlichen
gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen abzuweichen.
Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlagen sind erfüllt. §
295 Abs.
2 Satz 1
SGB V stellt den Anspruch der Krankenkassen auf Datenübermittlung in den Zusammenhang "für die Abrechnung der Vergütung". §
1 Abs.
3 DTA-Vertrag nimmt seinerseits auf §
295 Abs.
2 SGB V Bezug. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass die Krankenkassen eine Datenübermittlung nur im Falle einer
Einzelleistungsvergütung beanspruchen können, weil nur bei dieser Form der Entrichtung der Gesamtvergütung die in §
295 Abs.
2 Nummer
1-8
SGB V aufgeführten Daten erforderlich seien, nicht aber im Falle der von den Klägerinnen gezahlten Gesamtvergütung in Form einer
Kopfpauschale. Bereits die Vertragspartner des Bundesmantelvertrages sind offensichtlich nicht von einer derartigen Auffassung
ausgegangen. Anderenfalls wäre die Protokollnotiz zu § 1 Abs. 3 DTA-Vertrag nicht erklärlich; diese stellt gerade darauf ab,
dass im Fall einer anderen der in §
85 Abs.
2 Satz 2
SGB V genannten Form einer Gesamtvergütung als einer Einzelleistungsvergütung eine abweichende Vereinbarung von den Gesamtvertragspartnern
getroffen werden kann, geht also davon aus, dass der Anspruch auf Datenübermittlung dem Grunde nach auch in einem solchen
Fall besteht.
Jedoch zielt der Zweck der Datenübermittlung nach §
295 Abs.
2 SGB V nicht nur auf die Abrechnung im Sinne der Bildung der Gesamtvergütung gemäß §
85 SGB V. Der Begriff der Abrechnung im Sinne der Vorschrift ist weit zu fassen; er bezieht die nachträgliche Überprüfung der Leistungsabrechnung
der Vertragsärzte gemäß §
106a SGB V ein (BSG vom 02.04.2014 - B 6 KA 19/13 R - SozR 4 - 2500 § 295 Nr. 3 - Rn. 26). Angesichts der Entwicklung der Norm ist dieser Auslegungsansatz berechtigt. §
295 Abs.
2 SGB V in der Fassung vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2343, gültig bis zum 31. Dezember 1992) nahm noch Bezug auf die nach §
85 Abs.
1 SGB V vereinbarte Berechnung der Vergütung. Dieser Bezug ist mit dem Gesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2266) mit Wirkung zum 1. Januar 1993 entfallen (vgl. auch Didong in jurisPK-
SGB V, Stand 1. 1. 2016, §
295 Rn. 13). Seine wesentliche derzeit geltende Fassung hat §
295 Abs.
2 SGB V durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz vom 14. 11. 2003 (BGBl. I S. 2190) erhalten. In der Gesetzesbegründung hierzu (BT-Drucks. 15/1525 S. 146) sind u.a. die Überprüfungen nach §§
106 und
106a SGB V als Grund für die Datenübermittlung eindeutig genannt. Zwar trägt die Beklagte vor, die für die Wirtschaftlichkeitsprüfung
nach §
106 SGB V notwendigen Daten auch weiterhin an die Klägerinnen zu übermitteln, während die Klägerinnen bestreiten, dass der Umfang der
von der Beklagten übermittelten Daten ausreichend sei. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Denn der Umfang der in §
295 Abs.
2 SGB V genannten Daten ist eindeutig festgelegt. Dies hat gerade zum Zweck, dass das zu übermittelnde Datenmaterial feststehen und
einem Streit der Beteiligten, welche Daten für die Wirtschaftlichkeitsprüfung notwendig sind oder nicht, entzogen werden soll.
