erweiterte Hilfe; Hilfe zur angemessenen Schulbildung; lebenslanges Wohnrecht; Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft;
Vermögenseinsatz; Vorausleitung
Gründe
Die seitens des Antragstellers am 6. Januar 2017 form- und fristgerecht erhobene (§
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet.
Soweit das Sozialgericht dem Antragsteller die begehrten Eingliederungshilfeleistungen in Form der Kostenübernahme für die
Wohngruppe in S. einstweilen lediglich als Darlehen und insoweit auch nur Zug um Zug gegen Besicherung des im Eigentum seines
Vaters stehenden Grundstücks in B. mit einer Grundschuld zuerkannt hat, folgt der Senat dem nicht. Der Antragsteller kann
im Wege der einstweiligen Anordnung (§
86b Abs.
2 SGG) die unbedingte Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Kostenübernahme verlangen. Er hat insoweit sowohl Anordnungsanspruch
als auch Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.
Dem Antragsteller steht mit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf
Übernahme der Kosten der begehrten Eingliederungshilfemaßnahme zu. Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig und nach
Lage der Akten nicht in Zweifel zu ziehen, dass der Antragsteller als wesentlich behinderter Mensch zum leistungsberechtigten
Personenkreis in der Eingliederungshilfe gehört (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch [SGB XII]) und dass
die Leistungen in der Wohngruppe in S. geeignet und erforderlich sind, seinen eingliederungshilferechtlichen Bedarf zu decken.
Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich, ob es sich bei der konkreten Maßnahme um eine - ohne Einsatz von Vermögen
zu gewährende (vgl. § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB XII) - Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII) oder eine - dem Grunde nach vom vorherigen Einsatz vorhandenen Vermögens abhängige (§ 19 Abs. 3 SGB XII) - Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft handelt, und ob und inwieweit das fragliche Hausgrundstück in B. angesichts
der darauf ruhenden Kreditbelastungen und des zugunsten der Großmutter des Antragstellers bestellten lebenslangen Wohnrechts
aktuell verwertbares Vermögen darstellt. Diese Fragen bedürfen nach Ansicht des Senats zumindest im vorliegenden Eilverfahren
keiner weitergehenden Erörterung.
Selbst wenn das Hausgrundstück grundsätzlich einzusetzen und entsprechend verwertbar wäre, könnte der Antragsteller vom Antragsgegner
nach § 19 Abs. 5 SGB XII Vorausleistung verlangen. Ist danach den u.a. in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden,
haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu erstatten, wobei mehrere Verpflichtete als Gesamtschuldner
haften. Diese gesetzlichen Bestimmungen regeln die so genannte erweiterte Hilfe nur unvollkommen insoweit, als ein Aufwendungsersatzanspruch
für den Fall einer Vorleistung statuiert wird. Dies setzt jedoch Fallkonstellationen, in denen der Sozialhilfeträger zur Vorausleistung
berechtigt (und ggf. verpflichtet) ist, notwendig voraus. Nach der Entstehungsgeschichte auch in Ansehung der Vorgängerregelungen
der §§ 11 Abs. 2, 29 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) kann der Sozialhilfeträger eine solche Vorleistung (nur) in begründeten Fällen erbringen und dann statt des geforderten
Vermögenseinsatzes im Nachhinein den Ersatz seiner Aufwendungen verlangen. Ein solchermaßen begründeter Fall liegt insbesondere
vor, wenn ein leistungsfähiges Mitglied der Einsatzgemeinschaft sich weigert, sein Einkommen oder Vermögen zur Deckung des
Bedarfs des Hilfebedürftigen einzusetzen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. November 2014 - L 9 SO 429/14 B
ER), oder wenn die Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen wird
und die Notlage ein weiteres Zuwarten nicht zulässt (zum Ganzen Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 19 Rn. 38). Die vorliegende Gemengelage ist diesen Regelbeispielen für die Anerkennung eines begründeten Falls und das Eingreifen
der erweiterten Hilfe vergleichbar.
