Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom
März bis August 2009. Zwischen den Beteiligten ist dabei insbesondere die Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger
Ernährung im Streit.
Die im Jahre 1950 geborene Klägerin steht seit 2005 im Bezug von Leistungen zur Grundsicherung. Im Oktober 2006 reichte sie
eine Bescheinigung des Dr. T. ein. Danach leidet sie an Laktoseintoleranz. Eine laktosefreie Kost sei empfehlenswert. Daraufhin
bewilligte der Beklagte ab 1. Oktober 2006 einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II.
Auf den Fortzahlungsantrag bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 3. Februar 2009 für den Zeitraum vom 1. März bis 31. August
2009 Leistungen zur Grundsicherung in Höhe von 671,01 Euro, zusammengesetzt aus der Regelleistung in Höhe von 351 Euro und
Kosten der Unterkunft/Heizung (KdU) in Höhe von 320,01 Euro. Die Gewährung eines Mehrbedarfs lehnte er dagegen ab. Nach den
aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge bedinge eine Laktoseintoleranz keine erhöhte,
kostenintensive Ernährung. Mit Bescheid vom 16. Februar 2009 änderte der Beklagte die Entscheidung dahingehend ab, dass nunmehr
die vollen KdU - mit Ausnahme der Kosten der Warmwasseraufbereitung - übernommen wurden. Hieraus ergab sich für die Zeit vom
1. März bis 31. August 2009 ein monatlicher Zahlbetrag von 689,60 Euro.
Der Widerspruch - gerichtet auf die Weitergewährung eines Mehrbedarfes nach § 21 Abs. 5 SGB II - blieb erfolglos (vgl. den
Widerspruchbescheid vom 28. April 2009).
Die Klage hat das Sozialgericht Gotha hat die Klage ohne weitere Ermittlungen mit Urteil vom 28. September 2009 abgewiesen.
Anspruch auf die Gewährung eines Mehrbedarfes bestehe nicht. Die Klägerin habe schon nicht nachgewiesen, dass sie noch an
Laktoseintoleranz leide. Die Bescheinigung des Dr. T. sei veraltet. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins komme ein
Mehrbedarf im Übrigen nur bei verzehrenden Krankheiten in Betracht. Hierzu zähle eine Laktoseintoleranz nicht.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Wegen ihrer Erkrankung sei sie auf eine laktosefreie Ernährung
angewiesen. Diese sei wesentlich teurer als mit nicht laktosefreien Produkten und sei nicht aus der Regelleistung finanzierbar.
Außerdem seien die Produkte ganz überwiegend in teuren Reformhäusern zu erwerben. Im Übrigen könne schon die Vollkosternährung
eines gesunden Menschen - entgegen den Ausführungen des Deutschen Vereins - nicht mehr aus der Regelleistung bestritten werden.
Erst Recht müsse dies bei dem Erfordernis einer laktosefreien Ernährung gelten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 28. September 2009 aufzuheben sowie den Beklagten in Abänderung des Bescheides vom
3. Februar 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
28. April 2009 zu verurteilen, mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft höhere Leistungen zur Grundsicherung für die Zeit vom
1. März bis 31. August 2009 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für richtig.
Auf die Beschwerde der Klägerin hat der 9. Senat des Thüringer Landessozialgerichts die Berufung mit Beschluss vom 23. November
2010 - L 9 AS 261/09 NZB zugelassen.
Der erkennende Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte angefordert und ein ernährungswissenschaftliches Gutachten
des Sachverständigen S. für das Sozialgericht Meiningen in das Verfahren eingeführt. Danach bedingt eine Laktoseintoleranz
keine kostenintensivere Ernährung wie bei einem Gesunden.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte in Hinblick auf die Rundungsvorschrift nach § 41 SGB II a. F. anerkannt, dass
für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2009 ein monatlicher Gesamtanspruch von 690 Euro besteht. Diese Teilanerkenntnis hat
die Klägerin angenommen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und denjenigen der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen über das Teilanerkenntnis hinausgehenden Anspruch auf
Leistungen zur Grundsicherung im hier streitigen Zeitraum vom 1. März bis 31. August 2009.