Ferner hatte der Gesetzgeber (BT-Drucks. 15/1525, S. 146) neben §§
85,
106,
106a SGB V noch weitere Bereiche im Blick, in denen die Daten Verwendung finden sollten: Er hielt die Daten für erforderlich im Rahmen
der Krankenversichertenkarte bzw. der elektronischen Gesundheitskarte, für die Vertragsabschlüsse integrierter Versorgungsformen,
hausärztlicher Versorgung und zur Erbringung hochspezialisierter Leistungen und spezieller Erkrankungen. Eine Differenzierung
in ärztliche und zahnärztliche Daten sah der Gesetzgeber dabei nicht vor.
Zwar verweist die Beklagte zu Recht auf den Grundsatz der Datensparsamkeit, der im Interesse eines wirksamen Datenschutzes
berücksichtigt werden muss (vgl. dazu auch BSG vom 02.04.2014 - aaO - Rn. 34). Hinter der Datenübermittlung stehen die Interessen und Rechte der abrechnenden Vertragsärzte,
deren Daten bekannt gegeben werden. Jedoch sind deren Daten zwar schützenswert, nicht jedoch höchstpersönlicher Natur; ein
Rückgriff auf deren Daten ist unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des gesamten Abrechnungsverfahrens und der Sicherung
eines gerechten Vergütungssystems für alle beteiligten Vertragsärzte verhältnismäßig (BVerfG vom 10. April 2000 - 1 BvR 402
20/00 - SozR 3-2500 §
295 Nr.
2). In dem Datenmaterial gemäß §
295 Abs.
2 SGB V sind darüber hinaus auch Daten der Versicherten der Klägerinnen enthalten, die gleichfalls Schutz beanspruchen können. Dieser
Schutz richtet sich jedoch insbesondere nach §
284 Abs.
1 Nummer
4 und 9
SGB V aus. Danach dürfen die Krankenkassen u.a. Sozialdaten für Zwecke der Krankenversicherung nur erheben und speichern, soweit
diese für die Prüfung der Leistungspflicht und der Erbringung von Leistungen an Versicherte, die Bestimmung des Zuzahlungsstatus
und die Durchführung der Verfahren bei Kostenerstattung, Beitragsrückzahlung und der Ermittlung der Belastungsgrenze (Ziffer
4) und soweit sie für die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung erforderlich sind (Ziffer 9). Der Zweck
der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §
106a SGB V ist somit hier ausdrücklich genannt.
Unter Beachtung der weiten Auslegung des Begriffs "Abrechnung" in §
295 Abs.
2 SGB V, die die Belange der Wirtschaftlichkeitsprüfung in §
106 SGB V mit einbezieht und unter Beachtung der ganz konkreten Benennung des zu übermittelnden Datenmaterials im Wortlaut der Norm
unabhängig von Notwendigkeitserwägungen kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die Beklagte zu der beanspruchten Datenübersendung
verpflichtet ist, solange die Beteiligten keine individuelle Vereinbarung getroffen haben. Ob eine derartige abweichende und
den Anspruch der Krankenkassen einschränkende Vereinbarung rechtmäßig wäre, war hier nicht zu entscheiden (vgl. BSG vom 02.04.2014 - aaO - Rn. 41). Durch die Stellungnahme des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig Holstein
(ULD) vom 28. Februar 2013 sah sich der Senat an dieser Einschätzung nicht gehindert. Denn erkennbar beschränkte das ULD den
Zweck der Datenübermittlung nach §
295 Abs.
2 SGB V allein auf die Belange der Berechnung der Gesamtvergütung und bezog die der Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß §
106 SGB V in die Betrachtung nicht ein. Die Stellungnahme, die eine unverbindliche Meinungsäußerung, nicht jedoch eine verbindliche
Rechtsauslegung beinhaltet, ist daher unvollständig.
Der Senat hat die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Datenübermittlung zwischen den Beteiligten zugelassen.
Die Entscheidung über den Streitwert gründet sich auf §
197a Abs.
1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz. Da der Anspruch auf Übermittlung der Daten nach §
295 Abs.
2 SGB V keinen bezifferbaren Wert hat, war der Auffangstreitwert in Höhe von 5000 € als Wert des Verfahrens festzusetzen.