Der Senat berücksichtigt insoweit zunächst wesentlich, dass das Hausgrundstück, um dessen Einsatz es geht, nicht im Eigentum
des Antragstellers, sondern im Eigentum des Vaters steht. Dieser weigert sich zwar nicht grundsätzlich, das Hausgrundstück
einzusetzen, sieht sich allerdings aufgrund einer mit seiner Mutter getroffenen Vereinbarung, das Hausgrundstück nicht ohne
ihre Zustimmung zu veräußern, an einer Veräußerung gehindert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Frage, ob für die in Rede
stehende Eingliederungshilfeleistung überhaupt der Einsatz von Vermögen gefordert werden kann, zwischen den Beteiligten umstritten
und nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz zu beantworten ist; immerhin hat der Antragsgegner die Leistung bis 31. Oktober 2014
selbst als Hilfe zur angemessenen Schulbildung bewertet und ohne Berücksichtigung von Vermögen erbracht. Dass der Vater des
Antragstellers in einer solchen Situation die Veräußerung des Hausgrundstücks nicht forciert, erscheint bei unbefangener Betrachtung
durchaus nachvollziehbar. Zu Lasten des Antragstellers, der weder selbst über den Vermögensgegenstand verfügen noch auf seinen
Vater in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht entsprechend Einfluss nehmen kann, darf dies jedoch im Hinblick auf die unstreitig
erforderliche Eingliederungshilfemaßnahme nicht gehen. Hinzu kommt, dass zwischen den Beteiligten auch umstritten ist, in
welchem Umfang das betreffende Hausgrundstück verfügbares Vermögen darstellt und insbesondere wegen der Bewertung des zugunsten
der Großmutter bestellten Wohnrechts die Ermittlungen noch andauern. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass
das Verwaltungsverfahren vom Fortbewilligungsantrag am 29. September 2014 bis zum Widerspruchsbescheid des Antragsgegners
vom 22. September 2016 knapp zwei Jahre gedauert hat. Bereits dies deutet darauf hin, dass von Anfang an auch davon auszugehen
war, dass die Prüfung der Voraussetzungen des Leistungsanspruchs im Hinblick auf das zu berücksichtigende Vermögen der Eltern
voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen werde. Insgesamt liegt es nahe, dass ein begründeter Fall i.S. des § 19 Abs. 5 SGB XII von Anfang an vorgelegen hat; zumindest bestehen die Voraussetzungen dafür aber durchgehend seit Beginn dieses Eilverfahrens.
Der Senat verpflichtet den Antragsgegner, obwohl die Entscheidung, ob er nach § 19 Abs. 5 SGB XII in Vorleistung tritt, grundsätzlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen steht. Zumindest für den hier streitigen Zeitraum ist
eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten. Davon wird zu Recht insbesondere in den Fällen ausgegangen, in denen die erforderliche
Hilfe anders als durch Vorausleistung nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Coseriu, a.a.O.). Diese Voraussetzungen bestehen
spätestens, seit der Einrichtungsträger wegen der offenen Forderungen den Betreuungsplatz zum 28. Oktober 2016 gekündigt (Schreiben
vom 2. und 27. September 2016, Bl. 20 f. der Gerichtsakte) und erklärt hat, die Betreuung des Antragstellers nur noch bis
zur Beendigung dieses Verfahrens fortsetzen zu wollen, sofern nicht zumindest laufende Zahlungen auf seine Forderungen wieder
erbracht werden.
Aus diesen Gründen besteht auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund. Es ist dem
Antragsteller nicht zuzumuten, bis zur Klärung der streitigen Rechtsfragen in der Hauptsache auf die unstreitig erforderlichen
Leistungen der Eingliederungshilfe in der Wohngruppe in S. zu verzichten. Den Zeitpunkt des Einsetzens der vorläufigen Leistungspflicht
setzt der Senat wie das Sozialgericht auf den 18. Oktober 2016 (Eingang der des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim
Sozialgericht) fest. Dabei berücksichtigt der Senat maßgeblich, dass der Antragsgegner gegen seine Verpflichtung aus dem Beschluss
des Sozialgerichts keine Beschwerde erhoben und sich mit Schriftsatz vom 10. Februar 2017 lediglich gegen eine mögliche Verpflichtung
auch für Zeiträume vor Antragstellung beim Sozialgericht gewendet hat.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).