Die Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung ist kein abtrennbarer Teil der Regelung über die Gewährung
von Leistungen nach dem SGB II. Sie kann damit nicht allein zulässiger Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein
(vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R). Prüfgegenstand ist dagegen nicht mehr, die Verfügung über die Bewilligung von KdU. Insoweit hat die Klägerin ihr Begehren
in dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag eingeschränkt. Die Beschränkung war auch zulässig, denn bei dem Ausspruch
über die KdU handelt es sich um eine eigenständige und damit abtrennbare Regelung.
Die Klägerin war im streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie hatte
das 15. Lebensjahr vollendet und die maßgebliche Altersgrenze noch nicht erreicht. Sie war hilfebedürftig und hatte den gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik. Der Senat hatte auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin weniger als drei Stunden
täglich erwerbstätig sein konnte, und damit nicht erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II gewesen ist.
Die Klägerin kann im streitigen Zeitraum gleichwohl keine höheren Leistungen zur Grundsicherung beanspruchen. Insbesondere
hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung.
Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, erhalten nach § 21
Abs. 5 SGB II Leistungen in angemessener Höhe. Er umfasst Bedarfe, die nicht von der Regelleistung abgedeckt sind. Für die
Gewährung eines Mehrbedarfs ist Voraussetzung eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten
aufwändiger sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist.
Nach dem im Berufungsverfahren eingeholten Befundbericht des Dr. T. besteht bei der Klägerin eine Laktoseintoleranz, die bei
Zufuhr von laktosehaltigen Produkten zu Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall führt. Sofern die Klägerin weiterhin eine
Fruktoseintoleranz anführt, konnte eine diesbezügliche Diagnose nicht sichergestellt werden. Dr. W. berichtet in dem vom Senat
angeforderten Brief lediglich von einem Verdacht auf Fructoseintoleranz. Im Übrigen berichtet der Arzt, dass bei dieser Erkrankung
eine kostenaufwändige Ernährung nicht notwendig ist.
Bei dem Begriff der angemessenen Höhe des Mehrbedarfs handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung
in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt. Zu Konkretisierung der Angemessenheit können die
vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten und an typisierbaren Fallge-staltungen ausgerichteten
Empfehlungen herangezogen werden. Bei der Erstellung der Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen haben Wissenschaftler
aus medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Fachbereichen zusammengearbeitet, die medizinisch notwendigen Ernährungsformen
bei verschiedenen Krankheiten festgestellt und die Kostenunterscheide ermittelt.
Bei den Empfehlungen handelt es sich nicht um Rechtsnormen. Eine solche Einstufung ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil
die Empfehlungen von einem privatrechtlichen Verein formuliert worden sind. Sie sind auch nicht als antizipierte Sachverständigengutachten
zu werten, können im Regelfall aber als wichtige Orientierungshilfe dienen. Sie entbinden aber nicht von der Ermittlungspflicht
im Einzelfall, sobald Besonderheiten, insbesondere von den Empfehlungen abweichende Bedarfe geltend gemacht werden. Insoweit
kann es zum einen auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sein, das Erfordernis der Krankenkostzulage
auch für eine Erkrankung zu bejahen, die im Katalog der Empfehlungen nicht vorgesehen ist. Es kann sich zum anderen aber auch
für eine der genannten oder damit gleichzusetzenden Erkrankung im Einzelfall ein höherer oder niedrigerer Mehrbedarf als in
den Empfehlungen vorgesehen ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R).
In den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1. Oktober 2008 finden sich zwar keine Ausführungen über einen Mehrbedarf bei
Lactoseunverträglichkeit. Unter Nummer 5 der Empfehlungen wird aber für Erkrankungen die nach dem allgemein anerkannten Stand
der Humanmedizin keiner spezifischen Diät, sondern einer Vollkost bedürfen, ein Mehrbedarf regelmäßig verneint. Ausgenommen
hiervon sind nach Nummer 4.2 der Empfehlungen verzehrende Erkrankungen, die mit gestörter Nährstoffaufnahme oder Nährstoffernährung
einhergehen. Hierunter fallen beispielhaft, Krebsleiden, HIV- und Aidserkrankungen, Erkrankung an Multipler Sklerose sowie
schwere Verläufe entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
Der Senat hat schon Zweifel, ob eine reine Laktoseintoleranz mit solch schweren Krankheitsbildern vergleichbar ist; insbesondere
auch deshalb weil das Gewicht der Klägerin bei einer Größe von 1,63 Metern etwa 120 Kilo beträgt. Letztendlich kann dies aber
dahingestellt bleiben. Jedenfalls folgt aus dem ernährungswissenschaftlichen Gutachten des Sachverständigen S. für das Sozialgericht
Meiningen, dass eine Laktoseintoleranz keine kostenaufwändiger Ernährung erfordert. Hierzu heißt es unter Frage 3 und 4, dass
im Vergleich zu einem gesunden Menschen kein erhöhter Kostenaufwand zu berücksichtigen ist. Dies ist für den Senat schlüssig
nachvollziehbar. Es gibt eine Vielzahl von Lebensmitteln - auch in Discountern erhältlich - die laktosefrei sind und eine
ausgewogene Ernährung ermöglichen (vgl. die im Anhang zu dem Gutachten aufgelisteten Lebensmittel). Durch den Mehrbedarf für
kostenaufwändige Ernährung muss nicht sichergestellt werden, dass jemand umfassend für diejenigen Produkte, welche er krankheitsbedingt
nicht verzehren kann, Ersatzprodukte erwerben kann; gegebenenfalls muss der Hilfebedürftige dann auf diese Produkte verzichten.
Die Gewährung eines Mehrbedarfs ist erst dann angezeigt, wenn ohne teure Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohen
oder aber keine ausreichende Auswahl an Alternativprodukten zur Verfügung steht. Genau dies ist nach dem Gutachten aber nicht
der Fall.
Sofern die Klägerin vorträgt, sie leide an einer schweren Laktoseintoleranz, ist diese Behauptung nicht belegt. Dr. T. berichtet
jedenfalls nicht von einer schweren Laktoseintoleranz. Hiergegen spricht auch das erhebliche Übergewicht und der Umstand,
dass die Klägerin lediglich zweimal im Oktober 2006 wegen der Laktoseintoleranz in Behandlung war. Im Übrigen geht aus dem
Gutachten des Sachverständigen S. unmissverständlich hervor, dass höhere Ernährungskosten in Vergleich zu Gesunden bei jedweder
Form der Laktoseintoleranz nicht anfallen. Insoweit berücksichtigt er auch die Einnahme nur laktosefreier Lebensmittel. Außerdem
können etwa 90 % der Menschen asiatischer Herkunft Laktose nicht verdauen und verzichten daher weitestgehend auf Milchprodukte
ohne an Mangelerscheinungen zu leiden; gleiches gilt für Veganer, die aus Überzeugung keine tierischen Produkte zu sich nehmen.
Sofern die Klägerin sinngemäß zum Ausdruck bringt, eine ausgewogene Ernährung sei aus der Regelleistung nicht zu bestreiten,
ist anzumerken, dass § 21 Abs. 5 SGB II kein Auffangtatbestand ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011, ebenda). Die Ernährung
mit einer Vollkost bei Laktoseintoleranz unterfällt nicht § 21 Abs. 5 SGB II, weil es sich nicht um eine Krankenkost handelt,
auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt.
Die Bestimmungen über die Höhe der Regelleistung waren im streitigen Zeitraum weiterhin anwendbar (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Das geringe Nachgeben der Beklagten in ihrem Teilanerkenntnis rechtfertigt es nicht, eine Kostenquotelung vorzunehmen.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.